Das ständige Zurückblicken Deutschlands und Frankreichs in Richtung Kreml ist die Folge eines tiefen historischen Traumas.
Paris und Berlin, die wichtigsten Hauptstädte modernen Europas, sind der Ukraine gegenüber sehr skeptisch eingestellt. Als Antwort auf direkte Fragen über EU-Perspektiven der Ukraine zucken sie immer mit den Schultern: „Es ist nicht an der Zeit“, „nehmt, was angeboten wird“, „wir sind noch nicht bereit“.
All das ereignet sich auf dem Hintergrund sehr spezifischer Beziehungen zum Kreml. Es sind Beziehungen vorsichtigen Zurückschauens und vorsichtiger Freundschaft. Man versucht um jeden Preis, Streitigkeiten zu vermeiden. Chirac verleiht Putin den Orden der französischen Ehrenlegion; Sarkozy zeigt Verständnis für die russische Invasion in Georgien; Altbundeskanzler Schröder ist bei „Gazprom“ beschäftigt; russophiles Verhalten von Merkel und Steinmeier und prorussische Statements von Gernot Erler, dem neuen Chef der deutschen Ostpolitik – das sind nur einige Symptome.
Berlin und Paris erlauben sich keine politischen Handlungen bezüglich der Ukraine, ohne vorher auf Moskau zurückzuschauen, nach dem Motto „Bloß nichts falsch machen“.
Woher kommt diese merkwürdige und unerschütterliche Freundlichkeit, die das moderne Deutschland und Frankreich gegenüber Russland oder genauer gesagt, gegenüber dem Kreml an den Tag legen? Wie können wir diese Stereotype überwinden?
***
Fangen wir mit Deutschland an. Klar, gibt es wirtschaftliche und sicherheitsbedingte Gründe: Russland hat Gas und Atomwaffen. Was dazu veranlasst, sich vor Moskau zu fürchten. Aber es gibt auch noch einen Grund, verborgen in den Tiefen des kollektiven Gedächtnisses.
Die ganzen Bemühungen in Nachkriegsdeutschland waren auf die Befriedung mit ehemaligen Feinden gerichtet. Totale Entnazifizierung und Pazifisierung war an der Tagesordnung, an allen Fronten. Alle wichtigsten Feinde der Deutschen aus dem ХХ. Jahrhundert – Frankreich, Großbritannien, die USA, Italien, Polen – mussten Freunde werden. Das war so eine besondere Sühne und Bemühung, alle Schrecken der Vergangenheit zu beseitigen.
Ende des ХХ. Jahrhunderts war diese Aufgabe erfüllt. Nur Russland gegenüber nicht. Russland blieb einer der ehemaligen Feinde, mit dem es nach wie vor Probleme gibt. Der Frieden mit ihm ist immer noch in der Schwebe.
Deutsche haben immer noch Angst davor, Frieden mit dem Kreml zu schließen, Augen zuzumachen, drei Kreuze zu schlagen und sich davon zu überzeugen, dass alles nun Vergangenheit ist – diese Lösung schwebt ihnen als die beste vor: wenn Frieden mit Moskau herrscht, heißt es, dass die Entnazifizierung abgeschlossen und Hitler endgültig besiegt ist.
Dabei vergessen sie aber, dass sie den Krieg nicht nur gegen Russland führten, sondern gegen Ukrainer, Weißrussen, Georgier, Kasachen und unendlich viele andere Völker. Hier, bei uns, auf dem ukrainischen Boden ging es in dem Krieg noch schrecklicher zu, als auf dem russischen Boden. Timothy Snyder, der Autor von „Bloodlands“, wusste, worüber er schrieb.
Deshalb darf eine Freundschaft zwischen Deutschland und der Ukraine oder Deutschland und Weißrussland nicht minder wichtig sein, als die Freundschaft zwischen Deutschland und Russland. Aber genau diese wichtige moralische Herausforderung muss es auch geben.
Alles sieht jedoch ganz anders aus: den Deutschen kommt es vor, dass Russland, und zwar ausschließlich Russland ihr moralisches Problem ist, dass Russland als Nachfolgestaat der UdSSR den ganzen Schmerz Osteuropas monopolisiert hat.
Auf diese Weise, mit Bestrebung, endgültig alle Rechnungen mit der eigenen Nazivergangenheit zu begleichen, ebnen die Deutschen den Weg für den Terror aus dem Kreml.
***
Die französische Russophilie hat andere Wurzeln. Sie hat Bezug zu zwei Sachen.
