Kampf um die Sprache
Präsident Janukowitsch gefällt sich offenbar in der Rolle des sprichwörtlichen Elefantens im Porzellanladen.
Nachdem er sich über die vaterländische Geschichte und den außenpolitischen Vektor hergemacht hat, wendet er sich nun dem krankhaften Sprachproblem zu. Und so kochen die linguistischen Leidenschaften wieder einmal allseits über: In der Presse bespricht man lebendig die Versprechungen des Präsidenten und das skandalöse Projekt eines neuen Sprachgesetzes.
Irgendjemand unterstützt Janukowitsch bedingungslos, welcher der russischen Sprache „einen gebührenden Platz im Leben unserer Gesellschaft“ zuspricht; andere empören sich und sprechen von einer geplanten Ausrottung des Ukrainischen.
Der Autor dieser Zeilen zählt sich zu den nicht pflichtbewussten Bürgern, die der Sprache keine sakrale Bedeutung zusprechen. Wenn der eine Gesprächspartner Russisch und der andere Ukrainisch spricht, sie einander dabei aber hervorragend verstehen, wo liegt dann das Problem?
Allerdings ist die Sprache für viele Ukrainer deutlich mehr als nur ein Kommunikationsmittel.
Es ist eine Frage des Prestiges, des imperialen Stolzes oder der nationalistischen Ehre. Und wenn dabei die fremden Ambitionen gestreift werden, bleibt nichts Gutes zu erwarten.
Seit Neuestem beginnt man bei uns, die balancierende Politik Leonid Danilowitschs zu loben, der sich als weiser als beide Viktors herausstellte. So wollen wir also mit dieser neumodischen Tradition nicht brechen.
Anfang der 2000er schien es, als wäre unser de facto zweisprachiges Land zu einer sprachlichen Parität gekommen. Den staatlichen Status des Ukrainischen kompensierte man durch das Übergewicht an russischsprachigen Fernsehproduktionen und umgekehrt.
Die Unzufriedenheit der Radikalen auf beiden Seiten hat noch einmal gezeigt, dass man einen Kompromiss erreichen muss. In dieser Situation war es äußerst wichtig, ruckartige Bewegungen zu vermeiden und das Schiff nicht ins Wanken zu bringen.
Keinerlei skandalöse Ministerialdirektiven, keine neuen Quoten und Begrenzungen, keine offiziellen und regionalen Status! Nur so konnte man die Sprachfrage von der Tagesordnung nehmen.
Indes, die Geschichte kennt keinen Konjunktiv: Die linguistische Kiste der Pandora wurde geöffnet und dies geschah schon weit vor dem Sieg Janukowitschs.
Der Wunsch der ukrainischsprachigen Bürger nach einer Weiterentwicklung und Popularisierung ihrer Sprache ist absolut natürlich – die Frage ist nur mit welchen Methoden. Nach der orangenen Revolution entstand eine elementare Mode der ukrainischen Sprache, verständige und unaufdringliche Maßnahmen erlaubten eine Steigerung ihrer Konkurrenzfähigkeit.
Aber die Machthaber sind es nicht gewohnt, delikate Instrumente zu benutzen, wenn sie unter der Hand einen erfahrenen Vorschlaghammer sowjetischer Prägung haben.
Viktor Andrejewitsch und Co. legten den Akzent auf die administrative Einführung der ukrainischen Sprache in die Massen und das war ein verhängnisvoller Fehler.
Die orangenen Reformer provozierten nicht nur ein Aufplätschern der Ukrainophobie im Südosten und spielten der Partei der Regionen einen unbezahlbaren Trumpf zu. Ohne dies selbst zu wollen, schoben sie das Ukrainische in die Rolle des hilflosen Invaliden, der an die administrativen Krücken gebunden ist.
Und heute schlägt Präsident Janukowitsch diese Krücken ganz unzeremoniell zur Seite, mit allen sich daraus ergebenden Folgen.
Die Bosse der Partei der Regionen pfeifen scheinbar auf ihre ukrainischsprachigen Mitbürger. Die überzeugten Russophilen und radikalen, ukrainischen Nationalisten sind in ihrem Unwillen, auf die Interessen des jeweiligen Nachbarn Rücksicht zu nehmen, geeint. Aber die jetzigen Machthaber genießen einen gewichtigen Vorteil gegenüber ihren Opponenten: Sie handeln nach den Gesetzen des Marktes.
Janukowitsch und seine Leute haben nicht vor, die Nutzung der ukrainischen Sprache administrativ zu begrenzen – es ist ausreichend, ihr die prioritäre, staatliche Unterstützung zu entziehen. Nun ja, die linguistischen Initiativen der Partei der Regionen mögen heuchlerisch wirken, aber Fakt bleibt Fakt: Die Regionalen schlagen die freie Sprachwahl in der Bildung, der Rechtssprechung, dem Filmverleih, der Reklame usw. vor.
Und das Wort „entscheiden“ klingt angenehmer als das Wort „verpflichten“. So ist nun mal die menschliche Natur.
Und so nehmen die Lobbyisten des Großen und Mächtigen a priori eine gewinnende Position ein. Die Marktlogik ist auf ihrer Seite, eine harte, zynische, erbarmungslose, aber immer einwandfrei funktionierende Logik.
