Selbstzensur beim TV: Wie die populärsten Fernsehsender der Ukraine über die Tätigkeit Poroschenkos berichten
VoxUkraine hat die Tonlage der Erwähnungen von Präsident Petro Poroschenko in den zusammenfassenden Nachrichtensendungen an Sonntagen untersucht.
Das Ergebnis ist sehr unerwartet: Entweder ist die Redaktionspolitik der vier populärsten Fernsehsender voreingenommen, wenn es um die Person des Präsidenten geht oder die Redakteure und Journalisten neigen zu einer synchronen Selbstzensur.
„Gut oder überhaupt nicht“. Mit diesen Worten hat der Manager eines Fernsehsenders in einem privaten Gespräch die Redaktionspolitik zur Berichterstattung über die Tätigkeit des Präsidenten der Ukraine beschrieben. Daran ist schwer zu glauben, weiß doch jeder, der in der Ukraine in den vergangenen zwei Jahren den Fernseher eingeschalten hat, dass die ukrainischen Sender die Regierungshandlungen gnadenlos kritisieren. Der Wunsch die auf den ersten Blick wenig wahrscheinliche Insiderinformation zu überprüfen, wurde zu einem der Anreize dafür, diese Untersuchung durchzuführen.
Um die Annahme zur nichtobjektiven Berichterstattung der Tätigkeit eben des Präsidenten zu überprüfen, haben wir die wöchentlichen Nachrichtenzusammenfassungen der populärsten ukrainischen Fernsehsender in der Primetime am Sonntag der vergangenen zwei Jahre analysiert.
In die Auswahl fielen die Sender von jeder der vier größten Fernsehsendergruppen: 1+1, 19:30 Uhr „TSN: Telewesijna slushba nowyny“ (Fernsehnachrichtendienst); Inter, 20:00 Uhr „Podrobnosti“ (Einzelheiten); Ukrajina, 19:00 Uhr Sobytija (Ereignisse); ICTV, 18:45 Uhr Fakty tyshnja s Oksanoju Sokolowoju (Fakten der Woche mit Oksana Sokolowa).
Für die Analyse haben wir die Transskripte jeder der Sendungen vom Moment der Amtseinführung Petro Poroschenkos (7. Juni 2014) bis Juli 2016 genommen.
Ziel der Analyse war es festzustellen, in welchem Kontext die populärsten Fernsehsender den Präsidenten erwähnen. Als Suchbegriff wurde der Name „Poroschenko“ in verschiedenen Fällen genommen,
Erwähnungen des Petro-Poroschenko-Blocks wurden aus den erhaltenen Ergebnissen ausgeschlossen. Als negativ haben wir die Erwähnungen angesehen, bei denen der Präsident direkt oder indirekt kritisiert wurde. So wurden beispielsweise die Erwähnungen der politischen Vergangenheit Poroschenkos (darunter seine Rolle bei der Gründung der Partei der Regionen und der Arbeit in der Regierung Asarow) ebenfalls als negativ angesehen, wenngleich sie keine direkte Kritik enthalten.
Zu derartigen Themen wurde ebenfalls die Personalpolitik des Präsidenten hinzugezogen (wenn es um Vetternwirtschaft ging), unerfüllte Versprechen, Anschuldigungen der Untätigkeit und Vorwürfe der autoritären Herrschaftsführung des Präsidenten.
1+1
Im Verlauf des Untersuchungszeitraums wurde der Name Petro Poroschenkos in den zusammenfassenden Wochennachrichten des Senders 1+1 768—mal erwähnt. Dabei gab es von den Korrespondenten des Senders lediglich einige wenige Male Andeutungen mit einer kritischen Bewertung der Schritte des Präsidenten: Es wurde daran erinnert, dass „Poroschenko übereifrig Fristen für die Schaffung einer Koalition setzte“ oder es wurde angedeutet, dass Poroschenko ein gelenktes Parlament schaffen will, um „das einflussreichste Zentrum der Regierung im Lande zu bleiben“.
Eine Erwähnung war der Aufruf zu Reformen im Kontext des abgesagten Besuchs Poroschenkos in Brüssel: „Entweder beginnen wirkliche Reformen oder die Ukraine verschwindet“. Ein Mal wurde das geheime Treffen Firtaschs mit Petro Poroschenko und Witalij Klytschko in Wien erwähnt.
