Unbekannte Seiten: Japanische Kriegsgefangene in der Ukraine


Ich gestehe, dass ich das Buch, um das es sich hier handelt, mit größtem Interesse und wie im Flug durchgelesen habe. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Autoren ihre Aufgabe gemeistert haben.

Wie um dies für mich und meine Kollegen noch einmal zu verdeutlichen, bei denen ein solches Interesse nun geweckt wurde, merken die Autoren an, dass bis heute «nicht allen professionellen Historikern bekannt ist, dass in der Nachkriegszeit (ab dem Jahr 1946) auf dem Territorium der Ukraine tausende internierte Japaner in Kriegsgefangenenlagern untergebracht wurden».

Höchste Zeit die Autoren zu nennen. Es sind Geschichtsprofessor Aleksandr Potyl´ čak, Dr. Viktor Karpov, der Leiter des Nationalen Militärhistorischem Museums der Ukraine, und der Vertreter der NGO «Černobyl-Tyubu» in der Ukraine, Takaaki Takeuchi. Das Buch mit dem Titel «Geheimnisse der „westlichen Internierung“: Japaner in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern in der ukrainischen Sowjetrepublik (1946-1949)» wurde in diesem Jahr im Verlag der Akademie der Arbeit und sozialen Beziehungen des Gewerkschaftsbunds der Ukraine (ATiSO) in einer Auflage von 1.000 Exemplaren veröffentlicht.

Diese geringe Auflage wurde für mich der Hauptgrund für die Vorbereitung dieser Rezension. Über die Kriegsgefangenen, die in der Nachkriegsukraine interniert waren, gibt es trotz der Publikationen der letzten Jahre noch nicht ausreichend gute und ausgewogene wissenschaftliche Studien. Und über die Japaner wurde bisher praktisch nichts geschrieben. Deswegen wage ich es, nicht nur über das Buch, sondern auch über das darin Erzählte zu schreiben. Dies umso mehr als sich die Autoren auf Archivquellen aus dem Staatsarchiv des Innenministeriums der Ukraine, dem Zentralen Staatsarchiv der höheren Regierungs- und Verwaltungsorgane der Ukraine, des Russischen Staatsmilitärarchivs, des Zentralarchivs des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation, die Erinnerungen ehemaliger japanischer Kriegsgefangener, die von deren Verwandten zur Verfügung gestellt wurden, und anderen glaubwürdigen Dokumenten stützen. Alle diese Quellen sind im ersten Teil des Buches gut beschrieben, und einige gingen in den dritten Teil als Quellenanhang ein.

Wie die Japaner in die Ukraine gerieten

Am 8. August 1945 verlas der Volkskommissar für Äußere Angelegenheiten, Vjačeslav Molotov, dem Botschafter Japans, Naotake Sato die Erklärung des Kriegseintritts der UdSSR gegen Japan. Teile der fernöstlichen und der Transbaikal- Front überschritten die Staatsgrenze und drangen in das Territorium ein, das von der kaiserlich-japanischen Kwantung-Armee kontrolliert wurde. Die Buchautoren merken an, dass die Kampfhandlungen dort schwerlich “vollwertiger Krieg” genannt werden können. Die “Kampfhandlungen” der sowjetischen Armee bestanden hauptsächlich aus Marsch und Scharmützeln.

Bereits am 10. August erklärte der japanische Kaiser seine Bereitschaft, die Bedingungen der Potsdamer Konferenz anzunehmen. Am 14. August erklärte er in einem Erlass die Kapitulation des Landes. Am 16. August befahl der Kommandierende der Kwantung-Armee, General Otozō Yamada, die Einstellung des Kampfes und die Waffenübergabe. Bis zum 18. August beendeten die Vertreter des sowjetischen und japanischen Militärkommandos die Bearbeitung der organisatorischen Maßnahmen der Kapitulationsprozedur.

