„Unbekannte Rada“: Wie und wo wohnen Abgeordnete aus anderen Städten?



Im neunten Artikel aus dem Zyklus „Unbekannte Rada“ berichten wir im Detail unter welchen Bedingungen wohnungslose Volksvertreter leben, denen der Staat die Unterkunft im Hotel „KIEW“ ganz in der Nähe des Parlaments zahlt.

„Teure“ Abgeordnete

Jedes Jahr bestätigt die Rada mit der Annahme des Staatshaushalts auch den Kostenplan für ihre Bezüge. Und ebenso stimmt sie für „Die Ausgabenormen für einen Abgeordneten der Ukraine“. Übereinstimmend mit dem Dokument für 2018 haben Abgeordnete das Recht auf kostenlose Fahrten in allen Verkehrsmitteln. Jedem von ihnen ist es erlaubt, Fahrten für 7.500 Hrywnja im Monat oder 90.000 Hrywnja im Jahr (knappe 3000 Euro) in Anspruch zu nehmen. Die Kosten für eine Unterkunft in Kiew werden für Abgeordnete aus anderen Städten auch aus dem Haushalt in Höhe von 650 Hrywnja pro Tag (etwa 21 Euro) übernommen. Die Summe für die Ausgleichszahlungen für das Anmieten einer Wohnung oder die Unterbringung in einem Hotel beläuft sich pro Abgeordneten auf 237.250 Hrywnja (etwa 7.800 Euro) im Jahr.

Im Durchschnitt nimmt im aktuellen Parlament jährlich jeder zweite Abgeordnete das Recht auf Ausgleichszahlungen für die Unterkunftskosten in Anspruch. Zum Beispiel erhielten im vergangenen Jahr das Parlamentsoberhaupt und 175 Abgeordnete 32,6 Millionen Hrywnja (etwas mehr als eine Million Euro) aus dem Staatshaushalt zum Ausgleich der Mietkosten für eine Wohnung oder ein Hotelzimmer. Für das laufende Jahr ist im Budget der Rada die gleiche Summe veranschlagt.

Bezeichnenderweise erhalten den Ausgleich für die Wohnkosten bei weitem nicht die Ärmsten unserer und Ihrer Auserwählten. So erhielten aus der Fraktion „Block Pjotr Poroschenkos“ im vergangenen Jahr 61 von 138 Abgeordneten Mittel aus dem Staatshaushalt. Und unter ihnen sind die Agrar-Barone Andrej Badaturskij und Arkadij Kornazkij.

In der „Narodnyj Front“ erhalten Jurij Berjosa, Jewgenij Dejdej und Andrej Lewus Ausgleichszahlungen für die Unterkunft, wie auch die Skandalfigur des „Bernstein-Falls“ Maksim Poljakow.

Bei „Samopomitsch“ hinkt man auch nicht hinterher. Hier lebt ein großer Teil der Fraktion, darunter ihr Vorsitzender Oleg Beresjuk uns sein Vertreter Oleg Lawrik in der Hauptstadt auf Kosten des Staates. Bei „Batkiwschtschyna“ erhielten im letzten Jahr 4 der 20 Abgeordneten Ausgleichszahlungen. Bei Ljaschko 7 „Radikale“, beim „Oppositionsblock“ 9 Abgeordnete, in der Gruppe „Wosroschdenije“ 11, bei „Wolja Naroda“ 3.

Ebenso erhielten im Jahr 2017 22 der 51 Abgeordneten, die keiner Fraktion angehören, Ausgleichszahlungen, worunter sich auch der Eigentümer des Fernsehsenders „Newsone“ Jewgenij Murajew und der „Revolutionär“ Wladimir Parasjuk befinden. Wobei letzterer das Hotelzimmer ablehnte und in einer Dreizimmer-Wohnung für 11 tausend Hrywnja im Monat lebt, die ihm auch der Staat finanziert.

Beengt aber nicht beleidigt

Die Abgeordneten sind nicht gewillt der Presse ihre „Paläste“ zu zeigen. Eine Ausnahme bildete der Kommandeur und Abgeordnete der „Narodnyj Front“ Jurij Berjosa aus Dnjepr, der in der sechsten Etage des Hotel „Kiew“ wohnt.

„Ich habe nichts zu verbergen! Zumal die Wohnbedingungen bescheiden sind, für mich aber völlig ausreichend. Ich habe einen Platz, um während der Plenarwochen zu übernachten. Im Gegensatz zu anderen Abgeordneten beziehe ich bewusst keine Ausgleichszahlungen für die Unterkunft und werde das auch in Zukunft nicht tun oder mir eine Wohnung in der Hauptstadt kaufen. Echtes Geld für das Hotel habe ich nie in die Hand bekommen. Das Hotel untersteht der Staatsverwaltung, also dem Staat. Deshalb gibt es hier ganz sicher keine Korruption“, erzählte der Abgeordnete LB.ua, als er die Tür zu seiner Heimstatt öffnete.

Und die ist, wie sich zeigte, tatsächlich nicht elegant. Zwei kleine Zimmer, ein enger Korridor und ein kleiner Schrank. In dem bewahrt der Abgeordnete übrigens außer Kleidung im unteren Fach auch Konserven auf – Dreiliter-Gläser mit hausgemachten Tomaten.














