Eine Moskauer Spur in der Synagoge im Stadtteil Podol
Zunächst eine kleine Anekdote. Nach den beiden Angriffen ist die Situation in der Podoler Synagoge in Kiew in der letzten Zeit unruhig. Deshalb, als ein Mitarbeiter der Synagoge gestern am Ausgang von irgendwelchen Typen angesprochen wurde, ob er Jude sei, reagierte er nervös. Aber im Gegensatz zu vorigen Jeschiwastudenten, deren heldenhafteste Tat im Leben ein Mückenmord gewesen war, war dieser ein normaler ukrainischer Kerl und hat den Fragenden direkt auf die Birne gehauen, wonach die missglückten Rabauken eilig fort galoppierten. Freilich ist dies wirklich nur eine Anekdote – im Gegensatz zu den beiden vorigen Vorfällen.
Gestern aßen wir zusammen zu Mittag mit dem Mitarbeiter der israelischen Botschaft, der diesen Geschichten unmittelbar nachgegangen war. Aus seiner Erzählung und aus der früheren Publikationen konnte ich für mich einige bemerkenswerte Schlüsse ziehen. (Ich erwähne hier keine „Merkwürdigkeiten“, von denen schon Yosyf Zisels in seinem Statement schrieb – wer will, kann es selber finden).
1. Erstaunliche Hartnäckigkeit. Der erste Versuch, einen Jeschiwastudenten zu verprügeln, war nicht so ganz gelungen – die Leute kamen und machten viel Lärm. Und die sogenannten „Skinheads“ kamen ein paar Tage später noch einmal, um den Versuch zu wiederholen – als ob sie eine konkrete Aufgabe gehabt und sie beim ersten Mal nicht erfüllt hätten. Geben Sie zu, das klingt merkwürdig. Denn es gab doch einen Angriff, es gab auch eine Prügelei – was will man mehr? Ist es möglich, zu glauben, dass die Aufgabe in einem bestimmten (ernsteren) Grad körperlicher Verletzungen bestand? Eher nicht. Aber wenn man sich vorstellt, dass die Aufgabe war, eine gewisse Propaganda-Wirkung zu erreichen (Medienskandal, Briefe von jüdischen Organisationen, Erklärungen der Botschaft etc.) und die zu schwache Prügel beim ersten Opfer so etwas nicht her gab, scheint alles viel logischer.
2. Fachliche Qualifikation der Angreifer. Bei den beiden Vorfällen gelang es den „Skinheads“ nicht nur anzugreifen, sondern auch trotz vieler Videoüberwachungsanlagen sich an ihre Opfer anzuschleichen. Angesichts dessen, dass solche Überfälle (wie auch solche Angreifer) eine sehr neue Erscheinung für Kiew sind, wundert eine solche „Professionalität“ besonders.
3. Kaltblütigkeit. Diese kam besonders beim zweiten Mal zum Vorschein. Nicht nur, dass sie an die gleiche Stelle, d.h. zur gleichen Synagoge kamen (wo man höhere Chancen hat, geschnappt zu werden), sondern sie benahmen sich dazu noch sehr sicher: sie liefen nicht gleich weg, sondern beobachteten aufmerksam, wie der blutende Jeschiwalehrer zurück in die Synagoge zu kehren versuchte. Das ist schon mehr als Dreistigkeit, das ist eine absolute Frechheit. Man kann sie nicht verstehen, solange man nicht annimmt, dass sie einfach keine Angst vor der Polizei hatten – zum Beispiel, weil sie selbst irgendwelche Ausweise in der Tasche hatten, oder weil ihre „Deckung“ mit einem solchen „Lebensberechtigungsschein“ im nächsten Auto saß.
4. Am meisten interessierte mich die Frage, warum nirgendwo erwähnt wird, welche Worte die Angreifer den Opfern sagten oder zuschrien. Der Diplomat bestätigte es – keine. Ein einziges Mal sagte man zum zweiten Opfer leise „Sau-Jud“ (übrigens ist er ein ethnischer konvertierter Russe). Erklären Sie mir bitte, seit wann militante Antisemiten bei ihren Pogromen die Opfer nicht beschimpfen und nicht beleidigen? Unergründlich, nicht wahr?
Begreifen kann man das nur, wenn man nicht annimmt, dass der Sinn der Aktion war, gewisse Maidan-„Rechtsradikale“ zur Zielscheibe des geplanten Skandals zu machen. Und die Angreifer können überhaupt kein Ukrainisch oder nicht ausreichend, um blutdurstige galizische Bandera-Leute überzeugend darzustellen.
Natürlich sagte der Diplomat nicht, wie die Botschaft diesen Unsinn einschätzt und wen sie verdächtigt. Aber da es keine offiziellen Protestnoten oder Briefe an den Präsidenten gab, ist es nicht schwer zu verstehen: Sie glauben selbst auch nicht an diese primitive Kombination.
Was mich anbetrifft, so kann ich mit 95 Prozent Sicherheit behaupten, dass das Machthaber oder sie unterstützenden Strukturen (inklusive russischen) waren und dass ihr einziges Ziel war, den Maidan zu kompromittieren.
Ich schließe auch nicht aus, dass der Plan, einen Polizisten zu töten, in demselben, vom Maidan sehr weit entfernten Labor geschmiedet wurde.
26.Januar 2014 // Karl Woloch auf seiner Facebook-Seite
Übersetzerin: Olha Sydor