Vizepremier Tigipko: „Reichensteuer: Verantwortung und Gerechtigkeit“


Eine Steuer auf Reichtum ist keine Einschränkung der Rechte des einen Bürgers, während sie ein Sieg für den anderen darstellt, sondern ein Schritt mehr hin zur sozialen Gerechtigkeit. Und selbst wenn Ukraine in diesem Sinne noch ihre ersten Schritte macht, dann ist eine Besteuerung des Luxus für viele entwickelte und demokratische Länder inzwischen zur Gewohnheit geworden.

Gegen die erste Krisenwelle 2008 kämpften die Regierungen der meisten Länder mit großen Zuflüssen staatlicher Mittel in die Wirtschaft. Als einziges Mittel der Krisenbekämpfung, nachdem die quantitativen Stimulierungsmaßnahmen sich erschöpft haben, bleibt eine Senkung der Ausgaben. Darin sind sich alle EU-Beamten einig, wie auch alle U.S.-Kongressmitglieder. Im Besonderen hat die italienische Regierung in den letzten Tagen ihren Dreijahresplan der Budgetsanierung durch Einsparungen publik gemacht, der unter anderem eine Rentenreform und eine Steuer auf Reichtum enthält. Ich bin überzeugt, dass auch Ukraine dies nicht vermeiden kann.

Dabei soll die Staatsausgabensenkung mit einer Wiederherstellung der sozialen Gerechtigkeit einhergehen, einer Verminderung der Schere zwischen sehr Reichen und sehr Armen. Gerade deshalb ging vom ukrainischen Ministerium für Sozialpolitik unter meiner Führung eine Initiative zum Gesetz über eine Steuer auf Reichtum aus.

Alles wurde berechnet

Glauben Sie etwa, dass die Milliardäre aus den USA, Italien und Frankreich, die Ihre Regierungen darum baten, die Luxussteuern zu erhöhen, ihr Geld verschwenden wollen? Gewiss dienen für mehrere von ihnen Bürgercourage und Patriotismus als Motivation für ihre Ansinnen. Meistens ist es jedoch eine nüchterne Kalkulation. Teure Autos, luxuriöse Villen und Jachten wohlhabender Menschen erzeugen Unmut bei denjenigen, deren Einkommen rasant fallen oder die wegen der Krise ihre Arbeit verloren haben. Das ist der erste Punkt.

Zweitens verlieren viele Luxusgegenstände in einem armen Land einfach ihren Wert. Zum Beispiel hängen die Preise für Bodennutzflächen, Wohnungen, Häuser und sogar Produktionsaktiva direkt von der Wirtschaftslage in dem Land ab, in dem sie sich befinden. Deshalb sind zusätzliche Luxussteuern und Hilfeleistungen für die heimische Wirtschaft in schwierigen Zeiten auch ein Beitrag zur Sicherung des eigenen Vermögenswerts seitens wohlhabender Menschen. Eine Zahlung der Steuer auf Reichtum durch natürliche Personen wirkt, wie eine Politik der Corporate Social Responsibility der großen Unternehmen, die an einer ständigen langfristigen Entwicklung interessiert sind. In beiden Fällen wirkt das Prinzip, dass ein erfolgreiches Geschäft in einem erfolgreichen Land mit erfolgreichen Menschen in einer reichen Gesellschaft einhergeht. Schon das Streben zu dieser Parität an sich ist grundlegend für eine Besteuerung der Luxusgüter. Wahrscheinlich sind die ukrainischen Geschäftsleute oder einfach nur wohlhabende Individuen noch nicht bereit Initiative zur zusätzlichen Besteuerung zu zeigen. Ich bin aber überzeugt, dass gut betuchte Ukrainer meinem Vorschlag wohlgesinnt gegenüberstehen werden.

Neulich war ich auf einer Konferenz des Verbandes „Reformatorischer Klub“, einer Vereinigung von initiativen Geschäftsleuten. Unter ihnen gibt es auch wirklich sehr wohlhabende Menschen. Als ich ihnen von meinem Bestreben, insbesondere von einem Gesetzentwurf, der die Einführung eines Steuer auf Reichtum vorhersieht, berichtet habe, was glauben Sie, was ich zu hören bekam? „Wir sind bereit diese Steuer zu zahlen, aber wir werden dafür von der Regierung eine baldige Durchführung von Reformen fordern, die eine Verbesserung des Investitionsklimas und eine Vereinfachung der Bedingungen für die Geschäftstätigkeit des Mittelstandes vorantreiben würden.“ Diese Geschäftsleute sind der Meinung, dass Reformen nur langsam greifen würden und auch nicht immer erfolgreich seien. Und vieles von dem, was sie sagen, sehe ich genauso.

