Die Ukrainische Aufständische Armee (UPA): 70 Jahre Einsamkeit
Über die Ukrainische Aufständische Armee (ukr. Ukrajinska Powstanska Armija, UPA, Anm.d.Ü.) spricht man entweder mit unverhohlenem Pathos oder aber mit unverhohlenem Hass. In jedem Fall ist der Tonfall episch. Ich möchte diese Stereotype aufbrechen und einen anderen Ton anschlagen.
Das nicht immer einfache Schicksal eines Wissenschaftlers verschlug mich einmal gemeinsam mit einigen Kollegen in ein Restaurant namens „Partisan“ am Rande von Kiew. Der Kellner brachte uns eine Speisekarte, die mich als Historiker in Erstaunen versetzte. Auf dem Umschlag waren Portraits von Giuseppe Garibaldi, Ernesto Che Guevara, Nestor Machno, Sidor Kowpak und aus irgendeinem Grund auch Wassyl Iwanowitsch Tschapajew (dieser hieß zum Ersten in Wirklichkeit nicht Tschapajew, sondern Tschepajew, und war zum Zweiten eigentlich auch kein Partisan). Im Restaurant entdeckten wir spezielle Säle, die nach den erwähnten Persönlichkeiten benannt waren.
Uns führte man in den Machno-Saal und der Kellner begann sogar, etwas über Nestor Iwanowitsch zu erzählen. Da hielt ich es nicht aus und fragte, weshalb auf der Speisekarte kein Portrait von Taras Bulba-Borowez sei. Als Antwort bekam ich ein „Und wer ist das?“ zu hören. Ich erklärte, Borowez nenne man „einen Pionier des ukrainischen Partisanenkampfes“ und dass dies im Grunde genommen auch zutreffend sei. Und überhaupt habe mit ihm die Geschichte der UPA begonnen. „Schon von ihr gehört?“, fragte ich den Kellner. Er schwieg eine Weile und sagte dann, doch, die kenne er schon. Er schloss mit einer bemerkenswerten Aussage: „Unser Designer war aus Moskau, der wird deswegen kaum was von unserer Geschichte gewusst haben.“
Vater der UPA
Borowez, der für sich das Pseudonym „Taras Bulba“ wählte, hieß laut manchen Quellen eigentlich Maksim, andere wiederum schreiben ihm dem Namen Wassyl zu, es mag jedoch auch sein, dass er tatsächlich Taras hieß. Er wird 1908 im Dorf Bystrytschi in der Gegend von Kostopil (heute Kreis Beresne im Gebiet von Riwne) in eine elfköpfige Familie von Kleinbauern hineingeboren. Obwohl seit frühester Jugend gezwungen im Steinbruch zu arbeiten, interessiert er sich für Politik. Hier sei angemerkt, dass Borowez‘ politische Sympathien in den 1920er Jahren noch zwischen den Kommunisten und den Befürwortern einer ukrainischen Eigenstaatlichkeit schwanken. Erst Berichte über die tatsächliche Lage in der Sowjetunion helfen ihm dabei, seine Wahl zu treffen und sich von prokommunistischen Illusionen zu befreien.
Borowez gründet die Untergrundorganisation Ukrainische Nationale Wiedergeburt. Die polnischen Behörden verfolgen ihn. Durch W. Rajewskij, einen Hundertschaftsführer der Armee der UNR (ukr. Ukrajinska Narodna Respublika, Nationale Ukrainische Republik, Anm. d. Ü.), lernt Borowez 1932 Oberst Iwan Litwinenko von der Armee der UNR kennen. Dieser arbeitet für die Abteilung „Aufklärung“ des sich im Exil aufhaltenden Militärstabs der UNR. Es ist anzunehmen, dass Borowez‘ illegale Reisen auf das Gebiet der UdSSR Anfang der 1930er Jahre im Auftrag eben dieser Abteilung erfolgen.
In den Jahren 1934-1935 sitzt Borowez im polnischen Konzentrationslager von Beresa Kartuska. Nach seiner Freilassung organisiert er im Dorf Karpiliwka einen eigenen Steinbruch. Doch von der Politik kann er nicht lassen und setzt sein illegales Wirken für einen unabhängigen ukrainischen Staat fort. Auch mit dem Kommen der „östlichen Brüder“, d.h. der kommunistischen Herrscher, im September 1939 ändert sich für Borowez nichts.
