Jazenjuk ist kein Gegengewicht zu Poroschenko, sondern ein Komplize der Abmachungen
Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk versucht, eine „gute Miene zum schlechten Spiel“ zu wahren. Nach zwei Jahren Aufenthalt auf seinem Posten probiert er, die Verantwortung auf die Schulter der ihm zuerst in den Blick geratenden zu legen.
Das Mandat des Maidans, das Jazenjuk im Februar 2014 gegeben wurde, wurde innerhalb von zwei Jahren stümperhaft vergeudet und seine Freunde haben ihre materielle Situation bedeutend verbessert.
Der große Fehler besteht darin, dass unsere europäischen und amerikanischen Freunde die Situation vereinfachen, indem sie meinen, dass Jazenjuk ein ausreichendes Gegengewicht für Präsident Poroschenko bei der Eindämmung der Korruption darstellt. In der westlichen demokratischen Tradition halten zwei große Parteien einander vom Missbrauch ab: Republikaner und Demokraten in den USA, Konservative und Labour in Großbritannien, Christdemokraten und Sozialdemokraten in Deutschland.
In der Ukraine sind Jazenjuk und Poroschenko keine Opponenten. Sie repräsentieren von der Sache eine Partei – die der alten ukrainischen Politiker mit allen ihren Unzulänglichkeiten, deren Werdegang auf die 1990er-2000er Jahre fiel. Anstelle gegenseitiger Kontrolle, anstelle von Konkurrenz um den Erfolg von Reformen haben Poroschenko und Jazenjuk einfach eine Absprache getroffen, die Korruptionsgeldströme und die Bereicherungssphären aufteilend.
Als einzige effektive Opposition in der Ukraine erscheinen Zivilgesellschaft, junge Abgeordnete und Staatsangestellte in der Regierung, die zum frischen Blut wurden, das in das System nach der Revolution der Würde einfloss.
In seinem Interview für die Frankfurter Allgemeine Zeitung versucht Jazenjuk die Verantwortung für die Korruption auf den rückratlosen Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin zu legen, der zur Marionette von Präsident Poroschenko wurde. Doch nur ein Naiver kann glauben, dass Jazenjuk nichts über die Affären seines nahen Mitstreiters Nikolaj Martynenko wusste, gegen den in drei europäischen Staaten ermittelt wird: der Schweiz, der Tschechischen Republik und der Ukraine.
Die Verfahren, in denen in Bezug auf Martynenko vom Nationalen Antikorruptionsbüro der kraine ermittelt wird, betreffen Ereignisse der Jahre 2014-2015, als Jazenjuk bereits als Ministerpräsident arbeitete. Eines der Schemen ist die Lieferung von Uran aus Kasachstan in die Ukraine unter Vermittlung der österreichischen Firma Steuermann, die 35 Dollar bei jedem Kilogramm Uran einfach dafür verdient, dass sie die Papiere von einem Stapel auf den anderen legt.
Wie sich herausstellte, ist der Direktor dieser Firma ein 70-jähriger Rentner aus dem Dorf Loretto. Die von mir erhaltenen Dokumente aus Liechtenstein klärten als Endprofiteur dieser Firma einen Cousin und Business-Partner von Martynenko. Entweder ist Jazenjuk derart blind, dass er nichts von den Affären vor seiner Nase wusste, oder sie fanden unter seinem Patronat statt und er ist ein Komplize.
Der enge Mitstreiter Jazenjuks, Andrej Iwantschuk, ist ein Geschäftspartner von Igor Kolomoiskij, was als Grund für die Blockade eines für den Oligarchen ungünstigen Gesetzes über Aktiengesellschaften gereichte. Hauptberater von Ministerpräsident Jazenjuk im Energiebereich ist Sergej Titenko, der dabei half das Energiewirtschaftsmonopol von Rinat Achmetow entstehen zu lassen.
Achmetow selbst führt geheime Treffen mit Jazenjuk in der Villensiedlung am Kiewer Meer durch, in dem Martynenko selbst lebt. Ein weiteres Resultat dieses Komplotts besteht darin, dass für den Oligarchen der ermäßigte Tarif für den Transport von Rohstoffen für seine energiewirtschaftlichen und metallwirtschaftlichen Unternehmen mit der staatseigenen Eisenbahn beibehalten wird.
Natürlich sind die Verbindungen Jazenjuks mit Korrupten und Oligarchen keine Rechtfertigung für die analogen Praktiken von Präsident Poroschenko und seiner Umgebung. Das Problem besteht darin, dass das System der Checks and Balances in der Ukraine nicht funktioniert und die Rechtsschutzorgane komplett in den Prozess der Erreichung politischer Ziele einbezogen sind. Allein Poroschenko benutzt dafür Schokin und Jazenjuk Innenminister Arsen Awakow.
Die Ukraine verlangt einen kompletten Neustart: den Weggang anrüchiger Minister und des Generalstaatsanwalts, den Entzug der Abgeordnetenmandate für graue Kardinäle wie Igor Kononenko und einen Wechsel des Ministerpräsidenten, der die Unterstützung des Parlaments, der Gesellschaft und der ausländischen Investoren verloren hat.
Die aktuelle Koalition, sogar wenn sie mit den Kräften des Populisten Oleg Ljaschko am Leben erhalten wird, ist zum Scheitern verurteilt. Denn ihr werden nicht die Werte der europäischen Integration zugrunde liegen, sondern die Korruption. Als Parlamentsmitglied habe ich gesehen, wie Ljaschko im Laufe weniger Stunden seine Meinung zum Haushalt 2016 änderte. Das kostete den Staat 265 Millionen Hrywnja (ca. 9,5 Millionen Euro), die für Unternehmen seines Parteimitglieds bereitgestellt wurden.
Daher müssen wir uns, sogar wenn die Regierung zeitweilig standhält, bereits jetzt auf einen „Plan B“ vorbereiten – die Auflösung des Parlaments. Doch zum Punkt des Neustarts müssen wir mit einem neuen Wahlgesetz kommen, in dem es keine Direktwahlkreise und Stimmenkauf für 200 Hrywnja (etwas mehr als sieben Euro) kommen wird, in dem massenhafte Fernsehwerbung verboten wird und die Abgeordneten des neuen Parlaments keine Immunität mehr haben werden.
Das Interview Jazenjuks in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erinnerte mich an die Ereignisse in Deutschland 1974. Damals trat der Bundeskanzler und Nobelpreisträger Willy Brandt zurück, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sein Referent Guillaume ein DDR-Spion war. Den Posten des Regierungschefs übernahm ohne Wahlen Helmut Schmidt. Auf diese Art nahm Willy Brandt die politische Verantwortung auf sich und schadete nicht den Beliebtheitswerten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die unter seiner Führung zum ersten Mal an die Macht kam.
Diese Geschichte könnte für Jazenjuk zum guten Beispiel werden, wie wichtig es ist rechtzeitig zu gehen, um nicht die Hoffnungen des gesamten Landes in den Abgrund zu reißen.
5. März 2016 // Sergej Leschtschenko
Quelle: Blogs der Ukrainskaja Prawda