Was können ihr die Ukraino-Enthusiasten entgegenstellen? Traditionelle Klagelieder und kraftlose Verwünschungen? Ein verschämtes Eingeständnis über die Konkurrenzunfähigkeit der Muttersprache? Die Erinnerung an das Walujewskij Rundschreiben oder den Emser Ukas? Ich bitte Sie, das einundzwanzigste Jahrhundert ist angebrochen…
Einstweilen bauen die Verteidiger des ukrainischen Wortes ausschließlich auf staatliche Regulierung, sie sind zum Verlieren verurteilt. Das ist die grausame Wirklichkeit, die man erkennen muss.
Sie wollen die Sprache von Schewtschenko und Stus wirklich erfolgreich und entwickelt sehen? Dann müssen Sie der Wahrheit ins Auge sehen und sich neue Herangehensweisen überlegen.
Die brennenden Anhänger der russischen Sprache rufen keine großen Sympathien hervor: Unter ihnen sind nicht wenige, offene Chauvinisten, die dem verhassten Ukrainer mit Missachtung begegnen.
Aber was man den vaterländischen Russophilen keineswegs zur Last legen kann, ist eine bloße Simulation der Liebe zum Großen und Mächtigen. Sie kämpfen für die russische Sprache, weil sie wirklich danach dürsten, sie zu benutzen. Ihre Opponenten hingegen können von sich nicht immer das gleiche behaupten.
Sollten die neuen Machthaber die administrativen Barrieren beseitigen, welche die ukrainische Sprache schützen, so wird diese in den westlichen Landesteilen erfolgreich überleben, dank Millionen von natürlichen Sprachträgern.
Die zentralen Metropolen erweisen sich als schwaches Glied, das ein gemeinsprachliches Bild abgibt – vor allem die Hauptstadt Kiew. Die dortigen Bewohner bleiben vorwiegend russischsprachig, obwohl viele von ihnen mit beiden Händen die Politik der Ukrainisierung unterstützt haben, weil sie darin ihre patriotische Pflicht sahen und heiliger als der Papst sein wollten.
Das Phänomen der russischsprachigen, ukrainischen Nationalisten könnte so manchen verwundern, jedoch kennt die Geschichte nicht wenige, analoge Beispiele.
Es genügt, sich des Teilhabers einer Textilfabrik, Friedrich Engels zu erinnern, der sein ganzes Leben mit dem kapitalistischen System gekämpft hat.
In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts begeisterte sich die europäische Jugend aus ehrwürdigen, bourgeoisen Familien in Massen für linke Ideale, beeilten sich dabei aber nicht, auf Papas Rente zu verzichten oder einfache Arbeitskleidung zu tragen. Weil das Schuften an der Werkbank im Namen der Klassensolidarität langweilig und ermüdend war. Die Treffen unter der roten Fahne hingegen galten als angenehm und „cool“.
Auf die ukrainische Sprache übergehen, wenn sie nicht deine Muttersprache ist; sie mit seinem hart erarbeiteten Geld unterstützen, indem man regelmäßig die neueste Ausgabe des „Ukrajinskyj Tyschden“ kauft, das alles ist doch langweilig und anstrengend. Dafür ist es angenehm und „cool“, in Internetforen russischsprachige Posts zur Unterstützung einer forcierten Ukrainisierung zu hinterlassen. Denn das ist doch der Kampf für die gemeinsame Sache!
Auf diese Weise ist für einen bedeutenden Teil der aktiven, städtischen Bevölkerung der Kampf für die ukrainische Sprache wichtiger geworden als die Sprache selbst.
Wie spiegelt sich diese Dissonanz nun in der Praxis wider? Die russischsprachigen Anhänger der nationalen Idee können die Sprachpolitik der letzten Jahre verteidigen und den Russifikator Janukowitsch anklagen, aber sie sind nicht in der Lage, die mündliche, schriftliche und elektronische Nachfrage nach der ukrainischen Sprache zu steigern.
Denn dem Markt sind Ihre ideellen Ansichten vollkommen gleichgültig: Ihm ist wichtig, welche Sprache Sie im Alltagsverkehr benutzen, in welcher Sprache Sie sich an einen Verkäufer, Kellner oder Bankangestellten wenden, ob sie die ukrainische Ausgabe abonniert haben, ob sie Bücher von Oxana Sabuschko oder CD’s ukrainischer Künstler kaufen.
Man kann wohl sich selbst betrügen, aber niemals den Markt. Er kommt den Leuten entgegen, die ein natürliches Verlangen nach ihrer Muttersprache haben. Wenn Ihnen die Sprache allerdings nur als ideologischer Fetisch dient, verzeihen Sie…
Wie hart die staatliche Politik auch sein mag, die Elementarkräfte nehmen sich unverändert ihren Teil. Normative Dokumente ersetzen niemals die realen Anforderungen einer Sprache und keine Tricks der Machthaber können eine Sprache auslöschen, wenn die Leute sie wirklich brauchen.
Wahrscheinlich sollten darüber sowohl die übereifrigen Russophilen, als auch die flammenden Kämpfer für die ukrainische Sprache nachdenken.
01.06.2010 // Michail Dubinjanskij
Quelle: Ukrainskaja Prawda