Die Business-Opposition oder „Liebe Freunde-2“
Wir haben bereits im Artikel „Drei in einem Boot, exklusive Jazenjuk“ den möglichen Zusammenschluss der Politiker des Oppositionslagers thematisiert.
Der Artikel hat scharfe Kritik seitens der Leser und potentiellen Partizipanten eines solchen Zusammenschlusses hervorgerufen. Wenn sie „A“ sagen, sollten sie unbedingt auch „B“ sowie sämtliche übrigen Buchstaben des Alphabets sagen (bei ihnen ist bezüglich der Diktion, Gott sei Dank, alles in Ordnung). Wir werden unsererseits die richtige Diktion eben selbiger Buchstaben beleuchten.
Keinesfalls wurde beabsichtigt, die Bedeutung des Vorhabens zu mindern oder dieses zu karikieren. Tatsächlich sollten die momentanen Geschehnisse mit wachen Augen verfolgt werden, vor allem weil wir es mit einem neuen Phänomen im politischen Leben der Ukraine zu tun haben. Julia Timoschenko hat von Grund auf unrecht, wenn sie sagt, dass dies keine Opposition sei. Dieses neue Projekt trägt sämtliche Merkmale einer Opposition: Vertreter des politischen Programms Jazenjuks und diejenigen, die sich zwar nicht an der Macht befinden, aber ambitioniert und ehrgeizig das Ziel verfolgen, diese zu erlangen. Sie haben Ressourcen, das Personal, eine verzweigtes Infrastruktur und einen gewissen Background. Nur wäre dies ein anderer Typus von Opposition – eine Business-Opposition.
Dass die Repräsentanten Jazenjuks faktisch überall in den Kommunalverwaltungen solidarisch mit der Partei der Regionen abstimmen, hat noch nichts zu bedeuten: Jazenjuk hat bewusst den Markennamen seiner Partei verpachtet, um das eigene Rating zu erhöhen. Für ihn hat die Idee „Jazenjuk“ primäre Bedeutung, und nicht die der „Front“ – das Geld wird unter Jazenjuk und nicht unter dem Parteischild fließen. Das ist übrigens genau das, was Tigipko nicht begriffen hat, der genau dasselbe hätte machen müssen, um sein elektorales Rating und den Mythos der Superperspektivität aufrecht zu erhalten: die lokalen Listen an die Partei der Regionen abzutreten, die die Räte auch gefüllt hätten, und das für die Partei notwendige Ergebnis wäre zustande gekommen.
Nun kann Arsenij Petrowitsch geschultert von den Umfragegewinnern der Kommunalwahlen ins parlamentarische Rennen gehen. Und das Abstimmungsverhalten der „Front“-Repräsentanten vor Ort sagt nichts aus: Jazenjuk befindet sich heute in der Opposition und verfolgt den Ausbau einer Business-Opposition.
Einer der interessantesten Faktoren bezüglich eines neuen Zusammenschlusses besteht in der Frage, wer die potentiellen Geldgeber sein werden. Diesbezüglich wurden bereits – einigen Berichten zufolge – Pjotr Poroschenko und Nikolaj Martynenko beleuchtet. Zumindest begannen ausgerechnet ihre Namen, in der Presse aufzutauchen. Auch Dawid Schwanija ist schemenhaft kurz aufgeblitzt: der Oligarch steht heute wieder der Bankowaja nahe und kontrolliert sogar „Energoatom“. Scheinbar fehlt zur Vollständigkeit des Bildes nur noch Jewgenij Tscherwonenko. Dann wären all diejenigen, die vor einigen Jahren „liebe Freunde“ genannt wurden, wieder versammelt.
Was genau verbirgt sich hinter „liebe Freunde“. Oder genauer gesagt: Wer steckt dahinter? Eine Gruppierung von Jungoligarchen, die sich in den Jahren 2001 bis 2004 formiert hatte. Sie einigte der Wunsch, die etablierten oligarchen Strukturen zu zerschlagen, indem sie selbst die Plätze Medwedtschuks, Pintschuks, Surkis’, Bakajs und anderer “Stützen” des Regimes Kutschmas eingenommen hätten. „Die orangene Revolution ist ein Aufruhr der Millionäre gegen die Milliardäre”, – der Dmitrij Wydrin zugeschriebene Aphorismus war 2005 äußerst populär.
