In den Donbass kehre ich nicht mehr zurück



Leider brachten zwanzig Jahre der stümperhaften Ukrainisierung den Donbass doch nicht auf den richtigen Weg.

Ich gehöre zur Kategorie der Menschen, die in der Ukraine nicht besonders beliebt sind: zu den Flüchtlingen, genauer gesagt – zu den Umsiedlern aus der Zone der Anti-Terror-Operation. Meine Situation war besser als bei vielen anderen: ich musste nicht vor Beschuss fliehen, man hielt mich nicht als Geisel, ich musste nicht monatelang auf den „grünen Korridor“ warten.

Eines Tages entschied ich mich alles hinter mir zu lassen, nahm meinen Laptop mit und fuhr in die Stadt, in welcher ich nie davor war. Ich lebe und arbeite jetzt in einer der Kreisstädte in der Kyjiwer Oblast und weiß ganz genau: in den Donbass werde ich nie wieder zurückkehren.  
 
Man sagt, dass man sich seine Heimat nicht aussucht, auch nicht die kleine Heimat. Aber wie auch die Mehrheit meiner ehemaligen Landsleute bin ich nicht besonders sentimental. In der Kyjiwer Region fühle ich mich immer noch als Gast, aber es gibt nichts zu meckern. Genauso fühlt sich vermutlich ein Obdachloser in einer normalen Gastfamilie. Es sind natürlich nicht die eigenen Eltern, aber man muss sich nicht mit den anderen Obdachlosen um das Leergut und den Schlafplatz auf der Fernwärmeleitung schlagen. Nach einer Woche gewöhnte ich mich daran, dass es keine Ausgangssperre gibt und nach zwei Wochen – an die Möglichkeit, mich in der Stadt frei zu bewegen.  

Die Menschen sind schon immer aus dem Donbass geflohen. Viele meiner Freunde sind seinerzeit nach Kyjiw, Charkiw, Dnipropetrowsk und weiter umgezogen. Ich hielt bis zum letzten Moment stand und bemühte mich aufrichtig den Donbass zu lieben. In den Gesprächen mit meinen Freunden und Verwandten schimpfte ich immer darüber, aber vor den Fremden habe ich ihn immer verteidigt. Den lokalen Dünkel der Bergleute und des Pöbels, die Sehnsucht nach den Sowjetzeiten und die kriminelle Romantik des Wilden Feldes nahm ich mit einem Lächeln hin. So sind nun die Menschen hier  – was willst du da tun? Aber diesmal überschritt der Donbass die Grenze: der „Russische Frühling“ wurde für mich persönlich zum Punkt ohne Wiederkehr.

Alles Schlimme, was es in unserer Region gab, wurde an die Oberfläche gespült. Die Stimme der anständigen bewussten Bürger wurde durch das Gebrüll der randalierenden Masse übertönt: „Ra-ssi-ja! Ra-ssi-ja!!“ („Russland, Russland!“). Der Verrat der lokalen Verwaltung und Bullen überraschte nicht – etwas anderes hätte man von den Vertretern und Handlangern der Partei der Regionen nicht erwarten können. Aber auch die einfachen Menschen wurden dermaßen leicht und massenhaft vom Wahnsinn befallen, dass ich den Donbass nicht mehr erkannte. Als sie sich nach Breschnew sehnten und die „Orangenen“ beschimpften, waren es meine Landsleute – lustig, zornig, etwas ungeschickt, dennoch so vertraut. Aber als meine Nachbarn begannen die terroristische Diktatur zu begrüßen und sich über den Mord an Mitbürgern zu freuen, fing ich an zu zweifeln, ob es die gleichen Menschen sind, die ich seit meiner Kindheit kenne.

Den anderen Umsiedlern (meinen „Schicksalsgefährten“) gegenüber verhalte ich mich vorsichtig. Natürlich ist es für mich unangenehm, wenn meine Freunde bei der Jobsuche eine Absage bekommen, nur weil ihr Wohnsitz im Donbass angemeldet ist. Aber ich muss gestehen, dass ich mich anstelle jener Arbeitgeber nicht weniger verdächtigend den Umsiedlern gegenüber verhalten würde. Woher soll ich wissen, ob nicht dieser arme Flüchtling das Gebäude der regionalen Verwaltung stürmte und fröhlich auf der ukrainischen Fahne trampelte? Demjenigen, der diesen Hexensabbat mit eigenen Augen sah, fällt es schwerer barmherzig zu sein.

Noch unangenehmer ist es mitzubekommen, wenn die Flüchtlinge aus dem Donbass sich wie Schweine verhalten. Unter schwierigen Umständen kann man die Unverschämtheit verzeihen, die häufig durch die Verzweiflung und den Wunsch zu überleben verursacht wird. Aber wenn sie die russischen Fahnen aufhängen und ihre Kreml-treue Besessenheit fortsetzten, gibt es für sie keine Rechtfertigung. Genau wegen dieser Menschen war ich gezwungen, die Stadt zu verlassen, in welcher ich geboren wurde, und muss jetzt im Prinzip mein Leben neu anfangen. Und nun kriechen sie hinterher.

