Modernisierung durch Krieg und ein neuer Gesellschaftsvertrag



Krieg heißt ganz klar Mord, Leiden, Verstümmelungen und unglaubliche Zerstörungen. Es gibt aber auch keinen Zweifel, dass Krieg die vorher etablierten Regeln außer Kraft setzt, die dem Strom nicht gefielen, aber schnell übergehen zu neuen Qualitäten der gesellschaftlichen Beziehungen.

Der Erste Weltkrieg hat nicht nur große Imperien zerstört und einzelnen Nationen ermöglicht, sich in unabhängigen National-Staaten zu organisieren, sondern auch von Monarchien Republiken überzugehen. Er ermöglichte einzelnen sozialen Klassen, nicht nur Einfluss auf politische Prozesse zu erhalten, sondern in vielen Fällen auch das Volk als einzige Quelle der Regierungsgewalt auszurufen. Über die Qualität dieser Regierungen und insbesondere die Exzesse bei deren Organisierung (gemeint ist die Diktatur des Proletariats und die faschistische korporative Ordnung) kann man lange und sinnvoll debattieren. Tatsache bleibt aber, die Massen haben die politische Weltbühne betreten.

H2. Krieg, Revolution, Diktatur des Proletariats und die Herrschaft der Nation (Naziokratie)

Jemand hat dies „Der Aufstand der Massen“ genannt, jemand proletarische oder nationale Revolution, alle Varianten aber zeigen, dass am weltpolitischen Horizont ein neuer mächtiger Spieler aufgetaucht ist. Und dieser Spieler hat begonnen, seine neue, nicht auf aristokratischer Herkunft oder der Vollmacht enormen Kapitals sich gründende Elite zu schaffen. Genau deshalb haben die Ukrainer, als sie im Kampf um ihren Nationalstaat verloren hatten, unerwartet die Chance erhalten, eine neue National-Elite aufzubauen. Und obgleich die Bedingungen ausgesprochen ungünstig waren, waren die 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts eine außerordentlich wichtige Periode für die Bildung der modernen ukrainischen Nation.

In der Zwischenkriegszeit lebten die Ukrainer verteilt in verschiedenen Staaten, nur einer von ihnen behielt die formalen Züge eines ukrainischen. Und obwohl durch die Politik der Kollektivierung, der Industrialisierung und insbesondere der kulturellen Revolution in der UdSSR beinahe nichts Ukrainisches übrigblieb, so war dies doch formal eine ukrainische Republik. In dieser Quasi-Republik bildete sich eine neue ukrainische Regierungsgewalt, selbst wenn sie dem Geiste nach sowjetisch und dem Inhalt nach kommunistisch war. Die Ukrainische Sowjetische Volksrepublik war so sehr von Moskau abhängig, dass man bis zum Tod Stalins nicht von einem „ukrainischen Charakter“ dieser Republik sprechen kann.

Die ukrainische Bewegung im Zwischenkriegs-Polen erfuhr furchtbare Restriktionen und Bedrängungen durch polnischen Nationalisten. Als Ergebnis verloren die legalen, liberal-zentristischen Kräfte stetig an Einfluss, und ihren Platz nahmen zunehmend öfter junge radikale Nationalisten ein. Das waren junge Leute, die zwanghaft an die Kraft einer nationalen Revolution glaubten und eine revolutionäre Freiwilligenbewegung für die einzige Methode zum Weg auf einen unabhängigen Staat hielten. Von den Bolschewiken unterschied sie nur dies, dass sie nicht das Proletariat für die Antriebskraft der Revolution hielten, sondern die Nation. Hierbei verstanden sie „Nation“ wesentlich als ein ethnisches Produkt, und daher sollte anstelle der Diktatur des Proletariats die Errichtung einer nationalen Diktatur stehen.

Alle diejenigen, die die voluntaristischen Ideen Dmytro Donzows nicht teilten, hielten die Nationalisten für Renegaten, (käuflich) und Kollaborateure mit dem Feind. Ihnen war die Tatsache, dass während der sogenannten Diktatur des Proletariats Millionen Menschen gestorben waren, egal. Aus Gründen der ephemeren nationalen Revolution waren junge radikalen Nationalisten bereit, „selbst mit dem Teufel“ einen Pakt zu schließen und Millionen Opfer auf den Altar dieser Revolution zu legen. Das Engagement für die Ideen des revolutionären (nationalen) Terrors führte diese jungen Leute nicht nur auf den Weg individueller Morde, sondern schüchterte auch friedliche Bürger der eigenen Nationalität ein.

