Ukraine-EU-Gipfel endet ohne konkreten Vertragsabschluss


Gestern wurden auf dem XV. Ukraine-EU-Gipfel Gipfel die Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen abgeschlossen. Wie erwartet, wurde die europäische Perspektive des Landes nicht im Dokument festgehalten. Die Pressekonferenz unter Beteiligung der Präsidenten zeigte Differenzen in den Positionen Kiews und Brüssels im Energiebereich auf, außerdem bekräftigte die Europäische Union ihre Beunruhigung über die politische Situation in der Ukraine. Nichtsdestotrotz kann der Gipfel als erfolgreich bezeichnet werden – die ukrainischen Diplomaten haben das maximal Mögliche in der derzeitigen Situation erreicht. Beide Seiten haben den Vertrag über die Vereinfachung des Visaregimes abgestimmt. Die EU versprach das Assoziierungsabkommen ohne Bindung an den Zustand der Demokratie im Lande zu paraphieren und der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, hält zukünftig eine engere Integration der Ukraine und der EU für möglich.

Dass der XV. Jubiläumsgipfel zwischen der Ukraine und der EU zu einem bedeutsamen in den bilateralen Beziehungen zwischen Kiew und Brüssel werden wird, verkündete die ukrainische Regierung im Verlaufe der letzten beiden Jahre. Anfänglich prognostizierte man in der Präsidialadministration und der Regierung, dass auf dem Gipfel das Assoziierungsabkommen unterzeichnet werden wird. Danach, als die Unerfühlbarkeit dieser Aufgabe offensichtlich wurde, ging die Rede bereits nur noch von der Paraphierung des Vertrages. Jedoch gelang auch dies nicht – zum gestrigen Tag war der Text des Assoziierungsabkommens von den technischen Diensten beider Seiten nicht abgestimmt worden, zudem blieb den Präsidenten noch die Entscheidung über die Fixierung der Mitgliedschaftsperspektive, auf der Kiew offiziell bestand.

Vor dem Beginn des Gipfels traf sich Präsident Wiktor Janukowitsch in der Präsidialadministration mit seinen europäischen Kollegen – dem Präsiden des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, und dem Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso. Für das Treffen wurden 40 Minuten anberaumt, doch wurde der Zeitplan völlig missachtet – die Politiker verbrachten zwei Stunden länger hinter verschlossenen Türen. „Wir wissen nicht, worüber sie geredet haben, denn alle ihre Entscheidungen waren schon vorbereitet und in die Abschlusserklärung wurden lediglich kleinere Änderungen eingetragen. Offensichtlich ging die Rede über die Situation in der Ukraine“, teilte einer der europäischen Diplomaten dem “Kommersant-Ukraine” mit.

Hauptergebnis des Gipfels wurde der offizielle Abschluss der Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen. Das Dokument wurde bislang nicht veröffentlicht, doch wurde dem “Kommersant-Ukraine” der Inhalt der abgestimmten Positionen in der Präambel bekannt. Wie vorher Experten und Informanten des “Kommersant-Ukraine” vermuteten, fehlt der Punkt über die Mitgliedschaftsperspektive der Ukraine im Vertrag. Es gibt auch keine Erwähnung des Artikels 49 des Europäischen Vertrages, der das Recht europäischer Staaten auf einen Mitgliedsantrag in der EU vorsieht. Die Formulierung wurde von Kiew als ein Kompromiss angesehen.

„Das einzige, wo wir übereingestimmt haben, war die Erwähnung der europäischen Identität der Ukraine. Doch auch diese Phrase wurde nicht in der Redaktion aufgeschrieben, auf der Kiew bestand und kann nicht als Hinweis auf die europäische Perspektive verstanden werden2, erzählte ein hochgestellter europäischer Diplomat dem “Kommersant-Ukraine”. Den vorliegenden Informationen nach verkündet der Punkt, dass die EU die Information über die europäische Identität der Ukraine „zur Kenntnis nimmt“ und zu mehr sind die Mitgliedsstaaten der EU bislang nicht bereit.

