Keinen Schritt zurück: Deutschland als treibende Kraft hinter den Sanktionen gegen Russland
Deutschland, das als Hochburg der prorussischen Lobby im Westen galt, hat sich nun für einen anderen Weg entschieden. Trotz der möglichen Einbußen für die heimische Wirtschaft wird das Land Sanktionen gegen Russland mittragen, solange es keinen anderen politischen Weg einschlägt.
Der Leitartikel der liberalen deutschen Zeitung Welt am Sonntag machte letzte Woche durch seinen Titel „Der Zar, das Gas und der deutsche Freund“ auf sich aufmerksam. Die Zeitung berichtete über die Geschichte der Freundschaft zwischen zwei ehemaligen Agenten des sowjetischen und des deutschen Geheimdienstes – dem Russen Wladimir Putin, dem heutigen Präsidenten der Russischen Föderation, und dem Deutschen Matthias Warnig. Letzterer ist heute Geschäftsführer der Nord Stream AG und gehört dem Aufsichtsrat zahlreicher russischer Staatsunternehmen an. Durch seine Verbindungen leistet dieser Mann seit knapp 20 Jahren einen wichtigen Beitrag zum Ausbau der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen.
Freilich ist es nicht leicht, den konkreten Beitrag Warnigs in diesem Prozess zu nennen. Seine Geschichte sagt allerdings einiges über die deutsch-russischen Beziehungen aus, denn zwischen beiden Ländern lässt sich vieles auf private Kontakte zurückführen, darunter nicht nur die Wirtschaft.
Die Geschichte der deutsch-russischen Partnerschaft und die Begeisterung der Deutschen für Russland reichen weit in die Vergangenheit zurück, in die Regierungszeit des Zaren Peter I. und der Zarin Katharina II. Man munkelt sogar, dass ein Gemälde Katharinas II. im Arbeitszimmer der deutschen Kanzlerin Angela Merkel hängt. Thomas Mann schrieb in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ über die Seelenverwandtschaft zwischen Deutschen und Russen, denn beide Völker widersetzten sich aus seiner Sicht dem überheblichen westlichen Imperialismus.
Die spätere deutsche Ostpolitik der 1970er Jahre, mit der man eine Annäherung zwischen BRD und DDR anstrebte, verwandelte sich in den 1990er Jahren in eine Politik der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland. Da zu den Grundsätzen dieser Zusammenarbeit auch der „Wandel durch Handel“ zählte, wurden immer mehr deutsche Unternehmen auf dem russischen Markt aktiv. Mittlerweile sind es mehr als 6.000. Die Sanktionen der EU und der USA gegen Russland werden auf jeden Fall Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Aktivitäten dieser Unternehmen haben. Trotzdem erklärte Eckhard Cordes, Vorsitzender des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, gleich nach dem Absturz von Flug MH17, aber noch vor der Verhängung der dritten Stufe der Sanktionen, deutsche Unternehmen würden die Einführung von Zwangsmaßnahmen gegen Wladimir Putin unterstützen – ein weiterer Beweis dafür, dass demokratische Werte und Sicherheit für Europäer und insbesondere für Deutsche von großer Bedeutung sind. Daran lässt sich auch erkennen, dass die deutsche Regierung – allen voran die Kanzlerin – in diesem Anliegen eine harte Haltung eingenommen hat. Die deutsche Industrie ordnet sich ihr dabei unter. Bereits nach der Verhängung der Sanktionen betonte Cordes noch einmal, dass dieses Vorgehen nicht nur die russische Volkswirtschaft treffen würde, sondern auch die EU und vor allem Deutschland, wo fast 25.000 Menschen infolge der Sanktionen ihren Arbeitsplatz verlieren könnten, negative Konsequenzen haben dürfte. Aus diesem Grund müsse Russland diese Maßnahmen als ein klares Signal wahrnehmen.
