Ein Volk, ein Held, eine Meinung: Ukrainische Ultranationalisten verhindern Vorlesungen eines deutschen Historikers und stellen akademische Freiheit im Land infrage
In der letzten Februarwoche sollte der deutsche Doktorand Grzegorz Rossolinski-Liebe eine Vortragsreihe über ukrainische Nationalisten im Zweiten Weltkrieg und ihren Anführer Stepan Bandera halten. Geplant waren insgesamt vier Vorlesungen: je zwei in Dnipropetrowsk und Kiew. Auf Druck der ultranationalistischen Partei „Swoboda“ wurden drei Veranstaltungen jedoch abgesagt. Nur die deutsche Botschaft in Kiew hat nicht klein beigegeben. Am ersten März konnte Rossolinski-Liebe dort eine Vorlesung halten – trotz heftiger Proteste der Rechtspopulisten.
Eigentlich war die Vortragsreihe von Grzegorz Rossolinski-Liebe als eine rein akademische Veranstaltung gedacht. Der 32-jährige Doktorand aus Berlin sollte über Stepan Bandera berichten – ein führendes Mitglied der Organisation Ukrainischer Nationalisten in den 30er bis 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Stepan Bandera, der 1959 in München von einem KGB-Agenten ermordet wurde, ist in der Ukraine auch heute noch „lebendiger als alle Lebenden“, und die Tätigkeit seiner Organisation ein extrem kontroverses und politisch brisantes Thema. Die einen verdammen Bandera als einen Nazi-Kollaborateur und Antisemiten. Die anderen vergöttern ihn hingegen als einen Helden, der sowohl gegen Deutsche als auch gegen Kommunisten für eine unabhängige Ukraine gekämpft hat. So ist Bandera insbesondere für Ultranationalisten aus der Partei „Swoboda“ (auf Deutsch „Freiheit“) eine Art Heiliger. Wagt jemand Kritik an seiner Person und Tätigkeit, wird er automatisch zum „Feind der Nation“. So ist es auch Grzegorz Rossolinski-Liebe ergangen: Unbekannte sollen ihn am Telefon bedroht haben und die Institutionen, wo er seine Vorträge halten sollte, haben diese abgesagt – angeblich auf Druck von „Swoboda“. Dass aus einer wissenschaftlichen Veranstaltung ein politischer Skandal werden kann, habe er nicht gedacht, so der Historiker:
„Ich habe mit dieser Reaktion gar nicht gerechnet. Ich war zuerst sehr überrascht, dass meine Vorträge nicht in Lemberg stattfinden können. Dann, als ich auf dem Flughafen in Kiew war, habe ich eine SMS bekommen, ich sollte nicht weiter fliegen. Das heißt, ich sollte in Kiew bleiben, weil die Veranstaltungen in Dnipropetrowsk nicht stattfinden. Danach habe ich erfahren, dass ein Vortrag in Kiew ebenso ausfällt. Die einzige Veranstaltung, die stattfinden konnte, war in der Botschaft“.
Am ersten März kamen dann etwa hundert „Swoboda“-Anhänger zur deutschen Botschaft, um gegen die „ukrainophobe“ Vorlesung zu protestieren. Verunglimpft wurden neben dem Historiker auch die Organisatoren der Vortragsreihe: Die deutsche Botschaft, der DAAD und das Kiewer Büro der Heinrich-Böll-Stiftung, die „Swoboda“ schon früher solcher „Verbrechen“ wie der „Propaganda von Homosexualität“ und „Unterstützung linksliberaler Organisationen“ bezichtigte. Diesmal schrien die Rechtspopulisten neben traditionellen nationalistischen auch „antifaschistische“ Parolen, etwa „Weg mit den liberalen Faschisten“ und „Weg mit den deutschen Besatzern“. Grzegorz Rossolinski-Liebe bezeichneten Protestierende als „Goebbels-Urenkel“ und „Nazi-Anwalt“, und sprachen ihm im Vorweg jede Wissenschaftlichkeit ab. Andrij Illenko, Chef der Kiewer „Swoboda“-Organisation:
„Er ist überhaupt kein Historiker, sondern ein halbgebildeter Doktorand, der Kulturwissenschaft studierte. Im Titel seiner Dissertation nennt er Bandera einen Faschisten. Ich habe Zitate aus seinen Arbeiten gelesen, die ihn als einen oberflächlichen und primitiven Ukrainehasser charakterisieren“.