Ende 1939 reist er illegal nach Warschau, wo er aktiv mit der Exilregierung der UNR zusammenarbeitet und den Auftrag erhält, auf dem Gebiet der Ukraine einen Aufstand vorzubereiten, der nach dem Ausbruch eines Krieges zwischen der UdSSR und dem Dritten Reich die Errichtung eines ukrainisch kontrollierten Gebiets ermöglichen soll. Dies entspricht der inneren Überzeugung von Borowez, der nicht bezweifelt, dass die nazistische „neue Ordnung“ und die kommunistischen Ambitionen auf Weltherrschaft identisch sind. Er versteht, dass sich der Krieg schon bald in den Osten verlagern wird und entscheidet, den Ereignissen zuvorzukommen.
Er überquert die Grenze und beginnt mit der Organisation eines Untergrunds, der in der Lage sein soll, in Polesien und Wolhynien den Partisanenkampf aufzunehmen. Im Sommer 1941, zu Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges, stellt Borowez, nun unter dem Pseudonym „Ataman Taras Bulba“, in der Stadt Olewsk Partisaneneinheiten der „Polisska Sitsch“ auf und stellt sich an ihre Spitze. Ihre Strategie charakterisiert er später so: „Wir wussten nicht, welche Politik die Deutschen in der Ukraine verfolgen würden, dabei hing genau davon unsere Taktik ab. Es war klar, dass die Ukraine angesichts des modernen Blitzkrieges abwechselnd dem einen oder dem anderen Besatzer in die Hände fallen würde. Ein politisches oder militärisches Vakuum, wie es in der Ukraine im Jahre 1917 geherrscht hatte, würde es diesmal wohl kaum geben. Davon war ich überzeugt und setzte alles daran, diese Überzeugung unter meine Mitstreiter und unter das Volk zu bringen. Hieraus ergab sich auch unsere Taktik für die Zukunft: auf denjenigen einschlagen, der auf uns einschlägt. Demjenigen helfen, der unseren Unterdrücker bekämpft, und sei er auch eindeutig unser Feind. So manövrieren, dass beiden Besatzern möglichst großer Schaden zugefügt wird.“
Anfangs kämpfen die Einheiten der „Polisska Sitsch“ gegen die zurückweichende Rote Armee und die sowjetische Verwaltung. Die ursprünglich für alle Regionen der Ukraine geplante Aufstellung solcher Einheiten kann aus Mangel an Kadern und aufgrund der schwierigen geopolitischen Situation nicht realisiert werden.
In den ersten Monaten unter deutscher Besatzung kann Borowez noch legal wirken, doch muss er wegen eines Konflikts mit der deutschen Verwaltung schon im Dezember 1941 in den Untergrund gehen. Im Laufe des Jahres 1942 gründet er auf dem Stützpunkt der „Polisska Sitsch“ eine Vereinigung mit dem Namen Ukrainische Aufständische Armee. Noch einmal zitiere ich Borowez, der uns (übrigens ebenso wie Nestor Machno) ausführliche Memoiren hinterlassen hat: „Die revolutionären Ideale der Ukrainischen Nationalen Republik, die glühende ukrainische Patrioten auf ihrer Flucht vor dem Feind aus der Mitte des Landes in die Welt hinaus trugen, fanden in den Sümpfen und Wäldern Polesiens einen fruchtbaren Boden. Aus nackten Felsen und Morast wuchsen diese Ideale in Gestalt der Ukrainischen Aufständischen Armee zu einer nationalen und staatlichen Vereinigung. Hier und nirgendwo anders findet der objektive Historiker unserer stürmischen Epoche die Genese der UPA. In der nationalen Wiedergeburt Polesiens, der ein ideell-politisches Fundament zugrunde lag, und nicht der bloße Wunsch, Polesien für die eigene Seite zu ‚erobern‘, nachdem es bereits Hitler-Deutschland in die Hände gefallen war. Das Oberkommando der UPA bestand aus früheren Angehörigen der Armee der UNR, ihre Reihen füllten Bewohner Polesiens und Wolhyniens.“
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Bulba-Borowez im Unterschied zu Bandera also kein nationalistischer „Bolschewik“ war. Zudem operierte er wie ein echter Partisan. In den Jahren 1942-1943 hält er aktiv Kontakt zu Vertretern der Melnyk-Fraktion in der OUN (ukr. Orhanisazija Ukrajinskich Nazionalistiw, dt. Organisation Ukrainischer Nationalisten, Anm.d.Ü). Im August und September 1942 verhandelt er mit dem Kommando der sowjetischen Partisanen über gemeinsame Aktionen. Allerdings gelingt es nicht, ein einheitliches politisches Programm für den Kampf gegen Hitler zu formulieren. Um den Jahreswechsel 1942/43 versucht er, Kontakte zum Kommando der AK (pln. Armia Krajowa, Polnische Heimatarmee, Anm.d.Ü.) zu knüpfen, um den sich zuspitzenden polnisch-ukrainischen Konflikt beizulegen. Schließlich unternimmt er den Versuch, die Aktionen weiterer bewaffneter Einheiten der OUN zu koordinieren, was sich als verhängnisvoll für sein weiteres Schicksal erweist.
