"Ruhm der Ukraine“ oder: Weg von Simbabwe! - Putin profitiert vom ukrainischen Identitätsmodell der Bandera-Anhänger



Es nähert sich der 14. Oktober, der Tag, an dem tausende Ukrainer, die sich selbst offen als „Patrioten“ bezeichnen, stolz sein werden. In ihrer Vorstellung ist der 14. Oktober vor allem der Gründungstag der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA, A.d.Ü.), der Militärformation, die gleich zwei totalitären Führern den Kampf angesagt hatte – Hitler und Stalin. Außerdem gab es noch einen Feind – die polnischen Imperialisten, die während der deutschen Okkupation anfingen die Ukrainer zu schlagen, wofür sie eine entschiedene Abfuhr erhielten (damit sind die ethnischen Säuberungen 1943 in Wolhynien gemeint, bei denen mehrere zehntausend Polen ermordet wurden, A.d.R.). Sie dachten wohl, dass die Ukrainer kraftlos und ratlos waren, aber nichts da! In uns erwachte eine alte kosakische Kraft, die sowohl den polnischen Imperialisten entgegenschlug, die in unsere althergebrachten Gebiete eindrangen, als auch den deutschen „Ariern“, die sofort flohen als sie „Hej, hu, hej, ha“ hörten, und umso mehr den schwächlichen rothaarigen NKWD-Ugro-Finnen, die in Ruhe auf unserem Gebiet leben wollten, jedoch stattdessen hier ihr Grab fanden.

Es schien so, als wäre das Wichtigste, um eine neue wirklich freie Ukraine aufzubauen, den Ukrainern ihren Stolz zurückzugeben. Und der Stolz soll auf der Verehrung ukrainischer Helden gründen, die für ebendiese Unabhängigkeit der Ukraine gekämpft haben und gestorben sind.

Irgendwie so habe auch ich diese Situation gesehen. Ich habe wenig gesehen, aber ich habe diesen Blickwinkel auch aktiv in Internet-Diskussionen verteidigt. Doch es kam so, dass mir mit der Zeit die Argumente ausgingen. Da zeigte sich, dass die Mehrheit der polnischen Kolonisten noch 1939-41 in die Repressionen der stalinistischen Okkupanten gerieten und der Schlag der Bandera-Leute (gemeint ist die Fraktion der Organisation Ukrainischer Nationalisten um Stepan Bandera, A.d.R.) die gewöhnlichen polnischen Bewohner Wolhyniens traf, die weder große Ländereien noch Regierungsmacht hatten. Dann fielen die Beschreibungen der Bandera-„Heldentaten“ an der Zivilbevölkerung in keinster Weise in einen Bereich, dass man sie hätte rechtfertigen können mit „es ist ja Krieg, da ist so etwas normal“. Dann klärte sich auf, dass der Obergruppenführer Viktor Lutze überhaupt nicht umgebracht wurde, schon gar nicht in der Ukraine, sondern er war in einem Autounfall bei Berlin ums Leben gekommen (nach einer der UPA-Legenden, wurde er in Wolhynien in einem Hinterhalt von UPA-Partisanen erschossen, A.d.R.).

Und das Allerwichtigste: Trotz aller Bemühungen haben die Bandera-Leute den Krieg doch verloren. Trotz aller Repressionen gegen die Zivilbevölkerung (wie nach ethnischen so auch nach formalen Eigenschaften oder einfach infolge von Spionage-Manie), trotz der Verluste von UPA-Kämpfern selbst sowie OUN-Mitgliedern (aus beiden Zweigen, oftmals im Konflikt untereinander) – eine Niederlage ist eine Niederlage. Der ein oder andere sagt jetzt tatsächlich, dass das keine Niederlage war. Dass der langanhaltende Widerstand Hoffnung im Herzen der Ukrainer entflammt habe, was zur Unabhängigkeitserklärung 1991 geführt habe, doch das ist ein offensichtlicher Selbstbetrug. Die Ideologie der OUN sah die Begründung eines Ukrainischen Selbstständigen Vereinigten Staates vor, infolge des Allgemeinnationalen Befreiungsaufstandes, den es so nie gab. Im Jahre 1991 stimmten die sowjetischen Abgeordneten für die Loslösung von der Sowjetunion einfach deswegen, weil sich das sowjetische Wirtschafts- und Sozialsystem komplett erschöpft hatte, weder die „Unteren“ noch die „Oberen“ wollten es mehr unterstützen. Und in allen Eigenschaften, außer reinen Formalitäten wie Name, Wappen und Flagge, entsprach die neue unabhängige Ukraine in keiner Weise der Vorstellung der Bandera-Anhänger von einem Staat.

Man könnte sich detaillierter an der Frage aufhalten, ob das Ziel (Ausbau eines totalitären unabhängigen Staates) von den Mitteln („Terror gegen Fremde und eigene Verräter“, tatsächlich aber ethnische und ideologische Säuberungen der Zivilbevölkerung) gerechtfertigt wird, besonders, wenn die Mittel sowieso nicht geholfen haben das Ziel zu erreichen. Aber das ist ein anderes langes Thema.

Das Hauptproblem besteht eigentlich darin, dass die aktuelle Version des populären ukrainischen „Patriotismus“ vollständig auf einem fehlerhaften Verständnis des Geschichtsunterrichts basiert. „Patriotismus“ setze ich in Anführungszeichen nicht nur, um die Gemachtheit des Begriffs zu unterstreichen, sondern auch, weil in der gegebenen Situation die Liebe zum Vaterland ausgetauscht wird durch einen Mythos über das Vaterland, das heißt der Ukraine werden Eigenschaften zugeschrieben, die sie nie hatte. Ein ausgedachtes Land, das man trotz allem, was man in Wirklichkeit ringsherum sieht, lieben muss.

