Der teutonische Marsch 2 oder der Deutsche sagt: „Ihr seid Mongolen“
Seitdem mein Artikel „Der teutonische Marsch“ erschienen ist, kam es zu einer richtigen Flut von polemischen Texten, in welchen die Rolle Deutschlands in der beabsichtigten Integration der Ukraine thematisiert wird.
Keiner bestreitet die Hauptthesen im „teutonischen Marsch“ – man bemühte sich lediglich darum, unter dem Motto „Selbst der Narr!“ zu diskutieren, mich zu etikettieren (bis hin zu Beschuldigungen der Fremdenfeindlichkeit) und sich zu rechtfertigen.
Aufschlussreich ist es aber, dass nicht nur eine Reihe von einheimischen Empfängern deutscher Zuwendungen, sondern auch relativ bekannte Personen – von Nico Lange und dem deutschen Botschafter Hans-Jürgen Heimsoeth bis zu Intellektuellen des Typs Taras Kusjo – in die Diskussion eingestiegen sind.
Sobald mein Artikel in der Ukrajinska Prawda veröffentlicht wurde, setzten sich Vertreter der CDU mit mir am selben Tag in Verbindung, um zu klären, ob diese Position nur von mir vertreten wird und um mitzuteilen, dass der Artikel für die Bundeskanzlerin übersetzt wurde.
Dass der „teutonische Marsch“ in deutsch-, englisch- und russischsprachige Druckmedien aufgenommen wurde, bestätigte für mich selbst, dass ich Recht habe. „Ärgerst du dich, Jupiter? So habe ich Recht!“ – schrieb Lukian.
Es geht mir hier aber nicht um Kritiken. Dadurch offenbaren sich nur die Rolle Deutschlands im heutigen Europa sowie die Abhängigkeit der beabsichtigten europäischen Integration der Ukraine von der deutschen Position als tatsächlich wichtige und aktuelle Themen.
Zu lange galt Deutschland für ukrainische Politiker und Journalisten als Vorbild, als „Heilige Kuh“, die nicht kritisiert werden darf. Die Festnahme von Jurij Luzenko in Frankfurt hat man auf die Alkoholsucht des Ministers selbst zurückgeführt, laut unseren Massenmedien soll sich die deutsche Seite in diesem Konflikt einwandfrei verhalten.
In der Verhaftung und der Verurteilung von Wiktor Sherdyzkyj und Ihor Didenko – genauso wie im ganzen mehr als unverschämten Gradobank-Fall – hat man dem deutschen Recht freie Hand gelassen.
Der Zwischenfall mit Nico Lange im vorigen Jahr hat man vertuscht: alles wurde so gestaltet, dass nur die ukrainische Seite Schuld hat…
Zu oft vergessen wir, dass es im Konflikt keinen gibt, der Recht hat, sowie keinen der Schuld hat, sondern nur einen, der etwas mehr Recht hat und einen, der etwas weniger Recht hat. Sowie auch etwas mehr und etwas weniger Möglichkeiten und Einfluss.
In der Zeit nach der Veröffentlichung wurde es klar: Deutschland hat keine Absicht, wenigstens im Kleinsten in seiner Position bezüglich der Ukraine nachzugeben. Dass der Tymoschenko-Fall nur ein Vorwand, ein Anlass war, steht für mich persönlich eindeutig fest.
Noch mehr: dieselbe Einschätzung hörte ich auch in Gesprächen in Brüssel am 1. Dezember dieses Jahres, als nach dem vom Institut der ukrainischen Politik veranstalteten Runden Tisch einige Teilnehmer zu mir kamen und von einer „kurzsichtigen Politik von Merkel“, die „mit Moskau kokettiert“, sprachen, indem sie ihre Ratlosigkeit zeigten.
„Die Welt hat sich verändert. Europa hat sich verändert“, meinte einer von meinen Gesprächspartnern. „Nach den Krisenerscheinungen in der europäischen Wirtschaft wurde das Brüsseler Europa durch das Berliner Europa ersetzt“.
