Im Endspurt liegt Janukowytsch deutlich vorn
Am Sonntag fällt die Entscheidung, wer nächster Präsident in der Ukraine wird. Sollte es nicht zu unvorhersehbaren Ereignissen und groben Fälschungen kommen, ist nach den jüngsten Umfragen ein Sieg von Julia Tymoschenko sehr unwahrscheinlich.
von Kyryl Savin und Andreas Stein
Janukowytsch vermeidet Fernsehduell
Am 1. Februar kam es wie erwartet nicht zu einem Fernsehduell, da Wiktor Janukowytsch sich der Diskussion verweigerte. Deshalb bekam Julia Tymoschenko die ganze Sendezeit (100 Minuten) für sich und nutzte diese dementsprechend. Dabei widmete sie einen Großteil ihres Monologs der Kritik an ihrem Opponenten und warnte vor den angeblichen Gefahren der „Machtergreifung“ durch den Donezker Clan. Als Beispiele führte sie dabei Aussagen von ehemaligen Mitstreiter_innen Janukowytschs an, die allerdings nicht sehr überzeugend wirkten. Es ist anzunehmen, dass ihre ständigen Warnungen vor den „Verbrechern“ angesichts ihrer eigenen Bilanz etwas ins Leere laufen. Vor allem, da sich ihre Politik im Kern nicht von der Janukowytschs unterscheidet und das scheint im ganzen Land klar zu sein. Daher setzt sie auch im Schluss ihres Wahlkampfes vermehrt auf die nationalpatriotische Karte, wodurch sie sich implizit eher auf die westukrainische Wählerschaft konzentriert, die im ersten Wahlgang zum großen Teil für die anderen Kandidat_innen des „Team Orange“ (Juschtschenko, Jazenjuk, Hryzenko) stimmte oder erst gar nicht zur Wahl ging.
Neue Allianzen zeichnen sich ab
Dies ist auch ihren Gegnern klar, deshalb werden jetzt schon neue Allianzen geschmiedet. Das wurde bei zwei Abstimmungen in außerordentlichen Sitzungen der Werchowna Rada klar. Bei einer Abstimmung über die Entlassung des Innenministers am 28. Januar schlossen sich elf Juschtschenko-Anhänger der nationalpatriotischen „Unsere Ukraine – Selbstverteidigung des Volkes“ Fraktion dem Votum der Partei der Regionen, der Kommunisten und des Blockes Lytwyn an. Nur fünf Tage später stimmten gleich 25 Abgeordnete von „Unsere Ukraine“
zusammen mit der Partei der Regionen und den Kommunisten für eine Änderung des Wahlgesetzes.
Diese Änderung des Wahlgesetzes für die Präsidentschaftswahl erzürnte Julia Tymoschenko besonders. Nach der Abstimmung, der auch körperliche Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern der Partei der Regionen und des Blockes Julia Tymoschenko vorausgingen, wandte sie sich in einer Botschaft an die Wähler, in der sie von der „Ruinierung der Demokratie“ sprach und davon, dass die Wahlen unter diesen Vorzeichen „falsch, unfair und unkontrollierbar“ sein würden.
Über die Gesetzesänderung ist eine Beschlussfassung der Wahlkommissionen nun auch möglich, wenn weniger als zwei Drittel der Mitglieder anwesend sind. Damit wird aus Sicht der Partei der Regionen verhindert, dass in den paritätisch aus Vertreter_innen der beiden Kandidaten besetzten Wahlkommissionen Entscheidungen zum Wahlergebnis aufgrund des Nichterscheinens der Vertreter sabotiert werden können. Nicht nur die Partei der Regionen befürchtete eine Sabotage des zweiten Wahlganges durch Abberufung der Vertreter von Julia Tymoschenko. In ihrer Botschaft forderte Julia Tymoschenko den Präsidenten direkt dazu auf, dieses Gesetz nicht zu unterzeichnen, andernfalls wäre er ein „direkter Beteiligter an der Ruinierung von fairen Wahlen“. Am folgenden Tag hat Präsident Wiktor Juschtschenko das Gesetz unterzeichnet und es ist nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der Werchowna Rada, der „Stimme der Ukraine“, in Kraft getreten.