Zu Anfang war es nicht geplant, gefangene japanische Soldaten in den Westen zu bringen. Der Kapitulationsprozess und die Aufnahme der Gefangenen wurden im Wesentlichen bis zum 10. September 1945 vollzogen. Wie bekannt, wurde noch am 2. September der Kapitulationsakt Japans unterschrieben. Auf sowjetischer Seite wurde er von Generalleutnant Kuz’ma Derevjanko, unserem Landsmann, unterzeichnet.

Nun galt es, über das Schicksal der japanischen Kriegsgefangenen zu entscheiden. Insgesamt wurden 641.253 Menschen interniert. Es wurde entschieden, 500.000 von diesen zur Arbeit im Fernen Osten und in Sibirien einzusetzen. Diesen Einsatz verlangte die Direktive des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR vom 23. August 1945. Nebenbei bemerkt, wurde der Text dieser Resolution zum ersten Mal 1992 in der japanischen Zeitung «Yomiuri Shimbun» veröffentlicht.

Umgesetzt wurden musste diese Resolution von der sowjetischen Armee gemeinsam mit der Hauptverwaltung für die Kriegsgefangenen und Internierten. Die internierten Japaner wurden in Arbeitsbataillonen mit je 1.000 Mann zusammengefasst. An der Spitze der Bataillone und Kompanien mussten (höhere) Unteroffiziere stehen, vor allem im Kommandostab des Ingenieurskorps.

Die Kriegsgefangenen wurden der Wirtschaft zugeteilt. Insgesamt waren an dem Programm des Arbeitseinsatzes 15 Volkskommissariate beteiligt. Die Japaner mussten im Bergbau arbeiten, wurden beim Bau neuer Fabriken, Häfen, Marinestützpunkte, Kasernen, militärische Fabriken und Anlagen sowie Waffenfabriken eingesetzt. Schließlich mussten die Gefangenen auch neue Straßen bauen.

Bis Dezember 1945 war der Großteil der Kriegsgefangenen in Lager auf dem Territorium der UdSSR gebracht worden. In der zweiten Jahreshälfte 1946 beschloss die stalinistische Führung, die Kriegsgefangenenarbeit geographisch auszudehnen. Zuvor wurde sie beim Bau der Baikal-Amur-Magistrale, in den fernöstlichen Regionen Primorje, Chabarovsk, Krasnojarsk und Altaj, im südsibirischen Oblast Čita, in der autonomen Republik Burjatien-Mongolei, in Kasachstan und Usbekistan eingesetzt.

Nun wurde ein Teil der Japaner in den Westen des Landes geschickt. So erschienen sie in der Ukraine. Der Hauptgrund für diese Entscheidung war, wie die Autoren betonen, der dringende Bedarf an Arbeitskräften zur Sanierung der Volkswirtschaft nach dem Krieg.

Lager und Arbeit der Japaner in der ukrainischen Sowjetrepublik

Die ersten Transporte von Japanern geschahen Ende des Sommers 1946. Am 3. August kam in Zaporož’e ein Staffelzug mit 1.241 Gefangenen an der Adresse der Lagerleitung Nr. 100 an. Danach begannen neue Gruppen einzutreffen. Bereits am 20.Februar 1947 befanden sich auf dem Territorium der Ukraine 5.132 japanische Internierte. Von diesen waren 4.859 im Lager, die restlichen 273 in Spezialkrankenhäusern für Kriegsgefangene.

Die eigentliche Prozedur des Transports sah standardmäßig so aus: In der Regel gab es einen Zug aus einigen dutzend Waggons, die eilig für den Transport von Menschen angepasst wurden. Diese Züge, die selten auf dem Weg anhielten, wurden von Wachen mit Maschinengewehren begleitet. Kyuti Nobuo erinnert sich: «Der Zug aus fünfzig Eisenbahnwaggons, in dem etwa 1.500 japanische Soldaten saßen, begann seine lange Reise über die Transsibirsche Magistrale. Am Baikalsee wurde ein Halt gemacht. Wir füllten unseren Wasserbehälter aus dem See auf, so hatten wir Trinkwasser. Unser Zug schüchterte die Menschen ein…wir erreichten Europa. Die Reise, die dreißig lange Tage gedauert hatte, endete und wir trafen in der kleinen ukrainischen Stadt Slavjansk ein.»

