Was der Westen über die extreme Rechte auf dem Euromaidan wissen sollte


Ein Blog-Eintrag des Rechtsextremismusexperten Dr. Anton Shekhovtsov

Viele Menschen aus dem Westen stellen Fragen über die Rolle der ukrainischen Ultranationalisten bei den Euromaidan-Protesten in Kiew. Einige angeblich linke Websites wie die World Socialist Web Site veröffentlichen eklatante Lügen über die Euromaidan-Proteste und die Rolle der extremen Rechten. Diese Websites reden russischen Imperialisten das Wort, die alles tun, was sie können, um die Ukraine ihrer bereits geschwächten Unabhängigkeit zu berauben.

1. Wie ich bereits im Artikel „The Ukrainian revolution is european and national“ („Die ukrainische Revolution ist europäisch und national“) schrieb, ist der Euromaidan unter anderem eine nationale Revolution gegen den Imperialismus des Kremls und ein nationalistischer Aufstand gegen Russlands zerstörerischen Einfluss auf die Ukraine. Der Großteil an Unterstützung für die ukrainische extreme Rechte kommt von Bürgern, die kein rechtsextremes Gedankengut pflegen, die es aber nach einer wirklichen Unabhängigkeit der Ukraine verlangt. Das bedeutet, dass es erst möglich werden wird, die extreme Rechte zu neutralisieren, wenn die Ukraine völlige nationale Unabhängigkeit erlangt. Die ständige Bedrohung der ukrainischen Staatlichkeit ist es, die der extremen Rechten Zulauf verschafft, nicht etwa eine vermeintliche Zunahme von rechtsextremen Ansichten in der ukrainischen Gesellschaft. Wie Roger Griffin in Modernism and Fasicsm schrieb, kann es insbesondere aufgrund von „Besetzung, Kolonisierung oder Akten der Aggression, die [eine Gesellschaft] von anderen Gesellschaften erleidet“ zu einem Erstarken von Faschismus kommen (S. 104). Somit sollte ein Kampf gegen Faschismus in der Ukraine immer synonym sein mit dem Kampf gegen die Versuche, das Land zu kolonialisieren. Wer diese beiden Themen zu trennen versucht oder einseitig gegen die ukrainische extreme Rechte schlägt, ohne die dringliche Notwendigkeit einer nationalen Unabhängigkeit anzuerkennen, muss bei seinen Versuchen, die extreme Rechte zu neutralisieren, scheitern. Solche Versuche können die Situation sogar verschlimmern.

2. Zwar ist es richtig, dass die ukrainische extreme Rechte gegen das korrupte und autoritäre Regime von Viktor Janukowitsch und die brutale Polizei, die Demonstranten misshandelt und foltert, Gewalt befürwortet und auch angewendet hat, doch ist die extreme Rechte nicht die einzige gewalttätige Kraft auf dem Euromaidan. Ihr angeschlossen haben sich viele ukrainische Linke und Demokraten, die durch das Ausbleiben von Erfolgen bei dem anfangs gewaltlosen Widerstand gegen das Abrutschen des Landes in eine offene Diktatur radikalisiert wurden. Die Mehrheit der Protestierenden, sich auf Kiews eisig kalten Straßen zusammenfinden, sind Janukowitschs zynischer Ignoranz gegenüber ihren Forderungen überdrüssig und wütend über die Brutalität der Polizei. Ihre Radikalisierung ist eine traurige Reaktion auf die Politik und die Taten des Regimes, die den Anstoß zu einem Nichtangriffspakt zwischen der extremen Linken und der extremen Rechten in der Ukraine gegeben haben, welche sich nun auf derselben Seite der Barrikaden wiederfinden. Kommentatoren, die Gewalt auf dem Euromaidan ausschließlich mit der extremen Rechten in Verbindung bringen, spielen die Ursachen der Radikalisierung der Proteste auf dem Euromaidan herunter und entlasten – gewollt oder ungewollt – das autoritäre Regime von Janukowitsch.

24. Januar 2014 // Anton Shekhovtsov

Quelle: Blog von Dr. Anton Shekhovtsov

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