Umgestaltung der UPA
Interessanterweise gibt sich die Führung der OUN – oder genauer ihrer beiden Teile, denn sie zerfällt 1940 in eine Fraktion um Melnyk, die OUN (M), und eine um Bandera, die OUN (B) – keine besondere Mühe, eigene militärische Strukturen aufzubauen. Die Anhänger Banderas verurteilen das von ihnen so genannte „Partisanentum“. Man geht davon aus, Hitler-Deutschland und Stalins UdSSR werden im gegenseitigen Kampf bald ihre Kräfte erschöpfen, was die Möglichkeit zum Aufbau einer unabhängigen Ukraine eröffnen wird.
Allerdings findet Ende 1942 in Lemberg eine illegale Konferenz der Militärreferenten der einzelnen Sektionen der OUN (B) statt, die sich für die Aufstellung eigener militärischer Verbände ausspricht. Im Oktober desselben Jahres beginnt in Wolhynien die Aufstellung erster Kampfverbände unter dem Kommando von Serhij Katschinskij („Ostap“). (Ein wenig vorgreifend möchte ich hier schon sagen, dass Roman Schuchewytsch im Oktober 1947 aufgrund dieser Tatsache den 14. Oktober 1942 per Verordnung zum Gründungstag der UPA erklären wird). Mykola Lebed, seit Banderas Verhaftung Führer der OUN (B) lehnt solche Maßnahmen jedoch zunächst ab und so erfolgt die offizielle Zustimmung zur Ausweitung des Partisanenkampfes erst im April 1943, bei der 3. Konferenz der OUN (B).
Dessen ungeachtet beginnen erste Einheiten der OUN bereits im Herbst 1942 mit Operationen in der Gegend der Stadt Sarny. Im Dezember 1942 und Februar 1943 verlagern sich die Aktionen in das Gebiet um Kostopil, Ljudwipil und Beresne. In der ersten Märzhälfte 1943 dehnen sie sich auf die südlichen Gebiete um Riwno, Dubno, Swjahel aus. In der zweiten Märzhälfte und im April 1943 schließlich erfassen sie die westlichen und südlichen Teile des Wolhyner und Riwner Gebiets sowie die nördlichen Teile des Gebiets um Ternopil und Kamjanez-Podilskyj.
All das vollzieht sich nicht ohne dramatische Auseinandersetzungen. Die militärischen Strukturen entstehen unabhängig von politischer Orientierung. Die Gefolgsleute von Bandera, Melnyk und von Taras Bulba-Borowez, der, wie wir gesehen haben, in der Aufstellung militärischer Einheiten bedeutende Erfolge vorzuweisen hat, handeln jeweils nach eigenem Ermessen. Zwar beginnen Verhandlungen über die Bündelung der militärischen Kräfte, doch enden diese schon bald in einer Sackgasse. In dieser Situation greifen die Anhänger Banderas (wie es sich für echte Radikale gehört) zu einer gewaltsamen Lösung: In Wolhynien und Polesien werden von Mai bis August 1943 Borowez‘ Einheiten zwangsweise mit den eigenen Truppen vereinigt. Er selbst hat seine Verbände noch in „Ukrainische National-Revolutionäre Armee“ (UNRA) (ukr. Ukrajinska Nazionalno Rewoluzijna Armija, Anm.d.Ü.) umbenannt. Doch das hält Banderas Leute nicht davon ab, sich diese einzuverleiben.
Am 19. August wird der Hauptverband von Borowez im Dorf Tschernyzja (Kreis Korez im Gebiet von Riwne) eingekesselt. In Gefangenschaft gerät neben einigen Kommandeuren auch Borowez‘ Ehefrau Hanna Opotschynska; sie wird später gefoltert und hingerichtet. Borowez selbst wird im Dezember 1943 in Warschau von der Gestapo verhaftet und ins KZ Sachsenhausen gebracht. Nun werden auch die Anhänger von Melnyk mitsamt ihren militärischen Strukturen der UPA eingegliedert, ebenso Abteilungen der Ukrainischen Revolutionären Front sowie die „Freien Kosaken“. Zudem wird die UPA quasi über Nacht um bis zu fünftausend Ukrainer erweitert, die zuvor den Polizeikräften angehört haben.
