Die Rückkehr des Spielers in den Farben der russischen Trikolore
Eines der sichersten Anzeichen für eine politische Krise ist die Rückkehr von „Geistern der Vergangenheit“ auf die politische Bühne. In diesem Fall geht es um die „Graue Eminenz“ von Präsident Kutschma – Wiktor Medwedtschuk.
Nach der Orangenen Revolution war dem einst allmächtigen Wiktor Wladimirowitsch zunächst die undankbare Rolle zugefallen, als Anhängsel seiner Frau, der Fernsehschönheit Oksana Martschenko, zum Helden der Boulevardpresse aufzusteigen.
Doch zwei Wellen der gesellschaftlichen Enttäuschung – zunächst über die Politik der „Orangenen“ und später auch über diejenige der „Weiß-Blauen“ – erwiesen sich als stark genug, um eben solchen „Geistern“ aus einer, wie es schien, fernen Vergangenheit zu neuer politischer Existenz zu verhelfen.
Allerdings muss hinzugefügt werden, dass der frühere Leiter der Präsidialverwaltung von Leonid Kutschma, Urheber der Verfassungsreform, Vorsitzender der Vereinten Sozialdemokratischen Partei SDPU und ihr Fraktionsführer im Parlament, einer der „Träger“ des Energiemarktes und der elektronischen Massenmedien, der nach 2004 aus praktisch allen seinen Positionen verdrängt wurde, durch seine Zusammenarbeit mit Julia Timoschenko schon in den letzten Jahren Versuche einer Rückkehr in die ukrainische Politik unternommen hat.
Die Niederlage Timoschenkos bei den Präsidentschaftswahlen verlangsamte diesen Prozess. Zum Stillstand bringen konnte sie ihn nicht.
Jetzt ist Medwedtschuk bereit für ein neues politisches Spiel. Und dafür bietet sich ihm eine ganze Reihe von Möglichkeiten.
Zum Ersten pflegte Wiktor Medwedtschuk über all die Jahre ein betont freundschaftliches Verhältnis zu den Führungseliten Russlands. Seine Bande mit Wladimir Putin und Swetlana Medwedjewa ermöglichten es, zahlreiche Angelegenheiten ukrainischer Politiker und Geschäftsleute in Moskau zu lösen. Angesichts der Abhängigkeit der ukrainischen Wirtschaft vom riesigen russischen Markt ist dies eine durchaus solide Position.
Zum Zweiten hat sich Wiktor Medwedtschuk für seine Rückkehr einen überaus günstigen Zeitpunkt ausgesucht. Die Umfragewerte der Partei der Regionen befinden sich im Sturzflug, am tiefsten sitzt die Enttäuschung bei der Basiswählerschaft von Janukowitsch im Osten und Südosten des Landes. Und das Paradoxe an dieser Situation ist, dass trotz einer wachsenden Proteststimmung niemand in der Lage scheint, in diesem El Dorado auf Stimmfang zu gehen.
Die „Orangenen“ sind schwach, sie können nicht einmal die eigene Wählerschaft halten, „UDAR“ von Witali Klitschko findet bislang keinen effektiven Zugang zu den Bewohnern dieser Regionen, deshalb auch fällt die Wählerwanderung von der Partei der Regionen zu „UDAR“ noch recht bescheiden aus. Die Kommunisten tun nichts, um sich wenigstens ein Stück weit zu modernisieren und die Wählerbasis zu erweitern, auch ist Aleksandr Moros (Sozialistische Partei) wohl kaum fähig, seiner Partei ein neues Etikett zu verpassen und einen Neuanfang zu wagen. Und alle anderen sind nur Marionetten der Regierung in Kiew.
Das Feld ist bereitet und lechzt nach den altbekannten Parolen, Versprechungen und rhetorischen Mitteln. All das vermag Wiktor Medwedtschuk zu liefern. Und er versucht dies bereits.
Zum Dritten ist Medwedtschuk sehr geschickt darin, Trends aufzuspüren. Man kann ihm zwar Charisma absprechen, doch keinesfalls eine schnelle Auffassungsgabe, was angesichts der gegenwärtigen politischen Elite ein bedeutender Vorteil ist.
Weil Medwedtschuk die Enttäuschung über die politischen Eliten nur allzu gut begreift, schlüpft er in die Rolle des „gesellschaftlichen Aktivisten“ und „Streiters für die Zivilgesellschaft“, wie aus seinen Interviews und seiner allgemeinen Positionierung hervorgeht.
Ein weiteres wichtiges Moment ist die mögliche Unterstützung durch einen Teil der Wirtschaftselite, die mit der Parole von der Rückkehr zur parlamentarischen Republik gesichert werden kann.
Diese Kreise konnten sich davon überzeugen, dass eine Monopolisierung der Macht früher oder später auch zu einer Monopolisierung der Wirtschaft führt. Die Rückkehr zu einem parlamentarischen Modell aber kann einen größeren politischen, und damit verbunden auch wirtschaftlichen, Pluralismus herbeiführen. Deshalb auch können die politischen Überzeugungen Medwedtschuks heute eine bedeutend größere Anhängerschaft finden als noch zu Beginn des Jahrtausends.