Im Jahr 2001 kamen die „lieben Freunde“ zu folgendem Schluss: Sie können ihre Geschäftspläne lediglich mit Hilfe der totalen Kontrolle über die Obrigkeiten im Land realisieren. Zu dieser Zeit hat Juschtschenko an Dynamik gewonnen – die „lieben Freunde“ versuchten, ihn aus der Mitte des Volkes heraus zu lösen (Aktion „Ukraine ohne Kutschma“) und den Markennamen „Juschtschenko“ zu privatisieren. Selbstverständlich bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der amerikanischen Finanzströme.
Der Mai 2001 war der erste Wendepunkt für Juschtschenko: Vor ihm lagen zwei Konzepte zur weiteren Entwicklung seiner eigenen Pläne. Das erste wurde von der breiten Öffentlichkeit gestützt und war eine Volksinitiative, die die Schaffung der Achse „Lwow-Donezk“ in Aussicht stellte. Das zweite war eine Initiative der Jungoligarchen mit Fokus auf die westukrainische Wählerschaft und klar westukrainischen Losungen. Das erste Konzept war im Kern ein Modernisierungsvorhaben und hätte sogar einigen Haien aus dem Umfeld Kutschmas gefallen können. Das zweite trug Züge einer Postmodernisierung. Während das erste evolutionär war, war das zweite revolutionär. Die „lieben Freunde“ gewannen die Oberhand über die „Intelligenzler“, die das erste Projekt vorgeschlagen hatten (an der Ausarbeitung des Entwurfes wirkten unter anderem Analytiker aus Großbritannien und Polen mit).
Der Oktober 2003 war der zweite Wendepunkt. Erinnert ihr euch an Donezk, der 31. Oktober, der Widerstand, der gegen Juschtschenko organisiert wurde? Genau zu diesem Zeitpunkt wurden die Pläne einiger aus dem Umkreis Janukowitschs (in erster Linie Sinowjew Kuliks) zu einer Tandembildung Janukowitsch-Juschtschenko durchkreuzt. Geplant war, dass sich Janukowitsch nicht für die Präsidentschaftswahlen aufstellen lässt und stattdessen Juschtschenko unterstützt – im Tausch für das Amt des Premierministers unter Wiktor Andrejewitsch. Wie viel wurde über die Mitwirkung Medwedtschuks und Kolesnikows am Widerstand geredet. Heute tauchen Informationen darüber auf, dass die Tafeln, auf denen Juschtschenko als Nazi dargestellt wurde, von einigen „lieben Freunden“ finanziert worden waren. Sie verfolgten ihre eigene Logik: Wozu die Macht mit den Donezker teilen? Sie wollten als Monopolisten in dieser Arena an die Macht gelangen.
Kurz gesagt: Bereits zu Beginn seiner Wahlkampagne „benötigte“ Juschtschenko eigene Geldgeber. Obendrein gelang den „Lieben Freunden“, Gevattersleute Juschtschenkos zu werden und diese „Verwandtschaftsbeziehungen“ in vollen Zügen zu nutzen – sie erkannten die Leidenschaft Wiktor Andrejewitschs für Vetternwirtschaft. Um diese Leidenschaft könnten ihn sogar die Moldawier mit ihrem Kumatria-Brauch beneiden. In Moldawien wird nun mal Nepotismus außerordentlich geschätzt. Juschtschenko hat die Vetternwirtschaft in den Rang einer nationalen Staatskunst erhoben. Vielleicht sogar einer zwischenstaatlichen – wenn man seine Beziehungen zu Saakaschwili berücksichtigt.
Was danach geschah, ist allen gut bekannt. Mit Julia gegen die Donezker und danach mit den Donezkern gegen Julia. Teile und Herrsche!
Aber! Später zerstritten sich selbst die „lieben Freunde“. Und sie haben sich verzockt. Der Absturz Juschtschenkos war durch Raffgier, übermäßigen Ehrgeiz und korrupte Sonderrechte der „lieben Freunde“ bedingt.