Schon seit April 1943 nutzen die Militärverbände Banderas die von Taras Bulba-Borowez eingeführte Bezeichnung „Ukrainische Aufständische Armee“. Bereits im Sommer 1943 sind ein Oberkommando, ein Hauptmilitärstab, Gruppenkommandos und -stäbe geschaffen, auch die Strukturen des Hinterlandes sind gefestigt. Bekanntermaßen wurden die Abkürzungen OUN-UPA in Publikationen früher synonym gebraucht – und bei Auftritten linker Politiker ist dies bis heute noch so. Dabei bestand die UPA nach einer Untersuchung des ukrainischen Historikers Jurij Kyrytschuk zu lediglich 50 Prozent aus Mitgliedern der OUN (B). Die weiteren Kämpfer und Kommandeure hingen anderen politischen Überzeugungen an, obgleich die UPA unter der ständigen und wachsamen Kontrolle der Gefolgsleute Banderas stand.
Jetzt steht Dmytro Kljatschkiwskyj, bekannt auch als „Klim Sawur“ oder „Ochrim“, an der Spitze dieser mächtigen Struktur. Geboren wird er 1911 in der Stadt Sbarasch im Ternopiler Gebiet als Sohn eines wohlhabenden Bankangestellten. Er schließt ein Jurastudium an der Universität von Lemberg ab, dient in der polnischen Armee, arbeitet im Anschluss in Galizien für genossenschaftliche Unternehmen, ist Aktivist der sportlich-patriotischen ukrainischen Jugendbewegung und schließlich Mitglied der OUN. Anfangs noch von den polnischen Behörden verfolgt, gerät er mit dem Beginn der Sowjetisierung der West-Ukraine auch in das Fadenkreuz des NKWD. Doch er hält sich unbeschadet und nie gelingt es, Kljatschkiwskyjs Zugehörigkeit zum nationalistischen Untergrund zu beweisen. Im Unterschied zu den Polen jedoch verurteilen ihn die Kommunisten im Januar 1941 trotzdem zum Tod durch Erschießen. Das Urteil wird später in eine zehnjährige Freiheitsstrafe umgewandelt. Dmytro Kljatschkiwskyj nutzt das Chaos der ersten Kriegswochen und flieht aus dem Gefängnis von Berditschiw, um in Lemberg bald zum Gebietskommandeur der OUN (B) aufzusteigen. Seit dem Jahr 1942 steht er unter dem Pseudonym „Ochrim“ an der Spitze jener Sektion der OUN, die im „nordwestlichen Territorium der Ukraine“ (Wolhynien und Polesien) aktiv ist und widmet sich dort der Bildung der ersten Einheit der UPA.
„Klim Sawur“ als Partisanen zu bezeichnen, wäre falsch. Bei ihm handelte es sich tatsächlich schon um einen militärisch geprägten, abgehärteten, willensstarken, unbarmherzigen und wenig emotionalen Menschen. Im Bestreben, die UPA in eine wirkliche politische Kraft zu verwandeln, die auf Rückhalt aus der Bevölkerung bauen kann, führt er eine strenge militärische Disziplin und Rechtspraxis ein. So steht seit einem Erlass vom 15. Mai 1943 auf Vergehen wie Zusammenarbeit mit dem Feind, Sabotage und Diversion, Spionage, Tötungen, Fahnenflucht, das Fernbleiben „vom Arbeitsplatz im Hinterland der Front“, Diebstahl militärischen wie persönlichen Eigentums, bewaffnete Raubüberfälle etc. die Todesstrafe.
Die besondere Aufmerksamkeit „Klim Sawurs“ gilt der Aufklärung sowie den Aktivitäten des Sicherheitsdienstes, dessen Leiter er selbst ist. Den Aufbau und die Aufgaben der Spezialkräfte regeln die „Weisungen bezüglich der Arbeit von Aufklärung und Spionageabwehr“. Die Aktivitäten der einzelnen Stäbe und Einheiten sind nur dank eines weitverzweigten Netzes von Informanten möglich, das Berichte über Truppenstärke und Pläne der sowjetischen Partisanen, der Deutschen sowie auch der bewaffneten polnischen Gruppierungen liefert.
Der Name Kljatschkiwskyjs bleibt eng verbunden mit der polnisch-ukrainischen Problematik. Manche behaupten, gerade er habe (trotz Bedenken der OUN) jenen Befehl gegeben, der den tragischen polnisch-ukrainischen Konflikt der Jahre 1942-44 entfesselte (einschließlich der blutigen Ereignisse in Wolhynien im Jahr 1943). Dieser Befehl ist bis heute verschollen, doch sind seine Folgen unbestreitbar. Der von beiden Seiten gnadenlos geführte Kampf kostet die Polen bis zu 40.000 Menschenleben, die Ukrainer rund 16.000.