Man würde in jedem Fall erklären, dass die Ukraine gegen Menschenrechte verstößt und den Normen der europäischen Zivilisation nicht gerecht ist. Selbst wenn Tymoschenko auf freiem Fuße wäre (dann würde etwas anderes vorgeworfen). Sogar selbst wenn Tymoschenko Präsidentin wäre.
Zumal wir bereits Präzedenzfälle hatten: Es war Deutschland, das die Ukraine 2005 davon überzeugte, dass eine Beantragung der EU-Mitgliedschaft für sie vorzeitig ist – ich glaube, dass der ehemalige Vizepremier für europäische Integration Oleh Rybatschuk sowie der ehemalige Außenminister Borys Tarasjuk viel Interessantes über diese Episode in der ukrainischen Geschichte erzählen können (falls dazu der Wille besteht).
Es war Deutschland, das sich 2008 vor dem NATO-Gipfel in Bukarest gegen den Membership Action Plan für die Ukraine ausgesprochen hat. Ist das aufschlussreich?
Man fragt sich, wozu sein „Nein!“ zu demonstrieren, wenn es um die Paraphierung des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der EU geht. Dieses Dokument – außerordentlich wichtig für die Ukraine im Sinne der Weichenstellung – ist doch noch keine Mitgliedschaft in der EU.
Außerdem stellt die Paraphierung nur die erste Phase in einem recht langwierigen Prozess dar.
Der Paraphierung soll die Unterzeichnung folgen, danach kommt die Ratifizierung des Abkommens durch alle 27 Parlamente sowie auch durch die Werchowna Rada.
Wenn also bezüglich zur Ukraine ein besonderes Verhältnis und besondere Anforderungen bestehen, wie es Herr Heimsoeth meint, so wäre es logisch, eine andere Verhaltenslinie anzunehmen: Wir paraphieren das Abkommen, um euch mit zusätzlichen Verpflichtungen einzig und allein an die gewählte Richtung zu binden.
Aber ab jetzt gilt, dass die Ukraine ihren Verpflichtungen vor der EU nachzukommen hat, damit das Abkommen in vollem Maße umgesetzt wird.
Zurzeit hat die Ukraine mit einem Dilemma zu tun: Europäische Union oder Euroasiatische Union? Freihandelszone oder einheitlicher Wirtschaftsraum? Indem Deutschland keinen Wunsch hat, den Prozess in Gang zu bringen, und Akzente auf völlig nebensächliche Faktoren setzt, regt es die Ukraine einfach zur falschen Wahl an.
Es gibt noch eine Sache, die nicht klar ist. Warum leistet Deutschland dem Verweis in der Präambel des Abkommens auf den Artikel 49 des Lissabon-Vertrages, wo es um das Recht der europäischen Nationen auf die EU-Mitgliedschaft geht, solch einen Widerstand?
In welchem Zusammenhang stehen das Recht des ukrainischen Volkes, darauf zu hoffen, dass es – wenn auch langfristig – in der EU angenommen wird, und die heutige Rüge der Kiewer Regierung durch Berlin?
Im Abkommen sind doch die Beziehungen der EU zu der Ukraine, und nicht zu Janukowytsch, Asarow, Richter Kirejew oder etwa zur Partei der Regionen vorgesehen?
Nicht zufällig bemerkte der polnische Präsident Bronisław Komorowski, dass die Frage der europäischen Integration der Ukraine nicht ausschließlich auf den Tymoschenko-Fall hinauslaufen soll. Ihm hat man jedoch in Berlin nicht zugehört. So entstand eine informelle Rollenverteilung: Polen ist Anwalt der Ukraine, Deutschland ist Ankläger. Aber wer sind dann die Richter?
Ich sage es noch einmal: für mich lässt das sich durch nichts erklären als durch den ständigen Wunsch von Frau Merkel, ihren russischen Kollegen in großen geopolitischen Spielen zu verhelfen. Für Frau Merkel ist es klar: damit Europa „Berliner“ wird, muss man es auf die bestehenden Grenzen beschränken oder sie sogar verengen.
