Ukrainische Exporteure streben Ausfuhrverbot für Getreide an
Die ukrainische Regierung und Vertreter der Wirtschaft blockieren den Getreideexport aus der Ukraine. Wie aus internen Schriftwechseln des Zolls und der regionalen Zollvertretungen hervorgeht, ist der Getreideexport, auch wenn es nicht verboten ist, praktisch unmöglich. Derweil, wie dem “Kommersant-Ukraine“ bekannt wurde, sind selbst Marktteilnehmer derzeit nicht an einer freien Ausfuhr von Weizen aus dem Land interessiert. Sie schlagen der Regierung vor ein zeitweiliges Verbot für den Export einzuführen, was es ihnen erlauben würde die derzeitigen unvorteilhaften Verträge aufzulösen, dies mit höher Gewalt erklärend.
Machtlose Regierung
Die Blockierung des Exportes von Getreide aus ukrainischen Häfen wurde aus Erklärungen von Marktteilnehmern Ende Juli bekannt. Die Regierung reagierte darauf augenblicklich. Am 2. August beschuldigte Vizepremier Sergej Tigipko den Staatlichen Zolldienst der Lieferverzögerung, dabei eine Bestrafung der Staatsbediensteten versprechend, „deren Handlungen zu Verlusten der Wirtschaft und des Staates führen“.
Die Situation hat sich übrigens seit dem nur wenig gewandelt. Der Präsident der Ukrainischen Agrarkonföderation, Leonid Kosatschenko, teilte gestern dem “Kommersant-Ukraine“ mit, dass in den Häfen bis heute 80 Prozent des Getreides blockiert ist und nur 20 Prozent „auf unklare Art ausgeführt wurden“ und der Staatliche Zoll beschuldigte wie gehabt alle Unternehmen ohne Ausnahme überhöhter Angaben zur Qualität des Getreides für eine Erhöhung des Volumens der Vorsteuererstattung, doch „noch nicht ein einziges Mal wurde die Schuld eines Unternehmens bewiesen“. Dabei erklärte man beim Agrarministerium dem “Kommersant-Ukraine“ gestern, dass man keinen Grund sieht die Exporteure zu überprüfen, da die Getreideinspektionen mit dieser Aufgabe gut fertig werden.
Den Angaben von Marktteilnehmern nach befinden sich derzeit in den Häfen sechs Schiffe mit Weizen, die von den Unternehmen Alfred C. Toepfer, „Kernel“ und ebenfalls der Tochterfirma von Glencore International, dem Unternehmen „Serna“, beladen wurden. „Unser Schiff steht bereits zehn Tage im Sewastopoler Hafen und wir bezahlen bereits eine Standstrafe. Die Zollabfertigung die für den Getreidetransport notwendig ist, konnte bisher nicht vollendet werden, da wird die Ergebnisse der Analysen nicht erhalten haben, die aufgrund der neuen Forderungen des Zolldienstes – entsprechend dem Getreidezollcode, nach dem es ausgeführt wird – notwendig sind “, erzählte dem “Kommersant-Ukraine“ der Direktor des Unternehmens „Serna“, Nikolaj Petrik. Kommentare bei Alfred C. Toepfer oder „Kernel“ konnten gestern nicht eingeholt werden.
Der Zoll befolgt die Regeln
Gestern unterstrich Präsident Wiktor Janukowitsch bei seinem Treffen mit Generalstaatsanwalt Alexander Medwedko die Wichtigkeit der Verhinderung von Fällen des Getreideexports durch Händler, die nicht den in den Begleitdokumenten angezeigten Klassen entsprechen, für eine überhöhte Vorsteuererstattung. Wie man dem “Kommersant-Ukraine“ beim Pressedienst der Staatlichen Zollbehörde erläuterte, vollzieht die Behörde eine zusätzliche Kontrolle der Qualität des Getreides. Im Brief des Leiters der Abteilung für analytische Arbeit, Risikomanagement und Kontrolle, Witalij Lysij, an die Leiter der regionalen Unterabteilungen vom 27. Juli heißt es, dass die Exportabwicklung bei Getreide unbedingt unter Hinzuziehung von Mitarbeitern der Unterabteilung zur Bekämpfung von Schmuggel und Verletzungen der Zollbestimmungen stattfinden soll. Ebenfalls sollen Proben des Getreides für eine gerichtliche Expertise entnommen werden. „Die Beendigung der Abfertigung soll ausschließlich nach der Expertise und mit Zustimmung der Abteilung erfolgen“, heißt es im Brief.
