Perspektive aus Donezk: Warum verrät Achmetow den Donbass?
Den Donezker Aktivisten Konstantin Lawrow kennt man in der Stadt als fast den größten Widersacher von Alexander Janukowitsch (dem Sohn des geflohenen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, A.d.Ü.). Im Jahre 2011 organisierte er eine Demo gegen den illegalen Bau eines Hochhauses unmittelbar im Stadtzentrum durch eine Firma von Janukowitsch.
Das Projekt des neuen Komplexes auf dem Territorium des Hotels „Druschba“ sah vor, die Höfe mehrere Wohnhäuser im Stadtzentrum zu requirieren.
Als Reaktion auf die Bürgerproteste sprach der Geschäftsführer der Firma „MAKO“, Sergej Buschujew von angeblicher Erpressung seitens Lawrows.
Gegen Lawrow wurde ein Verfahren fingiert und er saß fast drei Jahre lang im Untersuchungsgefängnis Nr. 5. Am 24. Februar 2014 kam er frei und beteiligt sich seitdem an der Organisation von Demonstrationen für eine geeinte Ukraine.
Was hat sich verändert, während Sie inhaftiert waren?
Ich habe eine ökonomische Ausbildung, bin zertifizierter Spezialist für Wertpapiere. Meine persönliche Weltsicht wendete sich bereits im Jahr 2004.
Ich glaubte daran, dass es möglich sei, das korrupte System im Land zu überwinden. Doch für Donezk war ich ein „untypischer Fall“.
Als ich aus dem Gefängnis freikam, sah ich: In drei Jahren ist eine neue Generation von Bürgeraktivisten herangewachsen. Es gibt jetzt viele Leute wie mich.
Eine solche breite Beteiligung an Aktionen hat es vorher noch nie zugeben. Früher war niemand bereit, seine Zeit, sein Geld zu opfern. Für Donezk, das weder den Maidan 2004 noch den Maidan 2014 durchlebt hat, ist das ein großer Schritt nach vorne.
Nach Meinungsumfragen möchten 66 Prozent der Bewohner in der Ukraine leben, 27 Prozent sehen die Oblast Donezk in der Russischen Föderation und fünf Prozent sehen sie als unabhängigen Staat. Was bedeutet das?
Es liegt ein Interessenskonflikt vor. Die junge Generation möchte in einem neuen Land leben, die Rentner möchten in die Sowjetunion, und die Ganoven möchten ihre Unantastbarkeit und die Grundlage für ihre Geschäfte erhalten.
Heute wird ein gefährlicher Mythos gebildet, dass der Donbass eine Zusammenrottung von Separatisten sei, die nach Russland möchten. Ich bin auf Facebook oft auf Phrasen gestoßen wie „Geben wir den Donbass doch an Russland ab, dann haben wir weniger Probleme“. Wenn wir den Donbass abgeben, wird morgen eine ähnliche Situation in Charkow, Dnepropetrowsk, Saporoschje entstehen.
Was bedeutet die Phrase „Die Regierung soll den Donbass vernehmen“?
Die Sache ist die, dass in Donezk eine russische Hysterie aufgebauscht wurde. Es wurde ein klarer Mythos über die „Berkut“ als Opfer der „Bandera-Anhänger“ gezeichnet. [Berkut ist eine inzwischen aufgelöste Milizsondereinheit A.d.Ü.] Die Polittechnologen haben professionell mit Mythen und Ängsten gearbeitet. Und diese Phrase ist ein Code, der bei den Menschen im Donbass einen bestimmten Zustand einschalten soll.
Wie erklären Sie sich, dass Rinat Achmetow keine klare Position bezieht?
Rinat feilscht um den Donbass. Das liegt klar auf der Hand. Man muss die Spezifik des Donbass verstehen: Nicht ein Staatsdiener kann hier gegen Achmetow arbeiten.
Im Großen und Ganzen wünscht Rinat Achmetow, dass sich das System nicht ändert. Eine instabile Situation nützt ihm. Er muss dem ganzen Land und der Regierung zeigen, dass er die Separatisten kontrolliert, dass nur er sie besänftigen kann.
Die Volksrepublik Donezk ist ein Fake. In der Gesellschaft gibt keinen Bedarf für so etwas. Doch es gibt den Bedarf Rinat Achmetows, der sich darin äußert, dass keine Verfahren wegen seiner Geschäftstätigkeit eröffnet werden sollen, dass sein Kapital unangetastet bleiben soll, dass er wie auch früher vollkommenen Einfluss auf alle Machtorgane der Region hat.
