Diese Geschichtspolitik hat der Ukraine geschadet, sie schwach und angreifbar auf der internationalen Arena gemacht und mehr noch die ukrainische Gesellschaft im Inneren polarisiert. Die Sache ist die, dass derartige Helden die Ukrainer nicht einen. Sie riefen unvereinbare Antagonismen hervor und haben das Land buchstäblich auseinandergerissen. Der Gerechtigkeit halber muss ebenfalls gesagt werden, dass das ebenso nicht ohne massive Attacken der russischen Propaganda stattfand, in denen die Ukraine als Intrige der westlichen Feinde gegen Russland dastand, als Erbin des Nationalsozialismus und Faschismus. Darüber, dass in der Ukraine nicht die Revolution der Würde ausbrach, sondern ein faschistischer Putsch stattfand, in dessen Folge eine faschistische Junta an die Macht gelangte. Man kann dazu wie zu einem kranken Wahn stehen (was in Wirklichkeit den Tatsachen entspricht), doch die häufige Neigung der russischen Propaganda zu Tölpelei und die einseitige Geschichtspolitik dienten als anschauliche Bestätigung für den „Naziputsch“ für wenig informierte und wenig gebildete Leute. Doch die Schädlichkeit einer derartigen Gedenkpolitik ist unzweifelhaft.
Erneut taucht die gesetzmäßige Frage auf, wenn denn die Politik des Ukrainischen Instituts für nationales Gedächtnis so schädlich war, warum hat sich niemand dagegen ausgesprochen und das gestoppt? Hoffen wir, dass ihre Schöpfer keine schlechten Absichten hatten. Sie hofften aufrichtig, aber äußerst naiv, dass sie mit Hilfe von Beispielen historischer Kämpfer für die Ukraine die Ukraine am Besten zur Verteidigung des Vaterlands mobilisieren können. Gehen wir davon aus, dass sie einen sehr einfachen mechanistischen Weg gegangen sind, aus der Geschichte der Ukraine alle Taten aussondernd, bei denen Ukrainer mit der Waffe in der Hand gegen Russland kämpften, damit die „historische“ Feindschaft dieser beiden Völker zu beweisen versuchend.
Es kam sicherlich auch nicht ohne materielle „Düngung“ vonseiten der ukrainischen nationalistischen Diaspora aus. Die Diaspora hat die Glorifizierung der „Bandera“-Heldenlinie großzügig bezahlt, sogar nicht darüber nachdenkend, dass die Legalisierung und „Aufhellung“ sehr in die Hände von Moskau spielt. Damit die russische antiukrainische Propaganda sich nicht besonders anstrengen musste, reichte es aus, den Oberkommandierenden der UPA, Roman Schuchewytsch, in der Wehrmachtsuniform zu zeigen und die Information mit seinem Dienst im 201. Polizeibataillon in Belarus zu vervollständigen. Wenn wir aufrichtig sind, dann drängte sich mitunter der Eindruck auf, dass die ukrainischen Schöpfer des Gedenkens Hand in Hand mit der russischen Propagandamaschine zusammenarbeiteten. Dass die Kremlpropaganda die Agenda für die Geschichtspolitik in der Ukraine schreibt.
Es geschahen wundersame Sachen. Als Petro Poroschenko bei den Wahlen 2014 siegte, da spielten historische Fragen in seinem Programm keine merkliche Rolle. Doch danach, mit dem Verlust der Wählerunterstützung, trat Petro Olexijowytsch [Poroschenko] immer mehr auf das historische Feld. Seine Rhetorik radikalisierte sich und begann in der Hauptsache an ein spiegelbildliches Abbild der russischen zu erinnern. Mit dem Unterschied, dass dort die „dedy wojewali / Großväter kämpften“ und hier die „didy wojuwaly / Großväter kämpften“, dort „kein Vergessen, kein Vergeben“, hier „wir erinnern uns, wir verzeihen nicht“. Wenn wir das über die Zeit verfolgen, dann hat diese Rhetorik beständig das Fiasko von Petro Poroschenko näher gebracht und mit ihm des von ihm gelenkten Staates. Wie der Auftritt von Sofija Fedyna beim Kongress der „Europäischen Solidarität“ [Poroschenkos Wahlverein, A.d.Ü.] zeigte, wird Poroschenko auch weiter reaktiv innerhalb der dick durch die Russen aufgestellten Falle agieren. Tatsächlich wird jetzt ein vollwertiges Spiel im Schlagdame mit Putin nicht gelingen, da der Einfluss Poroschenkos auf die ukrainische Politik minimal zu versprechen scheint.
