Jurij Luzenko: Ich verteidige mich mit dem wenigen, was mir geblieben ist
Ex-Innenminister Jurij Luzenko, der vor kurzem mit der Ambulanz aus dem Lukjanow-Untersuchungsgefängnis in ein Kiewer Krankenhaus verlegt wurde, meint, dass sein dreiwöchiger Hungerstreik von der Regierung nicht unbemerkt blieb, die seiner Überzeugung nach, indem sie ihn in Haft behält, Rechnungen mit ihm begleicht. Dies berichtete er in einem Interview mit dem Korrespondenten des „Kommersant-Ukraine“. Luzenko erzählte ebenfalls, dass er sich nach der Entlassung aus dem Untersuchungsgefängnis nicht zur Kur ins Ausland begeben wird.
„Erzählen Sie von den Umständen Ihrer Überführung mit der Ambulanz aus dem Untersuchungsgefängnis ins Krankenhaus. Wie ging das vor sich? Warum wählten Sie als Protestform den Hungerstreik und haben Sie gedacht, dass dieser so lange dauern wird?
„In der letzten Gerichtssitzung (am 21. April verlängerte das Petschersker Bezirksgericht von Kiew die Untersuchungshaft für Jurij Luzenko bis zum 26. Mai) verkündete ich als Zeichen des Protests gegen die ungesetzliche Entscheidung einen Hungerstreik, worüber der Pressedienst der ‚Nationalen Selbstverteidigung‘ die Presse informierte. Vom 22. bis zum 30. April hat die Generalstaatsanwaltschaft dies bemüht nicht bemerkt. Ihre Position war die folgende: es gibt keinen Hungerstreik, denn es fehlt die Meldung der Verwaltung des Untersuchungsgefängnisses, obgleich keinerlei Gesetze eine solche Meldung vorsehen. Mit der Zeit wurde die Ignorierung der Vorgänge schwieriger für sie. Am 30. April bestätigten meine Zellengenossen protokollarisch die Tatsache meines Hungerstreiks. Ein Wiegen zeigte, dass ich 14 kg verloren hatte, derzeit habe ich 19,5 kg Gewicht verloren, doch die Hauptsache ist, dass die Untersuchung das Vorhandensein von Aceton im Blut zeigte. Danach verkündete die Verwaltung mir ihre Entscheidung über die Zwangsernährung mit ??„einer Mischung für Hungernde“, die für die Herausführung des Acetons aus dem Organismus bestimmt ist. All dies hat sich drei Tage gezogen und diese Tage verbreitete die Generalstaatsanwaltschaft die Meldung, dass ich Wurst, Piroshki und eine bemerkenswerte Kalorienmischung esse. Auf diese zynische Spötterei und Lüge antwortete ich mit der Verweigerung von Mischungen, Tropfen und anderem. Am Ende überführte man mich am 8. Mai in den medizinischen Teil, führte mehrere Beratungen durch. Der Zustand verschlechterte sich. Am 10. Mai, am 19. Tag des Hungerstreiks, wurde ich mit einer Ambulanz in ein Krankenhaus gebracht. Umringt von zehn maskierten Spezialpolizisten und weiteren zwei Dutzend auf den Korridoren und dem Umkreis des Krankenhaus untersuchte mich ein Amtsarzt und schickte mich in ein Krankenzimmer. In diesem Raum, mit Gittern an den Fenstern und Türen, wo sich rund um die Uhr vier Milizionäre stehen, befinde ich mich.“??
„Wie ist Ihr Gesundheitszustand jetzt? Was haben die Ärzte festgestellt?“
„Unter der Beobachtung der gleichen Spezialpolizei durchlaufe ich die Untersuchungen. Es gibt dadurch einen Vorteil: ich muss für die Prozedur nicht in der Schlange stehen. (Lacht.) Ich halte mich nicht für Stalin oder Breshnew, um in Zeitungen ein Communique über den Zustand meiner Gesundheit zu veröffentlichen. Es gibt Probleme, doch, dank den Ärzten, ist alles unter Kontrolle. Tropfe werden bis tief in die Nacht gestellt.“
„Kehren wir zu der letzten Gerichtssitzung zurück. Waren Sie am 21. April überzeugt davon, dass Sie frei gelassen werden?“
„Nein, ich habe das Ergebnis gekannt. Tatsächlich schloss ich zu 2% nicht aus, dass am christlichen Feiertag des Gründonnerstags ein Wunder geschieht. Vergeblich. In einem Land, in dem der leibliche Bruder des Generalstaatsanwalts im Obersten Gericht die Strafprozesse leitet und sich alle Richter unter dem Damoklesschwert bewegen, welches sich in den Händen der Präsidialadministration und des Obersten Justizrates befindet, gibt es keine Wunder. Übrigens habe ich das Gerichtsurteil selbst bis heute, nach 22 Tagen, nicht erhalten.“
„Offiziell hat das Gericht Ihnen die Haft auf der Grundlage verlängert, dass die Verteidiger sich mit Ihrer Angelegenheit nicht vertraut gemacht haben. Haben diese sich jetzt mit den Materialien vertraut gemacht?“
„Meine Verteidigung hat vor langer Zeit auf das Recht sich mit den Materialien des Strafverfahrens vertraut zu machen verzichtet und hat sofort an den Generalstaatsanwalt Wiktor Pschonka ein Gesuch zur Änderung des Arrests in eine Meldeauflage gesandt, da absolut alle, sogar die erdachten, Gründe für meine Zellenhaft erschöpft sind. Das Ergebnis war Schweigen. Sie sandten sogar ein Schreiben an den Präsidenten als Garanten der Verfassung, der Bürgerrechte. Die Antwort ist die gleiche.“
