Der Rentenleviathan
Die ukrainischen Staatsfinanzen befinden sich in einer tiefen Krise, das Land ist bankrott und kann sich nur noch mithilfe der IWF-Kredite und der Geldpresse halbwegs über Wasser halten. Die Ursachen der Krise liegen in den enormen Staatsausgaben, die für ein vergleichsweise wenig entwickeltes Land einen unverhältnismäßig großen Anteil an der Wirtschaft ausmachen (beinahe 60 Prozent des BIP im Jahr 2014, einschließlich der außerbudgetären Ausgaben).
Diese enormen Ausgaben müssen irgendwie finanziert werden, was zu einer erhöhten Steuerbelastung für die Unternehmen führt, die die Entwicklung hemmt und das Land arm und rückständig hält. Doch in den letzten Jahren genügte selbst das „gestapo“-artige Steuersystem nicht, um die ausufernden budgetären und außerbudgetären Staatsausgaben zu finanzieren. Hierbei geht es vor allem um die Subventionierung des Gasverbrauchs der Privathaushalte (mithilfe von Geldemissionen, die zum Absturz des Wechselkurses von 12 auf 18 Hrywnja pro Dollar führten) sowie die Rentenausgaben.
Im Verhältnis zur Wirtschaftskraft der Ukraine übersteigen die Rentenausgaben bei weitem die in entwickelten Ländern, aber auch die seiner osteuropäischen Nachbarn (einschließlich Russland und Weißrussland).
Die Rentenausgaben betrugen in der Ukraine 2013 mehr als 17 Prozent des BIP. Der OECD-Durchschnitt, der sämtliche entwickelten Länder berücksichtigt, liegt bei weniger als 8 Prozent. Spitzenreiter unter den entwickelten Ländern ist Italien, das große Probleme hinsichtlich seiner öffentlichen Finanzen aufweist und für seine Renten etwas mehr als 13 Prozent des BIP ausgibt. Die osteuropäischen Nachbarn der Ukraine geben durchschnittlich 7-10 Prozent des BIP für die Renten aus, Russland und Weißrussland zwischen 9-10 Prozent.
Angesichts dessen, dass sämtliche übrigen Länder über kein entwickeltes Rentensystem verfügen, könnte man behaupten, dass die Ukraine mehr als alle anderen Länder der Welt für Renten ausgibt. Zu keiner Zeit waren die Rentenausgaben derartig generös wie zum jetzigen Zeitpunkt, weshalb das ukrainische Rentensystem eindeutig als eines der kostspieligsten der Menschheitsgeschichte gelten muss.
Dies war nicht immer der Fall. So lagen die Rentenausgaben beispielsweise im Jahr 2000 mit acht Prozent des BIP im durchaus normalen Bereich, und in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre schwankten diese zwischen 8-10 Prozent des BIP.
Diese Norm wurde leider aus politischen Gründen gebrochen, da der damalige Premier Wiktor Janukowitsch unbedingt die Wahlen gewinnen musste. Als – gelinde gesagt – unverantwortlicher Politiker beschloss Janukowitsch, ein bei uns gängiges Instrument – das des sozialen Populismus – zur Steigerung der Wählerzahl einzusetzen, und erhöhte drastisch die Rentenverpflichtungen, ungeachtet dessen, dass das Land nicht über die erforderlichen Mittel verfügte.
Daraufhin stieg der Rentenanteil bis 2005 um das beinahe Anderthalbfache – bis auf 15 Prozent des BIP und somit auf das höchste Niveau in der Welt, während das dadurch entstandene und vom Staatshaushalt zu deckende Defizit des Pensionsfonds plötzlich vier Prozent des BIP betrug (de facto zahlungsunfähig).
In der durch den sozialen Populismus korrumpierten Atmosphäre der 2000er Jahre war eine Rückführung der Rentenausgaben auf ein normales Niveau nicht möglich, wenngleich das Defizit des Rentenfonds etwas reduziert werden konnten (aber eben nicht beseitigt). Die Situation verschärfte sich in den Krisenjahren 2008-2009, bei einem abstürzenden BIP stiegen die Rentenausgaben auf beispiellose 18 Prozent des BIP.
Die wie ein Krebsgeschwür wachsenden Rentenausgaben führten zu einem enormen Anteil der öffentlichen Ausgaben an der Wirtschaft. Der Anteil der staatlichen und kommunalen Ausgaben am BIP ist seit 2000 faktisch unverändert.
Gemäß den Prognosen der UNO zur demografischen Entwicklung wird die Zahl der Rentner relativ zum Anteil der arbeitenden Bevölkerung 2015-2020 um 20 Prozent steigen, um 50 Prozent in den Jahren 2015 bis 2030. Die steigende Tendenz hinsichtlich der Rentenausgaben wird sich entsprechend nicht von allein korrigieren. Rein theoretisch könnten diese bis 2020 auf 20 Prozent des BIP ansteigen.
Hierzu wird es allerdings nicht kommen, da der ukrainische Haushalt nicht über die entsprechenden Reserven verfügt und ein weiterer Anstieg der Rentenausgaben schlicht und einfach zu Staatsbankrott und Zahlungsausfall führen wird.
Ein ungerechtes System
Zudem ist das die Ukraine an den Rand eines Staatsbankrotts führende Rentensystem nicht gerade der Inbegriff sozialer Gerechtigkeit. 70 Prozent der Rentner erhalten einschließlich sämtlicher Zuschläge und Prämien weniger als die Durchschnittsrente (1371,65 Hrywnja nach Stand vom 01.01.2014 = etwas mehr als 70 Euro).
Gleichzeitig sieht das System eine ganze Reihe von Sonderrenten, aber auch Vergütungen, Prämien und ähnliche Ausschüttungen vor, wodurch spezifische Rentner vom System bevorzugt behandelt werden. Darüber hinaus übersteigen die Renten der am stärksten Privilegierten – der Staatsanwälte, Richter, Volksabgeordneten, Mitglieder des Ministerkabinetts – die Durchschnittsrente um das fünf- bis elffache.
Für 70 Prozent der Rentner wäre es tatsächlich vorteilhafter, wenn der Staat vom bestehenden solidarischen Rentensystem absehen und zu einem Einheitsrentensystem für alle Bürger in Form einer sozialen Unterstützung auf dem Niveau der durchschnittlichen Rentenhöhe übergehen würde. Sonderrenten und Prämien könnten gänzlich abgeschafft werden, was die Rentenlast für die Wirtschaft erheblich senken würde (um mehr als vier Prozent des BIP). Die Höhe der sozialen Unterstützung könnte man sogar anheben, wenn diese ausschließlich diejenigen gezahlt wird, die diese wirklich benötigen.
23. Dezember 2014 // Pawel Kuchta
Quelle: Lewyj Bereg