Die ukrainischen Manöver gehen weiter
Die immer wachsende und in einen Boykott übergehende Kritik europäischer Politiker an der ukrainischen Regierung erschwert ihre ohnehin schwierige geopolitische Lage. Zudem wird sich der Druck auf die Ukraine seitens Russlands mit der Regierung Putins vergrößern. Was wird die ukrainische Regierung dann tun? Darüber berichtet ein Artikel des Kiewer Gorschenin-Instituts für Politik- und Sozialforschung, veröffentlicht in der russischen „Nesawissimaja Gaseta“ („Unabhängige Zeitung“, A.d.Ü.).
Die Präsidentschaft Wladimir Putins verspricht der Ukraine nichts Gutes. Wie bereits annonciert wurde, wird die gegenwärtige Kadenz des neuen russischen Präsidenten den Trend zur „Sammlung der russischen Erde“ (der Satz stammt aus dem 13. Jh. als der russische Staat gebildet wurde, A.d.Ü.) weiter verfolgen. Das bedeutet eine Stärkung der geopolitischen Position Russlands durch die Bildung einer sogenannten Eurasischen Union. Russland wird die Ukraine in seine integrativen Prozesse einbinden, unabhängig vom Willen Kiews.
Andererseits benötigt Putin schnelle und effektive außenpolitische Erfolge. Leider ist die Ukraine dabei das realistischste Ziel kraft ihrer energetischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von Russland. Deshalb kann von einer Vergünstigung des russischen Gases in nächster Zeit gar keine Rede sein. Selbst wenn die Parteien zu einem Kompromiss in der Frage zum Verkauf des ukrainischen GTSs (Gastransportsystem, A.d.Ü.) an Gasprom kommen sollten, wird die russische Seite mit großer Wahrscheinlichkeit neue Bedingungen aufstellen, da sie weiß, dass Kiew die USA und Europa immer mehr verärgert und damit potenzielle Verbündete für den Dialog mit dem Kreml abstößt.
Man sollte dabei aber nicht irrtümlich annehmen, dass Kiew bei einer Verschlechterung der Lage Zugeständnisse machen wird. Die ukrainische Regierung wird ihren auf den ersten Blick widersprüchlichen politischen Kurs beibehalten, den sie bereits in letzter Zeit verfolgt hat. Um das Verhalten Kiews erklären zu können, muss ein wichtiges Prinzip verstanden werden: Die ukrainische Außenpolitik läuft auf ein Manöver zwischen Brüssel und Moskau hinaus, wobei die Taktik zu einer Strategie geworden ist. Hier werden sozusagen Manöver manövriert. Zu dieser Vieles erklärenden Schlussfolgerung sind die Experten des Gorschenin-Instituts bereits vor eineinhalb Jahren gekommen.
Zum Beispiel gibt es die Situation mit der nicht-Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit der GUS seitens der Ukraine. Das Abkommen wurde letztes Jahr auf einem Gipfel der GUS in Sankt Petersburg vom ukrainischen Premierminister Nikolai Asarow in einem Schnellverfahren unterzeichnet, doch es wurde bis heute nicht der Werchowna Rada vorgelegt. Natürlich ruft dies unter den ukrainischen Politikern viele Fragen auf. Vor kurzem beschuldigte der ukrainische oppositionelle Deputierte Sergej Terjochin Premierminister Nikolaj Asarow der Überschreitung seiner Vollmachten bei der Unterzeichnung des Abkommens. Terjochin verlangte auch, Asarow zur Verantwortung zu ziehen auf Grundlage desselben Gesetzes, das die Verurteilung der ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko begründet.
Das Gorschenin-Institut befragte die ukrainischen Deputierten unter anderem, ob sie den Text des Freihandelsabkommens mit der GUS kennen, den Nikolai Asarow unterzeichnet hat. 22 Prozent der Befragten gaben an, dass sie den Text des Abkommens kennen. Dabei erklärten nur Einzelne von Ihnen, dass sie den gesamten Text kennen. Die anderen kannten den Inhalt des Abkommens nur aus den Erklärungen der Partei.
