Ukraine: Kurz vor dem Verschwinden


Wer wird unser Land vor der Russischen Föderation schützen: Der Westen Trumps und Greta Thunbergs oder China?

Die Münchner Sicherheitskonferenz hat uns keine neue Inhalte gebracht. Der Schlussbericht besteht aus Zitaten, Binsenweisheiten und banalem Konstatieren des Offensichtlichen. München konnte uns keine neuen Deutungen bringen. Der Westen hat alte Ideologeme verloren und keine neuen geschaffen. München fragte nur, ob der Westen der Westen geblieben sei. Und die Antwort auf diese Frage war höchstwahrscheinlich nein. Denn ich weiß nicht, wie viele Interviews Putin und Surkow noch geben müssen, damit der Westen die Beschwichtigungspläne Russlands in ukrainischer Richtung sein lässt.

Es gibt den kollektiven Westen aus der Zeit des Kalten Krieges nicht mehr. Es gibt mindestens zwei Westen – die USA Trump-Sanders und das Europa des ehrgeizigen Macron und der müden Merkel. Und irgendwo anders gibt es ein Großbritannien des Brexit, das nicht weiß, wohin es schwimmt.

Den Westen der Werte von Reagan und Thater gibt es nicht mehr. Werte sind nur soweit wichtig, wie sie sich mit Interessen decken. Oder sie werden so offensichtlich verspottet, dass man nicht so tun kann, als würde man es nicht bemerken.

Wenn Trump den europäischen Gasmarkt braucht, spricht er über Werte und blockiert effektiv Nord Stream 2. Wenn Deutschland einen Gas-Hub schaffen und die Abhängigkeit von US-Gas vermeiden muss, dann sagt es: „Es ist nur ein Geschäft“ und umgeht die europäische Gesetzgebung. Offensichtlich ist Albanien nicht europäischer und auch nicht bereiter für einen Beitritt zu EU und Nato als die Ukraine. Aber das „Interesse“ kann der Ukraine nicht einmal einfach die Aussicht auf eine Mitgliedschaft geben.

Das globale Projekt – der Planet Erde – verliert gegen den Nationalismus. Die Verteidigung von Demokratie und Völkerrechts verlieren gegen die Geschäftsinteressen der Länder. Die liberale Idee gegenüber dem Populismus. Der Geschäftsmann Trump, der Sozialist Sanders und der Politiker Macron sind politische Brüder. Das ist die Reaktion der Blue-Collar-Arbeiter auf das alte politische Establishment, die diese Reaktion hervorgerufen hat. Dies ist die logische Folge der Revolutionen der sechziger Jahre, als die Grundlagen für den Sozialstaat gelegt wurden, in denen ganze Generationen von Familien von der Arbeitslosenunterstützung leben und für Politiker stimmen, die versprechen, diese zu erhöhen.

Dies ist der Westen von Greta Thunberg. Ein Westen, der jeden ständig um Vergebung bittet. Er bittet um Vergebung für das, was ihn zum Westen gemacht hat. Er bittet die ehemaligen Kolonien um Vergebung, die Neger, die nicht so genannt werden dürfen, diejenigen, die nicht arbeiten können und wollen. Der Westen, der nicht existierende Probleme löst und offensichtliche nicht bemerkt. Wenn der Westen von den Gretas geschaffen würde, würde er von den Indianern kolonisiert werden, nicht umgekehrt.

Dies ist ein Westen, der verlernt hat, sich zu verteidigen. Ein Viertel oder weniger Europäer sind bereit, ihre Länder mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Im XIX. Jahrhundert gäbe es keine Terroristen, weil die Länder, die sie unterstützen, inzwischen zerstört worden wären. In der Reagan-Ära wäre Russland wegen der Krim durch echte Sanktionen in die Knie gezwungen worden, nicht durch Imitationen, und „Trumps Hühnerbeine“ wären als humanitäre Hilfe dorthin gebracht worden.

Das ist der Westen, der Russland nicht als Bedrohung wahrnimmt. Für sie ist die Bedrohung China. Und für die EU sind die USA jetzt auch eine Bedrohung. Und nur ein kleiner Teil des Westens versteht, dass Russland unter anderem als Ressourcenbasis und Instrument der chinesischen Expansion betrachtet werden sollte. China wird sich Russland nicht einverleiben. China wird Russland einfach in sich auflösen – demografisch und ökonomisch. Auch Russland versteht dies. Deshalb kaufen sie sich von China mit den Gaspipelines „Sila Sibiri / Kraft Sibiriens“ frei, was sich für Russland nie auszahlen wird: Nehmt praktisch Gratis-Gas, nur bleibt in Eurem China sitzen.