„Wir können nicht so tun, als ob wir nur noch eine Wirtschaftsunion wären. Wir sind eine politische Union und müssen alles Mögliche unternehmen, um den Frieden auf diesem Kontinent zu wahren“, so Sigmar Gabriel (SPD), Bundesminister für Wirtschaft und Energie. Später fügte er hinzu, dass die deutsche Regierung die Genehmigung für den Bau eines Gefechtsübungszentrums durch das Unternehmen Rheinmetall in Russland widerrufen werde.
Fabian Burkhardt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Münchener Geschwister-Scholl-Institut, sieht in dieser Entscheidung ein Zeichen dafür, dass das Land bereit ist, über die letzte Stufe der Sanktionen hinauszugehen. Angela Merkel nehme in Bezug auf Russland eine strenge Haltung ein: laut dem Wall Street Journal haben Merkel und Putin seit dem Beginn der Ukraine-Krise bereits 30-mal miteinander telefoniert. Nach dem Absturz des malaysischen Flugzeugs soll die Bundeskanzlerin jedoch erst drei Tage später ein Telefonat mit dem russischen Präsidenten geführt und ihm dabei mitgeteilt haben, er möge sie erst dann wieder anrufen, wenn er beweisen könne, dass er dem Konflikt ein Ende setzen könne und wenn er ernsthaft von einer weiteren Unterstützung der Terroristen absehe. Die deutsch-russischen Beziehungen hätten ihren point of no return jedoch noch nicht erreicht, so Burkhardt. Auf das Mittel des Dialogs könne erneut zurückgegriffen werden. Zu den entschiedenen Befürwortern dieser Haltung gehört auch Gernot Erler, Koordinator der deutschen Regierung für Russland.
Was steht für Deutschland auf dem Spiel?
Russland ist elftwichtigster Abnehmer deutscher Exporte (hinter Belgien, Polen, der Schweiz und Österreich), bei den deutschen Importen belegt es Rang sieben. 2013 kaufte Russland Waren im Wert von 36 Milliarden US-Dollar in Deutschland ein, was nur drei Prozent der deutschen Gesamtausfuhren ausmacht. Dies scheint nicht besonders viel zu sein. In Wirklichkeit können Sanktionen jedoch einzelne Unternehmen sehr stark treffen, ohne dabei die gesamte deutsche Volkswirtschaft umfangreich in Mitleidenschaft zu ziehen. Laut Bundesstatistikamt sind knapp zehn Prozent der deutschen Exportunternehmen für den Verkauf ihrer Erzeugnisse auf den russischen Markt angewiesen. Fast 73 Prozent dieser Unternehmen erwirtschaften mehr als ein Viertel des Umsatzes in Russland. Gerade für solche Unternehmen dürften die Sanktionen schmerzhafte Einbußen zur Folge haben.
Wenn sich die russische Konjunktur, die bereits zuvor ins Stocken geraten war, weiterhin verschlechtert, kann sich das auch negativ auf Deutschland auswirken. Schätzungen der FAZ-Experten zufolge kann Deutschland die Beschränkung der deutschen Exporte nach Russland recht gut verkraften. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat nachgerechnet, dass Sanktionen im schlimmsten Fall einen Rückgang des deutschen BIP um 16,4 Milliarden Euro zur Folge haben könnten (2013 betrug das deutsche BIP 2.735,8 Milliarden Euro, womit das BIP in einem solchen Fall lediglich um 0,59 Prozent schrumpfen würde) – allerdings nur falls deutsche Ausfuhren nach Russland komplett eingestellt würden. Viele Experten gehen allerdings davon aus, dass sich deutsche Unternehmen nach neuen Absatzmärkten umschauen werden, sollte es zu einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland kommen.
