Profite in der Krise


Trotz der sich zuspitzenden Situation führen deutsche Unternehmen in der Ukraine Geschäft und Produktion wie gehabt weiter. Viele profitieren von der schwachen ukrainischen Währung – und von den kürzlich gesenkten Importzöllen der EU.

Die Lage in der Ukraine verschärft sich zunehmend und auch deutsche Unternehmen, die in dem Land aktiv sind, beobachten die Entwicklungen mit Sorge. Doch scheinen aus ihrer Sicht die Chancen zu überwiegen. Laut der bundeseigenen Gesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI), die sich auf die Analyse von Auslandsmärkten spezialisiert, könnte die Ukraine „nach Abschluss und Umsetzung des Assoziierungs- und Freihandelsabkommens mit der EU Schritt für Schritt zu einem zweiten Tschechien werden“, heißt es in einem aktuellen Bericht.

Der deutsche Schleifmittelspezialist Klingspor ist in der Bewertung der Lage inzwischen vorsichtiger. Seit 2010 fertigt das Unternehmen in dem Dorf Welikyj Most in Grenznähe zu Polen Schleifmittel. Eine dritte Werkshalle wird gerade gebaut, wenn auch „mit gebremstem Schaum“, wie Roland Kaschny, Ukraine-Chef des Unternehmens, einräumt. „Ich treffe mich regelmäßig mit anderen Unternehmern und es gibt bei allen, auch den Global Playern, ein Krisenszenario B, wonach die östlichen Oblasten Donezk, Luhansk und Charkiw für die Ukraine verlorengehen.“ Niederlassungen würden in diesem Fall aus diesen Oblasten in den westlichen Teil des Landes verlegt.

Für Tobias Baumann, Referatsleiter Russland sowie Ost- und Südosteuropa beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), sind solche Krisenszenarien „viel zu spekulativ“. Auf der Krim sei zwar Schaden entstanden. „Aber wir sollten diesen Fall nicht für die Ostukraine weiterspinnen“, sagt er. Zwar würden geplante Neuinvestitionen dort nun „sicher auf Eis gelegt, weil es keine Garantie gibt, ob die Ostukraine künftig der ukrainischen Rechtsprechung unterliegen wird“. Im Westen des Landes aber, wo ein großer Teil etwa der deutschen Zulieferer der Automobilindustrie fertigt, sei die Lage stabil.

Diese Erfahrung macht auch die deutsche Leoni AG. Seit rund zehn Jahren betreibt der Kabelspezialist ein Werk im westukrainischen Neshuchiw, etwa 5.000 Menschen arbeiten dort. Probleme im Zuge der Krise verspürt Leoni bislang kaum. „An eine Reduzierung der Ukraine-Aktiva denkt die Unternehmensführung nicht“, sagt Leoni-Sprecher Sven Schmidt.

Etwa 2.000 deutsche Unternehmen sind im Ukraine-Geschäft engagiert, einige Hundert haben vor Ort Produktionsstätten oder Niederlassungen, sie haben seit 1994 rund sieben Milliarden Euro investiert. Doch schon vor den Unruhen klagten ausländische Unternehmen über Korruption, kriminelle Methoden in der Wirtschaft, fehlende Rechtssicherheit. In den letzten Jahren haben einige das Land wieder verlassen.

Klingspor hat trotz der Missstände vor vier Jahren in der Westukraine investiert und beschäftigt dort 300 Mitarbeiter. Geschäftsführer Kaschny berichtet, dass Unternehmen, die ihre ukrainischen Güter in den Westen exportieren, von der andauernden Krise sogar profitieren. Denn die ukrainische Währung Hrywnja hat in den letzten sechs Monaten rund 50 Prozent an Wert verloren. „Wenn Unternehmen Devisen einnehmen, sind für sie die Löhne, die sie in Hrywnja zahlen, durch den günstigen Wechselkurs deutlich niedriger“, sagt der Manager.

Was für Exporteure Zusatzgewinne bedeutet, ist für ukrainische Beschäftigte ein drastischer reeller Abschlag der ohnehin kargen Löhne. Ende 2012 lag der durchschnittliche Monatsverdienst in der Ukraine bei ca. 3.000 Hrywnja brutto, zum damaligen Kurswert etwa 290 Euro. Zum aktuellen Kurs sind es umgerechnet nur noch 190 Euro. Mit harten Konsequenzen für die Bevölkerung, nicht nur an Ladentheken und Zapfsäulen. Auch die Subventionen für Gas werden gemäß den Bedingungen, die IWF und EU an die der Ukraine gewährten Kredite stellen, abgebaut.

Das im März 2014 zwischen der Ukraine und der EU unterzeichnete Assoziierungsabkommen sieht zudem als Vorgriff auf den avisierten Freihandelsvertrag den sofortigen Wegfall von Zöllen für bestimmte ukrainische Exporte in die EU vor. Eine Chance für ukrainische Betriebe, aber auch für ausländische Unternehmen, die entsprechende Standards der EU erfüllen. „Das könnte schon in diesem Jahr zusätzliche Exportumsätze in Höhe von etwa 500 Millionen Euro bedeuten“, sagt DIHK-Experte Baumann.

So will auch Klingspor in der Ukraine bleiben. Das Unternehmen ließ bei Neuinvestitionen der letzten Jahre auch seine polnischen Werke links liegen. Zugunsten der Ukraine. „Polen ist nicht mehr sexy“, sagt Kaschny, und meint damit: die Löhne dort sind zu hoch. „Wir bleiben in der Ukraine, und alle anderen auch. Aber mit Plan B.“

Jan Opielka

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