Russland stimmt gemeinsamer Untersuchungskommission im Fall der Vergiftung Juschtschenkos zu
Gestern erhielt die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine die Zustimmung der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation zur Bildung einer gemeinsamen Kommission, welche angewiesen ist eine Reihe von Maßnahmen im Rahmen der Aufklärung der Angelegenheit um die Vergiftung Wiktor Juschtschenkos zu ergreifen. Derweil befriedigt die Form der Kommission, welche von der russischen Seite vorgeschlagen wurde, Kiew nicht. Wie dem Kommersant-Ukraine bekannt wurde, weigert sich Moskau eine Expertise Dioxins aus russischer Produktion in ukrainischen Laboratorien durchführen zu lassen. Gleichzeitig wurden dem “Kommersant-Ukraine“ die Namen der Schlüsselzeugen im Fall der Vergiftung bekannt, deren Befragung von der Staatsanwaltschaft verlangt wird.
Gestern erhielt die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine (GPU) die Zustimmung der russischen Generalstaatsanwaltschaft zur Zusammenarbeit im Rahmen der Untersuchung der Straftat bei der Vergiftung des Präsidentschaftskandidaten Wiktor Juschtschenko im Jahre 2004. Hierüber wurde der “Kommersant-Ukraine“ vom stellvertretenden Generalstaatsanwalt Nikolaj Golomscha aufgeklärt, welcher die Ermittlungen im genannten Fall überwacht. “Wir erhielten einen Brief von der Leitung der russischen Generalstaatsanwaltschaft mit der Unterschrift des stellvertretenden Generalstaatsanwalts Swjaginzew, in welchem die Bereitschaft erklärt wird, dass sie (die russische Seite) einverstanden sind mit der Bildung einer Kommission bei sich in deren Bestand unsere Experten mit eingeschlossen werden.”, erzählte dem “Kommersant-Ukraine“ Golomscha.
Im Übrigen, erwies sich die Reaktion der russischen Generalstaatsanwaltschaft nicht als die, auf welche die Ermittler zählten. So wurde keine Zustimmung zur Lieferung von Dioxinproben gegeben, die russische Seite erklärte sich lediglich bereit eine solche Expertise auf ihrem Territorium durchzuführen und zeigte sich damit einverstanden, dass hierbei ukrainische Spezialisten beiwohnen. “Sie schlugen ihre Bedingungen für die Ausführung unseres Auftrages vor. Wir analysieren diese momentan, diskutieren diese, werden diese korrigieren und dabei unsere Variante der Lösung dieser Frage vorschlagen.”, sagte Nikolaj Golomscha.
Auf die Zustimmung der russischen Seite an der Untersuchung teilzunehmen, reagierte gestern auch das Präsidialamt (PA). Der stellvertretende Leiter des PA Alexander Tschalyj erklärte auf der Pressekonferenz, dass die Reaktion der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation die öffentliche Erklärung Wiktor Juschtschenkos zur Folge hatte, in der er die russischen Rechtsschutzorgane einer Kritik unterzog, wobei er ihnen Passivität in der Verfolgung dieser Tat vorwarf. Dabei merkte Tschalyj an, dass Russland erst auf das sechste Gesuch der ukrainischen Seite in diesem Falle antwortete, während die vorhergehenden fünf Gesuche ohne Antwort blieben.
Ein Informant des “Kommersant-Ukraine“ in der GPU erzählte, dass in den Schreiben, welche der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation übermittelt wurden, die ukrainische Seite darum bat drei Personen als Zeugen zu befragen, welche zur Zeit auf dem Territorium Russlands wohnen. “Wir schlugen ihnen vor dazu in die Ukraine zu reisen.”, fügte der Informant hinzu. Dabei unterstrich er, dass das Schreiben, welches der Moskauer Generalstaatsanwaltschaft übergeben wurde, “im Ganzen sehr umfangreich” gewesen sei und nicht nur die drei erwähnten Personen betraf.
