Tomos - das ist nur der Anfang
Die Autokephalie ist nicht nur das Ziel, sondern auch ein Mittel…
Der Tomos über die Autokephalie der Orthodoxen Kirche der Ukraine – das ist tatsächlich ein historisches, ohne Übertreibung ein epochales Dokument. Das erste Mal seit über 1000 Jahren ist der Metropolit Kiews unabhängig und in der gesamten orthodoxen Welt anerkannt. Viele Generationen von Ukrainern träumten von einer Autokephalie und kämpften für diese. Jedoch bietet es sich an, dass man die Autokephalie als solche nicht nur als Ziel, sondern auch als Mittel betrachten kann. Ein Mittel für Reformen und der Entwicklung.
So kam es nun dazu, dass die ukrainische Kirche den Weg des ukrainischen Staats aus dem Jahre 1991 wiederholt. Die Ukrainer lieben es stets zu betonen, dass sie eine Vielzahl an Möglichkeiten verfehlten, und dass sich der Staat während der post-sowjetischen Transits nicht weiter entwickelte, sondern nur degradierte. Sie berufen sich dabei gerne auf Polen als Beispiel, dem dies gelang. Klar ist, dass weder die Gesellschaft, noch die Eliten bereit dafür waren, das Land tatsächlich zu reformieren: es gab keinerlei Erfahrungen, aber auch keine psychologische Bereitschaft für eine „Schocktherapie“.
Etwas Ähnliches kann man nun am Beispiel der Kirche beobachten. Es ist nun mal so, dass die Kirche eine konservative Institution ist und das sich Prozesse, welche sich in einer Gesellschaft vollziehen, innerhalb der Kirche wesentlich länger vonstatten gehen. Jetzt befindet sich die ukrainische Orthodoxie im Jahre 1991. Sie hat die Möglichkeit, aus den Fehlern anderer und nicht aus den eigenen zu lernen. Nun braucht es keine Jahrzehnte der Stagnation. Es ist nicht genug, nur die Unabhängigkeit der Kirche zu erlangen. Es ist wichtig sie zu einer qualitativ anderen, evangelisch=reformierten, zu machen, die auf gegenwärtige Probleme Antworten hat und bereit ist für moderne Herausforderungen.
„Die Kirche sollte nicht auf ihren eigenen „Maidan“ warten, sondern unverzüglich Reformen einleiten. Das ist das Rezept des benachbarten Polens, dem dies gelang.“
Man muss begreifen, dass dies nicht die Aufgabe der Gesellschaft oder der Politik ist. Das ist der Bereich der Verantwortung der kirchlichen Geistlichen und einfachen Gläubigen. Für die Zivilgesellschaft ist es gut, dass die Ukraine ihre Subjektivität im Kirchenbereich erhält. Man wird aufhören, uns für „Spalter“, für Gläubige zweiter Sorte zu halten. Jedoch bedeutet die Autokephalie nicht das Ende russischer kirchlicher Propaganda, auch nicht das Ende der Manipulation der naiven Gläubigen, auch wird das Moskauer Patriarchat nicht aus der Ukraine verschwinden. Jene, die sich mit der Ukrainischen Orthodoxen Kirche identifizieren, werden auch zur neuen Kirche wechseln. Jene, die sich zum Moskauer Patriarchat bekennen, bleiben bis zum bitteren Ende dabei. Eben auf der Zivilgesellschaft lastet die Bürde der weiteren Arbeit zur Neutralisierung dieser Messages, die Durchführung aufklärerischer Arbeit. Der Erfolg der Kirche und der Marginalisierung der Russisch-orthodoxen Kirche in der Ukraine [gemeint ist damit die Ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats, A.d.R.] sind ausschließlich von der ukrainischen Zivilgesellschaft abhängig. Es liegt in deren Händen, die einen zu unterstützen und andere zu „des Händedrucks nicht für würdig“ zu machen.
Die kirchliche Unabhängigkeit erhaltend, ist das erste, was zu tun ist die Traditionen der ukrainischen Orthodoxie wiederzubeleben. Zunächst geht es um die Wahl des Klerus, vom gewöhnlichen Priester bis zum Oberhaupt der Kirche. Die ukrainische Tradition war der westlichen Welt gegenüber offen. In der Zeit von Petro Mohyla [Kiewer Metropolit von 1632-1647, A.d.R.], fuhr der Klerus nicht nur seelenruhig in den Westen, um zu studieren, sondern gab auch den Ton für die Diskussionen in der kirchlichen Welt an. Der Kirchenimperialismus und das Phänomen des Starezentums [ältester/besonderer Mönch in einem orthodoxen Kloster, A.d.R.] sind der Kiewer Orthodoxie gleichermaßen fremd. Um die verderblichen Auswirkungen der letzteren zu überwinden, müssen wir noch einiges lernen. Die Ältesten stehen für die Delegation der vollständigen Übernahme aller Lebensentscheidungen seinem spirituellen Mentor gegenüber. Reiner und destillierter Paternalismus. Es ist bereits soweit gekommen, dass den Gläubigen gelehrt wird, mit Demut alle Anordnungen des Beichtvaters anzunehmen und auszuführen, selbst die absurdesten. Dieses Phänomen entwickelte sich im Russischen Reich als eine Form der Legitimierung der politischen Loyalität gegenüber den Machthabern. Dieses Phänomen wurde später in die Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Georgien und sogar nach Griechenland exportiert.
