Verurteilungen im Fall Gongadse


Am Sonnabend hat das Berufungsgericht in Kiew ein Urteil über die Beschuldigten im Mordfall Georgij Gongadse gesprochen. Der Prozess in der Angelegenheit des Mordes an dem Journalisten zog sich über zwei Jahre. In dieser Zeit kam des Richterkollegium zu dem Schluss, dass ehemalige Mitarbeiter des Innenministeriums, aus persönlichen Gründen und in der Hoffnung eine Beförderung zu erhalten, den Mord an Georgij Gongadse begangen haben. Die Angeklagten Walerij Kostenko und Alexander Popowitsch sind zu einem 12-jährigen Freiheitsentzug verurteilt worden, Nikolaj Protasow zu 13 Jahren. Deren Advokaten erklärten ihre Absicht die Entscheidung des Berufungsgerichtes vor dem Höchsten Gericht anzufechten.

Zwei der Angeklagten – Nikolaj Protasow und Walerij Kostenko – wurden unter Bewachung zum Gericht gebracht, ein weiterer – Alexander Popowitsch, der sich mit Meldeauflagen in Freiheit befindet, erschien zu dem Gerichtstermin in Begleitung von Personen in Zivil, die sich als seine Bodyguards herausstellten. Die Verkündung des Urteils begann um 11:10 Uhr. “Protasow, Kostenko, Popowitsch, ehemalige Mitarbeiter der Miliz, Amtspersonen, die in Ausübung ihrer Funktion, in der Zeit von 15-17 2000 eine Reihe von Taten begingen, offensichtlich in Überschreitung der ihnen per Gesetz gegebenen Rechte und Vollmachten, dem Staatswesen spürbaren Schaden zufügten.”, begann die vorsitzende Richterin die Strafe zu verlesen. Alle Angeklagten saßen, nach vorne gebeugt und mit den Händen den Kopf umfassen, woraus hervorging, dass sie die Ohren bedeckten, um nicht die Stimmen der Richter zu hören. Im Verlauf von fünf Stunden, die für die Verkündung des Urteils nötig waren, wechselten sie ihre Pose faktisch nicht.

Fast die Hälfte des Urteils war der genauen Beschreibung der Geschehnisse gewidmet, welche vom 15 bis 17 September 2000 vorgefallen sind und vorher offiziell nicht verlautbar wurden. In der zweiten Hälfte des Dokumentes wurden kurz die Angaben aller Zeugen ausgebreitet, welche von den Richtern im Lauf der Gerichtsverhandlung befragt wurden und gleichzeitig die Resultate der vielzähligen Expertisen.

Aus dem Urteil folgt, dass die Beschattung Georgij Gongadses bereits im Juni 2000 begann. Am 15. September 2000 traten die Angeklagten ihren Dienst an, insbesondere für die Durchführung von operativen Maßnahmen auf dem Territorium Kiews. Dabei wurde Nikolaj Protasow aus dem Urlaub vom Leiter der Abteilung der Außenüberwachung der Hauptverwaltung der Strafverfolgung (HWSV) Alexej Pukatsch zurückgerufen, welcher im Urteil des Richterkollegiums als “Person, deren Angelegenheit in einem gesonderten Teil ausgeführt wird” bezeichnet wurde.

“Die Mitglieder der Miliz Protasow, Popowitsch, Kostenko, geleitet von persönlichem Interesse und Karrieremotiven, nicht wünschend, dass sich ihre Beziehung mit der Leitung verschlechtert und auf eine Beförderung hoffend, stimmten zu.”, heißt es im Urteil. Dabei kam das Richterkollegium zu dem Schluss, dass die Angeklagten die Abwesenheit von gesetzlichen Grundlagen für die Festnahme von Georgij Gongadse erkannten. Ungeachtet dessen, stimmten sie vorzeitig dem Plan der Festnahme des Journalisten zu, dabei die Rollen zwischen allen Teilnehmern des Verbrechens verteilend. Doch gelang es ihnen an diesem Tag nicht den Journalisten festzunehmen.

Am 16. September wurde die Operation fortgesetzt “mit eine verstärkten Personalbestand an Mitarbeitern des HWSV des Innenministeriums, unter Nutzung von Spezialtechnik und Transportmitteln”. Gemäß dem vorher ausgearbeiteten Plan schlug Alexander Popowitsch, sich am Steuer des Dienstwagens Hyundai Sonata befindend, im geeigneten Moment Georgij Gongadse vor, ihn wegzubringen. Erklärend, dass der Vordersitz kaputt sei, schlug er dem Journalisten vor sich nach hinten zu setzen. Praktisch sofort setzten sich in andere Mitarbeiter der Spezialabteilung, die an der Operation teilnahmen, in den Wagen: Alexej Pukatsch auf den Vordersitz, Walerij Kostenko und Nikolaj Protasow auf die beiden Seiten um Georgij Gongadse.

“Anstelle des Schutzes des Lebens, der Rechte und der Freiheit von Gongadse, setzten die Angeklagten ihre widerrechtlichen Handlungen fort, welche von Gewalt begleitet waren.”, heißt es im Urteil. Beim Verlassen der Stadt wies Alexej Pukatsch die Mitarbeiter der HWSV, welche sich in einiger Entfernung in einem anderen Wagen befanden an, an den Standort der Spezialabteilung zurückzukehren. Der Hyundai Sonata setzte seine Bewegung auf der Strecke Kiew – Odessa fort. Popowitsch mit dem Ziel der Verhütung einer möglichen Identifikation des Wagens wechselte einige Male die Kennzeichen.