Es schien so, dass Russland die vergangenen fünf Jahre die Ukraine ständig über ein historisches Minenfeld führte. Und wie sich herausstellte, musste der Kreml dafür keine besonderen Anstrengungen unternehmen. Es reichte das ukrainische Meta-Narrativ auf Stepan Bandera, OUN und UPA zu verengen und das Team von Petro Poroschenko begann hartnäckig für den Schutz der eigenen historischen Heiligen zu arbeiten, dabei den Status des eigenen Landes auf internationaler Ebene herabsetzend. Die „Verdienste“ der polnischen Seite in der katastrophalen Verschlechterung der ukrainisch-polnischen Beziehungen nicht herabwürdigend, muss betont werden, dass dennoch zur Hauptursache dieses Scheiterns die Glorifizierung von OUN und UPA durch die Ukraine wurde. Mit dieser Politik hat die Ukraine sich in eine Pattsituation getrieben. Und jetzt muss die neue Regierungsmannschaft irgendwie aus ihr herauskommen, damit die Geschichte die Ukraine nicht endgültig mattsetzt.
Doch die Versuche Präsident Selenskyj in die alten „russischen“ Kreise zu schicken sind mehr als offensichtlich. Beispielsweise hat der Präsident Russlands, Wladimir Putin, bei seinem Auftritt in Moskau bei der Eröffnung des Denkmals für die Helden des Widerstands in den faschistischen Konzentrationslagern und jüdischen Ghettos, alle für den Holocaust Verantwortlichen zornig verurteilt. Er trat flammend für die Unzulässigkeit einer Wiederholung von Genoziden ein und verwies gleitend auf die, aus der Sicht Russlands, größten Verbrecher. Hier ist es wichtig die direkte Rede zu zitieren: „Die massenhafte, ans laufende Band platzierte Vernichtung von Menschen – ist ein bestialisches Verbrechen des Nazismus, für das es keine Vergebung gibt. Wie auch diejenigen nicht gerechtfertigt werden können, die freiwillig zu Gehilfen dieser Verbrechen wurden: Bandera-Leute, Mitglieder der SS-Legionen, nationalistischen Banden, die den Tod im Baltikum, der Ukraine und den Ländern Europas verbreiteten“.
Diese Worte wurden im Jüdischen Museum unter Anwesenheit des Oberrabbiners von Russland, Berl Lasar, des Präsidenten der Föderation der jüdischen Gemeinden Russlands, Alexander Borody und des Haupts des Aufsichtsrats des Museums, Wiktor Wekselberg, gesagt. Uns interessiert mehr Herr Wekselberg, der aus dem westukrainischen Drohobytsch kommt, 16 Mitglieder der Familie seines Vaters starben im zehntausendköpfigen Stadtghetto. Der Kontext, den Putin schafft, ist ein äußerst gefährlicher, da er zu den Holocaust-Helfern diejenigen rechnet, welche die vorherige ukrainische Geschichtspolitik zu den Helden zählt. Er zeigt die zeitgenössische Ukraine als Land, in dem Nationalisten siegten und eben, seiner Meinung nach, Nachkommen der Komplizen des riesigen Verbrechens.
Jetzt bleibt uns zu hoffen, dass die neue ukrainische Regierung sich nicht darauf stürzt ihre Helden vor Putin zu schützen. Nicht den zukünftigen Staat auf den Altar des Schutzes der „historischen Wahrheit“ legt. Nicht im Sumpf des historischen Zanks mit Russland versinkt. Denn das würde zum nächsten ergebnislosen Gang. Eine vergebliche Kräfteverschwendung. Denn Interessenten Putin zuzuspielen, bewusst oder unbewusst, gibt es.
Beispielsweise den Infrastrukturminister der Ukraine, Wolodymyr Omeljan, ein leidenschaftlicher Bandera-Mann, der erklärte, dass bald die aggressive Rhetorik des russischen Aggressors aus Selenskyj einen Bandera oder Petljura [Symon Petljura] machen wird. „Das geht alles vorbei. Putin wird schnell alles an seinen Platz stellen und wir erhalten einen Selenskyj-Bandera oder einen Selenskyj-Petljura innerhalb einer sehr kurzen Zeit“, erklärte er. Und uns bleibt zu hoffen, dass Selenskyj Selenskyj bleibt und dieses Mal der Plan Putins nicht funktioniert.
7. Juni 2019 // Wassyl Rassewytsch
Quelle: Zaxid.net
Kommentar im Forum schreiben