Ein anderer Gefangener, Mizushima Shohe, erinnert sich noch an ein anderes interessantes Detail. Die Wachen in seinem Waggon fürchteten keine Fluchtversuche der Häftlinge und öffneten daher die Türen des Wagens.

Zwischen 1947-1948 waren die Japaner in stationären Lagern in fünf östlichen Oblasten der Ukraine untergebracht: in Zaporož’e, einer der Oblasthauptstädte, befand sich das Lager Nr.100, in Xar’kov das Lager Nr. 415, in Dnepropetrovsk das Lager Nr. 315, in der Oblast Stalino gab es das Lager Nr. 217 in Kramatorsk und das Lager Nr. 242 in Komsomolsk, in der Lugansker Oblast befand sich das Lager Nr.125 in Lisičansk.

Im bereits erwähnten Lager Nr.100 in Zaporož’e befanden sich 15.952 Kriegsgefangenen, darunter 1.226 Japaner. In Xar’kov, im Lager Nr. 415 machten die Japaner mehr als 90% des Häftlingsbestands aus (3.462 Menschen). Die japanischen Gefangenen dieses Lagers, das unter der Aufsicht der Hauptverwaltung für Straßenbau des Innenministeriums der UdSSR stand, arbeiteten bei dem Bau der Automobiltrasse Xar’kov-Debal’cevo.

Der stellvertetende Leiter der Verwaltung des Charkover Lagers Nr. 415, Ivan Pyl´nik, NKWD-Kaderoffizier, erinnert sich: « Die Verwaltung des Lagers Nr. 415 bestand aus 11 Lagerabteilungen, die in Xar’kov, Čuguev, Izjum, Slavjansk, Artëmovsk, und in zehn weiteren Lagerstandpunkten untergebracht waren, die sich aller in Siedlungen und kleineren Dörfern an der Trasse Xar’kov-Debal’cevo befanden. Im Ganzen war das Verhältnis zu den Japanern von Seiten der Administration loyal- es waren ja keine Deutschen! Die Haltung der Japaner zur Arbeit war gewissenhaft und sie gaben sich Mühe…»

Im Buch wir noch eine andere wichtige Besonderheit angemerkt: In den Kriegsgefangenenlagern in der Ukraine hielten sich die Japaner nicht lange auf. Verschiebungen der Gefangenen waren produktionstechnisch bedingt.

Verallgemeinernd kann man die Grundtypen von Arbeit, zu denen die japanischen Kriegsgefangenen herangezogen wurden, folgendermaßen unterteilen: Bau- und Sanierungsarbeiten; der Bau von Autostraßen, Arbeit in der Kohle- und Metallindustrie, Arbeit in den Kolchosen. Die Autoren führen interessante Selbstzeugnisse der Japaner zu deren Haltung zur Arbeit, die sie auszuführen hatten, an.

Der Geheimdienst und die japanischen Gefangenen

Die Seiten des Buches, die sich mit der oben genannten Thematik beschäftigen, sind von besonderem Interesse für den Leser, manche Stellen sind mit Humor geschrieben. Wie allgemein bekannt, war der Geheimdienst in der Sowjetunion allgegenwärtig und allumfassend. Vom Beginn der Gefangenschaft an wurden die Soldaten der ausländischen Armeen von der militärischen Spionageabwehr “betreut”, d.h. überwacht. Der Geheimdienst widmete seine Aufmerksamkeit sowohl den Lagern, den Spezialkrankenhäusern als auch den Arbeitsbataillonen aus Kriegsgefangenen und Internierten.