Natürlich, seinerzeit, vor hundert, hundertfünfzig Jahren, half es einigen Völkern wirklich sich zu gruppieren und ihre Staatlichkeit zu begründen. Stattdessen wird den Ukrainern angeboten, sich eines solchen Modells jetzt zu bedienen, während sowohl Informationsdichte als auch Identitätsstruktur vollkommen anders sind. Es wäre sogar gut gewesen unter den Umständen der Präsidentschaft von Juschtschenko darüber nachzudenken, als ringsumher das trügerische „Ende der Geschichte“ herrschte – aber ganz und gar nicht gut ist es, das unter den Umständen eines „hybriden Krieges“ zu tun, wenn der Feind alles Mögliche tut, um die Ukraine in diesem entwürdigenden Zustand zu hinterlassen, in dem sie angekommen ist.

Und so profitieren Putin und sein Regime unmittelbar von dem ukrainischen Identitätsmodell der Bandera-Leute, ebenso von dem selben populären „Patriotismus“, der die Romantik des Aufstands zur Hauptrolle erhebt und keine langweiligen Fragen zur Bildung eines zeitgemäßen effektiven Staates. Ich habe nicht umsonst in der Überschrift Simbabwe erwähnt. Der Diktator von Simbabwe, Robert Mugabe, kam in einem Moment an die Macht, als ein Kampf gegen die „rassenmäßig-falsche“ „okkupierende“ staatliche Elite aus dem ehemaligen Südrhodesien lief. Es gab in der Geschichte seiner Regierung sowohl den Aufbau einer nationalistischen Diktatur als auch schreckliche Bestrafung Andersdenkender sowie Vertreibung weißer Farmer, deren Land an „Veteranen des Befreiungskrieges“ ausgegeben wurde. Es gab auch einen Mythos über eine unzerstörte Nation mit tausendjähriger Kultur. Ob all das Simbabwe in einen erfolgreichen Staat umgewandelt hat? Jeder kann sich selbst davon überzeugen – die Statistik ist im Internet zugänglich.

Simbabwe hat Glück, dass es nebenan niemanden gibt, der gern ein Stück Landesterritorium in seine Hände bekäme oder gar das Land im Ganzen. Stattdessen ist uns dieses Glück nicht vergönnt. Die Äußerung des tschechischen Präsidenten darüber, dass es gut wäre, die Situation mit der Krym irgendwie zu regulieren, dass es gut wäre, sie auf die eine oder andere Art an Russland zu binden, zeugt davon, dass die Situation in den demokratischen Ländern wechselhaft ist und nicht immer zu unseren Gunsten steht.

Ich habe schon geschrieben, dass das Sitzen im korrupten Sumpf und das Warten darauf, dass unsere westlichen Partner Russland Sanktionen auferlegen und es zwingen, uns unsere okkupierten Gebiete zurückzugeben, überflüssige Zeitverschwendung ist. Fackelzüge und grausame Parolen helfen auch nicht so sehr.

Auch 26 Jahre, in denen ein Kult um Bandera, OUN, UPA und sogar um die Waffen SS Einheit „Galizien“ entwickelt wurde, haben, sagen wir der Oblast (Region A.d.Ü.) Ternopil, nicht geholfen, weniger korrupt zu werden als die Oblast Chmelnyzkyj oder Schytomyr. Nun, es gibt keine Verbindung zwischen der Entwicklung eines Heldenkultes und der Ablehnung Schmiergeld zu zahlen. Letztlich haben die „Helden der Roten Armee“ weder uns noch Russland oder Armenien vor Korruption gerettet.

Mit Sicherheit ist es beim Anblick des unglückseligen Zustands unserer heutigen Zeit für viele leichter eine andere Ukraine zu lieben, eine Ukraine ungebrochener epischer Helden, die Hitler und Stalin zum Zittern zwangen, eine Ukraine mit riesiger Geschichte und einem mächtigen Kampfgeist, der immer alle feindlichen Horden aufgehalten hat. Sehr viel schwieriger ist es zuzugeben, dass eine solche Ukraine nicht existiert. Es existiert ein sehr armes Land, dessen Volk viele Jahrhunderte in Elend und unter Gewaltherrschaft lebte, sowohl vonseiten fremder als auch eigener Herrscher. Viele Akteure dieses Volkes haben eine Möglichkeit gesucht sich von diesem unangenehmen Ort loszureißen, an dem sich das Volk aufhält, aber alle diese Versuche endeten für das Volk mit nichts Gutem.

Diese Ukraine zu lieben ist, zweifelsohne, schwieriger, aber die heutige Welt ist so beschaffen, dass uns das Fehlen von Illusionen dem Sieg trotzdem näher bringt als davon entfernt. Statt des Glaubens an einen „Geist des ewigen Elements“ (Anspielung auf den Dekalog der OUN, A.d.R.) sollte man sich damit beschäftigen den staatlichen Mechanismus von allem Gut der „Übergangsphase“ komplett zu bereinigen, die von der Administration des Präsidenten bis in jeden Gemeinderat hindurch gewachsen sind. Ja, es ist schwieriger für die Romantik der Revolution, der Militanz und des Kultes um einen irrealen „großen Geist“, ich stimme dem zu. Jedoch bleibt zu hoffen, dass wir in Folge solcher schweren Arbeit Zeiten sehen werden, in denen „Ruhm der Ukraine“ mit echtem Inhalt gefüllt sein wird und nicht mit Pathos und einem Beigeschmack von Simbabwe, in dem die Epoche von Mugabe noch nicht zu Ende ist.

12. Oktober 2017 // Pawlo Subjuk

Quelle: Zaxid.net

Übersetzerin:   Annegret Becker  — Wörter: 1393

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