Derweil ertönte eine klare Deklaration der Mitgliedschaftsperspektive bei den Erklärungen der ukrainischen Seiten zu den Ergebnissen der Verhandlungen. „Die Ukraine geht davon aus, dass jeder europäische Staat auf einer vollwertigen Mitgliedschaft in der EU Anspruch erheben kann“, erklärte Wiktor Janukowitsch. Bleibt anzumerken, dass Barroso sich außerhalb des Gipfels ebenfalls erlaubte, auf die Zukunft Kiews in der EU hinzudeuten. „Ja, wir werden zusammen sein … Wir meinen, dass die Ukraine in Mitglied der europäischen Familie ist“, erklärte er gestern Abend auf dem Treffen mit Vertretern gesellschaftlicher Organisationen.

In Fragen, die nicht mit dem Text des Assoziierungsabkommens zusammenhängen, hat die Ukraine fraglos Erfolge erzielt. Die EU-Führer haben zum ersten Mal zugegeben, dass sie den Vertrag ohne Berücksichtigung der Probleme mit der Demokratie im Lande paraphieren möchten, wo vor kurzem sogar diese Prozedur insgesamt infrage gestellt wurde. „Wir sind bereit das Abkommen zu paraphieren, sobald die technische Arbeit fertiggestellt wird … Wir würden es gern bald unterzeichnen, nur hängt dieser Schritt von den politischen Umständen ab“, erklärte Herman van Rompuy. Gestern teilte der Erste Vizepremier Andrej Kljujew mit, dass für die technische Ausarbeitung des Vertragstextes „ein bis anderthalb Monate notwendig sind“. Übrigens teilen nicht alle Teilnehmer der ukrainischen Verhandlungsgruppe diese Prognose. „Möglich ist, dass die Paraphierung erst im März gelingt“, teilte ein Informant dem “Kommersant-Ukraine” mit.

Zu einem weiteren Erfolg Kiews wurde die inoffizielle Zustimmung der Brüsseler Beamten den Vertrag gleich nach der Paraphierung unter Umgehung der traditionellen Geheimhaltungsregeln für internationale Verträge zu veröffentlichen. Mit der Bitte um Veröffentlichung des Abkommens traten vorher Vertreter ukrainischer Expertenorganisationen auf.

Den Ergebnissen des Gipfels nach verkündete Wiktor Janukowitsch einen weiteren Erfolg – Kiew einigte sich auf die Abmilderung der Visabedingungen für die Einreise von Ukrainern in die Länder der Europäischen Union. „Ich begrüße die Eintragung von Änderungen in das geltende Abkommen zur Liberalisierung des Visaregimes“, sagte der Präsident. Gesprächspartner des “Kommersant-Ukraine” in den Verhandlungsgruppen beeilten sich zu präzisieren, dass das Staatsoberhaupt die Ereignisse etwas überbewertet: gestern wurden die politischen Schlüsselpositionen des neuen Vertrages abgestimmt, doch dessen Text selbst ist nicht zur Unterschrift bereit. „Das Abkommen über die Visaliberalisierung wird sehr bald abgeschlossen – ich denke, Anfang Januar“, erklärte dem “Kommersant-Ukraine” einer der europäischen Diplomaten.

Der entsprechende Vertrag soll die Klasse der Schengen-Visa, die an Ukrainer ausgegeben werden, spürbar erhöhen. So wird im geltenden Vertrag zwischen der Ukraine und der Europäischen Union deklariert, dass den Bürgern, die oft in die EU-Staaten reisen, Multivisa mit einer Geltung von bis „zu einem Jahr“ und für einzelne Kategorien von „bis zu fünf Jahren“ ausgestellt werden. Derzeit nutzen die europäischen Konsulate die unklare Formulierung und geben Multivisa für kurze Fristen – für einen Monat und einigen für einige Tage aus, damit Ukrainer zwingend, sich erneut vor jeder nächsten Reise erneut um ein Visum zu bemühen (siehe Ausgabe des “Kommersant-Ukraine” vom 23. September). Im neuen Vertrag werden die Fristen klarer festgelegt und es werden die Worte „ein Jahr“ und „fünf Jahre“ auftauchen.

