Zum Thema Juden und Nationalismus
Ich werde oft gefragt, wie es dazu gekommen ist, dass ich mich mit Nazis eingelassen habe. Und ich komme einmal auf die Hruschewsky-Straße, wo – wie man alle aus „verlässlichen Quellen“ weiß – sich diese hauptsächlich gruppieren, reiche einem Burschen mit verrußtem Gesicht einen Becher heißen Tee und bekomme als Antwort: „Danke, schöne Frau. Wo bist du her?“ „Ich bin Jüdin“, sage ich, „von hier“.
Das sage ich absichtlich. Ich falle auf das zynische Spiel der bösen Kräfte ein, suche nach einer Selbstbestätigung, überprüfe, beobachte und dann schäme mich dafür.
„Ist dir nicht kalt?“ höre ich gleich, als stände nicht er schon seit zwei Stunden in der Kälte. Als ob wir nicht gerade über Nationalitäten gesprochen hätten. „Setz‘ dich näher zum Feuer!“
Der Platz ist voll von solchen Jungs und Mädchen, Männer und Frauen. Und Tjahnybok (Anm. – einer der Oppositionsführer), der einmal was über die Juden gebrüllt hat, ist weder ein Gewährsmann noch ein Anführer mehr, einfach abgedientes Material. Fackelzüge zum ungünstigen Zeitpunkt, Demolierung der Denkmäler, irgendwelche Idioten, die sich aufs Hotel Premier Palace stürzen – all diese sinnfreien Aktionen sind auf seinem Mist gewachsen, aber sobald es um reale Kampfhandlungen ging, hat er sich gleich in die Hose gemacht. Meiner Meinung nach, hat gerade seine Partei Swoboda (Freiheit) alles daran gesetzt, das Image des Maidans mit Nazis, Radikalen, Extremisten zu besetzen. Gerade die Spitzenkandidaten dieser Partei haben Angst bekommen, als der Kampf ernst wurde. Möglicherweise gibt es in dieser Partei auch gute Leute. Aber ihren Parteichef und seine Einnahmequellen finde ich überflüssig.
Aber zurück zum Platz und zur Realität. Was ich schon lange sagen wollte: Es ist äußerst wichtig, daran zu denken, wer man ist, wo man geboren ist. Wohin die Wurzeln führen. Es ist wichtig, stolz darauf zu sein, dass man aus Kyjiw (Kiew), Donezk, Odessa ist. Diejenigen, die stolz auf ihre Heimatstadt sind, nerven mich nicht. Im Gegenteil, darin gibt es eine gewisse Integrität. Diese Menschen akzeptieren sich, fühlen sich mit der Geschichte verbunden. Sie sind normal. Ein ganz anderes Thema ist der Blick auf die Anderen. Die Nationalität und der Wohnort eines Anderen hat keine Rolle zu spielen. Umso weniger für diejenigen, die über den Fortschritt und Integration in die europäischen Werte reden.
Ich spreche lauter Banalitäten aus. Naive Dinge. Aber ich wiederhole: das sind zwei ganz unterschiedliche Perspektiven, ob man auf sich selbst oder auf einen Anderen blickt. Wollen wir uns das bitte merken! Die physischen Grenzen sind in diesem Land schon gestaltet. Die mentalen sollte man schon längst zerstören. Und neue Grenzen brauchen wir sicher nicht.
03. Februar 2014 // Miriam Dragina, Literaturwissenschaftlerin auf ihrer Facebook-Seite
Übersetzerin: Julia Korsch