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Pyrrhussiege: Wie der Kampf zwischen Awakow und Selenskyj begann

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Innenminister Arsen Awakow mit Nationalgardisten

In der Ukraine existierten bis 2004 zwei Einflusssphären: der Präsident und das Parlament. Ersterer hatte den Vorteil, dass er mehr Einfluss auf die Bildung der Regierung hatte als das Parlament. Mit Wiktor Juschtschenko änderte sich die Situation, jedoch nicht für lange. Wiktor Janukowytsch veränderte wieder alles zum Alten. Der Wunsch der Abgeordneten, die Kompetenzen des Präsidenten einzuschränken und zu einer parlamentarisch-präsidialen Demokratie zurückzukehren schien dann im Jahr 2014 logisch. Dadurch wurde aber ein weiterer einflussreicher Player geboren.

Der Krieg wirkte sich stark auf die Teilung der Kräfte im Land aus. Die Minister für die Sicherheitsstrukturen (Innen- und Verteidigungsminister) wurden zu sehr wichtigen Personen. Während der Verteidigungsminister und der Vorsitzende des SBU (Geheimdienst der Ukraine) dem Präsidenten unterstellt und aus seinem Umkreis kamen, hat sich der Innenminister zu einem eigenständigen Player entwickelt.

Arsen Awakow, der direkt nach dem Maidan in das Ministerium kam, beharrte auf seinen Positionen und konnte diese sogar noch verstärken. In den fünf Jahren wurde er zu einer dritten Einflussmacht in der Ukraine. Neben dem Präsidenten und dem Premier hatte seitdem auch der Innenminister einen Einfluss auf das Parlament, die Entscheidungen der Regierung sowie auf die Lage auf den Straßen. Er hielt sich auch nach dem Ausscheiden Arsenij Jazenjuks („Volksfront“) aus der Regierung, trotz Angriffen vonseiten Poroschenkos sowie zahlreichen Skandalen, mit denen seine Leute in Zusammenhang stehen. Es schien, als ob er nach der Bildung der neuen Rada seine Position verlieren würde. Aber das trat nicht ein, trotz der geringen Anzahl von Vertrauten in der Rada.

Um an der Macht zu bleiben und seinen Einfluss zu sichern, wurde Awakow schon Anfang des Jahres aktiv, als er während des Präsidentschaftswahlkampfes eine klare Anti-Poroschenko-Position vertrat. Mithilfe seiner Sprecher verbreitete er die Theorie des „Garanten sicherer Wahlen“. Und aufgrund der Tatsache, dass die Wahlen im Großen und Ganzen ohne gröbere Vorkommnisse über die Bühne gingen, glaubten viele daran. Wobei hier nicht so sehr das Garantieren von Sicherheit, als das Ausbleiben von Provokationen vonseiten der Gruppierungen, die dem Ministerium unterstellt sind, eine Rolle spielen. Im letzten halben Jahr haben wir fast überhaupt nichts vom Nationalen Korpus und anderen Gruppen gehört.

Direkt nach dem Sieg Selenskyjs sprach Ihor Kolomojskyj davon, dass er zusammen mit Awakow Selenskyj unterstützt und seinen Sieg begünstigt hat. Die Leute Awakows befanden sich schon lange im Umfeld Selenskyjs und haben bereits Posten, unter anderem in der Regierung und den Parlamentsausschüssen, bekommen. Aber dem Innenminister war dies, um seinen Posten zu sichern, zu wenig.

Awakow begann, seinen Einfluss zu demonstrieren. Zunächst holte er die Nationalgarde, die direkt ihm untersteht, auf die Straßen der ukrainischen Städte. Trotz der Diskussionen um die Frage, ob dieser Schritt rechtens ist, unterstützte die Mehrheit diese Vorgehensweise und die Gesellschaft trug faktisch die Vorgehensweise des Ministers.

Ein weiteres Indiz (für die Stellung Awakows) sind die Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag. Bis dahin sprachen die Unterstützer Poroschenkos immer davon, dass sich Selenskyj vor Paraden fürchte, da ihm die Streitkräfte den Kriegsgruß verweigern würden. Während der Feierlichkeiten agierten die Soldaten aber nach Plan und erwiesen dem Präsidenten den Kriegsgruß. Ganz anders die Nationalgarde: sie zeigte sich undiszipliniert und erwies den Gruß entweder gar nicht oder nicht nach Vorschrift. Awakow zeigte so seinen Einfluss auf die Nationalgarde.