An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass der ukrainische Premierminister das Freihandelsabkommen der GUS kurz vor dem Gipfel zwischen der EU und der Ukraine unterzeichnet hat. Im Rahmen dieses Gipfels wurde vergeblich die Gegenzeichnung eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und der Ukraine erwartet. Bis dahin erklärten europäische Experten, dass ein Freihandelsabkommen der EU mit der Ukraine zu 95 Prozent eine wirtschaftspolitische Frage darstellt und dass die europäischen Partner durchaus an der Unterzeichnung des Abkommens interessiert sind. Doch das Verhalten der ukrainischen Regierung hat immer mehr Kritik hervorgerufen, so dass Kiew sich entschieden hat, Brüssel demonstrativ zu zeigen, dass die Ukraine so wie sie ist, zu akzeptieren sei, ansonsten würden sich schnell andere Partner für das Freihandelsabkommen finden. Zum Beispiel die GUS.
Die Unterzeichnung des Abkommens durch den ukrainischen Premierminister bedeutet nicht, dass es durch die Regierung ratifiziert wird. Außerdem wurde die Unterzeichnung Asarows durch Maßnahmen und Aussagen höchster ukrainischer Regierungsbeamter mehrfach für unrechtmäßig erklärt. Eine dieser Maßnahmen der ukrainischen Regierung war beispielsweise sehr ärgerlich und unerwartet für den Sprecher der russischen Duma, Sergej Naryschkin, der sich während seines letzten Besuches in der Ukraine beim Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten sicher war über eine Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit der GUS. Am selben Tag antwortete die ukrainische Regierung ihrem russischen Kollegen durch den Fraktionsvorsitzenden der Partei der Regionen, Aleksandr Jefremow, dass die Ukraine in nächster Zeit nicht dazu bereit sei, das Freihandelsabkommen mit der GUS zu ratifizieren.
Dies zeigen auch die Ergebnisse der durchgeführten Umfrage. Demnach ist ein Großteil der ukrainischen Parlamentarier gegen die Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit der GUS. Dies zeigt auch das Unverständnis der ukrainischen Politiker, welche direkten Vorteile sich aus solch einem Wirtschaftsraum ergeben würden, ungeachtet dessen, dass Russland und die anderen Mitgliedsstaaten der GUS die größten Handelspartner der Ukraine sind. Außerdem bestätigen die Umfrageergebnisse indirekt die Besorgnis der ukrainischen politischen Elite, durch den Eintritt in eine Freihandelszone teilweise Verluste in der wirtschaftlichen Souveränität erleiden zu müssen. Immer häufiger sind Zweifel darüber zu hören, dass die Ukraine fähig sein wird, sich für ihre Rechte in der Freihandelszone mit der GUS im vollen Umfang einzusetzen, falls erneut irgendwelche Handelskonflikte mit den Mitgliedsstaaten der Zollunion oder andere wirtschaftliche Konflikte auftreten.
Was wird nun weiter geschehen? Die Ukraine wird weiterhin Manöver durchführen, obwohl der Raum dafür immer geringer wird. Sogar ungeachtet dessen, dass die EU einen realen politischen Boykott beginnen und Russland wirtschaftlichen Druck ausüben könnten, was für die ukrainische exportorientierte Wirtschaft einen Dolchstoß bedeuten würde. Zur Frage, was vor dem Eintritt in eine Freihandelszone mit der GUS wäre, so wäre der Eintritt Russlands in die WTO günstig für die Ukraine. Damit hätte Kiew die Möglichkeit, wirtschaftliche Konflikte mit Moskau in einer unabhängigen Schiedsstelle zu untersuchen, was für die Wiederholung jeglicher Rohstoffkonflikte ein reales Hindernis darstellen würde.
17. Mai 2012 // Wladimir Sastawa
Quelle: Lewyj Bereg