Heute versammeln sie sich erneut. Sie sammeln sich, um ein Remake Juschtschenkos hervorzubringen. Nur setzen sie jetzt auf Arsenij Jazenjuk – als jüngere Kopie Wiktor Juschtschenkos.
Jazenjuk ist nicht weniger ambitioniert als Juschtschenko. Beide werden genau von den USA beäugt. Juschtschenko hat eine amerikanische Ehefrau, Jazenjuk eine amerikanische Schwester. Beide bekennen sich zu unkonventionellen Kulten (traditionell werden sämtliche unkonventionellen Kulte aktiv vom CIA überwacht). Die Frau Juschtschenkos war aktive Anhängerin des RUNWIRA-Kultes Lew Silenkos und verehrte Daschdbog (davon zeugen Veröffentlichungen der Presse im Exil). Die Schwester Jazenjuks – ebenso durch die Presse bezeugt – ist ein aktives Scientology-Mitglied.
Und sowohl Jazenjuk, als auch Juschtschenko sind selbstverliebt, ehrgeizig, arrogant, demagogisch, lieben die Macht und streben diese an. Beide besitzen eine messianische Rhetorik. Gleichzeitig ermüden beide schnell, streben danach, alle Schwierigkeiten auf andere abzuwälzen und wenden sich vom aktiven Umgang mit Menschen aus Fleisch und Blut ab. Beiden ist es behaglicher als Monument als als Redner da zu stehen. Beide fokussieren sich auf die westukrainische Wählerschaft, unter Vernachlässigung des Ostens der Ukraine.
In vielerlei Hinsicht stehen die „lieben Freunde“ heute vor denselben Aufgaben, die bereits vor zehn Jahren anvisiert wurden. Poroschenko konnte für sich keinen einflussreichen Platz in der Exekutive sichern. Den Posten des Außenministers für die Rolle eines repräsentativen Beobachters in der NBU (Nationalbank der Ukraine) aufgeben zu müssen – das ist nicht nur einfach eine Degradation, sondern eine unverhohlene Demütigung. Schwanija ist bewusst, dass er, wenn nicht heute, morgen seine Kontrolle über „Energoatom“ verlieren kann, und in einem Abwasch auch die Kontrolle über die Objekte in der Luganskaja Oblast. Martynenko hat seine Posten in Kiew bereits verloren. Sie benötigen einen neuen Plan, mit dessen Hilfe sie in die Zukunft starten können. Dieser ist eine Art Ultimatum und Erpressungsversuch der „Donezker“. Und in gewisser Weise eine Art Startrampe. Für ihr Vorhaben ist Jazenjuk ein Mittel zum Zweck.
Ihr Vorschlag klingt einfach und aufrichtig: ??„Wir können gemeinsam mit euch Julia vernichten. Das wird so und so viel kosten. Und wir können autonom arbeiten – aber ihr begreift selbst: Nur wir vermögen es, Jazenjuk zu lenken und eine Kernreaktion in eine friedliche Bahn umzuleiten. Fragen Sie Pintschuk, Juruschew oder Firtasch – sie werden euch sagen, dass Jazenjuk unkontrollierbar ist. Aber wir können ihn kontrollierbar machen.“
Eben solche Botschaften gingen 2003-2004 in der Administration Kutschmas um: Wir sind die Aktionäre des Projekts „Juschtschenko“, vermittelten sie. Und mit uns muss man rechnen, andernfalls werden wir dieses Projekt vollends durchstarten. Unter Zuhilfenahme der Volksmassen. Damals wurde den „lieben Freunden“ nicht geglaubt. Jetzt wird man ihnen – möglicherweise – glauben.