Warum ist dies so schädlich und warum muss man es loswerden? Das Phänomen der Ältesten erstickt in dem Menschen die Verantwortung, dieser macht aus dem Menschen einen Roboter, welcher gegebene Kommandos befolgt. Solche Bürger sehnen sich oft nach einer „harten Hand“, nach einem „starken Herren“, sie sehnen sich nostalgisch nach der UdSSR und wählen Populisten. Einfach nur deshalb, weil sie es nicht gewohnt sind zu denken, zu überprüfen, zu zweifeln. Sie sind es gewohnt, blind zu glauben. In dieser Form sind die Ältesten gefährlich und tragen nicht zur Entwicklung der Gesellschaft und des Staates bei.
Einer der Schritte, um diesen Faktor zu neutralisieren, könnte die Dezentralisierung der Kirche werden. Ein Teil der Vollmachten muss an diejenigen vor Ort abgegeben werden, damit die Gläubigen zusammen mit den Priestern ihre eigenen Entscheidungen treffen und Verantwortung dafür übernehmen können. Die Frage nach der Sprache des Gottesdienstes, die Preise der Dienstleistungen, der Verkaufsstände in den Kirchen, das Sakrament ohne Beichte – all dies sollte aus der Situation heraus an der Basis entschieden werden. Solch eine autonome Selbstständigkeit in kirchlichen Angelegenheiten wird dazu beitragen, die bürgerliche Verantwortung zu erhöhen und die demokratische Gesellschaft zu stärken.
Für die Wirksamkeit der zentralen Kirchenregierung muss auch ein wirksames System der Überprüfung und des Ausgleichs geschaffen werden. Eine eindeutig niedergeschriebene Verantwortlichkeit des Kirchenvorstehers, konkrete Vollmachten des Synods sowie Prinzipien der Formierung eines kirchlichen Gerichts müssen festgelegt werden. Und ja, es muss ein Laie sein, sonst wird es nicht funktionieren. Warum ist dies so wichtig? Damit der Patriarch [gemeint ist wohl der Metropolit der Orthodoxen Kirche der Ukraine; in Streitfällen ist der Patriarch von Konstantinopel die letzte Instanz, A.d.R.] nicht zur Tyrannei befähigt wird, damit sich dieser zu keinen zweifelhaften Reformen verleiten lässt. Wissend, dass der Synod ihn zur Räson rufen kann. Ein unabhängiges kirchliches Gericht ist für eine gerechte Rechtsprechung vonnöten. Wie oft kam es bereits vor, dass ein Bischof wegen Fehlverhaltens angeklagt, jedoch nicht zur Rechenschaft gezogen wurde. Weil das kirchliche Gericht, dem die Bischöfe unterliegen, von … den Bischöfen selbst geleitet werden. Damit die neue Kirche auch so funktioniert „wie sie sollte“, muss ein normales Statut angenommen werden [das aktuell geltende wurde in Konstantinopel/Istanbul verfasst, A.d.R.]. Dies ist eine Art kirchliche Verfassung, die die Grundprinzipien der Regierungsführung beschreibt.
Und schließlich, solange die Russisch-orthodoxe Kirche gegen die ukrainische Autokephalie protestiert und nicht in den Dialog mit dem Patriarchat von Konstantinopel tritt, bleibt Zeit für die Lösung zahlreicher Probleme in der Orthodoxie. Ausgehend von der Bildung eines gemeinsamen Standpunkts zu aktuellen Fragen, endend mit der Vervollkommnung des kanonischen Rechts der Kirche. Die alten Kanones – die unter dem Einfluss sozialer und kultureller Traditionen der Spätantike und des frühen Mittelalters entstanden – sollten überarbeitet und ein Teil von ihnen (zum Beispiel über das Verbot des gemeinsamen Badens in einer Sauna mit Juden – Regel 11 des VI. Ökumenischen Konzils) abgeschafft werden. Gleichzeitig jedoch sollten auch Normen aus anderen Bereichen hinzugefügt werden.
Bereits zuvor hatte Konstantinopel versucht, eine ähnliche Revision durchzuführen, jedoch unterband Moskau dies in jeglicher Hinsicht. Einen mächtigen Verbündeten in Form Kiews erhaltend und bei Isolation des Hauptgegners der Reformen, öffnet sich dem Ökumenischen Konzil die Möglichkeit, endlich Ordnung in der Orthodoxie zu schaffen.
8. Januar 2019 // Dmitrij Gorewoj
Quelle: Lewyj Bereg