Im Wohnzimmer, wenn man das so nennen darf, steht ein Tischchen mit „Arbeits-Unordnung“ aus persönlichen Sachen, Medikamenten und Dokumenten, gegenüber ein Sofa und der Fernseher. Hier befindet sich auch die „Küche“: ein kleiner Kühlschrank, ein Wasserkocher, eine Thermoskanne und ein Tischchen, auf dem der Abgeordnete Brot aus eigener Herstellung schneidet, welches er von Zuhause mitbringt. Er zeigt uns auch „echten ukrainischen Honig“ und Blütenstaub, den er nach seinen Worten regelmäßig zu sich nimmt.

„Für eine Woche reicht mir ein ganzer Laib“, erzählte der Abgeordnete, während er uns „Kostproben“ abschnitt.

Im Übrigen zeigte uns Berjosa ohne Scheu den Inhalt des Kühlschranks, in dem wir keine Delikatessen fanden.

„Das ist alles, was es gibt. Natürlich habe ich Speck“, bot der Parlamentarier an.

Sein ganzer Stolz, ohne Übertreibung, ist ein selbstgebautes Fitnessgerät auf dem Balkon mit direktem Blick auf die Kuppel des Parlaments. „Jeder Morgen beginnt mit Training“, sagt der „Bataillonskommandeur“ und stemmt die Hantel.


Auf dem Fensterbrett lagen neben dem Trainingsanzug auch Hanteln. Aber derzeit sind die Sportübungen vertagt. Berjosa hinkt sichtlich. Er erzählt uns, das seien „die Nachwirkungen einer Verwundung an der Front“. Aus diesem Grund befinden sich im Zimmer neben dem sportlichen Inventar auch Krücken und spezielle Rückenbandagen.

„Ich habe wegen des Beins sogar eine Reise nach Polen zur NATO-Versammlung abgesagt. Aber ich erhole mich sehr schnell“, versprach er.

Es befindet sich ein weiteres Zimmer im Appartment des Abgeordneten, ein kleines Schlafzimmer mit zwei Hockern und einem Tisch. Neben dem gemachten Bett (Berjosa sagte, er habe vor unserem Besuch aufgeräumt) liegt das Buch „Internat“ von Sergej Schadan / Serhij Zhadan.

Ebenso befindet sich beim Eingang ins Appartement ein Bad mit Toilette. Alles in allem sieht es nicht nach mehr aus als ein einfaches „Drei-Sterne mit Abzügen“ in einem günstigen europäischen Hotel. Tatsächlich müsste Einiges repariert oder ausgetauscht werden. Zuallererst der fast kaputte Balkon. Und die altersschwachen Möbel mit der bescheidenen Einrichtung.

Wahrscheinlich zieht es deshalb die Mehrheit der Abgeordneten vor Ausgleichszahlungen für die Miete zu erhalten, anstatt hier zu wohnen.

Restaurant mit Blick auf die Rada

Im ersten Stock gibt es für die Abgeordneten und Gäste des „Kiew“ ein Restaurant. Hier kann man oft Volksvertreter in der Mittagspause sehen. Viele ziehen es vor hier Verhandlungen und Treffen durchzuführen. Obwohl dies, wie einige Abgeordnete bekennen, mindestens nicht ungefährlich ist.

„Hier liegt alles auf der Hand. Wenn schon in anderen Cafés Abgeordnete gefilmt werden, was soll man dann von diesem Restaurant sagen?“, eröffnete uns einer von ihnen.

Umso mehr als die Vielfalt der Karte und die Preise im Vergleich zu anderen Restaurants der Hauptstadt klar verlieren. Zum Beispiel kosten Tee und Kaffee hier mindestens 60 Hrywnja pro Tasse., Bier zwischen 45 und 110 Hrywnja für 0,33l, Pistazien 90 und Chips 80 Hrywnja die Portion.

Obwohl die Auswahl an alkoholischen Getränken dagegen groß ist. Da gibt es allein 17 Sorten Wodka! Der teuerste von ihnen „Roberto Kawalli“ kostet 3525 Hrywnja die Flasche. Die Liste der Weißweine ist noch länger, mit dem teuersten „Monte Lugana“ für 2700 Hrywnja.

Von den Gerichten sind die teuersten Lachsfilet mit Gemüse für 385 Hrywnja je 100g, mit Apfel karamellisierte Entenbrust mit Kirschcreme für 365 Hrywnja. Von den Salaten ist es der warme mit Rindfleisch in pikanter Sauce für 250 Hrywnja.




Das einzige Plus an diesem Restaurant sind, wie die Abgeordneten sagen, zwei einfache Säle mit Blick auf die Rada. Die Bedienung und das Essen hier lassen zu wünschen übrig.

„Aber manchmal muss man hierher kommen wegen der Nähe zum Parlament, wenn man sich kurzfristig mit jemandem treffen muss, bei uns Sitzungswoche ist und die Sache eilt“, gestand Berjosa beim Abschied ein.

27. Mai 2018 // Anna Steschenko

Quelle: Lewyj Bereg

Übersetzerin:   Anja Blume  — Wörter: 1189

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