Enteignungen: Gruselgeschichten vor dem Schlafengehen für ausländische Investoren
Ein Witz ist heute in ukrainischen Foren recht populär. Er kam aus Russland und wurde den ukrainischen Realien in unterschiedlichen Versionen angepasst. Hier ist zum Beispiel die Variante von Mykola Tomenko: „Der Präsident spricht auf einer Regierungssitzung: „Die Regierung muss sich aktiver mit den entrechteten Menschen beschäftigen“. Der Premier fragt ihn zurück: „Geschätzter Führer, ich lerne erst die ukrainische Sprache (Mowa), so erklären Sie mir, wer sind diese „Entrechteten“. – „Das sind diejenigen, die uns ihre Anteile noch nicht abgegeben haben“.
Der Witz ist gut, aber nicht lustig, denn heute leben viele Unternehmer in der Ukraine unter ständigem Druck, da sie fürchten, dass irgendeine einflussreiche politisch-wirtschaftliche Gruppe Interesse an ihren Geschäften bekommt.
Die Autorin bekam Interesse am Thema der „enteigneten Menschen“, als im Frühling im Brüsseler EU-Observer ein Artikel über die Ukraine erschien, indem ein interessanter Absatz enthalten war, der später von ukrainischen Medien verbreitet wurde. Ich zitiere: „Britische und amerikanische Unternehmen stellten hochrangigen Amtspersonen der EU eine Liste mit 50 Fällen von Corporate Raid in der Amtszeit von Janukowytsch vor – es geht um die Praxis, wenn Firmen mit Kontakten zur Regierung Unternehmen mit westlichen Kapital übernommen haben“.
Ehrlich gesagt, ging es den Raidern in der Ukraine immer gut, oft unter dem Dach der Regierung, aber man wusch sozusagen seine schmutzigen Waschen nicht vor anderen Leuten. Was hat sich jetzt geändert? Die Autorin machte sich daran, diese Frage zu klären.
Ein amerikanischer Bürger, der in die Kategorie der „Enteigneten“ gelangte, überzeugte die Autorin, dass das Problem wirklich umfangreich ist. Als er eine Beschwerde bei der amerikanischen Botschaft eingereicht hat, will er festgestellt haben, dass es allein 35 frische Beschwerden gab.
So war das erste was LB.ua getan hat, eine Anfrage an die amerikanische Botschaft zu stellen. Dort hat man nicht bestritten, dass solche Beschwerden amerikanischer Bürger vorliegen. Aber Angaben über die Anzahl und den genauen Hergang hat man verweigert, indem man erklärte, dass die Botschaft dazu nicht bevollmächtigt ist. Aber LB.ua ist es gelungen, amerikanische Unternehmer zu finden, die über ihr Unglück erzählen wollten. Auf diese Weise ist eine ganze Sammlung von Raider-Besatzungen entstanden, die die Autorin für ihre Untersuchung anpackte.
Ich möchte einige Geschichten anbieten. Dabei raten wir ausländischen Investoren mit schwachen Nerven vom Lesen ab.
Erste Geschichte: das Erbe von Dsharty
Wie neu glänzt nach der Rekonstruktion auf dem Platz des Sieges in Kiew das riesige Einkaufszentrum „Ukrajina“. Das schwedische Unternehmen Quinn Holdings Sweden AB ist Mehrheitsaktionär, der Erwerb von Aktien des Einkaufszentrums wurde durch die irische Staatsbank Irish Bank Resolution Corporation finanziert.
Heute verlor jedoch der ausländische Investor die Kontrolle über „Ukrajina“. Der Grund dafür ist trivial – das Einkaufszentrum gefiel einer einheimischen einflussreichen Person, und jetzt läuft das Verfahren der „Enteignung“ des ausländischen Investors auf hohen Touren.
Dass das Übernahmeobjekt eine staatliche Gesellschaft aus dem Westen ist und dieser Fall nicht nur in irischen Medien sondern auch in der weltweit bedeutenden Financial Times besprochen wird, hindert in keinster Weise
Dabei weiß der legale Eigentümer sogar nicht, wer ihn „enteignet“: die interessierte Person versteckt sich hinter Juristen im Kiewer Wirtschaftsgericht.
Westliche Bürger sind normalerweise recht vorsichtig mit ihren Kommentaren zu Gerichtsurteilen. Aber die ukrainische Rechtssprechung hat den Vertreter der irischen Bank Richard Woodhouse dermaßen beeindruckt, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt: „Wir sind mit dem ukrainischen Gerichtssystem konfrontiert, das sich im Grunde genommen als ein Mittel der legalisierten Beraubung von ausländischen Investoren erweist“, sagt er.