Politische Lehre auf Ukrainisch
Laut Ralf Fücks, Politiker der Grünen, empfinde Deutschland der Ukraine gegenüber anders als gegenüber Russland keine historische Bringschuld. Dabei spiele auch die Begeisterung für Russland, die in der deutschen Kultur und der politischen Geschichte fest verankert sei, eine gewisse Rolle: „Die Vorstellung von der Seelenverwandtschaft der Deutschen und Russen, die darin zum Ausdruck kommt, dass sich beide dem kapitalistischen Modernismus widersetzen“. Gerade dieses Gefühl ist einer der Gründe dafür, dass der Ton zwischen Russland und Deutschland nur langsam rauer wird – früher oder später werden sich jedoch auch hier die Fronten deutlich stärker verhärten. Das abgeschossene Flugzeug ist nur ein weiterer Anlass dafür. Gerade die Krise in der Ukraine hat Deutschland offenbar dabei geholfen, zu begreifen, wie stark sich die Weltanschauungen Deutschlands und Russlands mittlerweile unterscheiden. Der deutsche Pazifismus – aufgrund dessen die Bemühungen um einen Dialog sowohl für Bundeskanzlerin Merkel als auch für Außenminister Steinmeier so wichtig sind – scheitert an der russischen Propaganda und dem russischen Militarismus. Das haben nun sowohl die Kanzlerin als auch der Außenminister begriffen – im Unterschied zu vielen Deutschen, die auf die Propaganda prorussischer Medien in Deutschland hereinfallen. Die große russische Diaspora trägt ihr übriges dazu bei.
„Sanktionen allein sind noch keine Politik“, betont Steinmeier. Er versteht wie kein anderer, dass ein neuer Ansatz in den Beziehungen zu Russland nicht nur für Deutschland, sondern auch für die gesamte EU erforderlich ist. Während seiner ersten Amtszeit als Außenminister versuchte sich Steinmeier an einer neuen Politik der Zusammenarbeit mit Russland, um Russland noch näher an die EU heranzuführen. Aufgrund der Ereignisse in der Ukraine scheint er nun begriffen zu haben, dass er sich geirrt hat. Wie die neue Russlandpolitik aussehen wird, ist allerdings noch unklar. In seinem jüngsten Interview weist er darauf hin, dass ohne Moskaus Zutun eine politische Lösung des Ukraine-Konflikts kaum oder schwer möglich sein werde. Das ist durchaus richtig; offen bleibt allerdings die Frage: Ist denn eine politische Lösung der Ukraine-Krise unter den jetzigen Bedingungen und angesichts der russischen Haltung überhaupt noch möglich? Wie sollten in diesem Fall politische Maßnahmen im Allgemeinen und Sanktionen im Besonderen aussehen?
„Die Untersuchung der Sanktionen zeigt, dass sich so nicht immer die erwünschte Wirkung einstellt, aber es ist sehr wichtig, den Druck aufrechtzuerhalten und verstärkt so vorzugehen“, so Burkhardt. Er fügt hinzu, dass die letzte Stufe der Sanktionen so angepasst worden sei, dass Raum für noch schärfere Sanktionen bleibe. Laut offiziellen Angaben sollen die Sanktionen alle drei Monate überprüft werden. „Hier scheint ein doppeltes Ziel verfolgt zu werden: einerseits die russischen Handelsinteressen treffen, andererseits eine langfristige russische Energiestrategie verhindern“, so Burkhardt. Außer acht bleibe aber die Ukrainepolitik der EU im Allgemeinen sowie die deutsche Ukrainepolitik im Besonderen, so der Experte. Auch wenn die Sanktionen die gesetzten Ziele erreichen und die russische Haltung sich zugunsten einer Deeskalation verändern sollten, bleibe die schwierige Lage im Osten der Ukraine unverändert. Laut Burkhardt benötige die Ukraine umfassende Unterstützung, um wirtschaftliche Schwierigkeiten zu überwinden. Durch eine Fokussierung auf den Wiederaufbau einer wirtschaftlich starken Ukraine könnte die EU-Ostpolitik bzw. die deutsche Ostpolitik um ein Kapitel erweitert werden. Gerade dies würde neue Möglichkeiten für deutsche Geschäftsleute in Osteuropa schaffen und die Ukraine zu einem zuverlässigen Vorposten der Alten Welt machen.
8. August 2014 // Olha Woroshbyt
Quelle: Ukrajinskyj Tyshden