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Hans-Jürgen Heimsoeth, deutscher Botschafter: „Mit einer Perspektive ist erst zu rechnen, wenn „Europa“ in der Ukraine aufgebaut sein wird “

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Die Stellungnahme Deutschlands zum Gerichtsverfahren und dem jüngsten Urteil des Kiewer Stadtgerichts gegen Tymoschenko war ausgesprochen klar und hart. Die Äußerungen des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in der Ukraine Hans-Jürgen Heimsoeth haben es noch mal bekräftigt. Herr Heimsoeth hat sich ziemlich zurückhaltend, aber für einen Diplomaten recht offen zu dem heutigen Stand der Beziehungen zwischen Kiew und Berlin sowie Brüssel geäußert und die Perspektiven der Verhandlungen über die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine angesprochen. Gleichzeitig hat er einen Versuch unternommen, manchen Mythen und gewissen Spekulationen ein Ende zu setzen. Wir erlauben uns, die Aufmerksamkeit unserer Leser auf die eindrucksvollen Einzelheiten zu lenken. Der bevollmächtigte Vertreter der Bundesrepublik Deutschland hat keine direkte Antwort auf die Frage gegeben, ob einzelne Sanktionen gegen die ukrainischen Amtsträger zu erwarten sind. Aber wie es in der Regel in solchen Situationen der Fall ist, haben wir von ihm kein kategorisches Nein gehört.

Aus den Medienberichten zieht man die Schlussfolgerung, dass die deutsche Position bezüglich des Urteils von J. Tymoschenko die härteste in Europa ist. Hängt das mit der großen Prinzipientreue oder mit dem russischen Einfluss zusammen?

Ich sehe keine großen Meinungsunterschiede innerhalb der Europäischen Union, wenn es um die Bewertung der Ereignisse in der Ukraine geht, selbst wenn interessierte Seiten versuchen, diesen Eindruck zu verbreiten. Jeder, der die Diskussion im europäischen Parlament letzte Woche verfolgt hat, hat auch mitbekommen, dass die schärfste Kritik unter anderem auch von den Partnern geäußert wurde, die früher aktiv für den ukrainischen EU-Beitritt eintraten. In der EU ist man von der ukrainischen Führung sehr enttäuscht. Ein Land, das der EU beitreten will, muss auch die Tatsache akzeptieren, dass es nach europäischen Werten und Standards bewertet wird. Alles andere spielt keine Rolle.

Manche Informationsquellen berichten, dass Kanzlerin Merkel auf dem Treffen in Warschau die Antworten von Präsident Janukowitsch als Einverständnis dazu verstanden haben soll, dass J. Tymoschenko freigelassen werden wird. Ist das wahr?
Welche konkreten Folgen könnte die Entscheidung der ukrainischen Regierung, Tymoschenko und andere Vertreter ihrer Regierung nicht freizulassen, für die deutsch-ukrainischen Beziehungen haben?

Ich war auf diesem Treffen nicht dabei. Aber das Gespräch zwischen dem ukrainischen Präsidenten und Kanzlerin Merkel fand jedoch neben den vielen anderen Gesprächen statt, in denen der slowakische Premier-Minister Dzurinda, der ehemalige polnische Präsident Kwaśniewski, der schwedische Außenminister Bildt zusammen mit dem EU-Kommissar Füle sowie der Abgeordnete des Europäischen Parlaments Elmar Brok beteiligt waren. Diese Gespräche haben gewisse Hoffnungen geweckt. Frau Merkel machte deutlich, dass politische Diskussionen mit politischen Mitteln geführt werden müssen. Die Ukraine muss der Unabhängigkeit der Rechtsprechung und Grundsätzen eines Rechtstaates den Vorrang geben.

Könnte Deutschland der Paraphierung des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der EU zustimmen, wenn Julija Tymoschenko zu dem Zeitpunkt immer noch verhaftet sein wird?

Diese Frage bleibt offen. Aber eine Paraphierung zeugt lediglich davon, dass die Verhandlungsparteien sich in Bezug auf den Inhalt des Dokumentes einig sind. Solange das Abkommen noch nicht unterzeichnet ist, kann die Ratifizierung nicht begonnen werden. Alles hängt nun davon ab. Vom Standpunkt der aktuellen Situation aus bin ich nicht optimistisch zu einer Unterzeichnung.

Wie würden Sie die Aussage Präsident Janukowitschs kommentieren, die Ukraine könne das Unterzeichnungsdatum des Assoziierungsabkommens mit der EU auch verschieben?

Präsident Janukowitsch wollte wahrscheinlich damit sagen, dass das Abkommen für die ukrainische Regierung weniger vorrangig sein wird. Die Erfahrung zeigt, dass nur die Länder in die EU finden, die wirklich in die EU wollen. Dabei ist klar, dass diese Verzögerung die Situation nicht verbessern wird. Bis jetzt haben wir die Ukraine immer als ein Land angesehen, das wesentliche Merkmale der Demokratie und der Freiheit aufweist, was einen Weg zur Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens ebnet. Aber heute spricht die Bürde der Tatsachen für sich: Es wird unerlässlich sein, seinen Wunsch, diesen Weg zu gehen, zu demonstrieren sowie zu beweisen, dass alles, was gesagt und gesetzlich verankert wird, keine bloßen Worte sind. Man sollte vor allem nicht davon ausgehen, dass eine „Perspektive“ schon in der Verhandlungsphase, in der nach einem „Kompromiss“ noch gesucht wird, vereinbart und im Assoziierungsabkommen niedergeschrieben werden kann. Mit einer Perspektive ist erst zu rechnen, wenn „Europa“ in der Ukraine aufgebaut sein wird. Aber wir sind diesem Ziel nicht näher gekommen, sondern haben uns davon entfernt.