Davon, dass in der Liste der Personen, welche angeblich beteiligt sind in die Vergiftung Wiktor Juschtschenkos, eventuell weit mehr als drei Personen geraten können, zeugt der Kommentar des Präsidenten. Am Dienstag, während seines Aufenthaltes in Denpropetrowsk, versprach Wiktor Juschtschenko, dass in der nächsten Zeit Angaben über die Beteiligung bekannter Politiker publik gemacht werden. “Sie werden Zeugen erstaunlicher Beispiele über die Rollen und Missionen einiger Politiker, dabei auch ukrainischer, bei meiner Vergiftung.”, erklärte er, sich an die Journalisten wendend.
Die Aktivierung der Untersuchung der Angelegenheit der Vergiftung von Wiktor Juschtschenko führte zu einem diplomatischen Skandal, in dessen Zentrum sich der Botschafter der Russischen Föderation in der Ukraine Wiktor Tschernomyrdin befand. Wie der “Kommersant-Ukraine“ bereits gestern mitteilte, verurteilte Tschernomyrdin die Worte des Präsidenten Wiktor Juschtschenko davon, dass Kiew sich in dieser Angelegenheit an Moskau gewandt habe. “Räumen Sie bei sich auf. Irgendjemand scheint Sie immer zu stören.”, erklärte der der Botschafter entrüstet.
Auf der gestrigen Pressekonferenz gab Alexander Tschalyj den Aussagen von Wiktor Tschernomyrdin eine außerordentlich harte Bewertung. “Wir gehen davon aus, dass Wiktor Stepanowitsch (Tschernomyrdin) eine Erklärung gemacht hat, welche von seiner Inkompetenz in sensiblen Fragen der ukrainisch-russischen Beziehungen zeugt. Dieser Erklärung trägt einen emotionalen, undiplomatischen Charakter und verletzt die bestehenden Normen der diplomatischen Ethik.”, erklärte der stellvertretende Leiter des PA , hinzufügend, dass der Präsident der Ukraine die Worte des russischen Botschafters “persönliche Sicht” bewertet.
Auf die Frage der Journalisten, ob dieser Inzident nicht zur Initiative der Abberufung des Botschafters von Seiten der Ukraine führen wird, antwortete Tschalyj, dass diese Frage im Kompetenzbereich des Außenministeriums liegt. Indessen erklärte ein hochgestellter Informant des “Kommersant-Ukraine“ im Außenministerium, dass er einen Rücktritt von Tschernomyrdin nicht ausschließt. “Wir denken, dass dieser Vorfall einer weiterer – und sehr schwerer – Grund dafür ist, dass im Kreml die Frage über den Wechsel des Botschafters aufkommt. Wir sehen, dass die Aussage Tschernomyrdins ernsthaft unbequem für die russische Regierung ist. Mit einfachen Worten ausgedrückt, Tschernomyrdin bekommt wenigstens eine auf den Kopf für seine Eigeninitiative.”
Der “Kommersant-Ukraine“ erinnert daran, dass in Russland sich drei Schlüsselzeugen in der Angelegenheit der Vergiftung Wiktor Juschtschenkos verbergen, was Juschtschenko selbst verbreitet (siehe gestrige Ausgabe des “Kommersant-Ukraine“). Seinen Worten nach, ist in den Gesuchen, welche an die Generalprokuratur der Russischen Föderation versandt wurden, eine Bitte über die Zusammenarbeit in der Organisation der Befragung dieser Personen enthalten. Ihre Namen zu nennen enthielt sich der Präsident, dabei erklärend, dass diese Angaben lediglich der Untersuchungsrichter veröffentlichen kann. In der Generalstaatsanwaltschaft werden diese Angaben ebenfalls nicht publik gemacht. Dabei gelang es gestern dem “Kommersant-Ukraine“ die Familiennamen zu erfahren, auf deren Befragung die Generalstaatsanwaltschaft besteht. Wie ein Informant, der in die Untersuchung involviert ist, erzählte, in der Anfrage, welche an die russische Generalstaatsanwaltschaft versandt wurde, sind die Namen Wladimir Sazjuk, Taras Salesskij und Alexej Poletuchin enthalten.