Begreift Jazenjuk, dass er eigentlich nur ein Instrument in den Händen politischer Spekulanten ist? Dass er eine Achillesferse hat: er ist kein Gevattersmann. Begreifen Matwijenko, Katerintschuk und Grizenko, dass sie lediglich die Kulisse für die Verbesserung des Ansehens Jazenjuks sind? Apropos, Grizenko. Das ist eine Sache für sich. Wie ist er in diese Gesellschaft geraten? Mein ehrlicher Respekt ihm gegenüber wich erstaunter Verwunderung. Während die Business-Opposition am Tag der Nationalen Einheit Rätsel anhäufte, die bestätigten, dass die Verfahren bei der„Front“-Partei die alten sind, sprach Grizenko von der Tribüne des Sofienplatzes hörbar mit Janukowitsch. Aber …
Verstehen sie allesamt, dass sobald die „lieben Freunde“ Garantien und Vorrechte erhalten haben, das Projekt selbst für sie hinfällig werden kann. Wahrscheinlich begreifen sie das. Aber gleichzeitig glauben sie an die leidenschaftliche Liebe der Amerikaner zu jedweder Art von Remake. Und daran, dass im Falle dessen, dass die „lieben Freunde“ nicht mehr zu zahlen bereit sind, die Amerikaner zahlen werden. Wie dem auch sei, früher oder später, genau genommen am Vorabend der nächsten Wahlen, wird folgende Frage aktuell werden: Und wie sind die Listenplätze aufzuteilen? Heute ist das egal (sicherlich ein spezielles Argument für Anatolij Stepanowitsch), das ist verständlich, aber, mit Verlaub, wie soll denn nun aufgeteilt werden? Gerecht? Das heißt, unter Berücksichtigung dessen, wer wieviel im Rahmen der letzten Kampagne erobert hat? Diese war, ich erinnere daran, eine kommunale Angelegenheit. Muss der Gedanke weiter ausgeführt werden?
Andererseits ist Jazenjuk bereits an die Rolle des „Lebkuchenmanns“ gewöhnt, der sowohl dem Großvater, als auch der Großmutter (entschuldigen Sie, Julia Wladimirowna) davongelaufen ist, und auch Poroschenko und Martynenko davonlaufen wird.
Die besondere Würze besteht auch darin, dass die kleinsten Veränderungen der Verhältnisse in der Ukraine, in der Persönlichkeiten besonders stark den Geschichtsverlauf beeinflussen, zu Modifikationen der Pläne selbst führen. Stellen wir uns beispielsweise vor, dass Choroschowskij morgen seinen Abschied nehmen wird oder sich die Waagschale zugunsten Kljujews neigt. Unter diesen Umständen wird Poroschenko seine TV-Lizenzen zurückerhalten, möglich ist auch, dass er einen gewissen Sessel zurückbekommt (ihr werdet lachen, aber es heißt, dass er erneut den Posten des Außenministers beansprucht) und er wird de facto die Finanzierung des Projekts einfrieren. Dasselbe gilt auch für Matynenko. Für sie ist die Business-Opposition und das Projekt Business-Opposition eine Möglichkeit, ihre eigene Interessen zu verfolgen. Sie ähneln keineswegs Romantikern oder Altruisten, die einen Senja, einen Kolja und zwei Tol unterstützen – genau deswegen, wegen der Persönlichkeiten, existiert in diesem Vorhaben auch keine Ideologie und es kann sie auch nicht geben.
Aber selbst das Ausscheiden der „lieben Freunde“ wird nicht unbedingt auf das Projekt selbst Einfluss nehmen, die Business-Opposition ist als Phänomen bereits in Erscheinung getreten und zum Durchbruch gelangt. Heute existiert – merkwürdigerweise – nur noch ein potentieller Störfaktor – Tigipko, ewig voller Perspektiven und ewig der Joker in der Tasche. Er wird niemals zum Oppositionellem, aber je näher die entscheidenden Wahlen kommen, desto mehr wird er zum Konkurrenten. Diese Rolle des Konkurrenten, nicht des Oppositionellen, wird immer die spezielle Rolle Sergej Leonidowitschs sein. Er ist fähig, unter seinem Banner, nicht die Business-Opposition, aber eine qualitativ andere Geschäftswelt, anderen Niveaus und anderen Gewichts, zu vereinen. Vor allem, wenn er aus der Herbstkampagne des Jahres 2010 lernen wird.
Die Wahlen 2015 kommen näher. 2004 wurde auch vorzeitig vorbereitet. Die Hauptakteure sind dieselben. Die „Ikone“ wird eine andere sein.
07. Februar 2011 // Natalja Prichodko
Quelle: Lewyj Bereg