Welche Konsequenzen hätte eine mögliche Washingtoner Akzeptanz der Krim-Annexion Russlands für die internationale Ordnung?



Eine der wichtigsten außenpolitischen Fragen für die neue US-Administration wird sein, wie sie mit dem jüngsten militärischen Abenteurertum des Kremls umgeht. Eine neue Annäherung zwischen Washington und Moskau könnte über die früheren Versuche eines Neustarts der russisch-amerikanischen Beziehungen unter der Bush- oder Obama-Administration hinausgehen. Im weitestgehenden Fall würde ein „verständnisvollerer“ Ansatz des Weißen Hauses gegenüber dem Kreml bedeuten, dass bestimmte Präferenzen der neuen US-Administration vor die Interessen jener Nationen gestellt würden, die sich derzeit mit Russland im Konflikt befinden. Dies betrifft insbesondere die geopolitischen Positionen der Ukraine und Georgiens, welche je zwei Schwarzmeergebiete (Abchasien und die Krim) und zwei weitere Gebiete (Südossetion und das östliche Donezbecken) an Russland verloren haben.

Zum einen würden die USA mit einer Akzeptanz der Krim-Annexion das bereits angeschlagene internationale Regime zur Nichtverbreitung von Kernwaffen weiter untergraben. Hatte doch Washington – wie auch Russland und Großbritannien – im sogenannten Budapester Memorandum von 1994 der Ukraine Sicherheitszusagen bezüglich ihrer Souveränität und ihres Staatsterritoriums gemacht. Auf Grundlage dieses vierseitigen Dokuments war die Ukraine damals dem Atomwaffensperrvertrag und START-Abkommen zur Reduzierung strategischer Nuklearraketen beigetreten. Kiew hat in diesem Zusammenhang das 1992 drittgrößte Kernwaffenarsenal der Welt vollständig abgebaut. Obwohl es ein Depositarstaat des Textes des Atomwaffensperrvertrages ist, verletzt Russland seine damaligen Sicherheitszusagen an die Ukraine seit 2014 massiv. Wenn nun auch die USA als mächtigster Staat der Welt ihren 1994 verbrieften Respekt für die territoriale Integrität der Ukraine relativiert, stellt sich die Frage nach dem Sinn des weltweiten Atomwaffensperrregimes. Vor dem Hintergrund einer Reihe akuter Krisen des Westens ist heute die Zukunft des Nichtverbreitungsregimes freilich kein Spitzenthema internationaler Diplomatie und Medienberichterstattung. Allerdings hat die Vermeidung von Atomwaffenproliferation eine offensichtliche Bedeutung für die Wahrung des Weltfriedens und das Überleben der Menschheit.

Zum anderen ist unklar, ob eine Appeasementpolitik gegenüber Russland in Bezug auf die Ukraine zu einem anhaltenden Frieden auf dem Gebiet der früheren UdSSR führen und ob sich Moskau nun weniger aggressiv gegenüber anderen postsowjetischen Republiken zeigen würde. Russland war offensichtlich mit seinen früheren faktischen Gebietsgewinnen und Einflusskanälen in anderen postsowjetischen Republiken, etwa im Südkaukasus, unzufrieden geblieben. Weder die Strategische Partnerschaft der EU mit Russland seit 1994 oder Modernisierungspartnerschaft von 23 EU-Staaten mit Russland seit 2008, noch eine Reihe weiterer russisch-westlicher institutioneller Vereinbarungen und Kooperationen konnten die demonstrative Aussetzung des europäischen Sicherheitssystems durch Moskau im Jahre 2014 verhindern. Die diesem Bruch vorhergehende stillschweigende westliche Akzeptanz der russischen Protektorate in Transnistrien, Südossetien und Abchasien hielt Moskau nicht von der Krim-Annexion und verdeckten Intervention im Donezbecken ab.

Man könnte hinzufügen, dass sich die Republik Moldau 1994 im Artikel 11 ihrer neuen Verfassung als dauerhaft blockfreies Land erklärte. Weder die wiederholte offizielle Bekräftigung der moldauischen Neutralität während der vergangenen 20 Jahre, noch die russischen Selbstverpflichtungen zum Truppenabzug von 1994 (bilateral) und 1999 (multilateral) haben Chişinău jedoch dabei geholfen, Moskaus Unterstützung der transnistrischen Separatisten zu beenden. Während diese und ähnliche Details postsowjetischer internationale Beziehungen im Westen wenig bekannt sind, stellen sie in der Ukraine und anderen früheren Sowjetrepubliken Allgemeinplätze dar.

Die wiederholten Vorschläge von Politikern und Diplomaten aus dem Westen, den Konflikt zwischen dem Westen und Russland zu lösen, indem man die Ukraine dauerhaft zu einem neutralen Staat macht („Finnlandisierung“), wirken in den ehemaligen Sowjetrepubliken weltfremd. Insbesondere in Kiew werden solche Ideen mit Betroffenheit, Spott oder Bitterkeit wahrgenommen, und man versteht die fortgesetzte westliche Naivität gegenüber Putin nicht. Es ist unwahrscheinlich, dass die Ukraine einer Festschreibung der Zerteilung ihres Staates und einem dauerhaften blockfreien Status seines Rumpfterritoriums zustimmt – nur weil Donald Trump, Henry Kissinger und andere dies der von Russland geschundenen Nation abverlangen.

Eine Appeasementpolitik gegenüber dem russischen Imperialismus würde zu weiteren Nebeneffekten führen und die Wahrscheinlichkeit neuer Eskalationen im postsowjetischen Raum eher erhöhen als verringern. Die mögliche Akzeptanz der russischen Krim-Annexion durch die USA würde einer generellen Entwertung des Völkerrechts Vorschub leisten – zumindest im postsowjetischen Raum. Russland hatte die ukrainischen Staatsgrenzen inklusive der Krim nicht nur im 1994er Budapester Memorandum, sondern auch im 1991er Belowesha-Abkommen, welches die UdSSR auflöste, im 1997er ukrainisch-russischen Freundschaftsvertrag und im 2003er russisch-ukrainischen Grenzvertrag sowie in etlichen anderen bi- und multilateralen Abkommen und Deklarationen anerkannt. Eine im- oder sogar explizite US-amerikanische Absegnung der jüngsten russischen territorialen Expansion würde ein gefährliches Signal an viele politische Kräfte im postsowjetischen Raum und darüber hinaus senden.

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