Die Moderne


„Du wirst einen ganz anderen, neuen Präsidenten hören!“, sagte mir Donnerstag Morgen, einen Tag vor dem Auftritt Janukowitschs im Parlament, im Geheimen ein mir bekannter Regionalabgeordneter und blinzelte mir dabei verschwörerisch zu. Das erinnerte mich an irgendetwas. Ach ja … 1999, Leonid Danilowitsch (Kutschma) und sein berühmtes „Sie werden einen anderen Präsidenten sehen!“

Ein anderer Kutschma, ein neuer Janukowitsch. Aber die Probleme sind immer noch die alten. Das ist nicht meine eigene unbegründete Schlussfolgerung. Das ist das mitleidslose Urteil Viktor Fjodorowitsch selbst, das er am 7. April kühn gefällt hat. „Millionen unserer Leute sind es in den 20 Jahren Unabhängigkeit das Warten auf qualitative Veränderungen wirklich leid…“ Präzisieren wir: Millionen unserer Leute sind in den 20 Jahren Unabhängigkeit gestorben und haben umsonst gewartet. Wie viele werden noch aufhören zu warten?

Hier noch ein paar Zitate aus der jährlichen Botschaft des Garanten an den Obersten Rat. „Unseren Vätern ein würdevolles Alter garantieren und gleichzeitig einen hohen Grad an Sicherheit für die jungen Generationen, unsere Kinder, zu sichern… Der Beruf des Lehrers und Dozenten genießt nach wie vor geringes Ansehen… Das industrielle und wissenschaftliche Potential unseres Landes bleibt inaktiv… Die nationale Wirtschaft bleibt im Wesentlichen ineffektiv und abhängig von der Konjunktur auf den ausländischen Märkten… Das Wichtigste ist das starke menschliche Kapital… Die bürokratisierte Staatsmaschinerie hat unter jeder Regierung überlebt… Die Korruption im Land ist eine systemhafte Erscheinung… Die Korruption ist zu einer unmittelbaren Bedrohung für die konstitutionellen Rechte und Freiheiten der Bürger geworden… In der Praxis die Gerechtigkeit und Hoheit des Gesetzes sicherzustellen… Wir geben den Menschen den Glauben an die Gerechtigkeit des Gesetzes und die Unvermeidbarkeit von Bestrafung zurück…“. Und noch vieles mehr in dieser Richtung. „Der blühende europäische Staat“, den der Sprecher in Aussicht stellte, wurde uns auch schon mehr als einmal versprochen. Alles, was hier angeführt wurde, hätte auch 1995, 2000 oder 2005 gesagt werden können. Von jedem beliebigen Präsidenten, jedem beliebigen Premierminister. Jedem beliebigen Oppositionsführer. Das ist sowieso zu unserer nationalen Tradition geworden: die programmatischen Reden der Staatsführer werden häufig im Stil erbarmungsloser Kämpfer gegen das Regime gehalten. Missstände anzuprangern ist einfacher, als sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Was in unserem Leben nicht stimmt, weiß ohnehin jeder, auch ohne die Offenbarungen des obersten Würdenträgers. Wir würden gerne hören, was denn im letzten Jahr und etwas darüber hinaus schon getan worden ist, um die Situation zu ändern. Aber der Rechenschaftsbericht über das Erreichte fiel weit bescheidener aus.

Worin bestand die Neuheit der Botschaft? Nun, erstens stellen wir mit Genugtuung fest, dass der Wortschatz des Einwohners der Bankovaja um zwei neumodische Wörter bereichert wurde – „cluster“ und „contributor“. Das ist nicht so markant wie die Montesquieu-Zitate in der Ausführung von Leonid Danilowitsch, aber trotzdem beachtenswert.

Zweitens war Viktor Fjodorowitsch entgegen den Erwartungen der Opposition diesmal gnädig gegenüber seinen Vorgängern. Warum? Eine Express-Analyse des Textes der Botschaft erlaubt folgende Vermutung: Der „große Mann“ gewöhnt sich an das Bild vom neuen Messias. In seinem Vortrag teilte er de facto die neueste Geschichte des Landes in zwei Teile: „vor Janukowitsch“ und „zur Zeit Janukowitschs“. „Vor“ (unter Krawtschuk, Kutschma und Juschtschenko/Timoschenko) herrschten Korruption und Stagnation. Jetzt haben wir dagegen die Epoche der Modernisierung. Dieses Wort verwendete der Garant in seiner Rede mehr als einmal, mit besonderem Gefühl und merklicher Befriedigung. Der Redner strahlte die Bereitschaft aus, jede seiner umgesetzten oder noch geplanten Aktionen als Modernisierung einzustufen, hat er doch versprochen, das Land als Ganzes, die Wirtschaft im Speziellen und sogar (warum auch immer) den Kanal „Kultura“ zu modernisieren. Kurz gesagt, ab sofort soll „die Modernisierung des Lebens schon heute“ die Devise der politischen Führung sein. Auch wenn der Prozess der „Verbesserung“ so offensichtlich zum Stillstand gekommen ist.

