Die Wahl eines kranken Landes: zwischen Osten und Westen
Am vergangenen Samstag wurde im PolitClub von Witalij Portnikow die heikle Frage der geopolitischen Entscheidung der Ukraine diskutiert.
Gäste und Experten versuchten Antworten auf folgende Fragen zu finden: Welche der Varianten einer möglichen Integration sind für die Ukraine am besten ist? Ob das Land eine Integration braucht? Und ob überhaupt eine Wahl für die Ukraine existiert?
Witalij Portnikow, der die Debatte einleitete, erinnerte an die Diskussion, die sich in Verbindung mit den letzten Ereignissen unter Experten entfaltete hatte. Die Meinungen gingen insbesondere dabei auseinander, wenn es um Gründe für die Notwendigkeit einer Unterzeichnung des Abkommens mit der Europäischen Union ging. Einer von denen ist eine Rückentwicklung der Medienfreiheiten in der Ukraine. Andere Befürworter der Unterzeichnung halten es für dringlich, das Abkommen so schnell wie möglich zu unterzeichnen, um es noch zu schaffen in den „Zug nach Europa“ zu springen, der sich bereits schnell entfernt. Gleichzeitig ist die Meinung stark vertreten, dass ein solcher Schritt nur dann getan werden sollte, wenn die Ukrainer ihre Probleme im Land allein lösen. Sonst wird das Abkommen mit der EU nur zur Aufrechterhaltung der kläglichen demokratischen Lage in der Ukraine beitragen.
Eine nicht weniger heftige Diskussion entbrannte auch bei der Einschätzung der Motive der ukrainischen Machinhaber in Bezug auf die Gasverhandlungen mit Russland. Einige Experten glauben, dass Wiktor Janukowitsch, wenn er eine Gaspreissenkung anfordert, in erster Linie Interesse von der Ukraine verteidigt. Andere sind aber fest davon überzeugt, dass es um rein korporative Interessen und die Verteidigung der von Julija Timoschenko beseitigten Korruptionsschemata geht und die Sorge um das Schicksal der Ukraine keine Rolle spielt.
Nico Lange, der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine, bestätigte, dass die Europäer den Verdacht hegen, dass es im Kampf für billige Energieträger insbesondere um die Interessen von konkreten Oligarchen gehe und nicht um das uneigennützige Interesse des Staats. Die Ukraine müsse alleine ihren Weg bestimmen, der für sie notwendig sei. Es sei jedoch wichtig dabei, sich an solchen Weichenstellungen zu orientieren, die als Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung dienen und nicht als Grundlage für die Lösung kurzfristiger taktischer Aufgaben. Für diese Sicht der Probleme muss die Ukraine erwachsener werden, um auf der Basis der gemachten Erfahrungen den Weg in die richtige Richtung zu suchen.
Der Generaldirektor des Senders TWi (ТВі) Nikolaj Knjashizkij ist auch davon überzeugt, dass die ukrainischen Machthaber egoistisch aus Eigeninteresse die Eurointegration anstreben. Er betont, dass der Wunsch mit der EU zusammenzuarbeiten, ausschließlich auf wirtschaftliche Schemata zurückzuführen sei. Dabei lassen die Regierung und der Präsident solche Werte und Institutionen am Rande liegen, ohne die es unmöglich ist, ein Teil der europäischen Gesellschaft zu werden. Dennoch sei die Zeit gekommen, an der die ukrainische Nation eine endgültige Entscheidung treffen solle. Sie solle sich entscheiden: Entweder wolle sie nach den byzantinischen Regeln des heutigen Russland leben oder sie solle sich alle Mühe geben, um sich nach europäischen Vorbild, dessen Werte Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit sind, zu entwickeln. Vor der endgültigen Entscheidung müsse man die Tatsache beachten, dass der Europäischen Union nur demokratische Staaten angehören, der Zollunion dagegen nur undemokratische.
Sergej Gajdaj, der Gründer der Firma „Gajdaj.Com“ glaubt, dass bereits die Weise, wie die Frage über die Wahl zwischen Europa und Russland gestellt wurde, mache uns minderwertig, als ob die Rede von einem armen Verwandten gehe, mit dem niemand auf Augenhöhe verhandeln wolle, sondern nur Gnadengeschenke in Erinnerung der verwandschaftlichen Beziehungen gebe. Nico Lange folgend versicherte Sergej Gajdaj, dass solange die Ukrainer ihre eigenen Probleme nicht lösen würden, jeglicher Versuch der Integration nichts anderes als reine Unterwerfung bedeute. Von der Integration werde die Ukraine nur dann profitieren, wenn das Land genug stark sei. In diesem Fall werde die Integration das Land stärken und nicht schwächen. Nach seiner Meinung sei eine neue Elite, die sich in erster Linie nach den Interessen des Landes richten und agieren werde, die wichtigste Bedingung dafür, dass die Ukraine ein vollwertiger Akteur auf der politischen Weltbühne werde. Ohne einen eigenen Atatürk oder Saakaschwili werde die Ukraine nie stark genug. Jegliche Versuche Niederlagen bei der Errichtung der Staatlichkeit mit der ukrainischen Mentalität zu rechtfertigen, seien unberechtigt. Und die Türkei und Georgien seien prägnante Beispiele dafür.
Witalij Portnikow setzte auch voraus, dass man die Wahl der Ukrainer nicht nur auf der Ebene Europa-Russland betrachten sollte. Es könne auch sein, dass die Menschen in näherer Zukunft nicht vor der Wahl zwischen Osten und Westen, sondern vor der zwischen Ägypten oder Tunesien stehen würden. Misserfolge in der Außenpolitik bedeuten nicht nur teures Gas, sondern auch fehlende Auslandskredite, ohne welche die ukrainische Regierung kaum imstande sein wird, Löcher im Haushalt zu schließen. Unter diesen Umständen bleibe der schnell verarmenden Bevölkerung nicht anderes als gegen die Regierung zu protestieren.
Der Journalist Sergej Wyssozkij schlug vor, die Situation realistisch zu betrachten und betonte, dass die Rede nicht von zwei vollwertigen Varianten gehe, sondern von einer Alternative zwischen Gesundheit und Krankheit. Bei der Wahl zwischen Russland und Europa würden die Ukrainer bestimmen, ob sie in einer gesunden Gesellschaft leben möchten oder in einer kranken wie der von Alkoholikern, die auf eine medizinische Behandlung verzichten. Somit würden sie im Kreis von „Gleichgesinnten“ bleiben und sich keine Sorgen machen, dass die ungesunden Gewohnheiten ihren Körper zerstören. Daher wenn man zwischen der Entwicklung und Stagnation entscheidet, muss man sich zuerst viele Gedanken machen, da die Perspektive letztendlich in Tunesien zu landen, nicht so verschwommen ist.
27.09.2011 // Alexander Golubow
Quelle: Lewyj Bereg