Wie bekannt ist, war Sazjuk in 2004 der stellvertretende Vorsitzende des Geheimdienstes der Ukraine. Juschtschenko erklärte nicht nur einmal, dass am 5. September 2004 beim Abendessen auf seiner (Sazjuks) Datsche vergiftet wurde. Taras Salesskij, die rechte Hand Sazjuks, nahm ebenfalls an diesem Abendessen teil. Die Ermittlungen gehen davon aus (diese Version ist bestätigt durch die Befragung mehrer Zeugen), dass jener Salesskij den Plow zum Tisch, an dem Wiktor Juschtschenko zu Abend aß, brachte, in dem sich das Dioxin befand.
Die Version der Ermittlungen über die Rolle Alexej Poletuchins bei der Vergiftung Juschtschenkos gelang dem “Kommersant-Ukraine“ nicht in Erfahrung zu bringen. Seine Name wurde bis zum heutigen Tag nicht mit dieser Straftat in der Presse erwähnt. Die Quellen des “Kommersant-Ukraine“ in der GPU enthielten sich der Kommentare, aber einer der Gesprächspartner erklärte, dass Poletuchin nicht zu den Zeugen gehöre, zu denen die Ukraine die Zusammenarbeit Russlands bei der Befragung fordert. Währenddessen wurde die Information darüber, dass Alexej Poletuchin zu den Verdächtigten gehört, von zwei nahen Mitarbeitern Juschtschenkos gegenüber dem “Kommersant-Ukraine“ bestätigt.
Es ist bekannt, dass Alexej Poletuchin ein Mitarbeiter Wladimir Sazjuks war und in dem von Sazjuk kontrollierten kommerziellen Strukturen arbeitete, derweil Sazjuk vor seiner Berufung zum Geheimdienst in der Wirtschaft tätig war. Doch in 2001 wurde Poletuchin zur Fahndung in Verbindung mit finanzieller Straftaten ausgeschrieben, welche von ihm auf dem Posten als stellvertretender Leiter der Bank “Ukraina” zugeschrieben wurden, woraufhin er das Land verließ. “Seit dem 12. September 2007 befindet sich der ukrainische Staatsbürger Poletuch Alexej Wladimirowitsch in der internationalen Fahndung. Der Initiator der Fahndung ist der Sicherheitsdienst der Stadt Kiew. Die Unterbindungsmaßnahme ist der Arrest.”, erklärte gestern dem “Kommersant-Ukraine“ der Leiter des ukrainischen Büros von Interpol Rostislaw Bergeles.
Man kann davon ausgehen, dass zum Zeitpunkt der Vergiftung Wiktor Juschtschenkos Alexej Poletuch ebenfalls nicht in der Ukraine weilte. In diesem Fall kann man unterstellen, dass seine Teilnahme sich auf die Lieferung des Dioxins aus Russlands in die Ukraine beschränkt. Indirekt bestätigte dies einer der Informanten des “Kommersant-Ukraine“, welcher den Ermittlungen in diesem Fall nahesteht: “Wenn ich sage, wo er (Alexej Poletuch) sich zum Zeitpunkt der Vergiftung Wiktor Juschtschenkos aufhielt, dann wird Ihnen sofort seine Rolle bei diesem Verbrechen klar.”
Im Übrigen, bei der Ermittlern der GPU gibt es keine Garantie dafür, dass sogar bei der Zusammenarbeitet mit der russischen Staatsanwaltschaft es gelingt alle gesuchten Zeugen zu befragen. Der Anwalt Wladimir Sazjuks Wiktor Petrunenko teilte dem “Kommersant-Ukraine“ mit, dass sich der ehemalige stellvertretende Leiter des Geheimdienstes der Ukraine außerhalb der Grenzen Russlands aufhält: “Ich bin nicht sicher, dass er sich momentan in Russland aufhält, er kann in der Ukraine sein. In der letzten Zeit musste er seine Gesundheit verbessern – damit hat er sich beschäftigt.” Den Worten des Anwalts nach, wurde er in der letzten Zeit nicht zu Befragungen in der Angelegenheit der Vergiftung Wiktor Juschtschenkos gerufen. “Soweit ich weiß, gibt es keinerlei Rechtsansprüche gegen ihn.”, fügte Petrunenko hinzu.