Was wird bedeutender in den Beziehungen der Ukraine zu Russland - der März oder der Mai 2012?
Dass die Gasgespräche bis zum heutigen Zeitpunkt nicht mit einem konkreten Kompromiss zwischen Kiew und Moskau abgeschlossen wurden, gilt ohne Frage im Kontext der heutigen ukrainisch-russischen Beziehungen als das interessanteste Faktum. Die Mannschaft Wiktor Janukowitschs kam in der Ukraine an die Macht maßgeblich mit Hilfe der Stimmen derjenigen, die keine Verschlechterung und auch eine Verbesserung der ukrainisch-russischen Beziehungen wünschten.
Wie alles begann
Rufen wir uns den August-September 2009 ins Gedächtnis. Es tauchte die bekannte Videobotschaft des russischen Präsidenten Dimitri Medwedew an Wiktor Juschtschenko auf. Nach dieser brachen sie ihren Kontakt ab, lediglich auf einem Gipfeltreffen der GUS in Kischinjow haben sich ihre Wege gekreuzt. Am 7. September 2009 bezichtigt Juschtschenko in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitschrift “Der Spiegel” Russland der Destabilisierung der Situation auf der Krim.
Natürlich lag der Abkühlung der ukrainisch-russischen Beziehungen die Unterstützung Georgiens in seinem Konflikt mit Russland durch das offizielle Kiew zu Grunde, die, wie bereits jetzt klar ist, auf militärischer Ausrüstung und Spezialisten beruhte.
Entsprechend gab es nichts zu verschlechtern, jedoch zu verbessern.
Wiktor Janukowitsch übernahm die Macht unter ungünstigeren Bedingungen, als er sie 2004 abgegeben hatte. Am 9. September 2009 begann Russland, die Nord-Stream-Pipeline zu bauen. Zum gleichen Zeitpunkt offenbarte Russland seine Pläne zur South-Stream-Pipeline. Herr Juschtschenko und Frau Timoschenko verfolgten schweigend die Aktivitäten der Russen, ohne Alarm zu schlagen, ohne internationale Allianzen aufzubauen, ohne die ukrainischen Nationalinteressen in Schutz zu nehmen. Ich will nicht sagen, dass die “Orangenen” überhaupt nichts getan hätten, ihr Engagement erinnerte einfach nur an Ostap Bender. Beispielsweise hat Herr Nemyrja, der wichtigste außenpolitische Experte Timoschenkos, am 3. September 2009 erklärt, dass die Europäische Kommission und zwei weitere europäische Organisationen im Oktober-November 2009 1,5-2 Mrd. Dollar zur Modernisierung des ukrainischen Pipelinesystems zur Verfügung stellen werden. Hat irgendjemand dieses Geld gesehen?
Darüber hinaus würde die Ukraine durch die beiden Umgehungspipelines den Status eines exklusiven Gastransitlandes verlieren. Und darüber sprach im Wahlkampf nicht der Präsident, sondern Wiktor Janukowitsch. Seine Worte in der Sendung“Welyka Politika” auf “Inter” am 5. Februar 2010 lauteten: “An der Ukraine vorbei begannen sie Pipelines zu bauen – die Nord-Stream- und die South-Stream-Pipeline. Wir haben das Vertrauen unserer Partner – Russland und Europa – verloren. Und sie haben angefangen, darüber nachzudenken, wie man eine Politik zuverlässigerer Gaslieferungen nach Europa aufbauen könnte. Der Preis einer Pipeline ist hoch, wenn diese Gas beinhaltet, aber wenn kein Gas vorhanden ist, wozu dann diese Pipeline?”.
2005 hinterließ Janukowitsch Juschtschenko und Timoschenko ein intergouvermentales Vertragssystem, das alljährlich überprüft werden musste und der Ukraine russisches und turkmenisches Gas für 50 Dollar pro Tsd. Kubikmeter garantierte.
2010 hinterließ die Regierung Juschtschenko-Timoschenko Janukowitsch bereits einen Vertrag, demzufolge der Gaspreis bei Verzicht auf den Preisnachlass nach der Unterzeichnung der “Charkower Vereinbarung” um die 516 Dollar pro Tsd. Kubikmeter beträgt. Niemand in Europa zahlt einen solchen Preis.