„Was denken Sie: erinnern sich viele daran, warum Sie sich im Untersuchungsgefängnis befinden und wessen Sie beschuldigt werden?“
„Natürlich nicht. Doch denke ich, dass die Mehrheit begreift, dass unabhängig von den formalen Details der Grund in der politischen Abrechnung Janukowitschs mit einem Opponenten liegt.“
„Ihren Zustand nach dem Verlassen des Untersuchungsgefängnisses berücksichtigend, wann es auch immer geschieht: Planen Sie sich zur Kur ins Ausland zu begeben?“
„Nein, ich plane es nicht.“
„Vorher hatten Sie im Interview mit dem „Kommersant-Ukraine“ (Ausgabe vom 14. Februar) davon geredet, dass die Strafsache gegen Sie eine politische ist und Sie „unfähig zu Einigungen mit der Regierung sind“. Hat sich in Ihrer Bewertung der Situation nichts geändert? Möglicherweise sind Sie bereit die Staatsangestellten zu benennen, die hinter Ihrer „Einlochung“ stehen? Beispielsweise ist Vizepremier Boris Kolesnikow nicht böse auf Sie. Und Sie auf ihn?“
„Ich neige nicht zur Diskussion meiner Beziehung zu Beleidigten in der Presse. Eine Rehabilitierung von Führern von Killerbrigaden, Mördern, Organisatoren von Drogenhandel und Dieben über die Generalstaatsanwaltschaft – bemerkenswert ist die Unterschrift des direkten Vorgesetzten meiner Ermittler – könnte eine zu umfangreiche Korrespondenz mit dem von ihnen ungeliebten Ex-Innenminister schaffen.“
„Meinen Sie nicht, dass Ihr Hungerstreik unbemerkt von der Regierung geblieben ist, vollständig von ihr ignoriert wurde und ihr einziges Resultat eine Verschlechterung Ihrer Gesundheit ist? Scheint es Ihnen nicht so, dass die Regierung unempfänglich gegenüber derartigen Protestformen ist?“
„Mir scheint es nicht so. Ich meine, dass irgendjemand seit Langem die Unzulässigkeit der Verlängerung der totalitären Praxis einer Festnahme von unverurteilten Personen, die keine soziale Gefahr darstellen, melden sollte. Die ukrainische Gesetzgebung sieht solche Formen der Einschränkung wie einer Kaution, einer Meldeauflage, einer Bürgschaft vor. Warum wird das nicht genutzt? Warum sitzen im Lukjanower Untersuchungsgefängnis in Erwartung des Gerichts jahrelang Wirtschaftsverbrechen beschuldigte Familienväter, die drei Kinder haben? Warum werden ihre Wohnungen nicht beschlagnahmt und als Sicherheit genommen, keine Meldeauflage verhängt, so dass sie ruhig auf das Gerichtsurteil warten können? Meine Antwort darauf: denn die vom Gericht unterstützte Entscheidung des Staatsanwalts über die Haft ist das Pfand einer gegenseitigen Haftung und eines Schuldspruches.“
„Hinter all dem stehen solch banale Dinge, wie der Plan für die Ermittler und die Staatsanwaltschaft und die Kontrollziffern, die Prozente zum Vorjahr, die von der ‚Effektivität‘ der Arbeit zeugen. Diese repressive Maschine ist bequem, doch widernatürlich in der modernen Welt. Die Rede geht nicht nur von politischen Häftlingen, sondern auch von Dutzenden von gewöhnlichen, vielleicht auch von gestrauchelten Menschen. Ich rufe ernsthaft dazu auf nicht nur von der politisch motivierten Festnahme Luzenkos in einer Zelle für Lebenslängliche zu reden – in der Nachbarzelle sitzt übrigens ein Mensch, der des Mordes an zwei Milizionären beschuldigt wird -, sondern auch vom Willkürsystem der Generalstaatsanwaltschaft im Ganzen. Ich merke an, dass ich davon nicht nur einmal sprach, als ich Innenminister war, doch damals nannte man es ‚Behördenkonflikt‘. Ich rede, soweit ich kann, auch jetzt davon.“
„In einem Ihrer Briefe nach draußen schrieben Sie: ‚Ich bin bereit meine Rechte und die höheren Werte mit dem Leben zu verfechten‘. Wozu? Im schlimmsten Fall, wenn dieser Preis erforderlich wird, dann brauchen Sie diese Rechte nicht mehr.“
??„Ich bin einverstanden damit, dass diese Phrase hinreichend pathetisch ist. Doch im Allgemeinen spiegelt sie meinen Zustand wider. Urteilen Sie selbst: man nimmt mich für die Wahrnehmung meiner verfassungsmäßigen Rechte meine Schuld nicht anzuerkennen, keine Angaben zu machen, meine Meinung in der Presse zu vertreten fest. Dieses den Geist Berijas heraufbeschwörende Papier der Generalstaatsanwaltschaft (über die Verlängerung der Haft) wurde ohne Verlegenheit vom Petschersker und dem Berufungsgericht viermal verlängert. Das heißt vor mir liegt eine analoge Komödie mit der Perspektive eines Freiheitsentzuges von zehn Jahren. Ich soll dafür mein Leben und meine Gesundheit bewahren, dabei den Glauben an Rechtssprechung und Gesetzlichkeit darstellen? Leider funktionieren rechtliche Argumente in der heutigen Ukraine nicht. Daher verteidige ich mich mit dem wenigen, was mir geblieben ist. Natürlich weist das alles auf einen Stierkampf mit ungewissen Ausgang hin. Doch für mich es besser, als der pflichtbewusste Gang zur Schlachtung im örtlichen Fleischkombinat.
Das Interview führte Walerij Kalnysch
Quelle: Kommersant-Ukraine