Besonders absurd sind dabei die Vorwürfe der „Naziherkunft“: Grzegorz Rossolinski-Liebe ist kein Deutscher, sondern Pole. Die Beschuldigung der Unwissenschaftlichkeit hält ebenso keiner Kritik stand. Grzegorz Rossolinski-Liebe forscht seit fünf Jahren auf dem Gebiet des ukrainischen Nationalismus, seine 600-seitige Dissertation basiert auf einer umfassenden Quellenanalyse und sorgfältiger Archivarbeit. Und es gehe schon gar nicht, jemandem Unwissenschaftlichkeit vorzuwerfen, ohne seine Arbeiten gelesen zu haben, meint Andreas Umland, Politikwissenschaftler und Experte für Rechtsradikalismus:
„Ich würde jetzt auf das Buch warten. Das ist natürlich eine einfache Sache, zu sagen, dass jemand unwissenschaftlich arbeitet. Grzegorz Rossolinski-Liebe ist zwar ein junger Forscher, ein Doktorand, aber er hat schon in relevanten Zeitschriften publiziert und er wird von einem guten Professor betreut. Deswegen kann ich mir nicht vorstellen, dass er so unwissenschaftlich arbeitet“.
Die Vorlesung von Grzegorz Rossolinski-Liebe in der deutschen Botschaft brachte eigentlich keine revolutionären Einsichten über Stepan Bandera: Sie war aber auch an ein breites Publikum und nicht ausschließlich an Experten gerichtet. Im Saal waren mehrere ukrainische und internationale Experten anwesend und die anschließende Diskussion verlief sachlich und tolerant. Trotz „Swoboda“-Befürchtungen war der Vortrag weder „ukrainophob“ noch handelte es sich um eine einseitige Darstellung der Geschichte. Den Rechtspopulisten lag es aber von Anfang an offensichtlich nicht an Wissenschaft und historischer Wahrheit. Vielmehr habe es sich bei ihren Protesten um eine PR-Aktion im Vorfeld der Parlamentswahlen gehandelt, meint der Politikwissenschaftler Andreas Umland. Nach seinen Worten haben die Rechtspopulisten auch Grzegorz Rossolinski-Liebe einen Gefallen getan:
„Das zweite, was „Swoboda“ damit erreicht, ist eine ungeheure Werbekampagne für den Herren Rossolinski-Liebe, weil er jetzt natürlich durch diesen ganzen Skandal so viel Presse bekommt, dass er wahrscheinlich gutes Geld verdienen wird, wenn er das Buch veröffentlicht. Das ist für einen Doktoranden eigentlich das ideale Szenario, so eine Werbung schon zu haben, obwohl die Dissertation noch nicht mal eingereicht ist“.
Für die akademische Freiheit in der Ukraine war der Fall aber eindeutig eine Panne. Schließlich war die deutsche Botschaft der einzige Ort, wo der junge Wissenschaftler mit dem heißen Thema auftreten konnte. Nach den Worten von Andreas Umland hätten die ukrainischen Behörden eingreifen sollen und dafür sorgen, dass alle geplanten Vorlesungen stattfinden:
„Der Staat hätte die akademische Freiheit sichern müssen und er hätte diese Institutionen, die offenbar bedroht worden sind, schützen müssen. Das wäre die Aufgabe des Staates gewesen, aber das interessiert hier keinen. Der ukrainische Staat interessiert sich nicht dafür“.
Laut Andreas Umland könne der Fall auch zur Diskreditierung der demokratischen Opposition in der Ukraine führen, denn „Swoboda“ ist Teil des „Widerstandskomitees gegen die Diktatur“, einer Vereinigung ukrainischer Oppositionsparteien. So gesehen gibt es drei Gewinner in der ganzen Geschichte: Für „Swoboda“ und Grzegorz Rossolinski-Liebe war der Skandal eine gute Werbung und die ukrainische Führung wird möglicherweise von der Diskreditierung der Opposition profitieren. Der große Verlierer ist hingegen die Meinungs- und akademische Freiheit und im Endeffekt auch das Image der Ukraine, wo eine rechtspopulistische Minderheit mit absurden Anschuldigungen und krassen Auftritten ungestört ihre Ziele erreichen kann.