Ungefähr Mitternacht der ersten Nacht, sich im Wald unweit der Siedlung Sucholisy des Belozerkowsker Kreises in der Kiewer Oblast befindend, hob Alexander Popowitsch unweit des Aufenthaltsortes eine rechteckige Grube aus. Danach führten Protasow und Kostenko den Journalisten aus dem Auto und warfen ihn auf den Boden mit dem Gesicht nach unten. “Gongadse, sich der verbrecherischen Absichten der Angeklagten bewusst werdend, begann sie darum zu bitten ihn nicht umzubringen. Ungeachtet dessen, setzten die Angeklagten, in Übereinstimmung, ihre Tat fort, darauf gerichtet Gongadse widerrechtlich das Leben zu nehmen.”, setzte die Richterin mit der Verlesung des Urteils fort. Insbesondere, Alexej Pukatsch, ihm ein Taschentuch in den Mund steckend, begann ihn mit den Händen zu würgen, während dessen der Angeklagte Protasow den Journalisten an den Schultern festhielt.

Die genaue Schilderung der von ihnen begangenen Straftat hörten die Angeklagten mit hängenden Köpfen. “Soweit es nicht gelang Gongadse zu erwürgen, Popowitsch, seine ihm zugetragene Rolle ausübend, zog den Gürtel aus Gongadses Hosen und übergab ihn als Mordwerkzeug der Person, deren Angelegenheit in einem gesonderten Teil ausgeführt wird.”, setzte Irina Grigorjewa fort. Um sein Leben kämpfend, sog der Journalist die Lungen mit Luft voll. Dafür um ihn zu zwingen auszuatmen, schlug ihn Alexander Popowitsch mehrfach in den Bauch. Der Angeklagte Kostenko hielt Georgij Gongadse zu der Zeit an den Beinen fest. “Im Resultat der von den Angeklagten gemeinsamen, abgestimmten und geplanten Handlung starb Gongadse.”, konstantierte die Richterin.

Die Angeklagten erkannten ihre Schuld nur teilweise an. Alle wiesen zurück, dass der Mord an Georgij Gongadse nach vorheriger Absprache geschah. Ihren Angaben nach, dachten sie, dass der Festgenommene in den Stützpunkt des Ministeriums des Innern gebracht wird und danach als der Wagen aus der Stadt fuhr, nahmen sie an, dass das Ziel der Operation ist den Journalisten einzuschüchtern. Im Übrigen, sah das Richterkollegium die Argumente der Angeklagten als ohne Grundlage und “zur eigenen Verteidigung vorgeschoben mit dem Ziel der Abmilderung des Urteils”. Außerdem, wie der “Kommersant-Ukraine“ mehrfach informierte, wies Nikolaj Protasow von sich an diesem Tage im Dienst zu stehen, darauf bestehend, dass er sich in diesem Moment im Urlaub befand.

Bei der Verkündung des Urteils, musste das Gericht auch kurz den Inhalt der Angaben der Mitarbeiter des HWSV, welche vom Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt wurden, verlesen. Diese Zeugen, deren Vor- und Nachnamen im Urteilstext verändert wurden, nahmen ebenfalls an der Beobachtung Georgij Gongadses teil, dabei auch am 15. – 16. September 2000. Diese Personen informierten über die Einzelheiten der Durchführung der operativen Maßnahme in Bezug auf den Journalisten. So, erzählte der Zeuge K., dass er Daten zu Georgij Gongadse sammeln musste, die, den Mitarbeitern der Kiewer Stadtverwaltung vorgelegt, zu der Durchsuchung der Mietwohnung Gongadses führte. An anderer Zeuge, die Angeklagten charakterisierend, sagte dem Gericht, dass man bei der HWSV “Protasow als nahen Vertrauten von Pukatsch sah und ihn ‘Adjutant des Generals nannte’”.

Während der Verkündung des Urteils war bemerkbar, dass die Angeklagten, obgleich sie wenigstens die Fassung wahren wollten, trotzdem sehr nervös waren. Zur gleichen Zeit verkündete Irina Grigorjewa, dass Nikolaj Protasow der Richterkollegium zu einer Strafe mit Freiheitsentzug von 13 Jahren verurteilt, Walerij Kostenko und Alexander Popowitsch zu jeweils 12 Jahren. Die Richterin musste eine Pause einlegen, als der Angeklagte Popowitsch, bislang zwischen zwei Vertretern des Staatsschutzes sitzend, sich sicher zum Käfig begab, in dem Protasow und Kostenko saßen. Er schaffte es einige große Schritte zu tun, doch wurde von der Richterin angehalten, die erklärte, dass die Verkündung des Urteils bislang nicht beendet ist.

Weitere zehn Minuten später, nach dem das Richterkollegium den Saal verließ, ging Popowitsch selbstständig in den Käfig und setzte sich neben Protasow.

“Das ist ein zu hartes Urteil. Sogar wenn man alle Umstände mit einbezieht, sollte das Urteil weicher ausfallen.”, sagte dem “Kommersant-Ukraine“ der Advokat von Walerij Kostenko, Jurij Grigorenko.

“Dies ist ein Vorzeigeprozess, politisiert von Anfang an.”, seufzte sein Kollege, der Anwalt Alexander Popowitschs, Nikolaj Laptijew. “Wenn das Gericht ein milderes Urteil gefällt hätte, wären sie nicht verstanden worden, an erster Stelle von der Weltöffentlichkeit.”

Die Anwälte aller drei Verurteilten erklärten ihre Absicht das Urteil vor dem Höchsten Gericht anzufechten.

Quelle: Kommersant-Ukraine

Übersetzer:   Andreas Stein  — Wörter: 1355

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