Dies gehörte in den Interessenbereich der operativen Verwaltung, Abteilungen und Büros, die zu der Struktur der Hauptverwaltung für Kriegsgefangene und Internierte des NKVD (später des Innenministeriums MVD) gehörten. In der Regel waren in einem typischen festgelegten Plan für das Lager, die Lagerabteilungen und -ämter sowie den Spezialkrankenhäusern für Kriegsgefangene die Strukturen integriert, die für die «unsichtbaren» Aufgaben verantwortlich waren. Die Autoren merken gerechterweise an, dass diese Seiten der Tätigkeit des kommunistischen Geheimdiensts in der Geschichte der Kriegsgefangenen in der UdSSR immer noch gering ununtersucht bleiben.

Die von den oben genannten Organen durchgeführten nachrichtendienstlich-operative Arbeit hatte zum Ziel, unter den Kriegsgefangenen Mitarbeiter der ausländischen Spionage- und Spionageabwehr- Organe, Agenten, Kriegsverbrecher, Träger verschiedener militärischer Geheimnisse und Spezialisten in den für das Stalin-Regime wichtigen Branchen und Berufen herauszufiltern. Die genannten Kategorien von Häftlingen wurden schleunigst aktenkundig erfasst, vernommen und einer andauernden Beobachtung durch Agenten unterzogen mit dem Ziel, Informationen und belastendes Material (im Russischen: Kompromat) zu sammeln. In der Sprache der Čekisten wurden diese «unter Vertrag stehende Elemente» genannt. Parallel dazu hatten die Operativorgane des Lagers die Ermächtigung, Ermittlungen gegen die Kriegsgefangenen durchzuführen, die beschuldigt waren, militärische, politische oder kriminelle Verbrechen begangen zu haben.

Der letzte Schritt war die Zusammenstellung von Akten und deren Weitergabe an Kriegstribunale, die über das Schicksal der Gefangenen in geschlossenen, manchmal jedoch auch in öffentlichen Gerichtssitzungen, in einer so genannten offenen Untersuchung, entschieden.

Abhängig von der Anzahl der Häftlinge, die sie “betreuten”, wurden die Geheimdienste operative Abteilungen oder operative Ämter genannt. In der Regel wurden diese bei der operativen Arbeit von den stellvertretenden Lager-, Lagerabteilungs-, Lagerämterleitern und den stellvertretenden Leitern der Spezialkrankenhäuser geleitet. In der Ukraine waren diese Leute oft keine Kader-Čekisten. Dies verursachte, wie die Autoren zeigen, Probleme im Hinblick auf die Qualität der Arbeit.

Trotzdem war das Hauptproblem – Stellen Sie sich das vor! – der Mangel an Übersetzern der japanischen Sprache in allen Orten auf dem Territorium der Ukraine, wo Kriegsgefangene festgehalten wurden. Dieser Umstand machte, nach den Worten des Leiters der operativen Verwaltung des Lagers Nr.100 in Zaporož’e, «die Agentenarbeit unter dem japanischen Kontingent praktisch unmöglich».

Im Juli 1947 berichtete der Leiter des Lagers Nr.415 in Xar’kov seinen Vorgesetzten, dass der Mangel an Japanisch-Übersetzern ein «ernsthaftes Hindernis in der Durchführung der agentenbasierten operativen und Ermittlungstätigkeit darstellte». Deswegen «sei es bei den Ermittlungen nicht immer möglich gewesen, den Namen, die Siedlungspunkte, usw. richtig aufzunehmen sowie eine qualitativ hochwertige Arbeit mit den Agenten durchzuführen.»

Am 1.Januar 1947 zählte man in den Lagern kaum zehn japanische Agenten. Der stellvertretende Innenminister der Ukraine meldete der Moskauer Führung: «Es ist notwendig anzumerken, dass die Kontingente der japanischen Kriegsgefangenen […] bis zum heutigen Tage nicht die vollständige, angemessene Zahl von Agenten hervorgebracht haben, und zwar deswegen weil in den Lagern […] Japanisch-Übersetzer fehlen.»