Die dritte wichtige Besonderheit der entscheidenden Rede war das neue Verfahren, um festzustellen, wer die Schuld an diesem Stillstand trägt. Wie wir schon angemerkt haben, schenkte der Vortragende den Regimegegnern keine Aufmerksamkeit. Wer stand also der „nichtumkehrbaren Modernisierung“ im Weg? „Bei weitem nicht in jeder Hinsicht waren Führung und *Gesellschaft*bereit zu den vorgesehenen Veränderungen“. Das Wort „Führung“ sollte niemanden täuschen. Es handelt sich nicht um einen Akt der Selbstbeschuldigung. Der Sprecher erklärte, dass „wir von den Vorhaben und Plänen für 2010 höchstens ein Drittel umsetzen konnten“, worauf er sich aber sofort mit zorniger Kritik der korrupten Bürokratie zuwandte. Und er *verlangte*von den Rechtsschutzorganen und – Achtung (!) – der Judikative die strikte Einhaltung des Gesetzes, der Ehrlichkeit und so weiter und so weiter. Erlauben wir uns, den Gewährsmann der Verfassung und den Vorkämpfer für „die Sicherung der Oberhoheit des Rechts“ daran zu erinnern, dass das Grundgesetz den Richtern Unabhängigkeit und Unantastbarkeit garantiert, sie sind nichts und niemandem außer dem Gesetz verpflichtet. Und jede Beeinflussung der Richter ist grundsätzlich verboten. Also hat Janukowitsch keinerlei Berechtigung, irgendetwas von den Richtern zu verlangen. Nicht einmal, ehrlich zu sein. Und wenn man annimmt, dass die Richter von der Bankovaja aus gelenkt werden, klingt das nicht nur rechtswidrig, sondern lächerlich.

Übrigens hat der Sprecher nicht erklärt, wo man das umgesetzte Drittel sehen kann. Gut, klar, in einer halben Stunde kann man nicht alles präsentieren. Aber auch die 415 Seiten starke Anlage mit dem symbolträchtigen Titel „Die Modernisierung der Ukraine – unsere strategische Wahl“ bestand vor allem aus zurückhaltenden Klagen, überschwänglichen Versprechen und allen möglichen Tabellen.

Aber darum geht es uns gerade nicht. Selbst Kutschma hat es sich erlaubt, die dreimal verdammten Bürokraten als Reformbremse zu bezeichnen. Aber niemand ist vor Janukowitsch darauf gekommen, die Gesellschaft zu beschuldigen, sich dem Wandel zu widersetzen. Das ist tatsächlich neu. Da fühlt man sich sofort an Asarovs meisterhaften Ausspruch vor kurzem erinnert: „Die erschrockene, desorientierte Gesellschaft hat keine Kraft, um besser zu leben“. Schon schlimm, was für ein Pech die Regierung mit der Gesellschaft hat.

Viktor Fjodorowitsch hat sich auf unfassbare Weise von den Bürgern abgesondert, die ihn gewählt haben. Und auch von den Beamten, die ihn unterstützt haben. Hatte es denn Sinn, ein Jahr darauf zu verwenden, die Machtvertikale in Reih und Glied zu bringen und alle und alles auf sich auszurichten, um dann zuzugeben, dass die berüchtigte Vertikale nicht funktioniert, die Bürokraten alles sabotieren und die zuständigen Organe angesichts dieser Sabotage hilflos sind? Worin besteht dann die vielbeworbene „Modernisierung“ der Verwaltung, von der man so stolz gesprochen hatte?

Man hätte natürlich mit weniger Pathos die eigene Hilflosigkeit quittieren können, aber das ist, wie man sagt, eine Frage des Geschmacks.

Praktisch alle Bereiche des Staatslebens wurden höchster Kritik unterzogen, aber nicht ein einziger hochgestellter Beamter war einer persönlichen Erwähnung wert. Und auch seinen eigenen Anteil an der Verantwortung für die Inkompetenz oder Trägheit der von ihm persönlich ausgewählten Kader hat der Ankläger kein einziges Mal erwähnt. Es ist alles wie in dem alten sowjetischen Witz. Wo einer ist, da ist er d’Artagnan. Und alle anderen sind „die Ziegenböcke, die einen im Leben stören“.

Und ein Letztes: Ein Großteil der Rede des glücklosen Modernisators war den drei wichtigsten „Entwicklungsressourcen“ gewidmet, die das Komitee für wirtschaftliche Reformen festgestellt hat.

Erstens: die Deregulierung, die Stimulierung unternehmerischer Initiative, die Entwicklung kleiner und mittelständischer Unternehmen. Wie effektiv diese Ressource genutzt wird, muss die Zukunft zeigen. Die Gegenwart hat gezeigt, dass die ersten Versuche zu „stimulieren“ und zu „entwickeln“ zu einem massenhaften Niedergang kleiner und mittelständiger Unternehmen geführt haben. Und weiter zum steilen Anstieg der Preise für die Dienstleistungen zur „schnellen und reibungslosen Unternehmenseröffnung“. Da habt ihr Deregulierung und Kampf gegen Korruption in einem „сluster“.

Die zweite Ressource, die Janukowitsch angeführt hat, ist die Beschleunigung des Privatisierungsprozesses. Die dritte ist die Abschaffung des Moratoriums für den Landverkauf und die Einführung des Bodenmarktes.

Mit anderen Worten sind zwei der drei wichtigsten Reformbeschleuniger der Verkauf und Weiterverkauf dessen, was noch nicht „erschlossen“ wurde. Vielleicht hält Viktor Janukowitsch das auch für Modernisierung. Aber meiner Meinung nach ist das eher eine Beitragszahlung. Wenn die Gesellschaft schon „keine Kraft“ hat, „besser zu leben“, soll sie ruhig weiter an den Sieger zahlen…

8. April 2011 // Sergej Rachmanin

Quelle: Serkalo Nedeli

Übersetzerin:    — Wörter: 1304

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