Die radikalen Nationalisten wollten sogar nicht darüber nachdenken, was passieren würde, wenn es gelänge, alle Ukrainer zur nationalen Revolution zu motivieren (denn wenn nicht alle, dann hätte das jeglichen Sinn verloren) und eine ukrainische Diktatur zu errichten. Das einzige, was die Ukrainer zur nationalen Revolution motivieren konnte, waren die unerträglichen Lebensbedingungen. Deshalb arbeitete die OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten) unter der Losung „Je schlimmer, desto besser“. Mit ihrem Terror gegen hohe polnische Beamte und ihre ukrainischen „Diener“, Brandstiftungen, Exzessen in Schulen und Gymnasien versuchten die Mitglieder der Organisation bewusst Repressionen der polnischen Regierung gegen die Ukrainer zu provozieren und das Leben der letzteren unerträglich zu machen. Glücklicherweise hat die polnische Regierung sofort auf diese Herausforderungen „reagiert“ und die „Pazifikationen“ durchgeführt, verbot [die nationalistische Pfadfinderorganisation] „Plast“ und schränkte ihre Bürger ukrainischer Herkunft in ihren Rechten ein.

Militärisches Schwanken und tragisches Ende

Der Zweite Weltkrieg kam für niemand überraschend. Auf ihn bereitete man sich vor und auf ihn hoffte man. Die Sowjetunion hoffte, die Fahne der proletarischen Revolution bis zum Ärmelkanal zu tragen, also ganz Europa zu erobern, und dort die kommunistische Diktatur zu errichten. Das deutsche Dritte Reich wollte ebenfalls die Grenzen seines „Lebensraumes“ ausweiten und die national-sozialistische Diktatur vom Ärmelkanal bis zum Ural errichten. Bei diesem Morden gingen im ersten Falle ganze Klassen zugrunde, im zweiten ganze Völker. Für die Westukrainer, sowohl die, die die nationale Diktatur herbeisehnten, als auch die, die vom Kommunismus enttäuscht waren, schien Nazi-Deutschland der engste Verbündete zu sein. Vor der völligen Katastrophe und Schmach bewahrte sie nur dies, dass die deutschen Nationalsozialisten in den ukrainischen Kollaborateuren überhaupt keine Verbündeten sahen. In den deutschen Plänen gab es nicht einmal einen Platz für eine operettenhafte ukrainische Staatlichkeit, wie dies im Fall der Slowaken und Kroaten war. Diese Tatsache ernüchterte schnell die jungen Tollköpfe und veranlasste sie dazu, mit den Besetzern höchstens pragmatisch zusammenzuarbeiten. Ukrainer wurden Regierungsbeamte, Bürgermeister und andere Entscheidungsträger in der Besatzungsverwaltung, genau damit versuchten sie, das Leben ihrer Mitbürger zu erleichtern. Außerdem muss man, um bis zum Schluss aufrichtig zu sein, erneut anerkennen, dass auch diese Weise der Zusammenarbeit Ukrainern eine gewisse Klasse von Verwaltung- und Militärführern verschaffte.

Aber auch hier muss man betonen, dass es den Ukrainern mit diesen „Kadern“ nicht gelang, etwas zu erreichen. Mehr noch, da sie sowjetische Repressionen fürchteten, hat die Mehrheit von denen, die auch nur irgendwie an der deutschen Besatzungsregierung teilgenommen haben, das Territorium der Ukraine verlassen. Zurecht oder zu Unrecht haben diese Leute versucht, gemeinsam mit der zurückweichenden Wehrmacht und damit auf diesem langen Weg sich in die USA, Kanada und Australien niederzulassen. Diejenigen, die den Kampf gegen die sowjetische Besetzung fortsetzten und in den Reihen der UPA (Ukrainische Aufstandsarmee) waren, hatten keine große Wahl. Sie konnten entweder vor der Sowjetmacht aufgeben und jahrzehntelang ihre Schuld in sibirischen Lagern abzahlen, oder aber den Kampf fortsetzen und sich selbst zum Tod verurteilen. Die sowjetischen Massen-Repressionen gegen die ukrainische Widerstandsbewegung, und nicht nur gegen direkte Teilnehmer, sondern auch gegen ihre Verwandten, „säuberte“ den Raum vom national-bewussten Element so sehr, dass man beginnen konnte, mit einer neuen „historischen Gemeinschaft“, dem sowjetischen Ukrainer zu experimentieren. Deshalb, weil von der ukrainischen Elite der Vorkriegs- und Kriegszeit in der besetzten Westukraine fast niemand übriggeblieben war.

