Geschäfte im Krieg



Während man in Kiew noch darüber nachdenkt, ob generell irgendeine Form von wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den von der Ukraine und den von den Rebellen besetzen Gebieten des Donbass möglich ist, ist der Schmuggelverkehr über diese Grenzen hinweg bereits im vollen Gange.

Dessen Drahtzieher interessiert auch nicht, was die da oben meinen – man will einfach Geld verdienen. Journalisten nennen dieses Phänomen „Schmuggel“, wenngleich dieser Begriff im klassischen Sinne den illegalen Warenverkehr über Staatsgrenzen hinweg bezeichnet. Bei einem Warenverkehr aber zwischen der Ukraine und den selbsternannten Staatsgebilden kann dieser eigentlich nicht angewandt werden. Des Pudels Kern liegt allerdings nicht in der Terminologie.

Das Fehlen einer klaren Position seitens Kiews in Bezug auf die Beziehungen zu den terroristischen Gebietseinheiten „LNR“ und „DNR“ („Lugansker Volksrepublik“ und „Donezker Volksrepublik“) wird anhand der beiden Oblaste des Donbass deutlich. Während im Donezker Gebiet offiziell noch einige Grenzübergänge reguliert werden, ist der Zugang zum besetzten Lugansker Gebiet auf Initiative der dortigen regionalen Behörden vollständig blockiert. Aber selbst die rigorose Blockade verhindert nicht vollständig den Handel mit den selbsternannten Republiken. Zurückzuführen ist dies darauf, dass insbesondere die, die diesen verhindern sollen, dessen Drahtzieher sind.

Schauen wir uns doch einmal zwei bezeichnende Beispiele für Schmuggelhandel mit der „LNR“ an, bei welchen verschiedene Sicherheitsbehörden der Ukraine partizipierten. Da sich bei weitem nicht alle Soldaten während des Krieges mit Schmuggel verdingen und viele in der Tat die Souveränität der Ukraine verteidigen, nennen wir keine konkreten Namen. Auch wenn diese leicht mithilfe des Internets herauszufinden sind. Wir möchten noch einmal betonen, dass nicht alle Soldaten während des Krieges schmuggeln, viele verteidigen die Souveränität der Ukraine, riskieren und geben in einigen Fällen auch ihr Leben für ihr Land. Daher dürfen die unten beschriebenen Begebenheiten nicht für Verallgemeinerungen herangezogen werden.

„Ameisen“ auf der Brücke

In der Nacht zum 16. Juni hat eine Einheit mit ganz konkreten Verbindungen zum SBU (Geheimdienst) acht LKWs mit Alkohol und Lebensmitteln, die sich Richtung Frontlinie bewegten, an der alten Kosakensiedlung Staniza Luganskaja festgehalten. Diese wurden von Soldaten des Milizbataillons „Tschernigow“ begleitet. Die Festsetzung führte zu einem lautstarken Konflikt, der beinahe in einer Schießerei endete. ZN.UA gelang es, die Vorgeschichte in Erfahrung zu bringen.

In der Staniza wurde der letzte ukrainische Kontrollpunkt, der sich in der Nähe einer halbzerstörten Brücke über den Sewerskij Donez befindet, von „Tschernigow“ kontrolliert. Hier finden praktisch tagtäglich Gefechte statt, dennoch ist es den Militärpolizisten gelungen, in den ruhigen Minuten zwischen den Gefechten mit den Rebellen übers allgemeine Geschäft zu plaudern. Diese Verhandlungen führten dazu, dass LKWs mit Lebensmitteln, die laut Papieren für die Verkaufsstützpunkte in der Staniza vorgesehen waren, mitten in der Nacht in Begleitung der Miliz zur halbzerstörten Brücke fuhren. Die Brücke durfte offiziell eigentlich nicht passiert werden. Alle Waren wurden auf der ukrainischen Seite abgeladen und anschließend von ortsansässigen Bewohnern wie von Ameisen über die fast zerstörte Brücke auf das gegenüberliegende Ufer getragen. Auf diese Weise wurden pro Nacht mehrere Dutzend Tonnen Schmuggelware in die „LNR“ geliefert, die in Fahrzeugen nach Lugansk abtransportiert wurden. Die Lebensmittelpreise sind in der selbsternannten Republik zwei- bis dreimal so hoch wie in der Ukraine, weshalb die Profite aus dieser einfachen Geschäftsidee erheblich waren. Ohne Kenntnis der in der Staniza stationierten Einheiten der ukrainischen Truppen wäre so etwas nicht möglich gewesen. Die Kommandospitze hielt den Mund, weil auch sie ihren Anteil erhielt. Im späten Frühjahr kam gemäß offizieller Rotation die 128. Brigade aus Transkarpatien in die Staniza Luganskaja. Diese zeigte zunächst Härte – keine Geschäfte mit dem Feind, der unser Territorium beschießt. Leider hatte die Prinzipientreue nicht lange gehalten. Sie hielt lediglich einige Wochen – so lange, bis man sich auf die jeweiligen Geschäftsanteile geeinigt hatte. Dann ging alles weiter wie gehabt … bis zum 16. Juni.

Unmittelbar nach der Festsetzung der LKWs umzingelten Soldaten von „Tschernigow“ und der 128. Brigade den Stützpunkt der SBU-nahen Einheiten (letztere sogar mit Panzerfahrzeugen) und forderten die Freigabe der Waren. Die verbale Konfrontation eskalierte beinahe in einen bewaffneten Konflikt, erst als die zur Unterstützung herbeigerufene SBU-Einheit aus Nowoajdar eintraf, trennten sich die Parteien friedlich.

