Timoschenko-Prozess: Julia Timoschenko wird niemals um Begnadigung bitten


Gestern trat Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko in den Gerichtsdebatten auf. Sie wies alle Anschuldigungen an ihre Adresse zurück und erklärte, dass sie bei einer Wiederholung der Gaskrise genauso vorgehen würde wie damals. Timoschenko ist überzeugt davon, dass sie schuldig gesprochen wird, jedoch versprach sie, dass sie niemals und unter keinen Umständen Präsident Wiktor Janukowitsch um Begnadigung bitten wird.

Der zweite Tag der Gerichtsdebatten in der Strafsache zur Überschreitung der Amtsvollmachten durch Julia Timoschenko begann mit dem Auftritt ihres Anwalts Nikolaj Siryj. Am Mittwoch waren im Verlaufe der Debatten bereits die Verteidiger der Ex-Ministerpräsidentin Jurij Suchow und Alexander Plachotnjuk aufgetreten (siehe gestriger “Kommersant-Ukraine”). Siryj unterteilte seinen Auftritt in zwei Teile: anfangs analysierte er die Anklageschrift aus der Sicht europäischer Rechtsnormen und danach verspottete er einige Positionen des Dokuments.

Siryj provozierte Gelächter im Saal, als er die Formulierung der Anklage darüber kommentierte, dass Julia Timoschenko „eigenmächtig die Direktiven zur Unterzeichnung der Gasverträge vorbereitete und bestätigte“.

„Können Sie sich vorstellen, wie die Ministerpräsidentin, sich in ihrem Arbeitszimmer einschließend, sich an den Computer setzt und heimlich den Text der Direktive einzugeben beginnt?“, gab Nikolaj Siryj die Version der Generalstaatsanwaltschaft künstlerisch wieder. „Dabei sitzen die Leute in ihrem Empfangszimmer und mutmaßen, womit sich die Ministerpräsidentin in dem geschlossenen Zimmer beschäftigt. Und danach geht sie leise auf den Flur, findet die nötige Tür, öffnet den Safe, nimmt den Kabinettsstempel und kehrt ebenso leise und heimlich über den Korridor in ihr Arbeitszimmer zurück“

Der Anwalt kritisierte ebenso die Behauptung der Anklage dazu, dass Julia Timoschenko einen „rechtswidrigen Einfluss“ auf Personen ausübte, welche das Gasabkommen unterzeichneten. „Wie kann man auf Oleg Dubina (ehemaliger Vorstandsvorsitzender der NAK (Nationalen Aktiengesellschaft) „Naftogas Ukrainy“) derart einwirken, dass ihm keine Wahl blieb?“, staunte Siryj. Er unterstrich, dass jede der das Gasabkommen unterzeichnenden Personen die Möglichkeit hatte ihre Position zu vertreten, ihr Nichteinverständnis mit der Position der Ministerpräsidentin zu verkünden und „schlussendlich, den Rücktritt einzureichen“. „Das sind Manager mit den höchsten Qualifikationen! Kann man sie wirklich mit einer Entlassung einschüchtern?“, wandte sich Nikolaj Siryj rhetorisch an die Zuhörer. Dabei unterstrich er, dass nicht einer der Top-Manager der NAK „Naftogas Ukrainy“ sich in einer alternativlosen Abhängigkeit von der damaligen Ministerpräsidentin befand.

Der Auftritt von Nikolaj Siryj dauerte viereinhalb Stunden. „Ein gesetzeskonformes Ergebnis der Prüfung dieser Sache kann nur ein Freispruch sein“, resümierte er unter Applaus der im Saal Anwesenden. Nach ihm trat die Tochter Julia Timoschenkos, Jewgenija Carr, mit einer kurzen Rede auf. Sie erklärte, dass sie Zeuge vielzahliger Rechtsverstöße wurde, die im Verlauf der Sachprüfung zugelassen wurden, und hat keine Beweise gesehen und keinen Verbrechensinhalt. „Mir wird Angst und Bange, wenn ich daran denke, wie meine und Ihre Kinder in einer Gesellschaft leben werden, in der es weder Recht noch Gesetz gibt“, sagte sie.

Gegen 15.00 Uhr ergriff Julia Timoschenko das Wort. Ihrem sie verteidigenden Juristenteam und der internationalen Gemeinschaft dankend, erklärte sie, dass dies ein „sehr spezifisches Gericht“ war. „Es ist klassische Lynchjustiz, wenn sich eine Personengruppe versammelt, der die gesetzwidrige Aufgabe gestellt worden ist, mit einem Menschen abzurechnen“, sagte die Ex-Ministerpräsidentin. „Falls jemand denkt, dass es einen Freispruch gibt, dann geben Sie sich nicht dieser Hoffnung hin. Das Urteil ist bereits niedergeschrieben und es wird ein Schuldspruch sein“.