Sowjetisch nach dem Geist, kommunistisch nach dem Inhalt

Der zweite Einmarsch der Sowjetmacht in der Westukraine wurde bereits nicht mehr als Ankunft eigener Leute wahrgenommen. Wenn im Jahr 1939 die soziale Basis derer, die die Ankunft der Sowjetmacht begrüßten, sehr breit war, so hatte sie sich 1944 deutlich verringert. Es gab Hinweise auf sowjetische Repressionen und bittere Armut. Obgleich es unter denen, die kamen, um das Sowjetregime zu etablieren, viele Ostukrainer gab, ebenso Bewaffnete mit schlimmen Erfahrungen von Krieg und Besatzung, gelang keine nationale Verbrüderung.

Es ist schwer zu sagen, was den Keil zwischen die Ukrainer getrieben hat, aber es gab keine Solidarität zwischen den Ankommenden und den Ortsansässigen. Vielleicht war die sowjetische Propaganda der Grund, die ständig den Akzent auf die Kollaboration der Westukrainer mit den Nazis legte, an die Bataillone „Roland“, „Nachtigall“, die Hilfspolizei und die SS-Division „Galizien“ erinnerte. Vielleicht kamen der ukrainische bewaffnete Widerstand gegen die sowjetische Herrschaft und Terrorakte gegen die Parteiaktivisten, die sich ausbreiteten bis unter die Lehrer, die aus der Ukrainischen Sowjetrepublik gekommen waren. Aber Tatsache bleibt, dass der Kampf, der von 1944 bis 1950 gedauert hat, alle Elemente eines Bürgerkrieges hatte.

Der Einmarsch der Sowjetmacht in der Westukraine machte sich nicht nur durch massive Repressionen gegen die Ukrainer bemerkbar, sondern durch einen neuen Schritt einer, wenn auch künstlich-nachgemachten, Ukrainisierung. Universitäten, Institute, Schulen wurden Ukrainisch. Der Krieg hatte dieses Gebiet fast monoethnisch gemacht, weil die Nazis fast die gesamte jüdische Bevölkerung getötet hatten, die Polen „säuberte“ schließlich die Sowjetmacht durch Deportationen, an ihrer Stelle kamen sowjetische Bürger und die lokale ukrainische Bevölkerung.

Bei all diesen Entwicklungen scheinen die Prozesse der Bildung einer neuen sowjetischen Elite und der Urbanisierung der ortsansässigen Bevölkerung am interessantesten. Die Sowjetmacht versäumte es nicht, ein enges Sieb mit kleinen Deckeln für die Laufbahnentwicklung der örtlichen Ukrainer zu errichten. Ein solches Sieb war eine Frage im Fragebogen, die man unbedingt beantworten musste: Waren Sie im besetzten Territorium, nahmen Sie (oder Verwandte) an nationalistischen Banden teil, gibt es Verwandte im Ausland. Eine positive Antwort auf nur eine der Fragen bildete ein ernsthaftes Hindernis für die kleinste Karriere. Deshalb haben die ortsansässigen Ukrainer in den ersten Nachkriegsjahren überhaupt keine Führungspositionen eingenommen.

Der große Durchbruch fand statt, als nach dem Krieg die jungen Knaben und Mädchen demobilisiert wurden, die seit 1944 in den Reihen der Roten Armee gekämpft hatten. Diese jungen Leute erhielten eine Art Schuldenerlass seitens der Sowjetmacht für ihre schlechte Herkunft und bevölkerten massenhaft die Reihen der Studenten. Innerhalb von zehn Jahren produzierten die sowjetischen Universitäten und Institute aus der Zahl der Ortsansässigen eine neue nationale Elite. Klar, dass diejenigen, die eine wirkliche Karriere machen wollte, ihre Heimatorte verlassen und in irgendeine große Stadt gehen mussten, damit der Familienfluch „Westler“ nicht das Leben des jungen begabten Menschen vergiftete.