Die Tatsache, dass Selenskyj Awakow im Amt belassen hat, ist eine Anzeichen für Unsicherheit beim Präsidenten und zeugt davon, dass dieser sich gefährdet fühlt. Sein Team hat Angst davor, dass der Nationalkorpus, im Falle einer Absetzung des Ministers, auf die Straßen ziehen und es Probleme mit der Nationalgarde und der Polizei geben könnte, so dass ihnen niemand Herr werden kann. Deswegen entschied man sich dafür, den Einfluss Awakows schrittweise zurückzudrängen und das „Monster“ der von ihm geschaffenen Sicherheitsstrukturen aufzuteilen.

Die Protestaktion „Awakow ist ein Teufel“ [am 28. August 2019, vor dem Präsidialbüro – Anm. d. Ü.] hatte keinerlei Einfluss auf den Präsidenten, denn das Lager der mit dem Minister Unzufriedenen erreichte keine kritische Größe. An ihm haben lediglich Journalisten und Aktivisten etwas auszusetzen – sonst eigentlich niemand. Es bestand also kein Risiko, dass im Falle einer Beibehaltung Awakows die Massen auf die Straßen ziehen würden.

Aber was hatte das Team des Präsidenten vor? Es ist alles recht simpel: einen Gesetzesvorschlag in der Rada einzureichen, wonach die Nationalgarde künftig nicht mehr dem Innenminister, sondern wieder einzig dem Präsidenten unterstellt wäre.

Die Nationalgarde wird häufig gering geschätzt und ihre Verdienste im Krieg im Donbass finden nicht ausreichend Anerkennung. Bei großangelegten Militäroperationen, der Zerstörung feindlicher Kampfpositionen oder Befreiungen von Städten war die Nationalgarde nicht von allzu großem Nutzen. Aber was das Patrouillieren von Straßen, die Kontrolle von Städten oder Straßenkämpfe angeht, so hat die Nationalgarde sehr effektive Arbeit geleitet. Deshalb kann man sie nicht wirklich mit der Armee vergleichen, denn jede Einheit hat ihre Aufgabe. Und alle haben diese zufriedenstellend erfüllt. Die Nationalgarde umfasst beinahe 50.000 Soldaten und im Falle, dass das Gesetz angenommen wird, würde Awakow eine seiner wichtigsten Einflusssphären verlieren. Denn sollten Straßenaktionen durch den Nationalkorpus geplant sein, könnte der Präsident die Nationalgarde dazu verwenden, die Situation unter Kontrolle zu bringen.

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Hier spielen vor allem die Parteien „Stimme“ und „Europäische Solidarität“ eine große Rolle. Der erste Tag der neuen Rada zeigte, dass Kolomojskyj und Awakow rund fünfzig Abgeordnete haben, die so eine Initiative nicht unterstützen. Und die Fähigkeit Awakows, sich abzusprechen, könnte dazu führen, dass „Diener des Volkes“ [Sluha narodu, die Partei von Präsident Wolodymyr Selenskyj, A.d.R.] nicht ausreichend Stimmen erreichen für eine Annahme des Gesetzes bekommt. Mit der Hilfe von „Stimme“ [Holos, die Partei des Rockbarden Swjatoslaw Wakartschuk, A.d.R.] und „Europäische Solidarität“ [Jewropejska Solidarnist, die Partei von Ex-Präsident Petro Poroschenko, A.d.R.] könnten sie das machen.

Der von Selenskyj eingeschlagene Weg entspricht nicht den Erwartungen der aktiven Teile der Gesellschaft, aber er ist sicherer für ihn. Der Präsident ist sich des Sieges sicher, obwohl ihm das kurzfristig in seinem Rating schaden könnte. Awakow hingegen, obwohl er weiterhin Minister bleibt, würde seinen Einfluss verlieren und aus der Politik scheiden. Das sind also situative Gewinne, die entweder niemanden von den beiden etwas nützen könnten oder einen der beiden maximal stark und einflussreich machen könnte.

2. September 2019 // Stanislaw Besuschko

Quelle: Zaxid.net

Übersetzer:   Lukas Joura — Wörter: 1015

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