Viel oder wenig?
Einige glauben sogar, dass reiche Menschen diese Steuer nicht mal spüren würden. Für das Budget des staatlichen Rentenfonds, wohin wir die Einnahmen aus dieser Luxussteuer leiten würden, würden zusätzliche 800 Mio. Hrywnja (ca. 78 Mil. €) jährlich spürbar sein. Eine Reichensteuer allein wird wohlhabenden Menschen sicher nicht die Lust nehmen teure und prestigeträchtige Einkäufe zu machen. Wir verfolgen ja nicht das Ziel den Menschen die Möglichkeit zu nehmen ihren sozialen Status und Reichtum zu demonstrieren. Die Steuerzahlung darf für sie nicht sehr erschwerend sein, denn andernfalls würden wir keine zusätzlichen Budgeteinnahmen wegen Steuerausweichaktivitäten generieren können. Außerdem muss eine Reichensteuer einfach zu zahlen sein und ihre Verwaltung verständlich und keinen übermäßigen administrativen Aufwand verursachen.

Bei der Einschätzung der Reichtumskriterien ist es notwendig, das Proportionalitätsprinzip aufrechtzuerhalten. Wenn in den USA derjenige Mensch als reich gilt, dessen Jahreseinkommen eine Million US-Dollar übersteigt, dann wird diese Schwelle in der Ukraine geringer sein. Allmählich müssen wir einen Ausgleich in der Besteuerung passiver Einkommen und Investitionen, der Haupteinkommensquelle wohlhabender Menschen und der Löhne und Gehälter, der Einkommensquelle der Mittelschicht und der Armen, erreichen. Gerade dieses Prinzip war die Grundlage eines Steuergesetzentwurfes von US-Präsident Barack Obama. Dieses Prinzip ist auch völlig fair, berücksichtigt man die Krisensituation in der Weltwirtschaft als Ganzes und souveränen Volkswirtschaften im Einzelnen.

Eine Steuer auf Reichtum ist sicherlich kein Allheilmittel, sondern nur eine von vielen Maßnahmen, die die ukrainische Wirtschaft im Fluss erhalten werden, sobald die zweite Krisenwelle angerollt kommt. Neben einer Steuer auf Reichtum, schlägt das Ministerium für Sozialpolitik auch eine Steuer auf Offshore-Geschäfte vor. Denn die sogenannte „Offshore-Planung“ ist im Grunde eine legale Steuerausweichmethode, da sie eine Ausfuhr eines Gewinnteils in Länder mit einer geringeren Steuerlast bedeutet. Der Verlierer ist dabei der Staatshaushalt und seine Möglichkeiten Sozialschwächere zu unterstützen, schrumpfen in Folge.

Während staatliche Stellen Unternehmern das Recht einräumen im Rahmen geltender Gesetze ihr Geschäft so zu organisieren, wie jene es für richtig halten, muss der Fiskus dafür sorgen, dass seine Ausgaben kompensiert werden. Die Steuer auf Offshore-Geschäfte ist eine dieser Kompensationsquellen. Mittel, die dann durch diese 12-prozentige Abgabe zur Verfügung stehen und an eine Milliarde Hrywnja (ca. 97 Mil. €) ausmachen werden, würden zur Beseitigung des Haushaltssaldos des staatlichen Rentenfonds eingesetzt werden. Wir schlagen auch vor die Liste der Offshore-Tatbestände von 33 auf 68 zu erhöhen, was die Bemessungsgrundlage erweitern und damit das Aufkommen aus dieser Steuer erhöhen wird. Vorherige Rechnungen sprechen in diesem Fall von zusätzlichen 2 Mrd. Hrywnja (ca. 195 Mil. €) für den Fiskus jährlich.

Heutzutage gehören zu reichen Ukrainern nicht nur Geschäftsleute, sondern auch eine riesige Zahl von Staatsbeamten verschiedener Ränge. Nach unseren Rechnungen erhalten arme Menschen derzeit nur 23% der für Sozialausgaben vorgesehenen Budgetmittel. In Kürze wird das Ministerium für Sozialpolitik einen Gesetzentwurf zur Debatte vorlegen, der vorsieht, dass Vergünstigungen für nationale wie regionale Abgeordnete, Staatsanwälte, Richter, Angehörige der Sicherheitsorgane wie auch andere Empfänger von staatlichen Vergünstigungen nur in dem Fall weiter zur Verfügung gestellt werden, wenn das Einkommen pro Familienmitglied der betreffenden Person nicht das Existenzminimum übersteigt. Das ist auch eine große Reserve für unsere Volkswirtschaft.