Weitere drei kritische Erwähnungen betrafen die sogenannte Vetternwirtschaft – darunter bezüglich Ihor Kononenkos und Jurij Stezs. Andere kritische Erwähnungen Poroschenkos wurden über dritte Personen veröffentlicht: Oleh Ljaschko – Poroschenko versucht alles von denen zu säubern, die in Opposition zu ihm stehen, Oleh Korban (über die Verhaftung von Hennadij Korban), Ihor Palyzja (Janukowytsch im Quadrat – Poroschenko Petro Oleksijowytsch), Taras Beresowez (über das Fiasko mit der Visafreiheit) und Aivaras Abromavičius (über den eigenen Rücktritt).
Dabei bleibt der Rest (751 Erwähnungen Poroschenkos) positiv oder neutral. Besonders oft berichtete der Sender über Poroschenko mit der Stimme des jetzigen Generalstaatsanwalts Jurij Luzenko, der bis Mai 2016 Fraktionsvorsitzender des Petro-Poroschenko-Blocks war. Er wurde beim Sender 1+1 71-mal in unmittelbarer kontextualer Nähe zu den Erwähnungen des Präsidenten gebracht.
Beispielsweise wurde Jazenjuk, der amtierende Ministerpräsident (im Großteil der untersuchten Zeit), neben Poroschenko 119 mal erwähnt.
Inter
Der Fernsehsender Inter hat in seinem zusammenfassenden Wochenprogramm „Podrobnosti“ in den zwei Jahren Poroschenko 803—mal erwähnt. Zwölf der Erwähnungen kann man als solche klassifizieren, die einen kritischen Unterton haben. Die Korrespondenten des Senders haben den Präsidenten lediglich zweimal negativ erwähnt – im Lichte der dekorativen Verhaftungen in Odessa vor der Ankunft Poroschenkos („der ethnische Libanese Maurice Ibrahim meint, dass die aktuellen Verhaftungen der Versuch sind, Aktivisten vor den Maifeierlichkeiten einzuschüchtern und außerdem sind es Vorzeigeverhaftungen vor dem Besuch Petro Poroschenkos in Odessa“) und ein Mal erlaubte sich der Sender einen Beitrag unter dem Titel „Der Friedensplan Poroschenkos hat die Terroristen nicht gestoppt“.
Andere kritische Bemerkungen in den zusammenfassenden Sendungen bei Inter, wurden wie bei 1+1 von Dritten gemacht: darunter Oleh Ljaschko (über die mögliche Einstellung der Antiterroroperation), Anatolij Hryzenko (zweifach, über „Präsidentenlüge“), Mykola Tomenko (über den sich hinziehenden Krieg), Anton Heraschtschenko (über die Einkäufe des Verteidigungsministeriums), Diana Hordaja (Volontärin, über die Untätigkeit des Präsidenten) und Jurij Bojko (über die Rechte der Wähler in Mariupol). 791 Erwähnungen waren neutral oder positiv. Luzenko wurde im Zusammenhang der Nähe zu Poroschenko noch öfter als bei 1+1 erwähnt – 191–mal und Jazenjuk 61–mal.
Interessant ist, dass Offshoreunternehmen 31–mal in den Ausgaben erwähnt wurden. Zusammen mit dem Namen des Präsidenten – nicht ein einziges Mal.
Ukrajina
624—mal wurde der Name Petro Poroschenkos in den zusammenfassenden Sendungen „Sobytija“ erwähnt. Neun Erwähnungen kann man als relativ kritisch bezeichnen. Fünfmal drückten sich die Korrespondenten des Fernsehsenders selbst kritisch aus: in allen Fällen betrafen die Bemerkungen die Personalpolitik des Präsidenten (darunter die Ernennung des Gevatters des Präsidenten, Jurij Stez, zum Minister).
Der Rest der negativen Erwähnungen (ihrer sind es insgesamt vier) gehört zu Dritten: Drei scharfe Zitate von Oleh Ljaschko und ein Kommentar von einem Militär aus der Zone der Antiterroroperation. Offshoreunternehmen wurden beispielsweise nur zweimal erwähnt. Zusammen mit dem Präsidenten – nicht eine Erwähnung.
ICTV
Bei ICTV wurde der Name Poroschenkos im Programm Fakty tyshnja mit Oksana Sokolowa in dem untersuchten Zeitraum 742—mal erwähnt. 18 davon in negativem Licht. Vor allem unterscheidet sich ICTV von den anderen Fernsehsendern dadurch, dass er nach der Wahl Poroschenkos dessen politischer Vergangenheit eine gewisse Aufmerksamkeit widmete. So betreffen acht Erwähnungen die politische Karriere des Präsidenten als einen der Gründer der Partei der Regionen und Minister in der Regierung Asarows und Janukowytschs. Die anderen analysierten Sendungen haben die politische Vergangenheit des Präsidenten vollkommen ignoriert, als ob Petro Poroschenko in die Politik nirgendwo herkam. Von 18 kritischen Erwähnungen sind lediglich zwei Zitate (bissige und scharfe Kommentare Wadym Rabinowytschs). Der Rest gehört Korrespondenten des Senders und fünf von ihnen betreffen das Problem der sogenannten Vetternwirtschaft – Ernennungen auf leitende Posten von alten Partnern Poroschenkos.
