Sitzung der Heiligen Synode der russisch-orthodoxen Kirche am 12. März 2013, Quelle: patriarchia.ru
Der Prozess der Konsolidierung der ukrainischen Orthodoxie auf der Grundlage der kanonischen Autokephalie nähert sich der Ziellinie. In der russisch-orthodoxen Kirche glaubte man bis zuletzt nicht an die Möglichkeit, dass Patriarch Bartholomäus den der ukrainischen orthodoxen Kirche die angestrebte Autokephalie gewährenden Tomos (Erlass) veröffentlichen würde. Der wirkliche Stand der Dinge wurde den Beamten des Moskauer Patriarchats nach dem Besuch des Patriarchen in Konstantinopel bewusst. Der Zweck des Besuches war gewesen, den Prozess der Vorbereitung des Tomos abzubrechen oder zumindest auf „Pause“ zu stellen. Aber wie spätere Ereignisse zeigten, brachte Patriarch Kyrills Besuch in Konstantinopel nicht die in Moskau erwarteten Ergebnisse. Und dann leitete die Moskauer Kirche eine bewusste Verschärfung des Konflikts ein.
Am 8. September erschien auf der offiziellen Website der russisch-orthodoxen Kirche eine Erklärung der Heiligen Synode. In ihr wurde „entschiedener Protest und tiefe Empörung“ über die Entscheidung des Ökumenischen Patriarchats vom 7. September zum Ausdruck gebracht, zwei Bischöfe „jener Kirche“ zu ernennen – Erzbischof Daniel von Pamphylia (USA) und Bischof Hilarion (Kanada) von Edmonton in Kiew, beide Exarchen des Patriarchats von Konstantinopel.
Die Hierarchie der russisch-orthodoxen Kirche hätte einen anderen, konstruktiveren Weg wählen können, etwa, den autokephalen Bestrebungen des ukrainischen Kirchenvolks zu begegnen und eine Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Patriarchat in der Sache der Autokephalie der ukrainischen Kirche zu beginnen. Aber leider schlug Patriarch Kyrill einen anderen Weg ein – den eines harten Widerstands gegen die Gründung einer vereinten orthodoxen Kirche in der Ukraine.
Diese Strategie ist fragwürdig. Noch fragwürdiger ist die Methode, die für diese Konfrontation gewählt wurde – nämlich eine „theologische Kriegserklärung“ an Konstantinopel. „Zur Rechtfertigung seiner Einmischung in die Angelegenheiten einer anderen Ortskirche“, heißt es in der Erklärung der Heiligen Synode, „führt der Patriarch von Konstantinopel falsche Interpretationen historischer Tatsachen an und bezieht sich auf eine angebliche außerordentliche Befugnis, über die er aber nicht wirklich verfügt und die er auch nie besessen hat.“
Eine solche (in ihrer Radikalität beispiellose) Formel ist nicht nur aus theologischer Sicht äußerst fragwürdig. Sie ist zudem auch eine direkte Herausforderung Seiner Heiligkeit Patriarch Bartholomäus und der alten Kirche von Konstantinopel, die er führt. So wird der Kampf der Hierarchie der russischen Kirche zur Wahrung ihrer Jurisdiktion über die Ukraine zu einem öffentlichen theologischen Krieg gegen Konstantinopel – ein Krieg, der am Ende zu grundlegenden Veränderungen im russischen Kirchenbewusstsein und sogar zur tragischen Selbstisolierung der russisch-orthodoxen Kirche vom Leben der universalen Orthodoxie führen kann.
„Die Antwort des Moskauer Patriarchats wird sehr bald folgen“, heißt es in der Erklärung der Synode. Aber was ist das für eine „Antwort“? Hitzköpfe in Moskau haben bereits einige solche Szenarien formuliert. „Die natürlichste und logische Antwort ist … – ein Bruch mit der eucharistischen Gemeinschaft“, erklärte etwa Professor Wladislaw Petruschko von der Orthodoxen Universität des Heiligen Tichon in Moskau (am 14. September hat die russisch-orthodoxe Kirche die Beziehungen zu Konstantinopel mehr oder weniger „eingefroren“, A.d.R.).