Es erhöht sich ebenfalls die Zahl der kostenlosen Visa, die von den EU-Ländern ausgegeben werden. Von der Visagebühr werden Vertreter nichtstaatlicher Organisationen, jeglicher Berufsverbände und von religiösen Organisationen befreit. „Fünfjährige Visa – das ist faktisch die Visafreiheit. Zusätzlich kann die Mehrzahl der Bürger auf Wunsch nachweisen, dass sie Mitglieder der einen oder anderen Berufsvereinigung oder religiösen Gemeinschaft sind und für das Visum nicht zahlen“, erklärte der Leiter der Konsularabteilung des Außenministeriums, Andrej Olefirow, vorher, als er die Verhandlungen mit der EU zu dieser Frage mit Journalisten diskutierte.

Den Informationen des “Kommersant-Ukraine” nach forderte die ukrainische Seite im Verlaufe der Verhandlungen von der EU ebenfalls die Zahlung der Kosten für die Dienste der Visazentren – kommerziellen Mittlern bei den Konsulaten – für weniger begüterte Bürger, beispielsweise Rentner, abzuschaffen. Das gelang nicht zu erreichen, gab ein hochgestellter ukrainischer Diplomat gegenüber dem “Kommersant-Ukraine” im Gespräch zu. „Europäische Partner erläuterten uns, dass das sehr schwer zu erreichen ist. Doch wir haben uns auf eine andere Verbesserung geeinigt: Die EU schafft die Bezahlung für die Schnellausfertigung von Visa (bei einer Reihe von Konsulaten wird der doppelte Tarif bezahlt) ab“.

Bleibt anzumerken, dass die oben beschriebenen Änderungen nicht sofort nach der Unterzeichnung der Änderungen im Abkommen zur Liberalisierung des Visaregimes in Kraft treten, da der abgestimmte Vertrag noch von den Parlamenten der Mitgliedsländer ratifiziert werden muss. In der Regel benötigt dieser Prozess etwa zwei Jahre.

Aus den anderen Themen, die auf dem Gipfel diskutiert wurden, muss die Energiewirtschaft unbedingt hervorgehoben werden. Noch vor dem Besuch in Kiew hatte Herman van Rompuy der Beunruhigung Brüssels in dieser Frage Ausdruck verliehen. Vorher hatte Moskau im Verlauf der Gasverhandlungen gefordert, dass Kiew aus dem Vertrag über die europäische Energiegemeinschaft aussteigt (siehe “Kommersant-Ukraine” vom 16. Dezember). Gestern wich Wiktor Janukowitsch einer direkten Antwort auf Nachfrage von Journalisten für die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios aus, doch betonte er, dass Kiew bisher mit den Ergebnissen des Beitritts zu dieser Organisation unzufrieden ist. „Mit dem Beitritt haben wir die Bedingungen übernommen, die von der Gemeinschaft vorgesehen sind. Doch leider wird gegen diese Bedingungen vonseiten der Gemeinschaft verstoßen und das findet nicht zum Vorteil der Ukraine statt. Beispiele sind der Bau von ‘South Stream’ und von unterirdischen Gasspeichern auf dem Territorium von Serbien. Das ukrainische Gastransportsystem verliert an Wert“, empörte sich der Präsident.

Die EU-Vertreter hielten sich mit einer Reaktion auf diese Anmerkung zurück. Barroso betonte lediglich, dass er „von der Ukraine die Einhaltung der Verpflichtungen erwartet“. Derweil wurden dem “Kommersant-Ukraine” die Einzelheiten der Gespräche zwischen Kiew und Brüssel in dieser Frage bekannt. „Die Ukraine gab zu verstehen, dass sie gern auf die Implementierung des dritten Energiepaketes verzichten würde, das für Russland unvorteilhaft ist und das die Trennung der Produktion vom Transit von Energieträgern vorsieht. Doch die Diskussion in diesem Punkt wird fortgesetzt. Wir sagen: Falls Sie sich in den europäischen Markt integrieren, dann müssen sie früher oder später all unsere Regeln annehmen“, erzählte dem “Kommersant-Ukraine” ein europäischer Diplomat, der an den gestrigen Verhandlungen beteiligt war. „Übrigens wurde uns versichert, dass es keinen vollständigen Verzicht auf die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft geben wird“.

Sergej Sidorenko

Quelle: Kommersant-Ukraine

Übersetzer:   Andreas Stein  — Wörter: 1523

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