Offshoreunternehmen wurden bei ICTV 23–mal erwähnt und im Unterschied zu anderen analysierten Fernsehsendern, zweimal im Zusammenhang mit dem Namen des Präsidenten. Den Rest der 724 Erwähnungen kann man als positiv oder neutral bewerten.
Beide Sender, sowohl Ukrajina wie auch ICTV, haben Jurij Luzenko im Zusammenhang mit dem Präsidenten öfter als beispielsweise Jazenjuk erwähnt (96—mal vs. 83—mal bei ICTV und 63—mal gegenüber 47—mal beim Fernsehsender Ukrajina).
Ergebnisse
Die Dynamik der Erwähnungen des Präsidenten ist bei den vier Sendern in etwa gleich – die Spitzen und Rückgänge der Erwähnungen fallen zusammen.
Die Prozentzahlen der negativen Erwähnungen liegen ebenfalls nah beieinander bei allen Sendern – mit einigen unbedeutenden Abweichungen.
Kann man einen Anteil von 1-2 Prozent an negativen Erwähnungen des Präsidenten als Anzeichen einer (Selbst-)Zensur bei den ukrainischen Top-Kanälen werten?
Zum Vergleich kann man die ähnlich geartete Untersuchung über Präsident Obama durchgeführt von Media Monitor nehmen.
Im Bericht wurden die Erwähnungen Präsident Obamas im Verlauf des ersten Jahres seiner Präsidentschaft in den Abendnachrichten der Top-Fernsehsender der USA (ABC, CBS und NBC) und ebenfalls in den ersten Spalten der Zeitungen New York Times, Newsweek und Time analysiert. Media Monitor kommt zu dem Schluss, dass die „Tonalität der Berichterstattung über den Präsidenten in den populären Massenmedien fast ideal ausbalanciert war – 52 Prozent der Erwähnungen Barak Obamas waren positiv. Dabei war die Berichterstattung über die Tätigkeit Obamas positiver als zu Zeiten von Bush, Clinton und Reagan. Im zweiten Halbjahr seiner Präsidentschaft wurde die Balance etwas erschüttert – der Prozentsatz negativer Erwähnungen lag auf dem Niveau von 62 Prozent.
Beim zum Präsidenten oppositionellen republikanischen Sender FOX wurde die Balance erwartungsgemäß nicht erfüllt – zu 79 Prozent wurde Präsident Obama in negativer Weise erwähnt.
Natürlich gibt es in unserer Untersuchung gewisse Einschränkungen – wir haben nicht den gesamten Nachrichteninhalt genommen und nur die zusammenfassenden Wochenausgaben der größten Fernsehsender. Doch sogar wenn die Abweichung zehn Prozent beträgt, ändert dies das Gesamtbild? Warum wird dem Präsidenten in den ukrainischen Nachrichten eine zeremonielle Rolle zugeschrieben? Der Präsident gab Anweisung, traf, unterzeichnete, besuchte, traf ein, erklärte – als ob Petro Poroschenko keine eigene politische Figur ist und keine Bewertung seiner Politik verdient.
Nachwort
Wichtig ist es im Blick zu haben, dass die Mehrzahl der aktiven Wähler Fernsehzuschauer sind – das Fernsehen bleibt die erste (und oft die einzige) Nachrichtenquelle für die Mehrzahl der Ukrainer.
Diese Untersuchung ruft mehr Fragen als Antworten hervor: wovon zeugen 1-2 Prozent kritischer Erwähnungen des Präsidenten, wurde die Redaktionspolitik der Fernsehsender den Redaktionen von den Eigentümern aufgedrückt, ist es eine totale Selbstzensur, wenn die Nachrichtenredakteure sich selbstständig die Verpflichtung auferlegen in Kriegszeiten „das Boot nicht zu schaukeln“? Auf diese Fragen müssen weiter Antworten gesucht werden. Bisher kann man sagen, dass der Präsident in den ukrainischen TV-Nachrichten eine zeremonielle Figur ist.
7. September 2016 // Jewhenija Kusnezowa, PhD (University of Deusto), VoxUkraine speziell für die Ukrajinska Prawda
Quelle: Ukrajinska Prawda