Immobilienmarkt in Erwartung besserer Zeiten


Die Familie des Ingenieurs Wolodymyr aus Mykolajiw hat vor, ihre Wohnung zu verkaufen und in die Hauptstadt zu ziehen. Die Pläne der Familie werden durch den Immobilienmarkt verdorben, da die Preise in Dollar, an welchen sich Ukrainer immer noch orientieren, stark gesunken sind. Keiner will jetzt eine Zweizimmerwohnung für 40.000 Dollar in einem guten Gebiet der „Stadt der Schiffe“ anschauen, weil man heutzutage zum gleichen Preis eine Zweizimmer-Chruschtschowka in Kyjiw kaufen kann. Jedoch können sich Käufer und Verkäufer in Mykolajiw nicht nur wegen der „Währungsschwankungen“ nicht einigen, sondern auch wegen der Nähe zum Frontgebiet.

Preise halten

Auf dem Sekundärmarkt für Immobilien herrscht bereits seit zwei Jahren Stille. Die Anzahl der Transaktionen hat das Niveau vom Jahr 2013 immer noch nicht erreicht, denn sowohl Käufer als auch Verkäufer eine abwartende Stellung eingenommen haben.

„Ich hatte vor, meine Einzimmerwohnung zu verkaufen, aber in drei Jahren hat sie ihren Wert in Dollar nahezu um ein Drittel verloren. Darüber hinaus hat die Kaufkraft der Menschen stark abgenommen. Also soll ich denn spottbillig verkaufen? Lieber abwarten“, teilt Wiktor aus Kyjiw seine Überlegungen.

Zur Zeit werden Verträge auf dem Sekundärmarkt nur dann abgeschlossen, wenn Menschen entweder unbedingt eine Wohnimmobilie kaufen müssen und sie über Erspartes dafür verfügen, wie im Fall von wohlhabenderen Umsiedlern, oder wenn die Hauseigentümer ihre Immobilie sehr dringend verkaufen möchten, zum Beispiel, wegen Auswanderung ins Ausland.

„Momentan verkaufen sich entweder die Immobilien mit einem attraktiven Preis oder diejenigen, dessen Verkäufer bereit sind zu verhandeln und den Preis deutlich zu mindern“, sagt Eduard Brasas, Direktor der Maklerabteilung der Immobilienagentur „Citycon“ und Analytiker des Verbandes der Immobilienfachleute.

„Anzahl der Verträge auf dem Sekundärmarkt für Immobilien in Kyjiw“

Bei der geringen Aktivität auf dem Markt sinken die Preise für Wohneigentum immer weiter. Seit Anfang des Jahres sind sekundäre Immobilien im Durchschnitt um 6,7 Prozent günstiger geworden, zum Beispiel um 0,6 Prozent im Mai – bis zu 1.637 Dollar für ein Quadratmeter. Interessanterweise ist im vergangenen Monat der durchschnittliche Preis pro Quadratmeter auf dem Sekundärmarkt sogar in Hrywnja gesunken – von 36.644 zu 35.075 Hrywnja pro Quadratmeter, obwohl die Preise in Hrywnja laut den Angaben des Portals „Stolytschna neruchomist“ („Hauptstadtimmobilien“) seit Anfang des Jahres um 26,4 Prozent gestiegen sind.

Am beliebtesten unter den Käufern bleibt nach wie vor das Budget-Segment, in welchem bis zu 90 Prozent aller Verträge abgeschlossen werden. Gemeint sind Ein- und Zweizimmerwohnungen im Wert von bis zu 60.000 Dollar.

„Struktur der Nachfrage nach Sekundärimmobilien in Kyjiw nach Preis, Mai 2015“

Die starke Abwertung von Hrywnja inspirierte manche Marktteilnehmer Parallelen zum Jahr 2008 zu ziehen, als der Wert vom Dollar ebenfalls stark gestiegen ist und die Preise für Immobilien gefallen sind. Allerdings bestätigten sich die Gerüchte über die Entstehung von extrem billigen Wohnimmobilien in Kyjiw in diesem Jahr nicht. 2014 und Anfang 2015 stiegen die Wohnimmobilienpreise in Neubauten ständig, was auch den Besitzern der sekundären Immobilien ermöglichte die Quadratmeterpreise zu halten.

Das durchschnittliche Niveau der Preisnachlässe bei Verhandlungen in den Jahren 2013-2015 blieb auf einem ähnlichen Niveau und betrug nach Angaben des Verbandes der Immobilienfachleute jeweils 6,3, 6,9 und 6,5 Prozent des Ausgangswertes der Immobilie. In den kommenden Monaten könnte der durchschnittliche Preis pro Quadratmeter etwas sinken, jedoch sollte man mit einem scharfen Preissturz nicht rechnen, da die Wohnungspreise in Neubauten nicht wesentlich zurückgehen.

Beliebte „Economy Class“

Der Primärmarkt wurde etwas weniger attraktiv für die Bevölkerung, vor allem wegen einem starken Anstieg der Wohnungspreise in Hrywnja. Im vergangenen Jahr stiegen die Preise für einen Quadratmeter in Neubauten auf über 60 Prozent in der Landeswährung. Vor allem haben die Menschen Angst, in Immobilien in den Anfangsphasen des Baus zu investieren.

„Im ersten Quartal 2015 haben Bauträger 50-60 Prozent Verkaufsrückgang auf Objekte festgestellt, die sich in der Anfangsphase des Baus befinden, im Vergleich zu den Werten von November und Dezember 2014“, so der Bericht der Firma CDS.