Er erpresst die Zentralregierung. Und das ist offensichtlich, wenn man versteht, welche Figuren auf dem Schachbrett stehen. Das sind Leute Achmetows – die Abgeordneten Nikolaj Lewtschenko und Sergej Bogatschow und die Separatisten.
Russland ist eine schwache Ukraine nützlich. Das ist notwendig, um die Sache mit der Krim zu legalisieren. Inoffiziell werden solche Gespräche geführt, dass die Russen den Osten in Ruhe lassen, wenn die Ukraine die Krim anerkennt.
Rinat Achmetow kann es nicht gebrauchen, dass die Oblast Donezk an Russland geht. Man muss verstehen, welche Interessen Achmetow hat. Er benötigt die Finanzierung der Kohlegruben, weil sie alle mit Verlust arbeiten. Das ist ein großes Stück des Staatsetats.
Viele verstehen aber, dass diese Lage die Entwicklung des Gebiets bremst.
Welche Rolle spielt der Gouverneur Sergej Taruta?
Er spielt den Clown. Oder er hält sich raus. Er hat keine einzige reale Maßnahme getroffen, um dieses Chaos zu beenden. Seit das erste Gebäude besetzt wurde, hat er keinem der Sicherheitsdienste auch nicht eine Anweisung erteilt, keinerlei Strategie erarbeitet.
Im Innenministerium arbeiten mindestens eintausend waffentragende Profis. Soll man glauben, dass es unmöglich ist, diese zu organisieren? Nicht gegen einen Separatisten wurde nicht ein Strafverfahren eröffnet.
Eine neutrale Position ist jetzt aber fehl am Platz, de facto stachelt sie die Situation nur weiter an. Konstantin Poschidajew, der Leiter der Abteilungen des Innenministeriums in der Oblast Donezk ist der ehemalige Leiter des Personenschutzes von Achmetow.
Wie sieht derzeit der bürgerliche Widerstand aus?
Uns ist bewusst, dass das Gebäude der Staatlichen Verwaltung der Oblast von Profis besetzt worden ist: bestochene ukrainische Militärs, Mitarbeiter von FSB und GRU, professionelle Spione. Die Menschen aus dem Donbass, die in der Ukraine leben wolle, bilden derzeit eine Miliz, das „Bataillon Donbass“. Ihm haben sich Afghanistan-Veteranen, ehemalige Mitarbeiter der Speznas, Menschen aus der arbeitenden Bevölkerung und Studenten angeschlossen, die zu radikalen Schritten bereit sind.
Noch vor einigen Wochen war Donezk nicht bereit, Oper zu bringen, doch am 17. April haben aktive Bürger verstanden, dass sie allein dastehen: allein gegen die Polizei, gegen Achmetow, gegen die Separatisten.
Es entwickelt sich eine Situation so ähnlich wie auf dem Maidan: Die Leute fangen an, aktiv zu handeln, unter Risiko für das eigene Leben. Für Donezk ist das ein gewaltiger Bewusstseinssprung.
Wie Kiew gegen Janukowitsch gekämpft hat, so kämpft Donezk jetzt mit Rinat Achmetow. Die Gegenseite verfügt über endlose Kräfte. Sie ist bereit, zu schießen und zu morden, niemand kann sie stoppen – außer den proukrainischen Kräften.
Per heute haben sich ca. 500 Menschen zusammengetan und sind bereit, bis zum Letzten zu gehen. Die Aktivsten unter ihnen haben den Maidan selbst miterlebt.
Auf welche möglichen Entwicklungen bereiten Sie sich vor?
Wir sehen zwei Varianten. Die erste: Bis zum 25. Mai eskaliert die Situation weiter, es gibt noch mehr Opfer, Besetzungen und Gewalt. Dann könnte es einen Deal zwischen Timoschenko und Achmetow geben, infolgedessen man entweder die Wahlen scheitern lässt oder Timoschenko Präsidentin wird.
Oder es wird die andere Variante realisiert, die für die Gesellschaft perspektivenreicher ist: Aktivisten erheben sich und übernehmen bewaffnet die Macht in der Oblast Donezk. Diese Variante ist ebenfalls reell. Selbst wenn das derzeit noch nicht so offensichtlich erscheint …
4. Mai 2014 // das Interview führte Anastassija Ringis
Quelle: Ukrainskaja Prawda