Für Ärger hat Herr Woodhouse alle Gründe. Wie einfach, aber wirkungsvoll der ausländische Investor im Kiewer Wirtschaftsgericht verhöhnt wird, zeigt nachfolgend nur ein kleines Beispiel: ein Richter in diesem Gericht hat einen Beschluss zugunsten des ausländischen Investors gefasst, wonach der Name des neuen Leiters des Einkaufszentrums „Ukrajina“ ins Staatsregister eingetragen werden darf, aber Juristen warteten sechs Tage (!), bis der Vorsitzende dieses Gerichtes diesen Beschluss besiegelt. Jeden Tag wurden die Juristen „bis morgen“ abgetan, da der Vorsitzende angeblich im Urlaub ist und es keinen außer ihm gibt, um das Siegel zu setzen. Unterdessen gingen durch das Eingangsportal Menschen mit Unterlagen, auf welchen die Tinte von demselben Wappensiegel noch nicht trocken war. Als die Juristen letztendlich den Anruf aus dem Wartezimmer bekamen, um ihren besiegelten Beschluss abzuholen, hatten die Raider es geschafft, eine Berufung gegen den kleinen gerichtlichen Sieg des ausländischen Investors einzulegen.
Das Kiewer Wirtschaftsgericht wird von Artur Jemeljanow geleitet. Er wurde auf die Stelle in Kiew aus dem Wirtschaftsgericht in Donezk versetzt, als Wiktor Janukowytsch Präsident der Ukraine wurde. Zu der Zeit wurde Viktoriia Dsharty zur Stellvertreterin von Jemeljanow ernannt, die Tochter des verstorbenen Kameraden von Wiktor Janukowytsch Wassyl Dsharty. Der von ihm gebildete politische Klan, wo die meisten aus Makijiwka sind, ist ziemlich einflussreich in der Politik. Jedenfalls erzählen die Kiewer Juristen über die Situation im Wirtschaftgericht Folgendes: obwohl Jemeljanow das Haupt des Gerichtes ist, ist Dzharty der Hals. Sie ist übrigens für die Organisation der Arbeit des gerichtlichen Apparats zuständig und kümmert sich laut Vorschriften um die Aufbewahrung und Nutzung der gerichtlichen Siegel.
Vor diesem Hintergrund wird es interessant, dass die Juristen, welche die unbekannten Raider des Einkaufszentrums Ukraina bedienen, auch aus Makijiwka sind. Sie sollen genannt werden, da sie noch in dieser Geschichte auftreten werden: Wolodymyr Hurtowyj und Dmytro Sajzew. In diese Geschichte wurde auch ihr langjähriger Partner aus Donezk, ein gewisser Herr mit dem Namen Truschkin Wadym Jurijewytsch, einbezogen. Offiziell stellt er sich als „bevollmächtigter Vertreter des Direktors des Einkaufszentrums „Ukrajina“ vor. Seine Hauptaufgabe ist es, die legalen Besitzer als „Raider“ zu bezeichnen und sie nicht ins „Ukrajina“ hineinzulassen. Diese Juristen arbeiten übrigens ziemlich lange zusammen und waren am Bankrott von mehr als einem Unternehmen beteiligt.
„Wessen Interessen sie vertreten, wissen wir nicht“, meldete der Jurist der „Enteigneten“ Witalij Kulinitsch LB.ua.
Aber die donezk-makijiwsche Abstammung dieser Juristen sowie die Fälle, die sie hinter sich herziehen, geben zu denken. Nachfolgend gibt es noch eine Geschichte, wo die erwähnten Juristen in Erscheinung treten.
„Goldrausch“ der Juristen aus Makijiwka
Wie die Autorin feststellte, hat sich die Gruppe der Juristen, die an der Legalisierung der Raider-Besetzung des Einkaufszentrums „Ukraina“ beteiligt sein können, einen Namen durch den Bankrott der SAT (Geschlossene Aktiengesellschaft) „Sakarpatpolimetaly“, die Gold im Mushijiwker Vorkommen in Transkarpatien förderte, gemacht.
Seinerzeit bemühte man sich in der Ukraine um eine eigene Goldförderung. Der Staat hat ein paar Jahre in der Erde gewühlt, und dann wurde das Vorhaben aufgegeben. Und nicht, dass diese Sache von Anfang an aussichtslos gewesen wäre, sondern den Machthabenden schien es seinerzeit interessanter zu sein, das Unternehmen plündern zu lassen, um das Vorkommen anschließend zu privatisieren.