Bei der Staatlichen Zollbehörde unterstreicht man, dass das Recht zur Entnahme von Proben zur Untersuchung im Artikel 75 des Zollkodex festgelegt ist, was es bereits gestattete erste Regelverletzungen festzustellen. Dabei legte das Unternehmen Alfred C. Toepfer unglaubwürdige Informationen zur Qualität von für den Export bestimmten Getreides in Höhe von 5.500t vor. „Es wurde ein Protokoll über die Verletzung der Zollbestimmungen erstellt und mit der Bearbeitung begonnen. Derart warnte die Zollbehörde vor weiteren Versuchen des Exports von Produkten zu überhöhten Preisen und nicht gerechtfertigten Qualitätsangaben mit dem Ziel einer möglichen ungesetzlichen Mehrwertsteuererstattung“, fasste man bei der Zollbehörde zusammen.
Getreidehändler bitten um ein Verbot
Auf die Lieferverzögerungen könnte sich auch die Situation am Getreidemarkt auswirken. Obgleich den Angaben eines Informanten des “Kommersant-Ukraine“ beim Agrarministerium nach, die Regierung wie gehabt eine Getreideernte in Höhe von 40-42 Mio. t erwartet und die Übergangsbestände betragen 5,4-5,8 Mio. t, diese durch den Agrarfonds (staatliche Gesellschaft) aufzukaufen ist jedoch problematisch. Der Vorsitzende des Agrarfonds, Alexander Marinez, sagt, dass der Fonds gerade lediglich 40.000 t Weizen der neuen Ernte von den geplanten 4-4,5 Mio. t aufgekauft hat und der Agrarfonds kann nicht mit den Getreidehändlern konkurrieren. „Der Agrarfonds ist vollständig mit finanziellen Mitteln ausgestattet, doch fällt es ihm schwer den Händlern zu folgen, welche die Preise jeden Tag ändern können, wo er durch die Anforderung eingeschränkt ist, das Getreide zum Preis zu kaufen, welcher sich an den letzten drei Handelstagen der Agrarbörse ergeben hatte“. Außerdem kann der Agrarfonds, den Worten von Mariza nach, in keinem Fall Getreide über den Höchstpreisen einkaufen. „In einzelnen Regionen, besonders nah an Häfen, übersteigen die Marktpreise, die Höchstpreise“, hebt er hervor.
Der Meinung des geschäftsführenden Partners von Astapov Lawyers, Andrej Astapow, wird die Regierung nicht zu einem direkten Exportverbot aufgrund möglicher Sanktionen von Seiten der WTO übergehen. „Aber dadurch bringt sie die Getreidehändler in eine schwierige Situation. Einerseits können sie die Verträge aufgrund von nicht in ihrer Macht liegenden Gründen nicht einhalten und andererseits können sie diese nicht auflösen, denn ein de-facto Verbot, also höhere Gewalt, gibt es nicht. In dieser Situation können sie nur schwerlich Sanktionen von Seiten ihrer Vertragspartner auf dem Weltmarkt vermeiden“, sagt Astapow. Wie dem “Kommersant-Ukraine“ Marktteilnehmer erzählten, werden Strafsanktionen von Käuferseite gewöhnlich aus der Differenz zwischen den Weltmarktpreise zum Moment des Vertragsabschlusses und zum Moment der Auflösung berechnet. Am letzten Freitag wurde Weizen an der Chicagoer Warenbörse zum Preis von 281,5$/t gehandelt und noch am 7. Juni kostete er an der gleichen Börse 165$/t.
Als besten Ausweg aus der entstandenen Situation sehen Getreidehändler, wenig verwunderlich, die Einführung eines vollständigen zeitweiligen Verbots für den Weizenexport aus der Ukraine an. Nach den Worten eines hochgestellten Managers in einem großen Getreidehandelsunternehmen, wurde diese Frage gestern auf der Konferenz der Ukrainischen Getreideassoziation diskutiert: „Ihren Ergebnissen nach wurde der Beschluss getroffen der Regierung vorzuschlagen ein Memorandum zu unterzeichnen, welches die Einführung einer solchen Maßnahme vorsieht“. Der Gesprächspartner teilte dem “Kommersant-Ukraine“ ebenfalls mit, dass die Getreidehändler nicht dagegen sind zeitweilig aus dem überhitzten Weizenmarkt in der Ukraine herauszugehen, was es dem Staat erlauben würde hinreichende Vorräte für die Staatsreserve zu bilden. Ein weiterer Vertreter eines Getreideunternehmens, der ungenannt bleiben wollte, erklärte dem “Kommersant-Ukraine“, dass viele Marktteilnehmer im Juni Verträge zu viel zu niedrigen Preise abgeschlossen haben und jetzt ihren Verpflichtungen nicht nachkommen können: „Im Falle der Einführung eines Verbots könnten die Getreidehändler darauf zählen, dass die Verträge mit ihnen automatisch in Verbindung mit höherer Gewalt annulliert werden und danach zu neuen Preisen neu abgeschlossen werden“.
Andrej Juchimenko, Natalja Neprjachina, Aljona Golubewa
Quelle: Kommersant-Ukraine