Doch wie gingen die Čekisten ohne Übersetzer vor? Eine Methode war das Heranziehen von Agenten unter den deutschen Kriegsgefangenen, die wiederum unter den Japanern die suchten, die Russisch sprachen. Genau diese Japaner galt es für die Agentenarbeit zu gewinnen. Manchmal gelang dies. Beispielsweise berichtete in dem bereits erwähnten Lager Nr. 100 in Zaporož’e ein deutscher Agent mit dem Pseudonym «Storch», dass ein Gefangener namens Narita Seiichiro (er war für die japanische Küche zuständig) ein Kilogramm Reis dem deutschen Koch (ebenso ein Kriegsgefangener) zugesteckt hatte. Die Čekisten erpressten nun diesen Seiichiro. Er stimmte zu, zu kooperieren und nannte die Namen von dreizehn Japanern, die das Russische beherrschten.

Da sie die japanische Sprache nicht kannten und über keine qualifizierten Übersetzer verfügten, dachten sich die Čekisten manchmal selbst ihre Gegner aus. Im Lager Nr. 415 in Xar’kov begann zum Beispiel die Suche nach Mitarbeitern des japanischen Spionage- und Spionageabwehrorgans namens «KEMPE». Jedoch gab es ein solches Spionageorgan in Japan tatsächlich nie. Die Čekisten protokollierten die Aussagen ehemaliger Mitarbeiter der Gendarmerie, die auf Japanisch wie «Kempeitai» ausgesprochen wird. Auf diesen Fehler wurden die Čekisten im Xar’kover Lager vom Innenministerium der UdSSR hingewiesen und dahingehend die nachrichtendienstliche Arbeit im Lager Nr. 415 kritisiert.

Wie im Buch gezeigt wird, erhielt auch nicht ein Lager in der Ukraine einen Japanisch-Übersetzer zugeteilt. Es ist nur ein Fall der Ankunft eines Übersetzers im Zaporož’er Lager Nr. 100 bekannt. Dorthin kam im Juni 1947 ein demobilisierter Unterleutnant namens Ljutyj. Allerdings schrieb sich dieser im Institut für Östliche Sprachen an der Universität ein und reiste im September wieder ab.

Obwohl die gesamte Masse an Dokumenten zur nachrichtendienstlichen Arbeit mit japanischen Gefangenen noch nicht untersucht wurde, ziehen die Autoren begründeterweise den Schluss, dass diese Arbeit aufgrund des Ausgangspunktes nicht erfolgreich sein konnte. Nur Einzelne aus dem fünfzigtausendköpfigen Kontingent wurden von den Mitarbeitern in die Kategorie «unter Vertrag stehende Elemente» eingetragen.

Freilassung/Befreiung

Der Aufenthalt der japanischen Kriegsgefangenen in der Ukraine endete mit deren Repatriierung. Die Autoren enden mit dieser Frage, für deren Beantwortung sie die zugänglichen Statistiken heranziehen. Bereits im Mai 1947 wurden für die Repatriierung 3.612 Personen ausgewählt. Jedoch reiste ein großer Teil dieser Leute bis zum Ende des Jahres nicht nach Japan aus. Heutzutage ist bekannt, dass im vierten Quartal (Oktober-Dezember) 1947 897 Personen repatriiert wurden.

Im vierten Quartal des nächsten Jahres 1948 waren die Japaner fast vollständig aus dem Territorium der Ukraine abgezogen worden. In Übereinstimmung mit der offiziellen Statistik der Verwaltung für die Kriegsgefangenen und Internierten im Innenministerium der ukrainischen Sowjetrepublik verblieben in den Lagern 29 Japaner. Zu Beginn des Jahres 1949 kehrten auch sie in die Heimat zurück.