Danach stand Julia Timoschenko zum ersten Mal in der Zeit der Verhandlung auf und erklärte, dass sie in den Gerichtsdebatten stehend auftreten wird, da sie sich nicht an das Gericht und die Staatsanwaltschaft wendet, sondern an das ukrainische Volk. Die erste These, welche die Ex-Ministerpräsidentin zurückwies, war die Behauptung darüber, dass die Gasverträge zu für die Ukraine unvorteilhaften Bedingungen ausgehandelt wurden. „Niemals war einer meiner Schritte durch doppelte Standards diktiert“, sagte sie und unterstrich, dass sie im Falle einer Wiederholung der Gaskrise genauso handeln würde.

Bei ihrem Auftritt bei den Gerichtsdebatten führte Timoschenko Argumente dazu an, dass die Gasverträge 2009 von Vorteil für die Ukraine waren und unterstrich dabei, dass die Regierung gezielt diesen Vorteil vor dem Volk vergibt. „Im Dokument, das ‘Naftogas’ während der Krise unterzeichnete, war eine Erhöhung der Transitpreise um 70% vom 1. Januar 2010 an vorgesehen“, erklärte Julia Timoschenko. Dabei erinnerte sie daran, dass in einem der Abkommen, das zwischen der NAK „Naftogas Ukrainy“ und RosUkrEnergo unterzeichnet wurde, der Transitpreis auf 25 Jahre festgelegt wurde. Außerdem kritisierte sie auch andere Gasabkommen und bezeichnete diese Dokumente als „Geschichte der Korruption“. „Alle Staatslenker – Ministerpräsidenten, Präsidenten – haben dieses Problem auch früher gelöst. Hier fährt also Asarow nach Russland. Worüber spricht er? Über das Gas. Worüber spricht Janukowitsch ohne Krawatte mit einer Angel in der Hand? Über das Gas. Also leiten wir Strafverfahren gegen alle ein – vom ersten bis zum letzten Präsidenten“, bot Julia Timoschenko im Verlaufe der Gerichtsdebatten an.

Die These kommentierend, dass ihre Anweisung an die NAK „Naftogas Ukrainy“ auf unrechtmäßige Weise zustande kam, verkündete die Ex-Ministerpräsidentin die Absurdität dieser Anschuldigung. „Was hätte ich tun sollen, nur auf Vordrucke schreiben? Mündlich nicht agieren? Und wenn es eine Extremsituation gibt, verzeihen Sie, und sich die Ministerpräsidentin auf der Toilette befindet? Schrieb es auf Toilettenpapier nieder und übergab es dem Minister – ist das etwa keine Anweisung?“, sprach Timoschenko emotional. „Begreifen Sie bitte, sie möchten mir sieben Jahre dafür geben, dass ich eine Anweisung nicht auf einer Vorlage aufgeschrieben habe. Ist das etwa normal?“

Außerdem riefen die Versuche der staatlichen Anklage zu klären, wem sie die Direktive übergeben hatte, Unverständnis bei der Ex-Ministerpräsidentin hervor. „Ich habe es denen zu lesen gegeben, denen ich es geben wollte“, sagte sie und erinnerte daran, dass sich der ehemalige Minister für Brennstoffe und Energiewirtschaft, Jurij Prodan, und der ehemalige Vorstandsvorsitzende der NAK „Naftogas Ukrainy“, Oleg Dubina, mit ihr im Raum befunden hatten.

Ihren Auftritt abschließend, erklärte Julia Timoschenko, dass sie sich niemals an Präsident Wiktor Janukowitsch mit der Bitte um Begnadigung wenden wird. „Sie haben einen Plan: einen Schuldspruch in der ersten und der zweiten Instanz zu sprechen und danach bittet Janukowitsch um Begnadigung“, sagte sie. „Doch gibt es ein kleines Detail: um Begnadigung soll derjenige bitten, der schuldig gesprochen wurde. Und ich werde unter keinen Umständen um Begnadigung bitten“.

Gestern endete das Gericht mit der Anhörung des Auftritts von Julia Timoschenko. Im Verlaufe der nächsten Sitzungen sollen die beiden Seiten Entgegnungen austauschen.

Jelena Geda

Quelle: Kommersant-Ukraine

Übersetzer:   Andreas Stein  — Wörter: 1032

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