Überzeugt von der Notwendigkeit, die Führung der aufständischen Bewegung und der OUN zu vereinigen, tritt Kljatschkiwskyj am 27. Januar 1944 seinen Posten an Roman Schuchewytsch ab und beschränkt sich auf die Rolle des Kommandierenden der UPA-„Nord“.
Ein neuer Kommandeur
Bei der Arbeit an diesem Artikel habe ich (vornehmlich im Internet) recht viele Publikationen zu Roman Schuchewytsch gelesen. Großer Gott, wie viel Blödsinn, Voreingenommenheit und Hass sich darin findet, und sogar Behauptungen wie jene, Hitler selbst habe ihm einen Orden verliehen.
Schuchewytsch kommt 1907 in der Gegend von Lemberg zur Welt. Schon seit der sechsten Klasse des Gymnasiums ist er im Untergrund für die Ukrainische Militärorganisation (ukr. Ukrajinska Wijskowa Orhanisazija, UWO, Anm.d.Ü.) tätig. In den 1920er Jahren organisiert und leitet er anti-polnische Aktionen. Er ist eines der ersten Mitglieder der OUN und fungiert als Militärreferent in ihrer Exekutive, an deren Spitze Stepan Bandera steht. Schuchewytsch organisiert 1930 auch die bekannt gewordene erste militärische Aktion der OUN in der Stadt Horodok. Er erlangt einen Abschluss am Polytechnischen Institut von Lemberg, verfügt daneben jedoch auch über eine militärische Ausbildung und tut sich als Sportler hervor, sammelt Erfolge im Skilauf, stellt als Läufer Rekorde auf und spielt Fußball, in Lemberg leitet er zudem eine Reihe ukrainischer Sportvereine. Ein Mann also, der für den Kampf gerüstet ist. Entscheidungsstark, mit einem eisernen Willen, wenn nötig gnadenlos.
1933 organisiert Schuchewytsch einen Überfall auf das sowjetische Konsulat in Lemberg. 1934 wird er von den Polen verhaftet, doch bereits 1938 amnestiert. In den Jahren 1938-1939 dient er als Hauptfeldwebel der „Karpatska Sitsch“, 1939-1941 organisiert er für die OUN den Untergrund in der West-Ukraine. 1941 marschiert er an der Spitze der Ukrainischen Legion in Lemberg ein. Zu Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges, als in der West-Ukraine die Gefängnisse „gesäubert“ werden, richtet man seinen Bruder hin, seine Frau wird verhaftet, Sohn und Tochter werden in ein spezielles Kinderheim verbracht.
Als überzeugter Antikommunist würde Schuchewytsch sogar mit dem Teufel selbst paktieren, um im Kampf um eine von Russland unabhängige Ukraine zu siegen. Nach dem Bruch mit den Nationalsozialisten, die eine unabhängige Ukraine nicht anerkennen wollen, befehligt Schuchewytsch die UPA und lenkt zudem die Geschicke der OUN in der Ukraine. Und er tut dies mit großem Erfolg.
Die UPA entwickelt sich zu einem Akteur, der Nationalsozialisten wie Sowjets beschäftigt. De facto werden die von der UPA kontrollierten Gebiete (sie umfassen ein Gebiet von 150.000 Quadratkilometern mit ca. 15 Millionen Einwohnern) zu Republiken mit national-patriotischen Regimen.
Berichte der sowjetischen Partisanen stufen die anti-deutschen Aktionen der UPA als wirkungsvoll ein. Die militärischen Aktionen der UPA sowie örtlicher Bürgerwehren beunruhigen die Deutschen sichtlich. Insgesamt kommt es nach Untersuchungen seriöser Wissenschaftler zu fast dreitausend Gefechten zwischen der UPA und den Deutschen, wobei letztere ungefähr 18.000 Mann verlieren.
Gleichzeitig kämpft die UPA gegen die sowjetischen Partisanen. Nach offiziellen Angaben sind Ukrainer in deren Reihen deutlich unterrepräsentiert. Unter den Kämpfern der fünf größten sowjetischen Partisaneneinheiten in der Ukraine finden sich lediglich 46% Ukrainer, während sie aber bis zu 80% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Deutlich überrepräsentiert dagegen sind mit 37% die Russen. In manchen sowjetischen Publikationen wird man später behaupten, die Zahl der roten Partisanen habe 250.000 oder sogar 500.000 betragen – andere dagegen werden von lediglich ca. 50.000 ausgehen. Heute halten Experten letztere Zahl für wahrscheinlicher. Die Zahl der Toten in den Auseinandersetzungen zwischen UPA und sowjetischen Partisanen wird heute mit je 5.000 auf beiden Seiten beziffert (einschließlich ziviler Opfer).