Als erstes wäre da das für Frankreich traditionelle Misstrauen dem Liberalismus gegenüber zu erwähnen, dem Liberalismus, der sich in Großbritannien und vor allem in den USA verbreitete.
Der französische intellektuelle Liberalismus erstarrte ungefähr Mitte des ХІХ. Jahrhunderts, er assoziierte sich mit der Julimonarchie (1830-1848), was als französischer „Stillstand“, eine Art Hybrid aus der Restauration und Revolution verstanden werden kann.
Danach fand der Kampf hauptsächlich zwischen Reich und Republik statt. Für beide Gesellschaftsformen spielten aber liberale Menschenrechte bei weitem eine viel kleinere Rolle als die Größe des Staates. Sogar die Republikaner der Dritten Republik (1870-1940) sind schwer als Liberale zu bezeichnen. Für sie waren Ziele des republikanischen Staates als Kollektivkörper viel wichtiger als Rechte einzelner Individuen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg schuf dieses Misstrauen eine Grundlage für eine eigenartige Einstellung zu Amerika und Großbritannien. Die Franzosen waren wie ein Art ungezogenes Kind der „kapitalistischen“ Welt: formal blieben sie in den Grenzen dieser Welt, in der Tat flirteten sie aber wieder mit den Gegnern, insbesondere mit der Sowjetunion. Die Russophilie und Sowjetophilie im Nachkriegsfrankreich sind zum größten Teil mit dem Misstrauen gegenüber dem amerikanischen Liberalismus verbunden.
Der zweite Grund ist eher psychologisch. Im Laufe der 1950er – 1960er Jahre war die Sowjetunion für die Linken, die damals in der französischen intellektuellen Szene dominierten, eine unantastbare Autorität, ja sogar eine Art Messias. Die UdSSR ähnelt für sie einem großen Beschützer, der ihr Opfer auferstehen ließ.
Die französische kommunistische Partei nannte sich „die Partei der 75.000 Erschossenen“; sowjetische Kommunisten, dank ihrem Sieg über Hitler, schienen auf eine rätselhafte Weise die Erschießung der restlichen zu verhindern.
Deswegen hat Stalingrad eine sehr wichtige Bedeutung für Franzosen: die Schlacht, die die Wende im Zweiten Weltkrieg kennzeichnete, ist für die französische Resistance und für die neue französischen Republik ein Symbol für das „Ende der Erschießungen“.
Eigentlich eben darin besteht der große Zwiespalt zwischen dem französischen Gedächtnis und dem ukrainischen Gedächtnis. Für das französische Gedächtnis ist die Sowjetunion die Rettung der „Partei der Erschossenen“, das Ende der Erschießungen. Für das ukrainische Gedächtnis ist die UdSSR „die erschossene Renaissance“ und der Anfang der Erschießungen. Und die waren schrecklicher und massenhafter, als französische Erschießungen.
***
Französisch-deutsche Stereotype haben ihre eigene Chronologie und ihre eigene Geschichte. Diese Stereotype dürfen humanistische Wurzeln haben, sie sind heute aber bereits abgestorben. Sie ähneln den Mumien der längst verstorbenen Anführer.
Man kann die deutsche Leidenschaft zur Befriedung mit Feinden verstehen. Das neue Deutschland ist nur dadurch möglich geworden, dass das alte Deutschland verneint wurde: das Deutschland der Großreiche, das aggressive und kriegerische Land. Aber die Zeit der alten Strategie ist um. Die Fortsetzung der Taktik der Befriedung mit dem Kreml bedeutet Wasser auf die Mühlen des totalitären Kremls und eine Refaschisierung Europas anstelle deren Entfaschisierung.
Man kann die komplizierte Geschichte des französischen Liberalismus verstehen und das Trauma der „75.000 Erschossenen“. Aber das Kreml-Russland ist schon längst kein Beschützer der französischen Resistance mehr. Genauso wenig stellt es eine Alternative zum amerikanischen Liberalismus dar. Russland verhindert keine Aggression, es provoziert dazu. Russland bietet kein einziges alternatives gesellschaftspolitisches Modell, es fertigt nur Trugbilder aus den alten Modellen.
Es ist möglich, dass die Ereignisse in der Ukraine diese Stereotype allmählich in die Vergangenheit befördern werden – in Geschichtslehrbücher und Museen kollektiven Gedächtnisses. Schnell absterben werden sie aber nicht, und sogar nach ihrem Ende werden sie zurückkehren, wie Geister des faschistisch-nazistischen Wahnsinns bis jetzt zurückkehren.
Also lasst uns auf Illusionen verzichten: der ganze Kampf steht noch bevor.