In den ersten Monaten des Jahres kauften Ukrainer vor allem Wohnungen in Häusern, die sich in der Endphase des Baus befanden oder die bereits in Betrieb gesetzt wurden. Zumeist waren es sogenannte Investitionsvereinbarungen, wenn die Menschen in Immobilien investierten, um ihre Ersparnisse zu bewahren; dafür haben sie teilweise sogar ihre Einlagen bei den Banken zurückgezogen.

Dennoch blieb die Zahl der Transaktionen sowohl auf dem Neubau-Immobilienmarkt, als auch auf dem Sekundärmarkt auf einem sehr niedrigen Niveau: zwei- oder dreihundert Transaktionen im Vergleich zu tausend oder mehr Transaktionen in den Jahren 2012-2013.

„Separat sollte man die Nachfrage der Zuwanderer aus den östlichen Regionen hervorheben, dank welchen der Vermietungsmarkt vor einem Jahr deutlich gestiegen ist und in diesem Jahr die Bauträger von Wohnbauprojekten verdienen konnten, und zwar nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in der Oblast Kyjiw“, bemerkt Maryna Krestynina, die Leiterin für Consulting und Analytik der Abteilung für Immobiliendienstleistungen des Unternehmens EY. Ihr zufolge lag der Preis für Economy-Class-Immobilien in Kyjiw Ende März im Bereich von 18.000 bis 25.000 Hrywnja pro Quadratmeter, für Business-Class-Immobilien – betrug der Preis zwischen 30.000 und 40.000 Hrywnja und Immobilien der Premiumklasse kosteten ca. 50.000 bis 55.000 Hrywnja pro Quadratmeter.

Auf der Suche nach günstigeren und besseren Optionen interessieren sich potenzielle Käufer immer öfter nicht nur für Wohnanlagen in der Hauptstadt, sondern auch für Wohnungen in Irpin, Wyschhorod, Bojarka, Butscha, Kozjubynske und anderen Städten und Siedlungen in einem Umkreis von 30 Kilometer um Kyjiw, wo man Immobilien ab 7.500 Hrywnja pro Quadratmeter finden kann.

Kyjiwer Bauträger versuchten, die Nachfrage zu beeinflussen und senkten im April und Mai die Preise für Wohnungen in Hrywnja um 3-5 Prozent, woran sie jedoch scheiterten. Meistens ziehen Bauträger die Aufmerksamkeit der Kunden auf sich durch Sonderangebote und Rabatte bei sofortiger vollständiger Bezahlung.

Ein anderer unangenehmer Trend auf dem Immobilienmarkt war in der ersten Jahreshälfte die Bedrohung, dass die Termine für die Inbetriebsetzung der Häuser verschoben werden oder dass der Bau komplett gestoppt wird. „Man hat uns zwar offiziell über die Verschiebung der Abgabetermine um ein halbes Jahr informiert, jedoch gibt es keine Garantie dafür, dass das Haus zu diesem Termin in Betrieb gesetzt wird“, sagt Irma aus Kyjiw, die zukünftige Eigentümerin einer Wohnung in der Wohnanlage „Molodishna iniziatywa“ („Jugendinitiative“).

Regionen in der Pause

Die Immobilienmärkte in anderen Regionen sind auch nicht besonders lebhaft. Die Anzahl der Transaktionen in den Millionenstädten liegt ähnlich wie in der Hauptstadt im Bereich von einigen Hunderten, sagt der Experte der Firma SV Development Serhij Kostezkyj. Die Preispolitik der Bauträger verschiedener regionaler Zentren unterscheidet sich. In einer aktiven Entwicklung befinden sich die Märkte von touristischen Städten Lwiw und Odesa, wo der Preis pro Quadratmeter über eintausend Dollar hinausgehen kann.

„Dynamik der Preise für sekundäre Immobilien in verschiedenen Städten, US-Dollar pro Quadratmeter“

Über 700 Dollar pro Quadratmeter werden in Charkiw und Dnipropetrowsk verlangt. Die Wohnimmobilien in den regionalen Zentren der Grenzregionen der Westukraine – Luzk und Ushhorod – sind ebenfalls nicht günstig und kosten ca. 700 Dollar pro Quadratmeter. Naturgemäß sanken die Immobilienpreise in Donezk stark.

Unter den Bedingungen des Krieges und der wirtschaftlichen Instabilität ist es nicht einfach irgendwelche konkreten Prognosen über die Marktentwicklung zu machen. Offensichtlich wird man sowohl auf dem Hauptstadtmarkt als auch in den Regionen keine besondere Aktivität beobachten, insbesondere wird es die Regionen betreffen, in welchen die Kampfhandlungen stattfinden und wahrscheinlich die Regionen in ihrer Nähe.

„Die Anzahl der Transaktionen wird vielleicht im Laufe der Zeit steigen und in ca. eineinhalb Jahren die Marke von 500 Transaktionen pro Monat erreichen aber kurzfristig ist es eindeutig unmöglich ein paar Tausend Transaktionen pro Monat zu erreichen… Wer wird denn Immobilien kaufen, wenn die Menschen kein Geld haben?“, resümiert Kostezkyj.

23. Juni 2015 // Olha Dubenska

Quelle: LB.ua

Übersetzerin:   Halyna Schweizer  — Wörter: 1267

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