Offener Brief: Protest gegen die Erklärung der Europäischen Rundfunkunion


To: press@eurovision.tv; ebu@; dgo@ebu.ch
Subject: Offener Brief, Protest gegen die Erklärung der Europäischen Rundfunkunion (EBU)

Herrn Jon Ola Sand; Steuerungskommittee des ESC; Büro des Generaldirektors der EBU; Vertreter der EBU-Mitgliedsstaaten; Team von Eurovision.tv

Sehr geehrter Herr Sand,
sehr geehrte Vertreter*innen der EBU,

Ich schreibe Ihnen, um meine Enttäuschung und meinen Protest im Hinblick auf Ihre Pressemitteilung „über Russlands Teilnahme am Eurovision Song Contest 2017“ zum Ausdruck zu bringen.

In Ihrer Pressemitteilung (http://www.eurovision.tv ) schreiben Sie:

“Wir müssen die lokalen Gesetze des ausrichtenden Landes respektieren, dennoch sind wir tief enttäuscht über diese Entscheidung, da sie nach unserer Auffassung gegen den Geist sowohl des Wettbewerbs als auch gegen einen seiner grundlegenden Werte, die Inklusion, verstößt.”

In der Tat ist Inklusion d.h. die aktive Einbeziehung von Menschen aller Hintergründe und sozialen Schichten – insbesondere auch ethnischer Minderheiten und Menschen mit Behinderungen – die Red. ein wichtiger Grundwert des ESC. Ein weiterer ist Frieden.

Ein “friedliches Zusammenkommen” erfordert guten Willen von allen Seiten. Dieser ist nicht gegeben, wenn das ESC-Komitee eines Landes eine Kandidatin wählt, von der bekannt war, dass sie die Gesetze des Gastgeberlandes verletzt hat, um so das Gastgeberland in eine peinliche Situation zu versetzen (und in diesem Fall wurde die Kandidatin tatsächlich durch ein Komitee, und nicht etwa durch eine öffentliche Abstimmung bestimmt). Dieses Verhalten ist als geradezu zynisch zu bewerten, wenn zu diesem Ziel auch noch die Idee der Inklusion missbraucht wird.

Tatsächlich hat die Entscheidung der ukrainischen Sicherheitsbehörden ja überhaupt nichts mit Inklusion zu tun: Russische Kandidat*innen mit Behinderungen, die keine ukrainischen Gesetze verletzt haben, würden und werden von den ukrainischen Sicherheitsbehörden akzeptiert – soweit müsste man das doch auch in der EBU wissen. Dadurch, dass Sie in Ihrer Pressemeldung einen Zusammenhang zwischen der Entscheidung der ukrainischen Behörden und der Behinderung der Kandidatin herstellen – den eigentlichen Grund der Ablehnung aber nicht erwähnen, erweist die EBU Menschen mit Behinderungen keinen Dienst, sondern spielt jenen in die Hände, die Menschen, die der Inklusion bedürfen, instrumentalisieren.

Der Grund der Ablehnung war nicht etwa eine lächerliche Ordnungswidrigkeit, wie etwa Falschparken. Durch einen öffentlichen Auftritt in einer besetzten Region kurz nach deren Besetzung, der noch dazu unter Missachtung des Selbstbestimmungsrechts des besetzten Landes zu Stande kam, hat die Kandidatin die bewaffnete Besetzung des Gastgeberlandes unterstützt – eine militärische Annexion, die in verschiedenen UN-Resolutionen von einer überwältigenden Mehrheit der EBU-Mitgliedsstaaten scharf kritisiert wurde. Auch aus diesen Resolutionen könnten Sie wissen, dass diese Besetzung begleitet war von Gewaltakten wie Folter und Mord.

Wenn Sie also eine Ablehnung dieser konkreten Kandidatin aus Gründen, die überhaupt nichts mit ihrer Behinderung zu tun haben, als „gegen den Geist der Inklusion“ gerichtet betrachten, frage ich mich, wie die EBU dann einen militärischen Angriff und Okkupation mit den Grundwerten des ESC in Einklang bringt?

Bei einer „Vereinigung von Sendeanstalten“ kann man davon ausgehen, dass ihre Mitglieder über aktuelle Angelegenheiten gut informiert sind. Wie kann es also sein, dass die EBU in einer Pressemitteilung ihre „tiefe Enttäuschung“ über die Verletzung „der Grundwerte“ des Wettbewerbs durch das Gastgeberland zum Ausdruck bringt – aber nicht mit auch nur einem Wort die Verletzung der „Grundwerte“ erwähnt, welche die Handlung des Gastgeberlandes überhaupt erst ausgelöst hat?

Menschenrechte können nicht gegeneinander ausgespielt werden – und ich erwarte von der EBU und dem Eurovision Song Contest, sich standhaft für alle Menschenrechte einzusetzen, statt sich leichtfertig für politische Spiele instrumentalisieren zu lassen.

Mit tiefer Enttäuschung und freundlichen Grüßen, –

Tobias Weihmann

Menschenrechtsaktivist

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