Ein anderer Redner, nicht weniger radikal, war der ganz offizielle Sprecher des Moskauer Patriarchats, Alexander Schtschipkow, seines Zeichens erster stellvertretender Vorsitzender der Synodalabteilung des Moskauer Patriarchats für die Beziehungen der Kirche zur Gesellschaft und den Medien. „Patriarch Bartholomäus ist besessen von der Idee des orientalischen Papsttums“, sagte Schtschipkow. „Er träumt davon, in Anlehnung an die römisch-katholische Kirche das alleinige Oberhaupt der gesamten Ökumenischen Orthodoxie zu werden.“ Aber am auffallendsten ist das in diesem selben für Konstantinopel beleidigenden Ton gehaltene kurze Interview des „Außenministers“ der russisch-orthodoxen Kirche, Metropolit Hilarion (Alfejew), im TV-Kanal „Rossija 24“: „Wenn Konstantinopel seinen heimtückischen Plan zur Gewährung der Autokephalie in die Tat umsetzt, heißt das, dass eine Gruppe von Schismatikern den Status der Autokephalie erhält. Die kanonische Kirche wird diese Autokephalie nicht akzeptieren. Wir in der russischen Kirche erkennen diese Autokephalie natürlich nicht an. Und wir werden keine andere Wahl haben, als die Kommunikation mit Konstantinopel abzubrechen.“
So hat also die Moskauer Kirche erneut offiziell erklärt, dass sie bereit sei, um ihre Macht über die Ukraine zu bewahren, eine Spaltung mit Konstantinopel einzugehen und dadurch die Einheit der orthodoxen Welt zu bedrohen. Aber wem könnte ein solches Szenario mehr schaden – Konstantinopel oder Moskau?
Wenn also die russische Kirche aus der Gemeinschaft mit Konstantinopel austreten sollte, – so Metropolit Hilarion im besagten Intereview – werde der Ökumenische Patriarch „kein Recht haben, sich weiter als ‚Oberhaupt der 300 Millionen starken orthodoxen Weltbevölkerung‘ zu bezeichnen, so wie er es bisher tut – mindestens die Hälfte der Orthodoxen wird ihn nicht anerkennen.“ Eine zweifelhafte Annahme. Immerhin, wie Experten bereits erklärt haben, könnte die Gewährung des Tomos für die ukrainische Kirche zu völlig anderen Konsequenzen führen – nämlich zu einer großangelegten Neuordnung der Weltorthodoxie, die gerade zur Stärkung der Rolle Konstantinopels führen könnte.
Aber darum geht es nicht. Während er den Schrecken, den das von der russisch-orthodoxen Kirche initiierte Schisma in Konstantinopel angeblichen auslösen würde, skizziert, schweigt Metropolit Hilarion über die andere Seite des Problems, nämlich zu welchen Konsequenzen im kirchlichen Bewusstsein das Schisma mit Konstantinopel in Russland selbst führen könnte.
Ein Abbruch der Kommunikation aus einem anderen Grund als Fragen des Dogmas ist absolut inakzeptabel. Außerdem kann er zu schädlichsten Veränderungen im kirchlichen Bewusstsein führen. „Das ist ein Missbrauch der Eucharistie“, warf Metropolit Kallistos (Ware) der russischen Kirche 1996 vor, als der Moskauer Patriarch [als Reaktion auf die Gewährung der Autokephalie für die estnische orthodoxe Kirche] die Kommunikation mit Konstantinopel einseitig abbrach. Aber diese theologische Warnung wurde leider ignoriert. Und heute ist die russische Kirche wieder bereit, ihre Katholizität zu riskieren. Darüber hinaus geht sie dieses Risiko in einem Moment ihrer Geschichte ein, in dem die isolationistischen ethnophilen Tendenzen stärker sind als je zuvor.
Seit 1996 sind mehr als zwanzig Jahre vergangen. Aber was ist in Russland über diese Jahre passiert? Erstens wurde die russische Kirche faktisch zu einer Staatskirche. Zweitens ist die russisch-orthodoxe Kirche das in Putins Russland geworden, das heißt, in einem Staat, der auf der Ideologie des russischen Neoimperialismus basiert. Und drittens hat die russische Kirche unter der Führung dieses Staates die Reste ihrer Freiheit verloren und ist heute nicht mehr in der Lage, strategische Entscheidungen ohne Zustimmung des Kreml zu treffen.
Im Jahr 1996, als die ethnophilen Tendenzen in der russischen Orthodoxie noch nicht so stark waren, wurde das wahre Schisma vermieden und die im Februar 1996 unterbrochene Kommunikation von Moskau bereits im März desselben Jahres wiederhergestellt.
Aber wohin könnte der Abbruch dieses Mal führen?