Noch ist Medwedtschuk verständig genug, um nicht mit seiner eigenen Person zu werben, wie dies alle anderen Politiker tun, sondern auf Plakaten die schöne Parole „Das Land regierst Du“ zu verwenden – in russischer Sprache und in den Farben der russischen Trikolore. In Kiew traf sich Medwedtschuk bereits mit führenden gesellschaftlichen Aktivisten aus dem Osten und Südosten des Landes und führte Gespräche über eine mögliche Zusammenarbeit und die Schaffung einer gemeinsamen Liste. Zudem kann Medwedtschuk, im Unterschied zu anderen bekannten politischen Führern, mit diesen Leuten tatsächlich auch in deren Sprache kommunizieren.
Er vermag schon fast vergessene, von der Partei der Regionen nicht umgesetzte, aber für die östlichen Landesteile noch immer aktuelle Forderungen aufzugreifen, sei es der Status der russischen Sprache oder die doppelte Staatsbürgerschaft, und damit unter den enttäuschten Wählern von Wiktor Janukowitsch Stimmen „einzusammeln“. Auch macht er sich linke Ideen vom Sozialstaat und einem Moratorium für den Landverkauf zu eigen. Die Orientierung nach links scheint dabei erfolgversprechend in einem armen Land, dessen Bevölkerungsmehrheit sich nach sozialer Gerechtigkeit und einer Grundsicherung für jedermann sehnt.
Für ihn zentral ist aber die einmalige Gelegenheit, beim Konflikt zwischen Putin und Janukowitsch auftrumpfen zu können. Doch nicht als Vermittler, sondern vielmehr als potentieller Nachfolger.
In politiknahen Kreisen wird das Gerücht gestreut, Putin habe von Janukowitsch bei ihrem letzten Treffen gefordert, „seine Macht abzutreten“ an jemanden, dem er, Putin, vertraue, und dies sei gerade Medwedtschuk.
Möglicherweise stammen die Gerüchte aus der Partei der Regionen selbst, die auf diese Weise deutlich macht, dass im Fall einer Schwächung Janukowitschs ein Günstling Moskaus an die Macht kommen könnte.
Wahrscheinlicher ist aber, dass diese Gerüchte einen ganz realen Hintergrund haben, schließlich ist die Abkühlung in den ukrainisch-russischen Beziehungen mit bloßem Auge zu erkennen.
Und nach der Amtseinführung Wladimir Putins steht mehr zu erwarten, als nur ein „leichter Frost“ mit Gaspreisen um die 500 Dollar und fehlenden offiziellen Einladungen aus Moskau. Uns erwartet wohl nichts weniger als eine Eiszeit – mit Angriffen aus der Presse und einer Erhöhung des politischen und wirtschaftlichen Drucks. Bei Wladimir Wladimirowitsch hat sich zu viel Unzufriedenheit über Wiktor Fjodorowitsch angestaut: angefangen bei seiner Unnachgiebigkeit in wirtschaftlichen Fragen, bis hin zum Fall Timoschenko.
Die Rückkehr von Medwedtschuk könnte das aktuelle Machtgefüge durcheinander bringen, das Sergej Ljowotschkin nach folgendem einfachen aber effektiven Grundsatz geschaffen hat: Stellen wir pro forma einige Projekte auf die Beine und verbinden diese mit einer „neuen“ Führungsriege, die den Leuten in den Medien und auf Plakatwänden präsentiert wird, so gewinnen wir die Zustimmung der enttäuschten „Weiß-Blauen“ Wählerschaft im Donbass, auf der Krim sowie im Süden, und wir entledigen uns gleichzeitig der wirklichen politischen Akteure.
Dafür stehen Ljowotschkin alle Möglichkeiten offen: von den zu 90 % kontrollierten Medien bis hin zur fest gefügten administrativen Vertikale.
Mit Medwedtschuk ist es eine ganz andere Sache. Er wird sich nicht auf ein fremdes Spiel einlassen, denn er ist selbst ein starker Spieler.
Und er wird sich als Spielfeld diesmal keine abgelegene Gegend wie Transkarpatien aussuchen, sondern wird dorthin gehen, wo Wiktor Janukowitsch seine politische Verankerung hat: in den Osten. Dabei wird er Schützenhilfe aus Moskau erhalten, für die dieser Teil des Landes ganz besonders empfänglich ist.
Und gerade die russischen Massenmedien, deren starke Präsenz in der Ukraine erst durch die Lobbyarbeit von Vertretern der Partei der Regionen möglich wurde, könnten Wiktor Janukowitsch nun einen schlechten Dienst erweisen. Seine Wähler haben alle nur erdenklichen Möglichkeiten, die „Fernsehpropaganda“ aus Moskau zu sehen und sind bereit, ihren Botschaften aufmerksames Gehör zu schenken.
Das einzige Problem: Medwedtschuks Spiel ist in der politischen Praxis unseres Landes überhaupt nichts neues.
Die Rückkehr dieser „Geister“ bedeutet für das Land einen erneuten Rückfall in die Vergangenheit. Zusammen mit den alten Parolen, die das Land in Stücke reißen und nicht den geringsten konstruktiven Beitrag zur Lösung jener Probleme leisten, die dringend angegangen werden müssen. Zusammen mit auch mit den Methoden – Monopolisierung und der undurchsichtigen Politik der Intrige –, die unter Leonid Kutschma florierten und auch an die jetzige Regierung weitervererbt wurden.
Dies bedeutet einmal mehr die Rückkehr in eine alte Sackgasse, genannt das kleinere Übel…
24. April 2012 // Wiktoria Sjumar
Quelle: Ukrainskaja Prawda