Verständlich, dass die Sowjetmacht niemals eine neue ukrainische National-Elite bilden wollte. Kosmopolitisch ja, national nein. Aber die Geschichte hat mit ihr einen grausamen Streich gespielt: Unter dem Deckmantel des Sowjetpatriotismus bildete sich erfolgreich eine vollwertige Struktur einer modernen ukrainischen Nation. Eine Antwort auf die Frage, warum das geschehen ist, liegt in der traditionellen Haltung der Ukrainer gegen jegliche Autorität.

Die Parallelwelten der ukrainischen Wirklichkeit

Seit Jahrhunderten, unabhängig vom politischen Klima und staatlicher Ordnung, waren die Ukrainer gewöhnt, sich von der Macht zu distanzieren. Unabhängig von der Anzahl ihrer eigenen Leute in der Regierung blieb sie im Allgemeinen immer fremd. Wenn die Macht aber fremd ist, dann ist es irgendwie nötig, zu leben und zu überleben. Deshalb entstanden spontan parallele Milieus, aber nur auf Ebene der Bürger. Die Rolle der Bürger zur Zeit des Zaren ist schwer zu überschätzen. Tatsächlich war dies eine Selbstregierung in einem absolutistischen Staat. Diese Gemeinschaften verstanden sich immer als Gesprächspartner mit der Macht, und setzten fort, nach ihren eigenen ungeschriebenen Gesetzen zu leben. Was sein kann, was nicht, und was die Leute sagen, formte auf seine Weise ein System ukrainischer Vorherbestimmung.

Sogar in der konstitutionellen Österreichisch-Ungarischen Monarchie, in der die Ukrainer viele Rechte und Freiheiten besaßen, hörten sie nicht auf, ihre zum Staat parallelen bürgerlichen Strukturen aufzubauen. Hiervon allein zeugt die Wissenschaftliche Schewtschenko-Gesellschaft! Tatsächlich ist es mit vereinten Kräften den Galiziern und den Ukrainern diesseits des Dnipro gelungen, auf bürgerlicher Grundlage eine nationale Akademie der Wissenschaften zu errichten. Genossenschafts-Kassen für wechselseitige Unterstützung, Dorf-Kooperativen, gemeinsame Feldbewirtschaftung und viele andere Bürgerinitiativen verwandelten jede Gemeinde in eine beinahe selbständige Einheit. Praktisch haben dort, wo die Ukrainer keinen Einfluss auf die staatlichen Organe hatten, sie ihre bürgerlichen Entsprechungen geschaffen. So bildeten sich Elemente einer Zivilgesellschaft, gegen die die staatlichen Macht-Organe zurecht nichts ausrichten konnten.

Ein Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg funktionierte der sowjetische Parteiapparat in der Westukraine, auch wenn er zu einem guten Teil aus der lokalen Leuten gebildet wurde, als parallele Wirklichkeit. Die ortsansässigen Ukrainer konnten wie auch früher nur auf sich selbst zählen. Hierher kam auch der Wunsch, sein eigenes Haus und Hof zu bauen, und die Zukunft der eigenen Kinder zu sichern. Hierher rührt anscheinend auch das Phänomen klienteler Beziehungen, aber in der Praxis erlaubten sie es, den früheren Bauern in Städten, an Universitäten und in Unternehmen Wurzeln zu fassen.

Die tägliche sozialen Kommunikation erfolgte unter ständiger öffentlicher Kontrolle. Die Aufteilung des Staatseigentums wurde als beinahe legal aufgefasst (denn die Macht war fremd und feindlich), der Diebstahl aber von Privateigentum wurde völlig verurteilt. Selbst Mitglieder der Kommunistischen Partei, Führungsgestalten, wenn sie aus dem gleichen Ort waren, hörten nicht auf in zwei parallelen Welten zu leben. Die Kinder wurden weiterhin getauft, Verstorbenen lasen die Priester die Totenmessen und man lehnte es auch nicht ab, religiöse Feiertage zu feiern. An den Universitäten unterrichtete man eine kastrierte Sowjetgeschichte, in den Familienerzählungen dagegen funktionierte eine sogar beträchtlich mythologisierte aber nationale Geschichte.

Dieser Parallelismus wurde auch nach der Verkündigung der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 beibehalten, da die alten Funktionäre fast vollständig an der Macht blieben. Der formale Wechsel der Elite hatte auch im Westen der Ukraine einen bedeutenden qualitativen Wechsel zur Folge, da die einen Sowjetmenschen die anderen ersetzten. Aus verständlichen Gründen hat eine radikale Auswechslung der alten kommunistischen Elite noch deshalb nicht stattgefunden, weil es niemanden gab, mit dem sie auswechseln konnte. Darüber hinaus existierten zwischen den verschiedenen Regionen der Ukraine so unterschiedliche Sichten der Zukunft, das es früher oder später in einem großen Konflikt enden musste. Vor allem, wenn zu allem noch die äußeren Einflüsse kamen.