Das Insolvenzverfahren der SAT „Sakarpatpolimetaly“ verlief unter strenger Aufsicht der erwähnten Juristen. So war unter anderem der uns bekannte Jurist aus Makijiwka Wolodymyr Hurtowyj Insolvenzverwalter der „Sakarpatpolimetaly“, und sein Partner Dmytro Sajzew leitete eine Gläubigerversammlung. Diese Liquidatoren haben unverhohlen im Interesse einer ausländischen Firma der Britischen Jungferninseln gehandelt, Cengart Financial Inc., die sich plötzlich als der größte Gläubiger der Goldgruben erwies. Als Vertreter dieser Firma in Gerichten gilt noch ein anderer Jurist aus Makijiwka – Ihor Sheltobrjuch. Merken Sie sich diesen Namen.
Verdächtig gütliche Beziehungen zwischen den Liquidatoren des Staatsunternehmens und den Gläubigern konnten gewiss nicht ungeachtet bleiben. Deshalb ist es kein Wunder, dass in der Presse ab und zu kritische Artikel zu diesem Thema erschienen. Ich zitiere den Artikel „Die Ukraine ist kein Klondike“ aus den russischen Zolotonews: „Unter dem Deckmantel der auf den Jungferninseln registrierten Gesellschaft Cengart Financial Inc. arbeitet eine Gruppe von Juristen aus Makijiwka, darunter auch Igor Sholtobrjuch, und der heutige Insolvenzverwalter Wladimir Gurtowoj schließt sich ihnen an. Dass Cengart in Donbass wurzelt und dass sie die meisten Schulden von „Sakarpatpolimetaly“ 2006-2007 aufkaufte, gibt zu denken, dass sie Wassilij Dsharty nah steht, der genau zu der Zeit das Ministerium für Umweltschutz leitete“.
Die Geschichte von Goldgruben kann davon zeugen, dass Sheltobrjuch, Hurtowyj und Sajzew ein Team sind. Sheltobrjuch ist Abgeordneter des Stadtrates von Makijiwka. Aber uns ist er als Leiter der wenig bekannten Firma TOW „Kiewer Regionales Juristisches Zentrum“ (Anwaltdienstleistungen) am interessantesten. Denn genau dieser Posten zeigt seine realen Kontakte.
Und jetzt schauen wir uns an, wer die Gründer der TOW (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) „Kiewer Regionales Juristisches Zentrum“ sind. Sie gab es bis 2007 zwei – Dmytro Worona und Olena Leschtschuk. Beide kommen auch aus Makijiwka oder Dsharty-Saraj (eine alternative Bezeichnung dieser Stadt).
Aber Herr Worona blieb nicht lange als Gründer und wechselte zum Staatsdienst. So wurde er z. B. 2006 Stellvertreter des Ministers Wassyl Dsharty. Heute arbeitet er als stellvertretender Innenminister, beaufsichtigt Staatskäufe für die Behörde. Hennadij Moskal bezeichnete Worona als „Geldbörse von Minister Mohyliow“, als der Letztere das Innenministerium leitete. Nachdem Dsharty gestorben war, hatte sich Mohyljow bekanntermaßen an die Spitze des Ministerrates der Krim zu stellen, da nur er die aus Jungs von Makijiwka zusammengestellte Machtvertikale aufrechterhalten konnte.
Noch eine ursprüngliche Gründerin der TOW „Kiewer Regionales Juristisches Zentrum“ ist Olena Leschtschuk (Assaul). Ein Dutzend von Unternehmen ist auf den Namen dieser zierlichen Frau registriert. Sie ist sicherlich nur eine formale Gründerin, aber als ihre Partner in diesen Firmen gelten völlig konkrete Personen, welche auf den Korridoren der Macht einhergehen und alle ein gemeinsames Merkmal haben – entweder standen sie dem verstorbenen Dsharty nah oder arbeiten zurzeit mit Mohyliow auf der Krim. 2005 war sie dazu noch Mitbegründerin der juristischen Firma „Schtschyt“ (Schild), gemeinsam mit Anatolij Mohyljow persönlich.
So ein Knoten. Ausgehend davon ist es nicht auszuschließen, dass der ausländische Eigentümer des Einkaufszentrums „Ukrajina“ es mit dem politisch-wirtschaftlichen Klan aus Makijiwka zu tun haben könnte.
19. Januar 2012 // Tetjana Tschornowol
Quelle: Lewyj Bereg