Solche Initiativen werden unvermeidbar auf harten Widerstand und Kritik des bürokratischen Apparats treffen. Aber dieser Widerstand gehört überwunden. Wenn wir von Ausgabensenkungen und einer Erhöhung der Steuerlast der Reichen reden, dann muss man zu allererst bei sich selbst anfangen.

Höhere Steuern bedeuten höhere Verantwortung für den Staat

Ich bin mir sehr wohl auch über die Verantwortung im Klaren, die die Regierung durch eine Erhöhung der Steuerlast auf Geschäftstätigkeit und wohlhabende Menschen auf sich legt. „Wir zahlen höhere Steuern, und was macht ihr?“, können mich immer Unternehmer fragen. Und das würde auch eine völlig faire Frage sein. Wir müssen mehr machen und die eigenen Schritte häufiger erklären. Die Nachfrage nach langfristig wirkenden Reformen und nach Maßnahmen, die die Auswirkungen der zweiten Welle der Finanz- und Wirtschaftskrise auf Ukraine abglätten können, wächst. Die Bereitschaft zum Dialog und zu enger Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der Geschäftswelt werden helfen Antworten auf die ernsthaften Fragen zu finden, vor denen die ukrainische Wirtschaft jetzt steht.

Wir fahren mit der Diskussion über Gesetzentwürfe zu Reichtumsbesteuerung und einer Besteuerung von Offshore-Geschäften fort. In den ersten Gesetzentwurf haben wir schon zweifach Änderungen unter Berücksichtigung der Vorschläge der Öffentlichkeit aufgenommen. Über Kommunikationskanäle des Ministeriums für Sozialpolitik und meine offizielle Seite in Facebook sammeln wir auch weiterhin Vorschläge, um unsere Gesetzesinitiativen zu verbessern. Jeder kann an deren Beratung teilnehmen. Wichtig ist, dass wir schließlich ein effektives, faires und umsetzungsfähiges Gesetz verabschieden.

Der Eine kann die durch diese Gesetzentwürfe anvisierten Rechtsnormen für ziemlich rigoros halten, der Andere, im Gegenteil, für zu sanft. Zum Beispiel unterscheiden sich die Ansätze zur Besteuerung von Luxusgegenständen in verschiedenen Ländern stark. Diese Praktiken haben sich über Jahre entwickelt und wir müssen nicht das Rad dafür neu erfinden. Ich denke, beginnen sollte man mit dem Offensichtlichen: Häuser ab einer Fläche von 400qm, Wohnungen größer als 200qm, Flugzeuge, Helikopter, große nicht für landwirtschaftliche Zwecke verwendete Grundstücke. Das alles sind Gegenstände des sogenannten demonstrativen Konsums, der dazu dient, den sozialen Status und den Wohlstand ihres Käufers oder Besitzers zu unterstreichen. Ein solcher Status geht aber auch mit sozialer Verantwortung einher.

In einigen Ländern wird eine Steuer auf Reichtum nur zeitlich befristet während krisenhafter Erscheinungen in der Volkswirtschaft eingeführt. In anderen, reicheren Ländern, werden Luxussteuern kontinuierlich erhoben. In vielen Ländern erstreckt sich eine solche Steuer auf fast alle Arten des passiven Einkommens ihrer Bürger. Dort sind aber auch das Geschäftsklima und soziale Standards ganz anders.

Wir nehmen an, dass eine Steuer auf Reichtum in der Ukraine zunächst zeitlich befristet, auf fünf Jahre eingeführt wird. Diese Steuer ist eine der Maßnahmen, die es erlauben wird, pünktlich Renten auszuzahlen und das Budget auszugleichen. Nach fünf Jahren können wir Schlussfolgerungen ziehen, ob Antikrisenmaßnahmen effektiv gewesen sein, welchen Nutzen die derzeitigen Reformen gebracht haben würden und wie sich das Geschäftsklima gewandelt haben würde. Wenn wir der Geschäftswelt das werden geben können, was sie will: Deregulierung, ein einfaches und verständliches Steuerzahlungssystem, eine Abwesenheit von Schutzgeldzahlungen und Korruption, dann werden Unternehmen selbst bereit sein den Staat am Wohlstand zu beteiligen und zur Förderung der sozialen Gleichheit in der Ukraine beitragen.

9. Dezember 2011 // Sergej Tigipko – Vizepremierminister und Minister für Sozialpolitik

Quelle: Serkalo Nedeli

Übersetzer:   Leo Litke  — Wörter: 1567

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