Eigentlich geht es beim Europa Macrons von Lissabon bis Wladiwostok um die gleiche Auflösung Russlands, um den Kampf gegen China und die USA. Niemand hat das Ziel, das „Reich des Bösen“ zu zerstören. Niemand braucht neue Staatsformationen auf der Basis der Russischen Föderation mit Chaos und unklarer Kontrolle über den Nuklearkoffer. Wir alle erinnern uns an die Chicken-Kiev-Rede von Bush Senior. [Rede von George Bush am 1. August 1991 in Kiew drei Wochen vor der Unabhängigkeitserklärung, in der er vor selbstmörderischem Nationalismus basierend auf ethnischem Hass warnte. Dafür wurde ihm Feigheit vorgeworfen. A.d.R.]

Der Westen ohne Werte ist nicht bereit, Werte über Interessen zu stellen. Blue Collars sind nicht bereit zu Konflikten. Aber die Schlüsselfrage, die der Westen selbst beantworten muss, ist, wer Russland zuerst auflösen wird. Anders als der Westen hat China kein Problem mit der Wahldemokratie. Es kann Jahrhunderte warten, bis „die Leiche des Feindes im Fluss vorbei schwimmt.“

Das wirtschaftliche Fundament des imperial-oligarchischen Kapitalismus Russlands wird nach dem Ende des Kohlenwasserstoffzeitalters, also in zwanzig oder dreißig Jahren, verschwinden. Unterschätzen Sie Putin nicht, er versteht das. Putin ist ein Staatsmann, kein Politiker. Im Gegensatz zu vielen westlichen und ukrainischen Politikern ist sein Ziel nicht seine eigene Tasche- oder zukünftige Wahlen. Sein Ziel ist der Platz Putins in der Geschichte. Sein Ziel ist es, Russlands geopolitische Rolle wiederherzustellen, nach der Verweigerung der Integration Russlands zu besonderen Bedingungen in EU und Nato in den 2000ern und jahrzehntelanger Demütigung aus der Sicht Putins. Deshalb geben er und seine Umgebung, der er die Möglichkeit zu stehlen gibt, einen Teil des Geldes für diese Bedürfnisse aus. Daher auch Putins Rowdy-Taktik in Syrien, Libyen und der Ukraine – wir schaden Euch, und Ihr einigt Euch mit uns. Denn weder er noch Russland haben viel Zeit. Sie müssen hier und jetzt in die Geschichte eingehen. Aber in der Ukraine geht es auch um das Persönliche, um die Wiege des Imperiums. Ohne die Ukraine muss der Stammbaum vom Staat Dschingis Khan begonnen werden.

Dreißig Jahre sind ein Moment in historischen Prozessen, aber es ist eine Ewigkeit, um die zivilisatorische Entscheidung der Ukraine zu verteidigen. Und vielleicht ist die Krise im Westen eine Chance für die Ukraine. Aber wir können nicht einfach protestantische Hosen über die Pluderhosen der Kosaken streifen. Wir müssen unsere Vision davon anbieten, wie wir Subjektivität bekommen und warum wir für den Westen interessant sind.

Vielleicht sind wir für den liberalen Flügel des Westens interessant, weil die vollständige Integration der Ukraine die Rückkehr derselben Werte erleichtern wird; dass mehr als die Hälfte der Ukrainer bereit ist, ihr Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen; dass die Ukraine ein Impfstoff gegen den Westen Greta Thunbergs und seine schleichende Islamisierung ist. Das sind derzeit keine akzeptierten Positionen, aber vielleicht finden wir jemanden, mit dem wir darüber reden können. Und vielleicht finden wir wirklich strategische, nicht situationsbedingte Verbündete.

Vielleicht müssen wir pragmatischer sein und und im Westen nach Interessen suchen, die mit den Werten übereinstimmen. Vielleicht müssen wir dem Westen deutlich erklären, dass die Ukraine im Einflussbereich der Russischen Föderation eine Vergrößerung der Ressourcenbasis Chinas darstellt.

Und vielleicht müssen wir, um Subjektivität zu bekommen, eine Position demonstrieren, dass die Ukraine, wenn sie die Ukraine zu verhandeln bereit sind, bereit ist, den Westen zu verhandeln und den Vektor zu ändern. Ja, wir glauben, dass wir ein Teil der westlichen Zivilisation sind, aber wenn der Westen uns verkauft, haben wir keine andere Wahl. Zumindest bringt China keine eigene chinesische Welt mit. Es ist nur an Ressourcen interessiert, und die Welt außerhalb des Reichs der Mitte geht zu Ende. Wir können Ressourcen im Austausch für den Schutz vor der Russischen Föderation geben, wenn der Westen dies nicht will.

Schließlich müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Beschwichtigung Russlands nur vorübergehend ist und für die Ukraine das endgültige Verschwinden von der weltpolitischen Agenda bedeutet. Deshalb müssen wir dem Westen unsere neue Agenda anbieten. Und das unverzüglich.

10. März 2020 // Igor Selezki, Ex-Leiter des Dienstes des Vizeministerpräsidenten der Ukraine für Fragen der europäischen und euroatlantischen Integration

Quelle: Serkalo Nedeli

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