Überlassen wir den Historikern und Geheimdiensten die Frage, auf die es zur jetzigen Zeit keine Antwort gibt. Womit Russland Frau Timoschenko für sich gewann, als sie diesen für die Ukraine so ungünstigen Vertrag unterzeichnete.
Wie alles weiterging
Im Folgenden fanden die berühmten Charkower Vereinbarungen statt. Der Schlüsselmoment hier: Am 6. September 2011 erklärte Präsident Janukowitsch in einem Interview mit der Zeitung “Kommersant – Ukraina”, dass die Charkower Vereinbarungen als Beginn einer umfassenden Revision bestehender Vereinbarungen geplant wurden.
Man kann so viel spekulieren, wie man mag, warum diese Revision nicht stattgefunden hat. Fakt ist, dass die Nord- und South-Stream-Pipeline die Ukraine dadurch, dass diese unser Land umgehen, nachhaltig “in die Zange” nehmen – unabhängig davon, wer sich in Kiew an der Macht befindet oder befinden wird. “Nord-Stream” ist in Betrieb, und am 28. Dezember 2011 hat sich Russland laut “Reuters”-Berichten mit der Türkei über den Bau der South-Stream-Pipeline geeinigt.
Und während des Wahlkampfes wie auch schon an der Macht befindlich hat Wiktor Janukowitsch mehr als einmal sein Ziel dargelegt: einen Preisnachlass für russisches Gas zu erzielen. Mir sind nicht einmal von seinen politischen Gegnern Vorwürfe dahingehend zu Ohren gekommen, dass Janukowitsch bei der Erreichung dieses Ziels nicht konsequent oder hartnäckig sei.
Zum zweiten außenpolitischen Ziel Wiktor Janukowitschs wurde die Umsetzung der Idee einer Freihandelszone zwischen den GUS-Staaten. Die Vereinbarung zur GUS-Freihandelszone wurde bereits am 15. April 1994 unterzeichnet, unter Leonid Krawtschuk, aber sie “war nicht in Kraft”, zum Teil, weil Russland diese nicht ratifizierte. Am 3. September 2011 sprach er auf einem Gipfeltreffen der GUS in Duschanbe über die Freihandelszone: “ich sehe keine Grundlage für den Aufschub des Vertragsabschlusses”. Am 19. Oktober 2011 einigten sich die Regierungschefs der GUS-Staaten in Sankt-Petersburg und unterzeichneten den Vertrag. Zur gleichen Zeit trat die Idee einer synchronisierten Ratifizierung in Erscheinung, von der Wiktor Janukowitsch auf einem GUS-Gipfeltreffen im Dezember 2011 in Moskau sprach.
Aber dann lief irgendwas irgendwie schief.
Gas, Käse und andere Köstlichkeiten
Die Gespräche zur Revision der Preise für russisches Gas kamen zu keinen Resultaten, jedenfalls bisher. Der Minister für Energiewirtschaft Jurij Bojko und der Leiter der russischen “Gazprom” Alexej Miller trafen sich das letzte Mal am 17. Januar 2012, und außer der Phrase zum “Wunsch beider Seiten, zu einem Kompromiss zu finden” kam nichts dabei heraus.
Der Wechsel im Ausdruck fand vor dem Hintergrund der Ankündigung der Ukraine, weniger russisches Gas aufzukaufen, den Einwand Gazproms und der darauf folgenden Ankündigung des Unternehmens, dass die Ukraine ihre tägliche Entnahme gesteigert habe, statt.
Aber die Regierung der Ukraine hat ihre Bemühungen nicht eingestellt. Die Akzente haben sich verlagert. Am 24. Januar 2012 erklärte Janukowitsch, dass “die Ukraine weiterhin an der Erhöhung der eigenen Förderung von Energieträgern arbeiten und eine Alternative zum russischen Gas suchen wird”. Es wurde bekannt gegeben, dass auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos der EU-Kommissar für Energiewirtschaft, Günther Öttinger, und der ukrainische Minister für Energiewirtschaft und Kohlebergbau, Jurij Bojko, die Frage eines Konsortiums für Erdgastransporte Ukraine-Russland-EU erörtern.
Übrigens ist noch unklar, was aus dieser Idee werden wird.
