Zeitung Westi: «Wir werden nicht klein beigeben»


Der Zeitung Westi wird erneut von den Machthabern keine Ruhe gegeben: nach der Besetzung der Redaktion durch Steuerleute im Mai, haben SBU-Leute (Sicherheitsdienst der Ukraine) eine «Maskenshow» veranstaltet. Ich wurde gegen elf Uhr morgens von Kollegen angerufen, die sagte: fahr nicht auf Arbeit, uns hat der SBU besetzt. Soweit ich das später verstand, fand alles, wie mir Kollegen berichteten, nach dem bekannten Schema statt: es kamen Leute in Masken, blockierten unsere Leute und begannen mit der Durchsuchung. Im Moment der Besetzung befanden sich die Mitarbeiter der Wirtschaftsabteilung und der Internetredaktion der Zeitung Westi dort – über 50 Menschen. Dabei wurden niemand heraus- oder hereingelassen: die Planung mussten wir auf der Straße durchführen. Ja, wir versammelten das Kollektiv, verteilten die Themen und gingen im direkten Sinne an die Feldarbeit.

Denjenigen, die im Büro blieben, wurde nach einigen Stunden erlaubt Pizza zu bestellen – nun, die Sicherheitsleute hatten selbst Hunger und gestatteten den Journalisten auch gnädig zu essen. Alle wurden im schwülen Eingangsbereich eingesperrt und die SBU-Leute selbst, gingen natürlich raus. Es kamen Parlamentsabgeordnete, um zu klären, was Sache ist. Natürlich wurden sie nicht reingelassen (es gelang erst nach ein paar Stunden). «Westi ist durch das alles schon mal durchgegangen». Und dagegen habe ich persönlich auf dem Maidan gestanden.

Danach wurde gegen die Druckerei vorgegangen, in der nicht nur wir, sondern auch eine Reihe anderer ukrainischer Zeitungen und Zeitschriften (14 Zeitungen, einschließlich staatlicher Massenmedien – beispielsweise der Regierungskurier) gedruckt werden. Dabei war das Schema das gleiche (wozu ein neues ausdenken) – sie kamen an, blockierten die Arbeit und erklärten die Vorwürfe erst nach anderthalb Stunden.

Die Durchsuchung in unserem Büro endete am Abend. Die Sicherheitskräfte beschlagnahmten die gesamte Technik und Dokumente, bis hin zu den Arbeitsbüchern der Mitarbeiter des Unternehmens. Alles Beschlagnahmte verluden sie in einen Kleinbus und fuhren es fort. Sie nahmen die komplette Technik, einschließlich der Diktiergeräte, persönlicher Sachen und sogar persönlicher Zeichnungen mit, die bei einigen Mitarbeitern waren. Aus den Schreibtischschubladen wurde alles ausgekippt, aus den Beistelltischen alles ausgeschüttet. Auf dem Boden lagen die auseinandergenommenen Computergehäuse ohne Festplatten. Der Schrank des Fotodienstes mit teurer Technik wurde aufgebrochen. Übrigens wurde mein Notizblock mitgenommen, in dem ich Miniaturen für den KWN (Klub der Lustigen und Findigen, (post-)sowjetische Fernsehshow mit vor allem studentischen Teilnehmern) aus studentischen Zeiten aufbewahrt habe. Ich hoffe, dass die Sicherheitsleute das zu schätzen wissen.

Erst nach sieben Uhr abends wurden unsere Mitarbeiter freigelassen.

Allgemein ist es wie immer – keinerlei Kommentare (wie der Chefredakteur der Westi Igor Gushwa in seinem Blog schrieb, kam zwei Tage vor den Durchsuchungen in der Zeitung eine Publikation darüber heraus, dass die Tochter des SBU-Chefs Naliwajtschenko in den USA lebt und in einem der prestigereichen Stadtbezirk New Yorks lebt). Die Anschuldigungen wurden uns erst nach der Besetzung präsentiert. Die Zeitung Westi wird des Separatismus verdächtig, dafür dass im Wochenmagazin Reportjor verschiedene Reportagen veröffentlicht wurden, die, wie man sagt, auf der anderen Seite der Barrikade aufgezeichnet wurden. Dass dies die Pflicht des Journalisten ist – Informationen von beiden Seiten erlangen und veröffentlichen – wurde wohlweislich vergessen. Wie auch vergessen wurde, dass man derartige Vorwürfe allen anderen ukrainischen Massenmedien gegenüber erheben kann.

Auch in den sozialen Netzwerken nichts Neues: die «Kollegen» begannen freudige Posts zu verbreiten, dass man uns endlich zumacht. Ich erinnere mich nicht an derartige Posts in Bezug auf den Sender TVi (Fernsehsender, dem zu Zeiten von Janukowitsch das Leben schwer gemacht wurde, A.d.Ü.), als die Maskenshows bei ihnen vorbeischauten. Tja, die journalistische Gemeinschaft in der Ukraine ist bereits seit langem verfeindet – jemand mag uns nicht aus Neid, jemand stellt seine «bürgerliche Position» höher als die berufliche. Die Kollegen vergessen, dass ein Journalist in erster Linie ein leidenschaftsloser Weitergeber der Ereignisse ist und erst danach ein Aktivist, ein gesellschaftlich aktiver Mensch und so weiter. Man vergisst auch, dass in unserem Land sich alles schnell ändert und wenn sie zu ihnen kommen, weil sie missliebig geworden sind, wird sie niemand mehr verteidigen können.

Gesonderten Dank denjenigen, die schrieben, anriefen und sich sorgten, die begreifen, dass alles, was mit uns vor sich geht, Willkür ist. Ich möchte Euch sagen – Leute, wir werden nicht klein beigeben. Und wir werden weiter arbeiten. Und wir werden die Wahrheit noch lauter verbreiten – denn Erschwernisse härten ab. Der Kampfgeist des Kollektivs ist hoch und wird nicht sinken, was auch passieren mag.

Zu guter Letzt: Wenn es wirklich irgendwelche begründeten Vorwürfe gibt, dann lasst sie uns zivilisiert lösen und nicht über Maskenshows. Ich glaube immer noch aufrichtig, dass Europa bei sich selbst beginnt.

Juliana Skibizkaja

Quelle: Westi

Übersetzer:   Andreas Stein  — Wörter: 746

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