Sterblichkeit und Grabstätten

Noch eine andere Frage, die die Autoren in ihrem Buch aufwerfen und die besondere Gefühle hervorruft, ist die Frage nach den «vergessenen Nekropolen». Es handelt sich hier um die Japaner, die in der Gefangenschaft gestorben sind, um die Stätten ihrer Bestattung.
A. Potyl’čak, V. Karpov und T. Takeuchi erinnern daran, dass zu Zeiten des «Kalten Krieges» die Verwandten der verstorbenen Gefangenen und Internierten nicht zu den Grabstätten in der Sowjetunion reisen durften. Informationen zu den Grabstätten und Opferlisten waren auch für sowjetische Forscher unzugänglich. Die Situation begann sich erst 1989 zu ändern. Damals ratifizierte die UdSSR die Zusatzprotokolle der Genfer Konvention zum Schutz der Kriegsopfer vom 12.August 1949.

In den in den Jahren von 1943 bis 1954 auf dem Territorium der Sowjetukraine existierenden Lagern, Abteilungen der Arbeitsbataillone und Spezialkrankenhäuser für Kriegsgefangene und Internierte wurden an 523 mit Namen gekennzeichneten Friedhöfen Beerdigungen durchgeführt. Wenn man den erhaltenen Dokumenten Glauben schenken kann, sind dort mehr als 103.000 Gefangene begraben, unter ihnen auch Japaner. Ihre sterblichen Überreste befinden sich auf mindestens fünfzehn Friedhöfen in fünf östlichen und zentralen Oblasten der Ukraine. Der erste Todesfall und das erste Begräbnis von japanischen Gefangenen ist in den Dokumenten für den 13./14.August 1946 in dem Lageramt Nr. 1 des Lagers Nr.100 in Zaporož’e festgehalten. Die höchste Sterblichkeitsrate ist für den Zeitraum von Oktober 1946 bis März 1947 eingetragen. In dieser Periode starben 106 Menschen, und das ist faktisch die Hälfte aller in der Ukraine verstorbenen Japaner.

Die Autoren merken an, dass die Sterblichkeit unter den japanischen Gefangenen niedriger war, als die Sterblichkeit der Gefangenengruppen anderer Nationalität. Wie lässt sich dies erklären? Vor allem dadurch, dass die Japaner zu einem Zeitpunkt in der Ukraine befanden, als sich das System der Versorgung, der Unterbringung und des Arbeitseinsatzes der Kriegsgefangenen stabilisierte. Die Sterblichkeitsrate der ausländischen Gefangenen sank im Allgemeinen. Ein weiterer Faktor war, dass die Lageradministration, die Landesführung und die Zivilbevölkerung sich gegenüber den Japanern eher wohlwollend verhielten.

Anhand der Angaben in den Friedhofsbüchern gelang es den Autoren, die Namen von 211 in der Ukraine verstorbenen und begrabenen japanischen Soldaten festzustellen. Diese Zahl ist als vorläufig zu betrachten und kann sich im Verlauf der Untersuchungen verändern.

Somit wurde mit dem Erscheinen dieser Studie eine der unbekannten Seiten der Geschichte vorgestellt, die verbunden ist mit dem Aufenthalt japanischer Kriegsgefangener und Internierter in der Ukraine von 1946-1949. Die Forscher haben viele wichtige Archivquellen studiert und interpretiert.

Hat das Buch auch Schwächen? Es versteht sich. Auf eine weisen die Autoren selbst offen hin: die Unzugänglichkeit vieler wichtiger Dokumentquellen, die in den russischen Archiven aufbewahrt werden. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Minus mit der Zeit ausgebessert werden wird. Andere Mängel sind insbesondere mit der Redaktion verbunden, die, wie übrigens viele andere wissenschaftliche Veröffentlichungen in der Ukraine, zu wünschen übrig lässt.

Die außerordentlich interessante Arbeit von A. Potyl’čak, V. Karpov und T. Takeuchi ist zu begrüßen, und es ist zu hoffen, dass sie fortgesetzt wird. Sie erlaubt, die Geschichte der sowjetischen Gefangenenlager in der Nachkriegszeit bedeutend zu erweitern.

9. November 2012 // Jurij Schapowal

Quelle: Serkalo Nedeli

Übersetzerin:   Jasmin Söhner  — Wörter: 2813

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