Es liegen widersprüchliche Informationen vor. Einerseits sagte der deutsche Botschafter, Herr Heimsoeth, am 22. Dezember 2011, dass “die Ukraine mit Europa nicht über ein Konsortium für das Gastransportsystem verhandelt”. Andererseits erklärte Bogdan Sokolowski, der frühere Sprecher Juschtschenkos für Energiefragen, am 26. Januar 2012, dass “die Bildung eines Konsortiums nicht in das Europäische Gemeinschaftsrecht eingehen wird”. Darin ist ein gewisser Widerspruch zu erkennen.
Indessen kehrte man zwischen der Ukraine und der Zollunion zu einem waschechten, nennen wir die Dinge beim Namen, “Handelskrieg” zurück. Am 12. Januar 2011 begann der oberste Leiter der Lebensmittelüberwachung, Gennadij Onischtschenko, mit den Attacken gegen Hersteller ukrainischen Käses und am 17. Januar 2011 setzte der Lebensmittel- und Landwirtschaftsminister Weißrusslands, Michail Rusyj, diese fort.
Ein “Ölgemälde” schuf der Chef des Außenministeriums Russlands, Sergej Lawrow, der am 18. Januar 2011 erklärte: das Eigentum russischer Unternehmen in der Ukraine ist feindlichen Übernahmen ausgesetzt.
Ich gelte sicherlich nicht als der größte ukrainische Patriot, wenn ich zugebe, dass in der Ukraine in der Tat Milchprodukte mit Palmöl existieren. In der Kiewer englischsprachigen Zeitung “Kyiv Post” wurde ein Interview mit dem Briten Frederick Aherne, dem CEO des Unternehmens “Milkiland”, veröffentlicht. In diesem sagt dieser “diplomatisch”: “Es existiert eine Vielzahl von Gründen, weshalb andere Unternehmen zusätzliche Inhaltsstoffe hinzufügen, um die Milch zu strecken”. Hier komplementieren die Zahlen des Staatlichen Amtes für Statistik für 2011 das Bild – innerhalb von nur zwei Monaten des vergangenen Jahres kaufte die Ukraine mehr als 125 Tsd. Tonnen Palmöl auf, d.h. je 3 Kilogramm dieses Inhaltsstoffes auf jeden Verbraucher.
Ich denke, es geht nicht nur um Palmöl. Außerdem existiert ein “Nationaler Aktionsplan für 2011 zur Implementierung ökonomischer Reformprogramme für 2010-2014”, der auf Erlass des Präsidenten vom 27. April 2011 in Kraft gesetzt wurde. In diesem Dokument geht es um “die Gewährleistung der Sicherheit von Lebensmitteln” und “die Verabschiedung von sanitärtechnischen Vorschriften und Normen hinsichtlich der Verwendung von Aromastoffen, inklusive einer Auflistung der Aromastoffe, deren Verwendung bei Lebensmitteln zugelassen wird”.
Übrigens sind mir nicht viele Einzelheiten zu der Qualität von Lebensmitteln russischer Herstellung bekannt. Widmen wir uns dem Archiv des “Lewyj Bereg”. In einer Veröffentlichung unter dem Namen “Verbraucherschützer verklagen McDonald’s” ist die Rede davon, dass russische Verbraucherschützer herausgefunden haben, dass „_McDonald’s seine Kunden hinsichtlich der Herkunft einer Reihe seiner Speisen täuscht_”. Beispielsweise enthält der „_Milchshake “Molotschnyj” … Pflanzenöle, darunter das schädliche Palmöl_”, das “sich aufgrund eines höheren Schmelzpunkts im Organismus ansammelt und Cholesterin-Plaques in den Gefäßen bildet”.
Erneut Wahlen?
Jeder, der sich das Sortiment der Handelsketten Russlands genauer angeschaut hat, egal, ob nun das elitäre “Globus Gourmet” oder für den Massenkonsum bestimmte “Alye Parusa_“ (deutsch: Purpursegel), “_Perekrjostok_“ (deutsch: Kreuzung) oder “_Sedmoj Kontinent_“ (deutsch: Der 7. Kontinent), weiß, dass der Anteil ukrainischer Waren dort ziemlich hoch ist. Das sind Konditoreiprodukte, Konserven, das ist Wodka und Bier, Fleisch und Gemüse. Reserven für den “_Handelskrieg” existieren – sollte irgendjemand dessen Ausmaße ausweiten wollen.