Gibt es eine Diskussion in der deutschen Regierung zu möglichen Sanktionen gegen konkrete ukrainische Amtsträger, die durch Verstöße gegen Gesetze, demokratische Grundsätze, Rechte und Freiheiten der Menschen aufgefallen sind? Welche Position vertreten andere EU-Partner in Bezug auf Sanktionen?

Einige rufen dazu auf. Die Diskussion zu diesem Thema ist momentan nicht sehr stark. Aber die Entwicklung politischer Prozesse lässt sich nicht immer vorhersagen. Wir sollten den Teufelskreis der Sanktionen, Forderungen und Einstellung der Verhandlungen mit allen Mitteln vermeiden. Allerdings kann der nächste Schritt auf dem Weg zur EU erst dann gemacht werden, wenn die EU sich vergewissert hat, dass die Rechtstaatlichkeit gewissen Standards entspricht, der Druck auf die Opposition nicht zunimmt, Presse- und Meinungsfreiheit sichergestellt und freie demokratische Wahlen, bei denen die Opposition als gleichberechtigter Rivale sich der Regierung gegenüberstellen kann, durchgeführt werden. Bei all diesen Punkten haben wir noch Zweifel. All das macht eine Verzögerung der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens möglich und sehr wahrscheinlich. Es ist nur schade, dass diese Verzögerung vor allem die ukrainische Bevölkerung hart treffen wird, denn das Ziel des Abkommens ist in erster Linie, die Ukraine in den EU-Wohlstandsbereich einzubinden und ihre marktwirtschaftliche Entwicklung durch das Freihandelsabkommen zu fördern. Trotzdem hoffe ich, dass das Assoziierungsabkommen seine Endphase erreicht.

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Wie schätzen Sie die Möglichkeit des Beitritts bzw. einer „engen Zusammenarbeit“ der Ukraine mit der Zollunion statt der Annäherung der EU ein?

Worum handelt es sich hier eigentlich? Mit dem neulich von sieben GUS-Staaten unterzeichneten Vertrag über die Freihandelszone hat die EU kein Problem. Entscheidend wird allerdings sein, dass dieser Vertrag die Vereinbarung über die Orientierung auf die vertiefte und umfassende Freihandelszone (DCFTA) nicht zum Scheitern bringt.

Der Beitritt der Zollunion würde offensichtlich dem WTO-Beitritt sowie dem DCFTA widersprechen. Der ukrainische Präsident hat das mehrmals betont. Die EU hat mit der Ukraine das Abkommen über die Freihandelszone vereinbart. Deshalb wäre es sinnvoll, das Assoziierungsabkommen abzuschließen.

Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit der Gründung eines bilateralen Konsortiums Ukraine-Russland statt eines trilateralen Ukraine-EU-Russland ein, das das ukrainische Gas- und Transportsystem kontrollieren soll?

Die Ukraine verhandelt mit Russland darüber. Mir ist aber nicht bekannt, dass europäische Unternehmen in diese Verhandlungen miteinbezogen werden. Jedoch sollte man nicht deswegen davon ausgehen, dass die europäischen Unternehmen nach jemandes Pfeife tanzen werden, nachdem die Ukraine und Russland sich geeinigt haben.

Manche Informationsquellen berichten, deutsche Unternehmen erlebten noch nie so ein günstiges Geschäftsklima, wie unter Präsident Janukowitsch und Ministerpräsident Asarow. Können Sie die Glaubwürdigkeit dieser Informationen bestätigen?

Ihre Informationsquellen sind mir nicht bekannt. Allerdings spiegeln sie offensichtlich nur ein Fragment der Wirklichkeit wider. Wir sind inzwischen aus der Krise herausgekommen. Aber der deutsch-ukrainische Handelsumsatz hat sich noch nicht ganz erholt. Die Investitionszahlen sind alles andere als beruhigend. Die Stimmung allgemein ist nicht so gut. Die deutschen Unternehmen berichten von Unternehmensplünderern. Ein DAX-Unternehmen wird wahrscheinlich demnächst die Ukraine verlassen müssen, was bisher noch nie der Fall war. Das erklärt sich durch den Antagonismus wirtschaftlicher Interessen, der für ausländische Unternehmen keinen Platz vorsieht. Sicherlich haben einzelne Unternehmen Chancen und Hoffnungen. Aber die starke Interdependenz zwischen wirtschaftlichen Interessen und der Politik vor dem Hintergrund der immer noch fehlenden Transparenz, Offenheit und rechtlichen Sicherheit verhindert die wirtschaftliche Dynamik, die dem Potenzial des Landes gerecht wäre und der Bevölkerung zugute käme.

21. Oktober 2011 // Tatjana Silina

Quelle: Serkalo Nedeli

Übersetzerin:   Xenia Kim — Wörter: 1240

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