Charme-Offensive verpufft
Demonstratives Desinteresse: Rußland und die Ukraine eröffnen neue Runde im Energie-Poker. Regierung in Kiew verspricht Zugeständnisse. Putin reagiert abwartend
Der russisch-ukrainische Energiepoker ist eröffnet. Rußlands Ministerpräsident Wladimir Putin reagierte zurückhaltend auf die jüngsten energiepolitischen Avancen der neuen ukrainischen Führung: »Andere Gasprojekte vermindern unser Interesse an einer gemeinsamen Arbeit an dem ukrainischen Gastransportsystem«, erklärte Putin am 25. März nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Nikolai Asarow. Der Kreml bleibe aber unter Umständen offen für eine etwaige Kooperation mit Kiew, relativierte der russische Regierungschef umgehend. Mit der Ostseepipeline und der South-Stream-Gasleitung bemüht sich Rußland um die Umsetzung von gleich zwei milliardenschweren Projekten, die unter Umgehung der derzeitigen osteuropäischen Transitländer Erdgas direkt auf das Territorium der EU befördern sollen.
Das demonstrativ zur Schau gestellte Desinteresse Putins dürfte bereits Teil der Verhandlungen um Pipelines und Gaspreise sein, der zwischen Moskau und Kiew ausgetragen wird. Den ersten Zug machte hierbei die neue ukrainische Führung um den als rußlandfreundlich geltenden Präsidenten Viktor Janukowitsch. Der erklärte sich bereit, eine alte Forderung des Kreml zu erfüllen und dem russischen Monopolisten Gasprom Zugriff auf das ukrainische Pipelinesystem im Rahmen eines Gaskonsortiums zu gewähren. Das Gesetz dazu sei faktisch fertig, betonte der ukrainische Vize-Premier Andrej Kljujew im Vorfeld der Moskau-Visite Asarows.
Der Kreml strebt im Rahmen seiner maßgeblich von Putin geformten geopolitischen Strategie des russischen »Energieimperiums« auch nach der Kontrolle über die osteuropäischen Pipelinesysteme, die das russische und zentralasiatische Erdgas nach Westeuropa befördern. Bislang verwerten die prowestlichen Kräfte in der Ukraine um den abgewählten Präsidenten Viktor Juschtschenko und die ehemalige Regierungschefin Julia Timoschenko Moskau den Zugriff auf das ukrainische Pipelinenetz. Dementsprechend fiel beispielsweise die Reaktion Timoschenkos auf die Annäherungsversuche der neuen ukrainischen Regierung an Moskau aus: »Die Übergabe des Gaspipelinesystems zur Verwaltung ist gleichbedeutend mit der Übergabe der Ukraine zur Fremdverwaltung«, sagte sie. Noch vor einem Jahr brüskierte Juschtschenko den Kreml, indem er einen Milliardenkredit zur Modernisierung des ukrainischen Pipelinesystems mit Brüssel aushandelte – unter demonstrativem Ausschluß Rußlands.
Im Gegenzug für ihr aktuelles Entgegenkommen erwartet die neue ukrainische Regierung eine substanzielle Senkung des Erdgaspreises für das von der Weltwirtschaftskrise gebeutelte Land. Asarow mahnte bereits eine Neuverhandlung des Gasliefervertrages vom 19. Januar 2009 an, da sonst die Ukraine in Zahlungsschwierigkeiten geraten könne. Derzeit zahlt die Ukraine 305 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter Erdgas, während das benachbarte Belarus nur 168 US-Dollar entrichten muß. Monatlich ist Kiew deshalb gezwungen, eine Gasrechnung in Höhe von etwa 700 Millionen US-Dollar bei Gasprom zu begleichen. Zudem hat Präsident Janukowitsch die Idee der vertraglichen Verpflichtung zu einer Mindesttransitmenge von 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas ins Spiel gebracht, die jährlich über ukrainisches Territorium gen Westen befördert würde. Dadurch hofft man in Kiew, die negativen Auswirkungen der Fertigstellung der South-Stream-Pipeline – die von Südrussland bis nach Bulgarien auf dem Boden des Schwarzen Meeres verlegt werden soll – auf die eigene Position als Transitland von Energieträgern zu minimieren.
Dem Kreml dürfte dieses ukrainische Angebot aber nicht ausreichen, bemerkte die russische Nachrichtenagentur RIA-Novosti. Zum einen sei für Moskau die angebotene Beteiligung von nur 33 Prozent an dem geplanten ukrainischen Gaskonsortium – an dem auch westeuropäische Unternehmen beteiligt würden– zu niedrig, um den von Kiew geforderten milliardenschweren Preisnachlaß für die Ukraine zu rechtfertigen. In Belarus hält Gasprom 50 Prozent an dem Pipelinesystem. Inoffiziell erklärte ein Gasprom-Sprecher: »Wenn wir hier drei Milliarden Dollar verlieren, dann müssen wir dieses Geld irgendwo anders verdienen können.« Hier strebt Moskau vor allem eine Revision der »Ergebnisse der Eigentumsverteilung«, in der Ukraine an, die nach der »Orangenen Revolution« eingeleitet wurde. Etliche Unternehmen aus dem Energiesektor wurden russischen Oligarchen von den prowestlichen Kräften entrissen. So hat Premier Wladimir Putin bereits mehrmals die Rückgabe von 60 Prozent der Firma Ukrtatnafta gefordert, die der russische Konzern Tatneft nach einem Rechtsstreit abgeben mußte und die dem ukrainischen Oligarchen Igor Kolomojski zugeschlagen wurde. Darüber hinaus strebt Moskau einer Garantie für die Unantastbarkeit russischer Unternehmensbeteiligungen in der Ukraine an. Im April sollen weitere Verhandlungsrunden stattfinden. Präsident Janukowitsch hofft, schon beim Kiew-Besuch seines russischen Amtskollegen Dimitri Medwedew im kommenden Mai einen entsprechenden Vertrag unterzeichnen zu können.