Der Vorfall brachte das Fass zu überlaufen und das Bataillon „Tschernigow“, das an vorderster Front stand, wurde aus der Lugansker Oblast abgezogen. Nach dem unüberhörbaren Skandal hörte der Warentransport über die halbzerstörte Brücke auf. Allerdings ist angesichts der Tatsache, dass jetzt eine Brigade aus einer westlichen, an vier EU-Länder grenzende Oblast – und das Schmuggelgeschäft wird hier erfolgreich von Kräften aller Staatsorgane betrieben – in der Staniza stationiert ist, davon auszugehen, dass die Geschäftsflaute lediglich vorübergehend sein wird.

Pendelgeschäfte

Das zweite Beispiel betrifft den Kreis Nowoajdar in der Lugansker Oblast. Die Grenzlinie verläuft auch hier entlang dem Sewerskij Donez. Das rechte Ufer kontrolliert die Ukraine, das linke die militanten Rebellen. Etwa 15 Kilometer von Trjochisbenka, zwischen den Dörfern Lobatschewo (linkes Ufer) und Scholtoje (rechtes Ufer), ist seit langem eine Fähre in Betrieb. Der Fluss ist hier langsam und lediglich 20 Meter breit. Bis zum jetzigen Zeitpunkt befindet sich neben der technischen Anlage eine Preisliste für die Überfahrt, die vor dem Krieg gültig war.

Auf dem rechten Ufer befindet sich unter Büschen versteckt der Stützpunkt der Rebellen, auf dem linken stehen die ukrainischen Streitkräfte. Der Abstand zwischen beiden beträgt per Luftlinie weniger als 100 Meter. Aktive Kampfhandlungen finden hier nicht statt. Dafür kann man hier gutes Geld verdienen – man muss sich lediglich auf neue Preise für die Flussüberquerung einigen. Nach einer solchen Einigung nahm der Fährbetrieb, der gemäß eines Beschlusses der regionalen Behörden zerstört werden sollte, seinen Betrieb wieder auf. Mit dem Unterschied, dass jetzt keine Fähre, sondern Boote den Fluss überquerten.

Tag und Nacht kamen mehrere hundert Autos und Kleinbusse nach Lobatschewo und Scholtoje. Vom rechten Ufer transportierten die Boote Lebensmittel, Alkohol, Tabak u. s. w., und in die entgegengesetzte Richtung zumeist Menschen. Papiere wurden hier nicht kontrolliert, da hier offiziell kein Grenzübergang existiert. Diversions- und Spionagetruppen der Rebellen wurden hier schon mehrfach gesichtet: Diese haben die ukrainischen Streitkräfte in Kampfhandlungen verwickelt oder Sprengladungen gelegt, die Zivilisten in die Luft sprengten. Aber für unsere Soldaten, die für die Sicherheit der Grenze im Gebiet der Fähre sorgen sollten, war dies kein Argument.

Ich selbst war bei der Fähre bei Lobatschewo und habe mit eigenen Augen die bewaffneten Rebellen am rechten Ufer und auf dem linken die Kommandospitze der 92. Brigade, die anderen Militäreinheiten oft als Beispiel dient, gesehen. Es ist unmöglich, sich der Anlegestelle unbemerkt zu nähern – alle Zugänge werden vom ukrainischen Militär kontrolliert. Augenscheinlich war man hier auf die Ankunft Illegaler vorbereitet. Einige Autos aber, die unter der Last der geladenen Waren tiefer lagen, konnten sie nicht verbergen …

Nachdem Foto- und Videomaterial von der Anlegestelle der Fähre in die Hände der Generalstaatsanwaltschaft gefallen war, befasste sich die Militärpolizei mit der Führungsspitze der Brigade. Der Fährübergang selbst ist vorerst bis auf weiteres gesperrt, die Zugänge blockiert – das bestätigen ortsansässige Bewohner. Aber für wie lange? Der Sewerskij Donez ist für mehrere hundert Kilometer zum Grenzverlauf geworden, in vielen Bereichen ist der Fluss langsam und das Flussbett eng. Der Schmuggelhandel mit den Separatisten wird also ohne Zweifel an anderer Stelle wieder aufgenommen werden.

Kann der Schmuggel mit den selbsternannten Republiken überhaupt minimiert werden? Theoretisch, ja. Wenn die Einheiten, die an der Front stationiert sind, beispielsweise monatlich rotieren. Gewisse Teile unserer Truppen benötigen nicht nur eine psychologische Wiedereingliederung im Anschluss an die Kampfhandlungen, sondern zudem eine Impfung gegen den „Schmuggelbazillus“, bevor sie an die Front geschickt werden.

Die Erfahrungen in den westlichen Oblasten zeigen, dass eine Ausrottung des Schmuggelhandels selbst dort nicht möglich ist, wo scheinbar unbestechliche Strukturen der EU-Länder auf der anderen Seite der Grenze stehen. Im Osten ist die Situation etwas anders. Hier wird sich nicht mit einheimischen Kollegen von Zoll- oder Grenzbehörden „geschäftlich“ geeinigt , sondern mit Terroristen, die unser Territorium beschießen und Menschen töten. Darunter eben auch genau die Einheiten, die am Fährübergang oder neben der zerstörten Brücke stationiert sind. Für ihre von Gier getriebenen Geschäfte während eines Kriegs zwischen Brüdern scheint dies kein Hindernis zu sein …

3. Juli 2015 // Wladimir Martin

Quelle: Serkalo Nedeli

Übersetzerin:    — Wörter: 1321

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