Es geht natürlich nicht um die abgerissene Flagge (ich wiederhole mich: ich bin nicht sentimental). Allerdings stehen seit kurzem hinter solchen Gesten ganz konkrete Absichten, vor allem die Absicht zu töten. Als 2004 die lokalen „Watniki“ (Anspielung auf die Wattejacken der sowjetischen Gulag- und Gefängnisinsassen, A.d.R.) durchdrehten und dazu aufriefen, den Maidan mit den Panzern zu zerquetschen, war es ecklig aber erträglich. Sogar als sie im Winter dieses Jahres die „heldenhafte“ Spezialeinheit Berkut (Steinadler, A.d.R.) bejubelten, konnte man es mit einer vorübergehenden Verwirrung oder einer Hysterie erklären. Letztendlich waren es nur Worte – sie waren grausam, jedoch waren es einfach Worte.

Allerdings folgten im Frühling den Worten die Taten: aufgeschlitzte Bäuche der politischen Opponenten, Kopfjagd, Repressionen. Meistens machten es professionelle Killer mit russischen Pässen, jedoch wurden diese Untaten von vielen lokalen Bewohnern begrüßt und unterstützt. Die meisten Freunde von mir verließen den Donbass längst vor dem Beginn der Kampfhandlungen in ihren Städten und die Hälfte davon taten es, um ihr eigenes Leben vor der terroristischen „Gerechtigkeit“ zu retten. Neben deinen potenziellen Mördern oder ihren Anhängern zu leben ist ein fraglicher Genuss, auch wenn nur einer von zehn zu ihnen gehört.

Deswegen bin ich in Bezug auf den Donbass ein Separatist. Ohne Anspruch auf Einigkeit, separierte ich mich eigenständig von meiner kleinen Heimat. Ich habe das Ganze satt. Ich weiß, dass dort viele gute Menschen blieben, und noch mehr davon kommen nach dem Krieg wieder zurück nach Hause. Genau sie werden den Donbass aus den Ruinen wiederaufbauen – dafür gilt ihnen Lob und Ehre. Aber mir reicht es. Ich habe keine großen Hoffnungen auf den Sieg der Anti-Terror-Operation. Die Terroristen zu vernichten ist eine heilige Sache und sie wird zweifellos ausgeführt aber für die Umerziehung der lokalen Bevölkerung werden bestenfalls Jahrzehnte benötigt.

Man sagt, dass der Krieg zum Aufwachen des nationalen Bewusstseins im Osten beitrug. Teilweise ist es tatsächlich so: nach der Begegnung mit den Banditen von Noworossija wurden manche von meinen Landsleuten zu echten Patrioten. Gleichzeitig fand eine tatsächliche Deukrainisierung des Donbass statt. Tausende pro-ukrainisch eingestellte Bürger, insbesondere Aktivisten der Zivilgesellschaft und Intellektuelle, verließen ihr Zuhause. Es ist gar nicht sicher, dass sie alle zurückkehren. Denn es ist ziemlich verlockend in einer Umgebung zu leben, die deiner Weltanschauung entspricht.

„Es ist besser in Lwiw als Kellner zu arbeiten, als in Donezk als Professor“, sagt ein Freund von mir und ich stimme ihm zu. Vermutlich überlegten es sich so ähnlich die Juden, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion massenhaft nach Israel auswanderten. Hier hatten sie ihre gemütlichen Enklaven und seit Generationen gesicherte Plätze und dort – weit entfernt – Risiko, Ungewissheit, im Grunde genommen eine Terra incognita, wo keiner Erfolg garantieren kann. Aber da lebten die Ihren.

Leider brachten zwanzig Jahre der stümperhaften Ukrainisierung den Donbass doch nicht auf den richtigen Weg. Diejenigen dich sich mit der Ukraine assoziieren, waren gezwungen einen fast sektenähnlichen Lebensstil zu führen, indem sie sich in einem engen Kreis der Gleichgesinnten einschlossen. Außerhalb dieser Kreise – einer Pfarrei, eines Vereins oder eines Treffs – stießen wir bestenfalls auf ein herablassendes Unverständnis und seit kurzem – auf eine direkte Lebensbedrohung. Vielleicht wird man sich nach dem Krieg mit der Ukrainisierung ernsthaft auseinandersetzen. Das möchte ich zumindest glauben. Aber das wird schon ohne mich geschehen, tut mir leid.

07.08.2014 // M.K.

Quelle: ZAXID.NET

Übersetzerin:   Halyna Schweizer  — Wörter: 1201

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