Die Schulzeit wird in der Ukraine ab September um ein Jahr verkürzt
Die Werchowna Rada hat gestern eine elfjährige Schulausbildung festgelegt, dabei ein verpflichtendes Vorschuljahr hinzufügend. Die Änderungen treten bereits ab dem 1. September in Kraft. Nach Einschätzungen von Experten zog die Einführung der zwölfjährigen Ausbildung ungerechtfertigt große Ausgaben aus dem Staatshaushalt nach sich. Doch im Profilausschuss der Werchowna Rada vermutet man, dass die Annahme des Gesetzes „die ersten sechs Monaten des laufenden Lehrjahres durchkreuzt“.
Gestern verabschiedete die Werchowna Rada ein Gesetz, welches eine elfjährige Schulzeit festlegt. In diesem Dokument wird ebenfalls eine verpflichtende Vorschulbildung für Kinder von fünf Jahren an eingeführt und die Frist der Profilausbildung in älteren Klassen auf ein Jahr verkürzt. Auf diese Weise beinhaltet die Ausbildung für die Hochschulreife ein Jahr Vorschule, vier Jahre Grundschule, fünf Jahre Elementarschule und zwei Jahre Oberschule. Die Änderungen treten Anfang des Lehrjahres 2010/11 in Kraft.
Die zwölfjährige Schulausbildung wurde in der Ukraine am 1. September 2002 eingeführt, obgleich die Werchowna Rada ein Gesetz bereits 1999 verabschiedete. Gemäß der Reform, begann die Schulausbildung von Kindern ab dem sechsten Lebensjahr. Bereits ab der 2. Klasse lernten die Schüler eine ausländische Sprache und in der 10., 11. und 12. Klasse erhielten sie eine Profilausbildung.
Am 9. Juni schlug der Minister für Bildung und Wissenschaften, Dmitrij Tabatschnik, vor auf das zwölfjährige Ausbildungssystem zu verzichten und zu einem elfjährigen Ausbildungssystem in den Schulen zurückzukehren. Der Meinung des Ministers nach hat sich das derzeitige zwölfjährige System nicht bewährt, außerdem wären für dessen weitere Einführung mehr als 4 Mrd. Hrywnja (ca. 400 Mio. €) an Haushaltsmitteln notwendig (siehe “Kommersant-Ukraine“ vom 10. Juni). Bereits am 14. Juni wurde der entsprechende Gesetzesentwurf #6518 in der Werchowna Rada registriert und gestern vom Parlament bestätigt.
Einer der Autoren des Gesetzesentwurfes nach, der Parlamentsabgeordneten Jekaterina Samojlik (Kommunistische Partei), wird mit dem Beschluss dieses Dokumentes die Vorschulausbildung in der ältesten Gruppe des Kindergartens verpflichtend, wo „die Kinder sich in spielerischer Form Elemente des Lesens und Schreibens und der Mathematik aneignen werden“. „Dabei wird die Ausbildungszeit in der Oberstufe um ein Jahr verkürzt. Diese kann man nicht als Profilausbildung bezeichnen – weder materiell, noch technisch sind die Schulen bereit zu einem Übergang zu einer Profilbildung“, erklärte Samojlik dem “Kommersant-Ukraine“.
Mit ihr stimmen im Bildungsbereich Arbeitende überein. „Bei uns wurde nichts für die Spezialisierung der Schulen getan. Es wäre eine Verbesserung der materiell-technischen Basis erforderlich gewesen, die Schaffung von Bedingungen für die Lehre in unterschiedlichen Spezialisierungen. Wenn die Spezialisierung beispielsweise die Leichtindustrie ist, dann sollte in der Schule eine Näherei vorhanden sein und nicht nur einfach eine theoretische Erörterung dieses Themas“, sagte gestern dem “Kommersant-Ukraine“ der Direktor des hauptstädtischen Gymnasiums #315, Alexander Birjuk.
Ein weiterer Autor des Gesetzesentwurfes, Oleg Sarubinskij (Block Litwin), betonte, dass es ernste Probleme bei der zwölfjährigen Ausbildung aufgrund der unzureichenden Zahl von Schülern in den höheren Klassen gab. „Die Schüler, welche die 9. Klasse abgeschlossen haben, haben massen haft die Schulen verlassen und sind auf die Colleges gegangen, da sie nicht überflüssige drei Jahre verlieren wollten. In dieser Zeit kann man in jedem Beruf eine Spezialisierung/Ausbildung erhalten. Wenn 80 Prozent der Lehrer, Schüler und ihrer Eltern gegen die zwölfjährige Ausbildung sind, dann muss man das berücksichtigen“, unterstrich Sarubinskij.
Beim Ausschuss der Werchowna Rada zu Fragen der Bildung und der Wissenschaften erklärt man, dass die Schule nicht bereit zu einer Rückkehr zum elfjährigen Ausbildungssystem ist. „Das führt dazu, dass das erste halbe Jahr der Lehre in der Schule einfach verstreicht. Es gibt keine neuen Lehrpläne und -programme, keine Lehrbücher und das bedeutet, dass die Eltern neue Lehrmaterialien auf eigene Rechnung kaufen müssen. Die existierenden Lehrbücher sind für das zwölfjährige System gedruckt worden. Vorsichtigen Schätzungen nach wird ihr Neudruck nach den neuen Programmen mehr als 1 Mrd. Hrywnja (100 Mio. €) erfordern. Die Lehrer werden schockiert von dieser Neuerung sein!“, erklärte Lessja Orobez („Unsere Ukraine-Nationale Selbstverteidigung“), Mitglied des Ausschusses, hinzufügend, dass sie beabsichtigt sich an Präsident Wiktor Janukowitsch mit der Bitte zu wenden, gegen dieses Gesetz sein Veto einzulegen. Ihrer Meinung nach muss das Dokument spürbar überarbeitet und die verpflichtende Vorschulausbildung zurückgenommen werden.
Der Erste Präsident der Ukraine und Vorsitzende des Kuratoriums des Ukrainischen Humanen Lizeums an der Schewtschenko Universität, Leonid Krawtschuk, vermutet, dass fehlende Mittel daran hinderten die Bildungsreform bis zum Ende zu führen. „Im Jahr 1992 wurden für die Bildung sechs Prozent des BIP aufgewendet und heute nur vier Prozent“, sagt er. „Wenn es keine Möglichkeiten und Geld gibt, dann hätte man die Neuerung nicht einführen sollen, die sich selbst kompromittiert. Doch wenn wir bereits damit begonnen haben eine Reform durchzuführen, dann muss man diese zu Ende führen und Bilanz ziehen und nicht auf dem halben Wege abbrechen.“
Julia Rjabtschun
Quelle: Kommersant-Ukraine