H2. Die Revolution der Würde. Zivilgesellschaft gegen das autoritär-kleptokratische Regime

Es schien, dass die Krim, der Osten und der Süden die größte Gewähr dafür sind, dass die Ukraine nie ihren „sowjetischen“ Kern verlieren würde. Die Befürworter der europäischen Integration überwinden die wahren Absichten des „arbeitenden Proletariats“ nicht, und in Kyjiw wird immer ein böses Regime herrschen. Die Massenmedien überzeugten regelmäßig die Bevölkerung des Staates davon, dass allein gemeinsam mit Russland die Ukraine eine Zukunft hat, und dass niemand imstande sei, dieses Axiom zu ändern. Nach der Niederlage der Orangenen Revolution waltete eine wahre Apathie, die die Positionen des Janukowytsch-Regimes nur noch stärkte.

Aber es geschah ein Wunder. Menschen kamen gleichwohl zum Protest, als bekannt wurde, dass die Kleptokraten überhaupt nicht an irgendeine Eurointegration denken. Und es gibt viele, die sich die Frage stellen, wie es dazu gekommen ist, dass ein Regime, das den gesamten staatlichen Repressions-Apparat in Händen hielt, gegen normale Leute verloren hat. Die Antwort ist auf den ersten Blick nicht offensichtlich, aber sie liegt erneut auf der Ebene der Zivilgesellschaft. Wie sich herausstellte, können die staatlichen Machtorgane nichts ausrichten gegen die Zivilgesellschaft. Jedes Regime ist schlicht zum Untergang verurteilt, wenn es sich gegen die Selbstorganisation des Volkes stellt.

Aber nun das Allerwichtigste: Indem sie über den Majdan marschierten, mit dem Leben der Himmlischen Hundertschaft zahlten, ohne eine eigene Armee, Polizei und Sicherheitsorgane zu haben, konnten die Ukrainer ihren Staat schützen. Und dies erneut durch die Selbstorganisation und die Selbstaufopferung von Vielen. Der Krieg im Osten des Landes nimmt leider Tausenden von aktiven Bürgern das Leben, zerstört Schicksal und Infrastruktur von Menschen. Ein noch größeres Problem bedeutet er für die Gesellschaft in Zukunft, denn die Versöhnung nach dem Krieg und das Zusammenleben sind nicht weniger wichtig als der Gewinn des Krieges. Aber die jüngste Modernisierung durch den Krieg führt die ukrainische Gesellschaft zur Überzeugung, dass man endlich erkennen muss, dass wir und die Macht ein einziges Ganzes sind. Verstehen, dass wir auch eine Macht sind.

Angesichts dieser unglaublich wichtigen Umstände ist die Gesellschaft reif geworden für einen neuen Gesellschaftsvertrag. Man muss die ukrainischen „Parallelwelten“ aufdecken und nicht nur einwirken auf die Staatsorgane, sondern sie schaffen, und bei ihrer Arbeit kontrollieren. Nach der symbolischen Erneuerung des Gesellschaftsvertrages muss eine Zeit kommen, wo das kleinste Korruptionsvergehen, Vetternwirtschaft und Klanwesen nicht nur hart verfolgt werden, sondern zu einem konsequenten Ende und rechtskräftiger Verurteilung gebracht werden. Unter Bedingungen des Krieges, und nicht nur dort, können Einzelfälle von Korruption katastrophale Auswirkungen haben und Menschenleben kosten.

Ohne eine öffentliche Bürger-Kontrolle ist kein volles Funktionieren der Gesetzgebung möglich, denn es ist nicht genug für den Staatsapparat, dass er über allem stolziert. Es ist die Zeit gekommen, ein Leben nach den Prinzipien des sowjetischen Konzentrationslagers abzulehnen, um zu überleben und würdig zu leben, muss man lernen, ehrlich zu leben. Hierin sollte das Ergebnis der Modernisierung durch den gegenwärtigen Krieg liegen.

5. Februar 2015 // Wassyl Rassewytsch

Quelle: Zaxid.net

Modernisierung durch Krieg – Teil 1
Modernisierung durch Krieg – Teil 2

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