Wer stoppt Tjahnybok? Hoffentlich die Demokratie
Dieser Beitrag ist eine Reaktion auf die Diskussion in diesem Artikel, welche wiederum durch den Beitrag von Andreas Umland ausgelöst wurde.
Die Welt hat sich gewandelt – der Nationalstaat verliert immer stärker an Bedeutung auf Grund der Konsolidierung supranationaler Gebilde, was im Endeffekt eine Reaktion auf ein globales Wirtschaftsnetz ist. Diesen Gesetzmäßigkeiten ist auch die Ukraine unterworfen, wenngleich die Lebensbedingungen und -standards hier nicht mit zentraleuropäischen Ländern vergleichbar sind.
Aussagen wie die von Aleksandr Gudyma sind aber nicht nur deswegen, sondern vor allem aus demokratiepolitischen Gründen auf das Stärkste zurückzuweisen! Außerdem sind ukrainische Probleme nicht mehr nur Probleme der Ukraine – was der Gaskonflikt im letzten Winter drastisch gezeigt hat. Der Kommentar von Witalij Kulik ist mehr als verzichtbar, da er offensichtlich die Analyse von Andreas Umland nicht verstanden hat oder nicht verstehen wollte: Herr Umland hat niemanden „belehrt“ oder dem ukrainischen Volk die Entscheidung abgenommen! In einem demokratischen System muss es möglich sein, offen seine Meinung kund zu tun, solange dabei niemand diffamiert wird. Von einem Ukrainer oder nicht ist dabei unerheblich.
Ob die getroffene Entscheidung die des „ukrainischen Volkes“ war, ist auf Grund der äußerst geringen Wahlbeteiligung, dem komplizierten und für viele Menschen nicht durchschaubaren Wahlsystem und dem von allen Parteien und Beobachtern konstatierten Wahlfälschungen aber auch in Frage zu stellen.1 Daher bleibt abzuwarten, ob sich die Statements von Herrn Bulawin und Kilinkarow bewahrheiten werden, da eine geringe Wahlbeteiligung rein statistisch gesehen den kleineren Parteien zu Gute kommt und die Politikverdrossenheit unter der Bevölkerung immer weiter zunimmt.2
Die Verknappung der Aussagen Herrn Umlands auf das internationale Image der Ukraine entspricht nicht seinem Kommentar, in dem er schreibt, dass „eine solche Entwicklung [eines möglichen Aufstieg von Swoboda in die Werchowna Rada Anm.d.V.] […] sowohl die Struktur als auch die Substanz des ukrainischen politischen Ideenwettbewerbs sowie des öffentlichen Diskurses verändern“ würde.
Aber ja, der Wahlerfolg von Swoboda hat Auswirkungen und wird in zentraleuropäischen Medien bereits diskutiert.3
Dass es ähnliche Phänomene auch in Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Ungarn oder auch Österreich gibt, steht dabei außer Frage, kann aber schwer gleichgesetzt werden, da die jeweilige Situation eine andere ist. So gibt es beispielsweise nur in Deutschland und Österreich das Verbot nationalsozialistischer Wiederbetätigung4, was das öffentliche Auftreten rechtsradikaler Organisationen wesentlich einschränkt. Dass sich der Sprachgebrauch seit dem Auftauchen Jörg Haiders in der österreichischen Politik 1986 und vor allem ab der schwarz-blauen Koalition 1999/2000 wesentlich radikalisiert hat, ist zweifellos. Ebenso das Faktum, dass die rechte Szene in Österreich in den vergangenen Jahren einen stärkeren Zulauf hat, was an Hand der gestiegenen Wahlergebnisse der Rechten und Anzeigenzahl wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz deutlich wird.5
Aber diese Tatsachen können nicht herangezogen werden, um den Wahlerfolg von Swoboda zu relativieren, und schon gar nicht, um eine Beschädigung des internationalen Images der Ukraine zu verhindern. Gerade am Beispiel Österreich wird klar, dass es auch von Seiten der EU zu einer Ächtung kommen kann, da diese am 31. Jänner 2000 die so genannten „Sanktionen“ gegen Österreich ausgesprochen hat. In deren Folge wurde das Land isoliert.6
Dass es heute rechtsradikale Parteien in so gut wie jedem europäischen Parlament gibt und die konservativen Parteien weiter nach rechts rücken, steht dazu nicht in Widerspruch. Deutlich wurde dies in der internationalen Diskussion um die französische Immigrations- und Abschiebepolitik der letzten Monate, wenngleich ein gemeinsames Vorgehen schlussendlich scheiterte.
Dass die rechtsradikalen Swoboda gerade in der heutigen Situation gewonnen haben, ist nicht weiter verwunderlich. Die Geschichte zeigt, dass gerade in schwierigen Zeiten radikale Parteien mit einfachen Antworten gewinnen. Positiv katalysiert wurde dies durch das Fehlen oppositioneller Kräfte, was am Beispiel Lemberg oder Ternopil deutlich wird. Hinzu kommt die Unbeliebtheit der aktuellen Regierung in großen Teilen der Westukraine und die (meines Erachtens völlig unbegründete) Angst um den Verlust einer eigenstaatlichen Identität, der durch den Ruf7 „Ukraine den Ukrainern“ laut hörbar wird.
Wenn Herr Gudyma der Meinung ist, dass solche Rufe oder das Parteiprogramm von Swoboda nicht als „ultranationalistisch“ bezeichnet werden dürfen, muss er dies bitte konkreter ausführen. Mir fallen daneben nur Kategorien wie faschistoid, antisemitisch, verhetzend und antidemokratisch ein. Im Pressespiegel finden sich daneben auch noch die Benennungen „ultraradikal nationalistisch“, „radikal nationalistisch“ , „radikale Rechtspartei“, „rechtsextrem“, „xenophob“, „rassistisch und neo-nazistisch“ etc.
Die Ukraine hat 1987 und 1995 fast alle Konventionen der UNO und des Europarates ratifiziert und ist damit an diese gebunden. Sie stehen in klarem Widerspruch zum Parteiprogramm von Swoboda, sind aber demokratiepolitisch essentiell: eine Partei die einem großen Teil der Bevölkerung auf Grund des „Blutprinzipes“ Rechte verwehren möchte, bewegt sich außerhalb des demokratischen Rahmens und sollte entsprechende Konsequenzen erwarten müssen.
Principiis obsta!8
Benjamin Grilj – Czernowitz
1 Vielleicht spielt Herr Bulawin in seinem Kommentar gerade darauf an?
2 Vgl. Ismayr, W.: Die politischen Systeme Osteuropas. VS Verlag für Sozialwissenschaft, Wiesbaden: 2010: S. 51ff und http://www.kyivpost.com/news/nation/detail/88300
3 Vgl. Wiener Zeitung oder Frankfurter Rundschau
4 Vgl. für Deutschland §134 BGB und Österreich BGBI 1947/25
5 Vgl. Verfassungsschutzbericht – Bundesministerium für Inneres Österreich und ORF
6 Vgl. Zeit
7 Dass dies auch ein Motto von UPA (Ukrainische Aufstandsarmee) und OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten) war, sei hier erwähnt – wenngleich hier nicht auf deren Rolle und politische und historische Ausrichtung eingegangen werden soll.
8 Wehret den Anfängen!