Im Dezember 1943 gibt das Kommando der UPA die Weisung heraus, alle Angriffe auf die Rote Armee einzustellen. Trotzdem aber werden Einheiten der Aufständischen Anfang 1946 wieder zu diesem Mittel greifen, um Waffen, Medikamente und Nahrungsmittel zu erbeuten.
Mit dem Rückzug der deutschen Besatzer und dem Vordringen der Roten Armee beginnt die Situation eine für die UPA ungünstige Entwicklung zu nehmen. So werden z.B. zwecks Verstärkung der Armeeverbände bis April 1944 zwei Divisionen der sowjetischen Inlandsstreitkräfte aus Suchumi und Ordschonikidse nach Wolhynien verlegt, ebenso fünf Brigaden und ein Kavallerieregiment, ein Panzerbataillon aus der in Moskau stationierten Division „Dserschinskij/Dzierżyński“ sowie Panzerzüge. Schrittweise geht die UPA dazu über, mit zunehmend kleinen Einheiten zu operieren, viel Energie wird nun darauf verwendet, unterirdische Verstecke – Bunker – zu bauen.
In der Schlussphase des Krieges kämpfen die UPA und der nationalistische Untergrund gegen die Inlandsstreitkräfte des NKWD und die kommunistische Verwaltung. Zwischen Januar 1943 und November 1945 verlieren die OUN und die UPA noch einmal bis zu 16.000 Mann, das kommunistische Regime bis zu 10.000.
Hier sei daran erinnert, dass es den Gefolgsleuten Melnyks von der OUN (M) in den Jahren 1943-1944 nicht gelingt, sich den Bedingungen des illegalen Kampfes anzupassen und die Organisation deshalb von den Deutschen fast vollständig ausgelöscht wird. Dies zwingt ihre Führung dazu, die Ausreise ihrer noch verbliebenen Kader anzukündigen.
Der Oberkommandierende der UPA besteht auf einer anderen Linie. Olha, die Ehefrau von Oleksij Hasyn („Lizarj“), einem engem Freund von Roman Schuchewytsch und einem der Führer der OUN (B), fragt einmal, weshalb sie, müde und abgekämpft, denn nicht einfach in den Westen gingen. Mit einem bitter-ironischen Lächeln gibt Schuchewytsch zur Antwort, dass man sie hier in der Ukraine brauche, dort im Westen dagegen nicht. Die UPA setzt den Kampf auf jenen Gebieten fort, die von ihr als ukrainisch betrachtet werden.
Morituri te salutant
Hier ist es unumgänglich, auch das Gebiet jenseits der „Curzon-Linie“ zu erwähnen. Darauf konzentrierte sich nach der Festlegung der polnisch-sowjetischen Grenze von 1945 die Führung der OUN (B), weil die Regierungen der UdSSR und Polens gerade hier eine gigantische Umsiedlungsaktion in Gang setzten. Jenseits der „Curzon-Linie“ entsteht eine OUN-Sektion, an ihrer Spitze steht Jaroslaw Staruch („Stjah“), sein Stellvertreter und gleichzeitig Leiter des Propaganda-Referats ist Wassyl Halasa („Orlan“), Befehlshaber der UPA ist Miroslaw Onyschkewitsch („Orest“, „Bohdan“, „Oleh“, „Bilyj“), die Leitung des Sicherheitsdienstes übernimmt Petro Fedoriw („Dalnytsch“). Bis Herbst 1945 verfügen sie über 9.000-10.000 Mann, die den polnischen Einheiten Widerstand leisten.
Mit polnischen Kollegen beenden wir gerade die Arbeit am neunten Band der gemeinsamen Reihe „Polen und die Ukraine in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts“, der dem Kampf kommunistischer Spezialeinheiten gegen die OUN-Sektion in den besagten Gebieten und der Zerschlagung der UPA gewidmet ist. Es handelt sich dabei um eine erschütternde und tragische Geschichte, doch die Wahrheit ist die, dass es den mit sowjetischen Militärberatern zusammenarbeitenden polnischen Behörden dank des Einsatzes regulärer Militärverbände und Spezialeinheiten sowie der Deportation der ukrainischen Bevölkerung gelang, den nationalistischen ukrainischen Untergrund und die aufständische Bewegung in dieser Region zu zerschlagen. Am Ende stand in den Jahren 1944-1947 der Tod von bis zu 12.000 Ukrainern, daneben die Deportation von fast einer halben Million in die UdSSR sowie (infolge der im Frühjahr 1947 begonnenen „Aktion Weichsel“) die Umsiedlung von rund 150.000 in den Norden und Westen Polens.