Potentielle Zonen der Instabilität kann Deutschland nicht brauchen. Was es braucht sind Voraussagbarkeit, Steuerbarkeit und Rationalität. Eine romantische Periode, die jede überstaatliche Vereinigung erlebt, ist zu Ende.
Ideologen der Vereinigungsprozesse machen den Weg frei für Buchhalter.
Frau Merkel und Monsieur Sarkozy – in europäischen Feuilletons als eine handelnde Person mit dem Spitznamen „Merkozy“ vertreten – sprachen mehrmals im Laufen der letzten Jahre davon, dass Europa an die Grenzen seiner Erweiterung gekommen ist und dass die Annahme von weiteren Mitgliedern einfach unzweckmäßig ist.
In erster Linie betraf das die Ukraine und die Türkei. Merken Sie sich: 2008, als eine Erklärung dieser Art erstmals ertönte, war eine andere politische Gruppe in Kiew an der Macht.
Russland ist nicht nur ein wichtiger wirtschaftlicher, sondern auch ein politischer Partner für Deutschland. Mit Hilfe russischer Zugeständnisse kann man äußere (vor allem amerikanische) Einflusse auf die EU nivellieren. Es ist klar, dass Moskau jegliche Schritte der Ukraine in die westliche Richtung als schmerzlich erfährt.
Die Ukraine ist – nach Auffassung russischer Politiker – eine Sphäre nationaler Interessen von Russland. Man konnte Osteuropa schmerzlos verlieren. Man konnte das Baltikum übergeben. Aber die Ukraine, auf welcher ein Großteil des russischen Nationalmythos beruht, kann der Kreml nicht aufgeben.
Deutschland versteht, was keiner deutscher Politiker laut sagen kann: Es gibt für die Stärkung Deutschlands eine einfache Methode – sich den Beistand Russlands und seiner Rohstoffmonopole zu sichern, auch wenn es auf Kosten der Ukraine geht.
Aufschlussreich ist ein Material, das in russischen Medien unter dem Titel „Wieder die deutsche Frage“ erschien. Sein Autor, Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“ beginnt den Artikel so:
„Auf der Konferenz in Stanford, welche die Veränderungen in der Welt seit dem Zerfall der UdSSR zum Thema hatte, hat ein amerikanischer Kollege die folgende Frage gestellt: Fürchtet Moskau nicht, dass sich durch die EU-Krise das Entstehen eines Europas unter der Dominanz Berlins ergibt.
Die Antwort darauf muss negativ sein. Berücksichtigt man die Sonderbeziehungen, welche Russland und Deutschland seit einem halben Jahrhundert und besonders in der postsowjetischen Zeit verbinden, kann die Stärkung des deutschen Faktors in der Alten Welt den Kreml nur erfreuen. Dabei wird Russland einer der wenigen sein, denn bei den anderen Europäern erzeugt die Erscheinung eines mächtigen Deutschlands ausschließlich negative Gefühle.“
Die Stärkung Deutschlands in der Welt ist ein objektiver Faktor. In der Rolle eines Retters Südeuropas vor der Krise will Deutschland seine Bedingungen in der Wirtschaft bzw. im Finanzbereich vorschreiben, damit Schutzmechanismen für Vermeidung von Krisenerscheinungen in der Zukunft gebildet werden können.
Es fordert Änderungen innerhalb der EU, ein engeres Zusammenwirken zwischen den EU-Subjekten. Frankreich ist Hauptpartner Deutschlands in innereuropäischen Angelegenheiten, Russland ist es in außereuropäischen. Wo ist hier der Platz für die Ukraine?
Die Ukraine erwies sich als Tauschmünze in der großen deutschen Politik – und die Pathetik von Herrn Heimsoeth, die Kasuistik von Herrn Lange, die Rabulistik von Herrn Kusjo – das sind nur Versuche, die Position Deutschlands im Bezug auf die Ukraine zu adeln.