3. Februar 2014 // Wolodymyr Jermolenko, Philosoph und Publizist.
Quelle: Espresso.tv
Forumsdiskussionen
Bernd D-UA in MDR • Re: Ukraine: Trotz Krieg Touristen
„Hallo liebe Forengemeinde und Mitleser, ich bin gerade auf einem Kurztripp durch die Ukraine. Es ist wunderschön wieder hier zu sein. Es fehlen die Touristen, gestern habe ich einen persönlichen und...“
Bernd D-UA in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Kurzer Bericht, hab dann doch den Wachwechsel erwischt, bei den Polen ging dann bestimmt 45 Minuten gar nix. Und dann wurde in zwei Schüben eingelassen, ich finde, dann ging es in einem guten Tempo voran....“
Bernd D-UA in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Bin jetzt da, 10 PKW vor mir, das ist akzeptabel, ist ja auch der 1.Mai. Bin zufrieden mit der Situation. @Frank Fahre immer noch ein schwarzes Auto... kennst doch meine Erfahrung mit der Polizei in UA...Kaffeebraun...“
Frank in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Probier doch einfach. Wenn der offen ist doch alles ok. Bin da glaube mal zurück drüber gefahren. War dann nur eine ewige Kurverei bis zur A4. Bin da aber eh erstmal bis Krakau. Kann natürlich auch...“
Bernd D-UA in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Schade, dass es keine Info´s zu Zosin gibt, wer aber noch was weiß, bitte schreiben, ich fahre jetzt in 30 Minuten los und kann immer noch in ca. 10h bei einem Stopp nochmals nachlesen. Google Maps schickt...“
Bernd D-UA in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Diesen Grenzübergang hatte ich schon auf dem Schirm, kenne ihn nur noch nicht. Kann jemand noch etwas zu Zosin sagen, wäre ja auch machbar oder lieber nicht? Vielen Dank Bernhard.“
bernhard1945 in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Hallo Bernd Es hängt etwas davon ab, wohin Du in Ukraine fahren möchtest. So wie es scheint möchtest Du (wie ich normalerweise) in Richtung Kiew fahren. Ich benütze deshalb seit Jahren den Übergang...“
Bernd D-UA in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Ergänzend, möchte nach Luzk fahren, ist ja sicherlich nicht uninteressant für einen Ratschlag.“
Bernd D-UA in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Möchte morgen über Nacht in die Ukraine fahren und plane die Ankunft an der Grenze sehr früh am Morgen. Fahre entweder über Polen oder ggf. über Tschechien, je nachdem was google maps empfiehlt. Normalerweise...“
Ahrens in Recht, Visa und Dokumente • Re: Visa D14
„Das ist ein simples D-Visum, wie man es auch in Deutschland für die Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung braucht. Man benötigt dazu keine Mindestaufenthaltszeit. Auch bei der Aufenthaltserlaubnis...“
JohannesTim in Berichte und Reisetipps • Mit dem Zug in die Ukraine
„Zunächst möchte ich sagen, daß die PKP für die Sitzplatzzüge, die zum Beispiel von Kattowitz bis nach Przemysl fahren, die Preise nicht erhöht hat. Allgemein gilt die Polnische Staatsbahn eher als...“
MHG1023 in Berichte und Reisetipps • Re: Mit dem Zug in die Ukraine
„"Warum verlangt die PKP von den Fahrgästen solch einen Preis ?" - Weil sie es können ... Die Nachfrage dürfte weiter hoch sein und weil es keine vergleichbaren Alternativen gibt (Buslinien über Nacht...“
JohannesTim in Berichte und Reisetipps • Re: Mit dem Zug in die Ukraine
„Die Polnische Staatseisenbahn PKP Intercity S.A. erhöhte für den Schlafwagen-Zug D 68 am 1. Februar 2025 die Fahrpreise um + 38 Prozent. : Vom Warschauer Ostbahnhof fährt abends um 17.49 Uhr der Schlafwagen-Zug...“
HelloMick in Hilfe und Rat • Brauchen Hilfe bei Diia Registrierung
„Hallo. Meine Ex-Frau ist schon über 22 Jahre in Deutschland. Jetzt benötigt sie einen Termin für das Konsulat. Aber es werden nur Termine über Diia vergeben. Kann uns jemand erklären wie das genau...“
Trick in Recht, Visa und Dokumente • Visa D14
„Hallo..... Ich benötige nochmals euer Schwarmwissen.... Bin seit Dezember letzten Jahres in der Ukraine verheiratet worden Jetzt meine Frage.....ich habe auf der Seite der ukrainischen Botschaft einen...“