Einzelne Einheiten der UPA in Polen erhielten von Schuchewytsch den Befehl, auf das Gebiet der UdSSR auszuweichen, andere wiederum sollten sich in den Westen durchschlagen. Auf diesen beschwerlichen Weg machten sich 750 Kämpfer. Sie sollten eine gigantische Entfernung zurücklegen und die Tschechoslowakei sowie das sowjetisch besetzte Österreich durchqueren, um schließlich nach Bayern zu gelangen. Laut Experten war dieser Marsch notwendig, um einen in erster Linie propagandistischen Zweck zu erreichen. Denn durch bewaffneten Kampf und mitgeführtes Propagandamaterial machten die Aufständischen auf sich aufmerksam und zwangen die westliche Presse dazu, über den ukrainischen Freiheitskampf zu berichten. Schuchewytsch verfügte, die Stärke der einzelnen Verbände sollte 40 Mann nicht überschreiten. Zwischen den Haltepunkten sollten nicht weniger als 15 Kilometer liegen, wobei in manchen Fällen Entfernungen von bis zu 50 Kilometern zurückgelegt wurden.
Die Aufständischen kämpften gegen sowjetische, polnische und tschechoslowakische Truppen. Für den Kampf gegen die Ukrainer hob das tschechoslowakische Verteidigungsministerium die Spezialeinheit „Teplice“ aus der Taufe. Diese bestand im Juli 1947 aus über 4.000 Mann und verfügte über das Fluggeschwader „Kobra“ mit sieben Flugzeugen.
Als erste erreichte Bayern die Einheit von Mychajlo Duda („Hromenko“). Die weiteren Verbände gelangten erst im Mai 1948 in die amerikanisch besetzte Zone. Insgesamt schlugen sich 360 Aufständische in den Westen durch. Der Verband von Burkun führte sogar eine Chronik seiner Hundertschaft mit sich, daneben einzigartige Dokumente und Fotografien. Dieser Durchbruch in den Westen wurde zur letzten erfolgreichen Großoperation der UPA.
Die blutige Auseinandersetzung mit dem stalinistischen Regime in der West-Ukraine jedoch dauerte an. Mit seiner Weisung vom 30. Mai 1947 vereinigte Roman Schuchewytsch die UPA mit der OUN. Es entstand die Bezeichnung bewaffneter Untergrund. Schuchewytsch entschied, sich das Prinzip des „Wallenrodismus“ zu eigen zu machen, also unter dem Anschein von Loyalität die feindlichen Strukturen zu infiltrieren. Und so dienten sich die Leute von OUN und UPA den sowjetischen Strukturen an, um, nun als „Insider“, dem verhassten Regime zu schaden.
Mit dem Beginn des Kalten Krieges keimte bei den Gefolgsleuten Banderas die Hoffnung auf einen Konflikt zwischen den früheren Mitgliedern der Anti-Hitler-Koalition auf. Schuchewytsch aber war Realist. Insbesondere machte er sich keine Hoffnung auf eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen den USA und der UdSSR. Die bereits erwähnte Ehefrau von Oleksij Hasyn („Lizar“) erzählte später, Schuchewytsch habe ihren Mann wegen dessen Träumen von einem sowjetisch-amerikanischen Krieg verlacht. Amerika, so habe Schuchewytsch einmal sarkastisch bemerkt, nehme sich die Meinung von „Lizar“ wohl nicht allzu sehr zu Herzen.
Die UPA blieb im Angesicht eines mächtigen und heimtückischen Feindes wieder alleine…
Finale und Balance
Bloodlands – mit diesem Begriff bezeichnete der US-Historiker Timothy Snyder diejenigen Gebiete, die in besonderem Maße unter der faschistischen und kommunistischen Diktatur gelitten haben. Zu dieser „blutgetränkten Erde“ zählt er insbesondere die Ukraine. Snyder schreibt, die Dynamik der massenhaften Vernichtung vonseiten der Sowjetunion wie auch Hitler-Deutschlands sei dadurch bedingt, dass beiden Regimen eine auf imperiale Politik zielende utopische Ideologie zugrunde liege. Dieser Kurs wurde nach dem Krieg in der West-Ukraine in Gestalt des Kampfes gegen die UPA realisiert.