Antisemitische Flugblätter gegen Tymoschenko
Vorher gab es im Verwaltungsbezirk Iwano-Frankiwsk Zwischenfälle, die oben erwähnte Allianzen bestätigen. So wurden beim Besuch von Julia Tymoschenko in Iwano-Frankiwsk Flugblätter verteilt, die dazu aufforderten nicht für die „Jiddin/Saujüdin“ (ukr./rus. „Shid“, pejorative Bezeichnung für Juden) Tymoschenko zu stimmen. Die lokalen Behörden sahen dabei zu und griffen nicht ein. Kurz vorher erschien in der Zeitung des Bezirksrates ein Artikel mit einer ähnlichen antisemitischen „Argumentation“ gegen Tymoschenko. Einige der Abgeordneten von „Unsere Ukraine“ in der Werchowna Rada stammen aus diesem Verwaltungsbezirk und versprechen sich scheinbar durch die Unterstützung von Janukowytsch freie Hand bei den Regionalwahlen im Mai.
Nachdem Janukowytsch sich rhetorische Fehltritte leistete, trat er am 1. Februar unabhängig von Tymoschenko doch noch im Fernsehen live auf und vermittelte wieder das Bild des souveränen Kandidaten, der die Ukraine einen will. Dies erscheint glaubwürdiger, als die eher verzweifelt wirkenden persönlichen Anfeindungen Tymoschenkos.
Ob seine Versprechungen, wie die Stärkung des Status der russischen Sprache, glaubwürdiger sind, ist aber anzuzweifeln. Ein eventueller Erfolg Janukowytschs begründet sich weniger auf seinen persönlichen Qualitäten oder seinen glaubwürdigeren Ankündigungen, denn der Schwäche und der Zerstrittenheit des orangen Lagers.
Nachwahlbefragungen geben erste Aufschlüsse
Am Wahltag selbst wird es wieder mindestens fünf Exit Polls mit jeweils 10.000 – 25.000 Befragten geben. Soziologen befürchten, dass sie bei falschen Prognosen zum Sündenbock gemacht werden. Denn im ersten Wahlgang kam es hierbei zu einem kleineren Skandal als die Ergebnisse von fünf unabhängigen Exit Polls das Endergebnis fast genau vorhersagten, während die Nachwahlbefragung des „Nationalen Exit Polls 2010“ den Abstand zwischen Tymoschenko und Janukowytsch nur bei vier statt zehn Prozent sah.
Daraufhin stützte sich Tymoschenko nur auf diese Befragung und bezeichnete alle anderen Ergebnisse als gekauft – bis die Zentrale Wahlkommission die vorläufigen Ergebnisse mitteilte. Inzwischen haben Vertreter des „Nationalen Exit Polls 2010“ ihren methodischen Fehler öffentlich eingestanden.
Für diesen Sonntag ist wohl nicht mit so einem klaren Abstand zu rechnen, obgleich inoffizielle Umfragen – offizielle sind seit dem 2. Januar untersagt – derzeit einen Abstand von fünf bis sieben Prozent prognostizieren. Erste Ergebnisse der Wahl wird es im Laufe des Montags geben, vor Dienstag ist nicht mit einer Auszählung aller Stimmzettel auszugehen.
Vermutlich wird jeder der beiden Kandidaten bei einer sich abzeichnenden Niederlage versuchen, die Auszählung mit Blockaden und Demonstrationen vor der Zentralen Wahlkommission zu sabotieren. Von Erfolg gekrönt werden diese Versuche jedoch nicht sein, da die Gegenseite in jedem Fall adäquat vorbereitet ist. Beide Seiten hatten genügend Zeit Strategien zur Verteidigung eines eventuellen Wahlsieges auszuarbeiten und diese werden ab Sonntagabend greifen.
Insgesamt hat Tymoschenko also geringere Chancen auf einen Sieg als Janukowytsch. Am 5. Februar finden noch die Abschlussveranstaltungen beider Kandidat_innen in Kiew unweit voneinander statt. So treffen sich vor der Sophienkathedrale die Anhänger_innen Tymoschenkos und vor dem Michaelskloster in direkter Sichtweite die Anhänger Janukowytschs. Zumindest hier kommt es zu noch einem Duell – wenn auch nur der Lautstärke.
Quelle: Heinrich-Böll-Stiftung