Wer die Verlegung der Europameisterschaft-2012 nach Deutschland verlangt, geht nicht von Fragen des Demokratieschutzes aus, sondern von kleinlich berechnenden Überlegungen (wenn diese Ereignisse auch in einer etwas anderen Dimension liegen, als die europäische Integration).
Öffentlich kann man natürlich schöne Erklärungen über die Prinzipien der Demokratie und Grundlagen der europäischen Zivilisation, welcher die Ukraine beraubt ist, machen. In Wirklichkeit sind die Doppelstandards Deutschlands offensichtlich.
Ich hörte eine zornerfüllte Erklärung von Hillary Clinton über die russischen Wahlen. Hat Frau Merkel eine ähnliche Erklärung zum Schutz der Demokratie verlauten lassen?
Im Internet fand ich eine mehr als vorsichtige Kritik der russischen Regierung von der deutschen Bundeskanzlerin: „Im Interview für Deutsche Welle hat sie die Hoffnung geäußert, dass der Verlauf der Duma-Wahlen in Massenmedien objektiv dargestellt wird. Merkel hat auch bedauert, dass keiner von den OSZE-Beobachtern bei den Wahlen dabei sein wird.
Die Bundeskanzlerin bemerkte, dass sie eine gute Zusammenarbeit mit Russland pflegen möchte, um gemeinsam nach Lösungen außenpolitischer Probleme wie dem Status von Kosovo oder dem Konflikt um das iranische Atomprogramm zu suchen.
Unterdessen will Merkel bei Moskau den Schutz von Menschenrechten und die freie Arbeit verschiedener Parteien anmahnen.“
Wie vorsichtig, nicht wahr?
Stepan Bandera hat einmal die Position von Andrij Melnyk im Bezug auf das Reich so gekennzeichnet: „Er möchte sich die Ukraine bei den Deutschen verdienen“. Heute wollen einige hausbackene Patrioten sich Europa bei Deutschland verdienen.
Man hat mir mehrmals gesagt, dass Deutschland nicht kritisiert werden darf. „Man darf die Deutschen nicht verärgern“, sagte mir ein hochrangiger Beamter, „Sie sind unsere strategischen Partner“.
Es ist interessant, ob sich Deutschland selbst daran erinnert – an die Partnerschaft sowie an die auf Deutschland gesetzten Hoffnungen des Teils der Ukraine, welcher die Annäherung an Europa wahrhaftig anstrebt und dabei versteht, dass man sonst der Integration im Rahmen von Projekten russischer Initiative preisgegeben wird.
Ist es heute denen, welche die Position Deutschlands eifrig verteidigen, bewusst, dass morgen nicht Janukowytsch, sondern gerade Angela Merkel die Hauptschuld für ein neues „Charkiwer Abkommen“ oder einen Beitritt in zur Zollunion trägt? Ihre Zustimmung wird der Ukraine nämlich fehlen, damit am 19. Dezember die Paraphierung des Assoziierungsabkommens mit der EU zustande kommt.
Es kann nicht sein, dass Frau Merkel darüber nicht bescheid weiß, was für einen Druck von russischer Seite die Ukraine zu ertragen hat…
Und danach kann man seine Ratlosigkeit zeigen und sagen, dass die Ukraine eine Demokratieprüfung nicht bestanden hat, dass sie „selbst schuld“ ist und „selbst ihren Weg gewählt hat“.
Aber das wird nur eine Rechtfertigung sein. Außerdem wird Deutschland noch die Gelegenheit haben, mit dem Faktor eines durch die Ukraine gestärkten Putins konfrontiert zu sein. Und wird das ein Triumph der Demokratie und Gerechtigkeit sein, wie Merkel es versteht?
Heute sind wir Zeugen davon, wie sich eine Prophezeiung von Taras Schewtschenko verwirklicht: „Der Deutsche sagt: Ihr seid Mongolen! – Mongolen, Mongolen! Nackte Enkelkinder des goldenen Tamerlans“
Deutschland drängt uns nach Eurasien, indem es uns die europäische Perspektive verweigert.
13. Dezember 2011 // Kost Bondarenko
Quelle: Ukrajinska Prawda