Die Methadon-Sackgasse
Folgen der Krim-Annexion: Drogenabhängige, die derzeit mit Methadon behandelt werden, bekommen die Härte des russischen Gesetzes zu spüren.
Auf der von Russland annektierten Krim nehmen aktuell mehr als 800 Drogenabhängige an einem Methadon-Substitutionsprogramm teil, das in der Ukraine erlaubt, in Russland aber verboten ist. Ihr Schicksal entscheidet sich dieser Tage – zum 30. April wird das Programm auf der Halbinsel endgültig eingestellt. Etwa 100 Drogenabhängige sollen nach St. Petersburg verlegt werden, doch die russische Stadt scheint nicht bereit zu sein, sie aufzunehmen.
Nach Angaben von Jewgeni Brjuna, Leitender Narkologe der Russischen Föderation, nehmen auf der Krim aktuell 803 Drogenabhängige an einem Methadon- und BUP-Substitutionsprogramm teil, das die negativen Folgen ihrer Heroinabhängigkeit lindern soll – 200 davon in Simferopol und 134 in Sewastopol. Nach der Annexion der Krim ging man zunächst davon aus, dass dieses in Russland verbotene Programm schrittweise bis Ende 2014 eingestellt wird. Doch am 20. März erklärte der Direktor der russischen Drogenaufsichtsbehörde Gosnarkokontrol Wiktor Iwanow, dass Methadon in Russland als illegales Suchtmittel eingestuft ist und das Programm deswegen bis zum 30. April eingestellt werden muss.
Igor Kusmenko aus Simferopol ist einer der Teilnehmer des Programms. Er sagt, dass schon jetzt klar werde, dass die Methadonvorräte selbst bis zu diesem Datum nicht für alle ausreichen und das Programm kurz vor seinem Scheitern steht:
„Da es keine Möglichkeit mehr gibt, die Substitutionspräparate auf die Krim einzuführen, werden schon jetzt die Dosen verringert. Sie müssen verringert werden. Das wirkt sich bereits spürbar auf das Wohlbefinden der Patienten aus. Die sowieso schon katastrophal geringen Vorräte gehen schnell zur Neige.“
Die neue Regierung der Krim möchte die Teilnehmer des Substitutionsprogramms nach Russland schicken – in russische Kliniken, wo die Drogenabhängigen nach dem staatlich festgelegten Verfahren eine Entgiftung und Rehabilitation durchlaufen können. Igor Kusmenko schließt nicht aus, dass viele der Drogenabhängigen sich für diesen Weg entscheiden:
„Einige werden fahren, andere nicht. Wir versuchen derzeit, eine Statistik zu erstellen, wer fahren möchte. Eins kann ich sagen: Je mehr die Dosen der Substitutionsmittel verringert werden, desto deutlicher wird sich das auf die Meinungen und Entscheidungen der Menschen auswirken – auf die eine oder andere Weise. Manchen sehen in der Substitutionstherapie nur die banale Verteilung von Suchtmitteln an Abhängige, doch in Wahrheit geht es um viel mehr. Die Substitutionstherapie ist eine sorgfältig austarierte Therapie zahlreicher Erkrankungen. Einigen von uns wurden bis zu fünf Diagnosen gestellt. Da ist alles dabei von HIV bis Tuberkulose. Die Therapie ist eine sehr kompliziertes, in sich harmonisches System. Lässt man ein Element etwas aus diesem System weg, bricht das ganze System zusammen. Wir haben sehr kranke Menschen, eine sehr große Anzahl von Invaliden.“
Es gibt einen Plan, 100 von 803 Teilnehmern des Methadonprogramms auf der Krim eine Entgiftung und Rehabilitation in der städtischen Drogenklinik von St. Petersburg zu ermöglichen. Jedenfalls ging ein solcher Vorschlag des Komitees für Gesundheitsschutz der St. Petersburger Regierung bei der Klinik ein. Allerdings kann die Klinik nach Meinung ihres stellvertretenden Chefarztes Wiktor Grigorjew eine solche Menge an Drogenabhängigen gar nicht aufnehmen:
„St. Petersburg eignet sich nicht für die Durchführung eines vollständigen Behandlungskurses, der nicht nur aus der Entgiftung besteht, sondern auch Rehabilitationsmaßnahmen umfasst. Eine solche Behandlung dauert bei uns wie überall sonst in Russland über ein Jahr, und an sie schließt sich eine ambulante Betreuung an. Wir können 20 bis 25 Menschen aufnehmen.“
Können die drogenabhängigen Einwohner der Krim, die nun nicht mehr an dem Methadonprogramm teilnehmen können, in Russland effektiv behandelt werden? Nach Angaben des Stellvertretenden Chefarztes der Städtischen Drogenklinik von St. Petersburg, Wiktor Grigorjew, werden jährlich 3 Prozent aller von den Ärzten beobachteten Drogenabhängigen als vollkommen rehabilitiert eingestuft. Nach Meinung von Maksim Malyschew, Koordinator des Andrei-Rylkin-Fonds für Förderung von Gesundheitsschutz und sozialer Gerechtigkeit, welcher sich für eine humane Suchtpolitik in Russland einsetzt, sind die drogenabhängigen Menschen von der Krim für ihr Schicksal nicht zu beneiden:
„Die überwältigende Mehrheit dieser Leute wird rückfällig werden und wieder illegale Drogen nehmen. Laut Statistik konsumieren trotz der Substitutionstherapie 10 bis 15 Prozent der Teilnehmer auch illegale Drogen. Ganz geschwiegen von der Frage, ob sie Zugang zu den Rehabilitationsmaßnahmen erhalten, die ihnen Wiktor Iwanow von Gosnarkokontrol jetzt verspricht. Selbst in Russland haben drogenabhängige Russen keinen Zugang zu kostenloser, hochwertiger und umfassender Rehabilitation. Ich gehe davon aus, dass die überwiegende Mehrheit dieser 803 Menschen HIV-positiv ist, an Hepatitis C leidet, und dass bestimmt gut hundert von ihnen an Tuberkulose erkrankt sind. Diese Menschen sind jetzt mehr oder weniger dem Tod geweiht.“
Die Methadontherapie wird weltweit vor allem dazu eingesetzt, um die Verbreitung von HIV-Infektionen zu unterbinden. In der Ukraine ist nach WHO-Angaben im Zeitraum von 2002 bis 2013 die Anzahl der HIV-Infizierten um ein Drittel zurückgegangen, was u. a. auch dem Methadonprogramm zu verdanken ist. In Russland, wo Methadon verboten ist, steigt die Anzahl der HIV-infizierten Drogenabhängigen unaufhörlich. Im letzten Jahr wurden allein nach offiziellen Angaben 11 Prozent mehr HIV-infizierte Drogenabhängige erfasst als im Jahre 2012. Von 8 Millionen Drogenabhängigen wären in Russland ca. 1,5 Millionen Heroinabhängige potenzielle Kandidaten für ein Methadonprogramm.
Der bekannte russische Kriminologe Prof. Jakow Gilinski ist davon überzeugt, dass sich die Situation rund um den Drogenmissbrauch in Russland nur durch Zulassung von Methadon- und anderen Substitutionsprogrammen grundlegend ändern lässt:
„Selbstverständlich bin ich ein Anhänger von Methadon- und anderen Substitutionstherapien. Es gibt heute sehr viele solcher Therapien. Ich setze mich schon lange für die Substitutionstherapie ein, doch sie ist in Russland verboten. Ich weiß nicht, was man jetzt mit den Kranken tun soll, die bereits eine Methadontherapie erhalten haben. Aus medizinischer Sicht muss man diese Therapie für diese Menschen fortsetzen. Welchen Ausweg die Regierung aus dieser Situation wählen wird, kann ich nur schwer sagen.“
09. April 2014 // Wiktor Resunkow
Quelle: Krym.Reallii