Bis zum 4. März 2012, wenn entsprechend eines Beschlusses des Rates der Russischen Föderation Präsidentschaftswahlen stattfinden, ist noch ein wenig Zeit. Zeit für einen “Handelskrieg” bleibt noch.
Das heißt, vorausgesetzt irgendjemand möchte aus der Ukraine ein “Feindbild” machen.
Entsprechen die Informationen, die manchmal aus Moskau zu hören sind, der Realität? Beispielsweise, dass die Ukraine entweder am Vorabend der Präsidentschaftswahlen in Russland der Zollunion beitreten wird oder zu einem “Außenfeind” erklärt wird.
Unmöglich? Am 21. Oktober 2003, am Vorabend der Staatsdumawahlen der RF beginnen Baubetriebe der Region Krasnodar, ohne ersichtlichen Grund, den Bau eines Dammes zur ukrainischen Insel Tusla zu forcieren. Die russischen Medien sagen unisono, dass die Ukraine drakonische Gebühren für die Passage russischer Schiffe durch die Straße von Kertsch verlange. Möglich, dass dem so war, man begann aber erst am Vorabend der Wahlen darüber zu reden. Die ukrainischen Geheimdienste erblicken unter den in Reih und Glied aufgestellten “Bauarbeitern des Dammes” Kollegen, mit denen sie in Angola und Afghanistan gedient hatten. Für die föderalen Fernsehkanäle ließ Dimitri Rogosin, damals Parteichef von “Rodina” (deutsch: Heimat), Tauben als “Symbole des Friedens” Richtung Tusla fliegen. Nach der Wahl wurde der Bau verworfen.
Kann man der Hypothese, dass am Vorabend der Wahl in Russland jemandem ein “Außenfeind” nötig sein wird, eine Daseinsberechtigungt einräumen? Aber ist das Baltikum mit der Verlegung sowjetischer Kriegsgräber, Georgien mit Abchasien „_davongekommen_“? Und haben wir nicht mehr in Erinnerung, dass eben selbiger Gennadij Onischtschenko seinerzeit Erklärungen zur Qualität georgischen Weins und des“Borjomi” Mineralwassers abgegeben hatte. Der Nordkaukasus, notabene, taugt als “Außenfeind” nicht: Wladimir Putin bezeichnet ihn als “Perle der Föderation” und sagt, dass im Falle seiner Abspaltung alle nationalen Gebietskörperschaften Russlands “auseinander fallen” würden, womit er, was nicht ausgeschlossen ist, Recht haben könnte. Kasachstan und Weißrussland sind in der Zollunion. Bleibt lediglich das Bild eines Außenfeindes aus den übrigen Nachbarn zu „_schnitzen_” – der Ukraine, China, Japan.
Was glauben Sie? Welches Land hat Ihrer Meinung nach die “besten Chancen” als “Außenfeind” zu fungieren?
Zweifellos möchte niemand in der Ukraine derartiges. Nicht nur deshalb, weil Russland ein bedeutender Arbeitgeber von Millionen Bürgern der Ukraine ist und diese mit Arbeitsplätzen versorgt. Zumindest jedoch, weil “Handelskriege” zwar immer ein Ende finden, aber einen Nachgeschmack zurücklassen. Und es ist nicht bekannt, wie viele Anstrengungen notwendig sein werden, um diesen Nachgeschmack wieder zu beseitigen.
Entsprechend existieren auf kurze Sicht in den ukrainisch-russischen Beziehungen zwei Schlüsseldaten. Das erste ist, begreiflicherweise, der 4. März 2012, die Präsidentschaftswahlen in Russland. Und das zweite Schlüsseldatum wird wohl irgendwann im Mai 2012 sein. Zu dieser Zeit wird die Staatsduma der RF das Protokollabkommen zum Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation ratifizieren. Und nach 30 Tagen nach der Ratifizierung wird Russland Vollmitglied der WTO. Dieses Ereignis kennzeichnet das Ende der Geschichte um das GUS Freihandelsabkommen. Ein solches Freihandelsabkommen wird einfach überflüssig. Wie auch für Russland, Kasachstan und Weißrussland ihre Zollunion überflüssig wird. Und es wird eine andere Geschichte beginnen – der Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine, auch als Länder einer Zollunion, die bereits in der WTO sind.
30. Januar 2012 // Wjatscheslaw Pichowtschek
Quelle: Lewyj Bereg