Überlegene Militärmacht, Geheimdienstarbeit, Provokationen (es reicht aus, an die tschekistischen Spezialeinheiten zu erinnern, die als UPA-Kämpfer verkleidet Gräueltaten verübten) – all das trug zum Sieg der kommunistischen Machthaber bei. Noch im Februar 1945 starb Dmytro Kljatschkiwskyj, im März 1950 kam der sowjetische Staatssicherheitsdienst Roman Schuchewytsch auf die Spur und tötete ihn. Danach verlor die UPA zusehends ihre militärische Handlungsfähigkeit. Am 24. Mai 1954 fassten Einheiten des Ministeriums für Staatssicherheit Schuchewytschs Nachfolger Wassyl Kuk, dessen tatsächliche Rolle beim tragischen Finale der UPA bis heute nicht vollständig aufgearbeitet ist…
Und obgleich einzelne aufständische Einheiten noch bis Ende der 1950er Jahre durchhielten, war, wie es in einem offiziellen Dokument heißt, „die Liquidation bewaffneter Banden und des organisierten Untergrunds bourgeoiser ukrainischer Nationalisten“ bereits Anfang 1956 beendet. Die Militärmacht, verstärkt um die Schlagkraft des Unterdrückungsapparats, wurde zum entscheidenden Faktor für die Unterwerfung der Bevölkerung und die Ausschaltung des Widerstandes von OUN und UPA gegen das kommunistische Okkupationsregime. Und hier die Ergebnisse dieser Aktionen: Nach offiziellen sowjetischen Angaben waren im Westteil der Ukraine zwischen 1944 und 1952 rund 500.000 Menschen Repressionen (in unterschiedlichen Formen, einschließlich Erschießungen) durch den kommunistischen Unterdrückungsapparat ausgesetzt, 134.000 Personen wurden verhaftet, mehr als 153.000 starben, über 203.000 wurden aus der Ukraine in andere Teile der Sowjetunion umgesiedelt. Man beschlagnahmte ein Flugzeug, zwei Panzerwagen, 61 Artilleriegeschütze, 595 Minenwerfer, 77 Flammenwerfer, 358 Panzerabwehrgeschütze, 844 schwere und 8.327 leichte Maschinengewehre, ca. 26.000 Maschinenpistolen, über 72.000 Gewehre, 22.000 Pistolen, über 100.000 Granaten, 80.000 Minen und Geschosse, über 12 Millionen Patronen. Man entdeckte über 100 Druckmaschinen, über 300 Radiosender, 18 Autos und Motorräder, eine beträchtliche Anzahl Lebensmittellager und Depots mit nationalistischer Literatur. Nach offiziellen Angaben führte der ukrainische Untergrund 14,500 Sabotage- und Terrorakte durch, denen nicht weniger als 30.000 Vertreter des kommunistischen Regimes, Soldaten sowie Angehörige der lokalen Bevölkerung zum Opfer fielen.
Insgesamt kämpften, nach offiziellen sowjetischen Angaben, in der gesamten Zeit ihres Bestehens über 100.000 Menschen in der UPA.
…Die UPA war eine Formation, die, streng genommen, niemand brauchte. Weder die Nazis, noch die Kommunisten, obwohl beide Seiten Kontakt zu ihr hielten. Aber die UPA war wichtig für diejenigen, denen eine unabhängige Ukraine am Herzen lag. Natürlich war sie nicht frei von Sünden und ihren Reihen fanden sich auch zweifelhafte Charaktere. Aber war denn die reale, nicht die märchenumrankte, sowjetische Armee ideal, und dienten in ihr nur Engel? Und überhaupt sollte man die Armee eines Staates, der Millionen Bürger mobilisieren und auf den Schlachtfeldern opfern konnte (worüber man später aus irgendeinem Grunde einzig Stolz zu empfinden hatte) nicht mit einer Militärorganisation vergleichen, die keinen solchen Staatsapparat im Rücken hatte und im Namen der Unabhängigkeit den Totalitarismus herausforderte.
Im Grunde wurde diese Unabhängigkeit 1991 ja erlangt. Und wer also braucht heute noch die UPA? Wohl kaum die politischen Designer aus Moskau oder ihre ukrainischen Schüler (erinnern Sie sich an den Kellner aus dem „Partisan“?). Die werden uns schon die Wahrheit über die UPA erzählen. Nun, dann hören wir mal…
12. Oktober 2012 // Jurij Schapowal
Quelle: Serkalo Nedeli