Leider trägt das Bündnis mit dem modernen russischen Staat bereits Früchte in der Kirche. Christliche Identität wird zunehmend durch nationale Identität ersetzt. Pseudokirchliche Ideologie ersetzt wahre Kirchlichkeit. Die in eine Zivilreligion umgewandelte „Orthodoxie“ entfernt sich zusehends vom Geist und der Ethik des Evangeliums und verwandelt sich in ein vielseitiges Werkzeug der Sakralisierung von Putins Tyrannei, welches den ekelhaftesten sozialen Phänomenen und Ideen den Anschein von Gesetzmäßigkeit gibt – von der Korruption bis hin zur Ideologie des Isolationismus.
„Konstantinopel fiel von der Reinheit des orthodoxen Glaubens ab“, sagen heute die höchsten Sprecher der russischen Kirche. Aber denkt Hilarion überhaupt darüber nach, welche Reaktion seine Worte in der russischen Gesellschaft, in der isolationistische und nationalistische Ideen heute schon weit verbreitet sind, auslösen könnten? Im modernen Russland ist die Idee des Patriotismus sehr gefragt. Aber die russische Kirche, die zu einem Werkzeug des Nationalismus geworden ist, riskiert geradezu, sich selber das Leben zu nehmen – ihre eigentliche (über dem Nationalen stehende) Berufung als Kirche zu vergessen.
Wird sie ihren gegenwärtigen Einfluss auf die Gesellschaft in der Zeit nach Putin aufrechterhalten können, wenn der russische Staat keine „orthodoxe“ Idee mehr braucht, um den „besonderen“ (die Weltzivilisation umgehenden) „russischen Weg“ zu rechtfertigen?
Sowohl Patriarch Kyrill als auch Metropolit Hilarion verstehen sehr gut, dass die russische Kirche auch noch „nach Putin“ existieren wird. Aber sie unterschätzen die spontane Kraft des russischen Nationalismus. Und schließlich zeigt die Geschichte, dass es viel leichter ist, das in den Menschen schlummernde heidnische nationalistische Element zu „erwecken“ als es wieder „schlafen zu legen“.
Im Unterschied zu 1996, was man als „ärgerlichen Zufall“ abtun könnte, wäre der Verlust des Kompetenzmonopols in der Ukraine für das russische Kirchenbewusstsein viel schmerzhafter als es die „Estnische Krise“ seinerzeit war. Daher kann der Abbruch der Kommunikation mit Konstantinopel im modernen Russland ganz anders erlebt werden als noch vor 22 Jahren. Diesmal ist der Kommunikationsbruch vielleicht keine virtuelle kirchenpolitische Maßnahme, sondern ein Ereignis, das für das russische Nationalbewusstsein eine symbolische Bedeutung hat – ein Ereignis, das sich für lange Zeit in die Erinnerung der Menschen festsetzen und es noch länger mit der äußerst zweifelhaften Idee der „russischen Führungsrolle“ in Versuchung führen könnte.
Man kann nicht umhin zu erwähnen, wohin der Bruch der Kommunion mit Konstantinopel durch Moskau die Gläubigen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (des Moskauer Patriarchats, A.d.R.) führen könnte. Seit Jahrzehnten hat unsere Kirche betont, die einzige Kirchenstruktur zu sein, die in liturgischer Gemeinschaft mit Konstantinopel und anderen Ortskirchen steht. Aber kann diese ekklesiologische Identität überleben, wenn das Moskauer Patriarchat aus Protest gegen den Tomos die Kommunikation mit Konstantinopel abbricht?
Sicherlich wird ein gewisser Teil der ukrainischen Bischöfe, Priester und Gläubigen Moskau treu bleiben – allerdings ist davon auszugehen, dass dies der am wenigsten gebildete Teil der Kirchgemeinschaft sein dürfte. Was wird deren Schicksal sein? Und kann eine solche auf der Ideologie des orthodoxen Fundamentalismus basierende Kirchenstruktur ihren Einfluss in der ukrainischen Gesellschaft bewahren?
Diese Fragen müsste die Kirche in Moskau schon heute beantworten – bevor die Idee des „Abfallens der Griechen“ (Anspielung auf das Schisma zwischen Rom und Byzanz 1054, A.d.R.) beginnt, ihr Leben in der russischen Kirchenmythologie zu leben.
12. September 2018 // Alexander Drabinko, Metropolit von Perejslaw-Chmelnizkij und Wischnewskij (Moskauer Patriarchat)
Quelle: Lewyj Bereg
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