Ist eine sino-russische Entente eine Option für Moskau, seine bisherige strategische und Modernisierungspartnerschaft mit dem Westen mit einer vergleichbar nachhaltigen asiatischen Allianz zu ersetzen? Angesichts verschiedener Dilemmata, mit denen die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen infolge der sog. „Ukrainekrise“ für Jahre behaftet sein werden, möchte man Russland beim Aufbau einer alternativen Partnerschaft mit einem wirtschaftsstarken Äquivalent zur EU Glück wünschen. Wie praktikabel und stabil aber wird ein chinesisch-russischer Block sein?
Problem Nr. 1: Politischer Gewichtsverlust infolge ökonomischer Schwäche
Obwohl Russlands Wirtschaft im Vergleich zur chinesischen bereits vor der „Ukraine-Krise“ weniger potent war, unterscheidet sich das Kräfteverhältnis zwischen China und Russland im Jahre 2015 prinzipiell von jenem im Jahr 2013. Russlands Industrie tritt derzeit in eine langwierige Rezession ein, während die Wirtschaft Chinas – wenn auch in geringerem Umfang als zuvor – weiterhin beeindruckend wächst. Russland wendet sich von Monat zu Monat immer mehr von seinen vormals wichtigen ökonomischen und politischen Verbindungen zum Westen ab. China hingegen knüpft neue internationale Beziehungen mit einer großen Zahl von Akteuren weltweit. Diese gegenläufigen Entwicklungen führen nicht nur zu einer größer werdenden Kluft zwischen den beiden mutmaßlichen Großmächten Eurasiens, sondern auch zu einer veränderten weltweiten Wahrnehmung ihrer verhältnismäßigen Stärke.
Da Russlands bereits zuvor existierende Wirtschaftsprobleme und internationale politische Isolation nunmehr rapide wachsen, wird sein relativer Gewichtsverlust gegenüber dynamischen Schwellenländern zunehmend spürbar. Russlands Rückständigkeit manifestiert sich sowohl gegenüber den westlichen Industriestaaten als auch gegenüber den nichtwestlichen neuen Märkten immer deutlicher. Das wird den Kreml zu einem Akteur zweiten Ranges nicht nur in Europa, sondern auch in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ: China, Russland, Zentralasien) und BRICS-Gruppe relegieren – eine Rolle, an die die Moskauer Elite nicht gewöhnt ist. China wird Russlands Abkehr vom Westen zu seinem Vorteil nutzen und bestimmte Handels- und Investitionslücken füllen, die aus dem Rückgang der Wirtschaftsbeziehungen Russlands mit dem Westen entstehen. Dennoch wird Peking immer weniger Gründe haben, Russland als geopolitisch gleichrangigen und strategisch entscheidenden Verbündeten zu behandeln.
Problem Nr. 2: Asiatische Zweckbündnisse ≠ Europäisches Projekt
Der Westen als Ganzes und die EU als dessen Teil sind politische Gebilde sozialökonomisch verschiedener, aber kulturell und historisch verbundener Staaten. Seit 1991 ist die Russische Föderation zwar langsam und unstet, aber doch mehr oder weniger konstant in den Westen integriert worden. Unter Jelzins Präsidentschaft trat Russland dem Europarat und der G8 bei, unterzeichnete eine Grundakte mit der NATO und schloss ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit der EU ab. Unter Putin trat Russland einem gemeinsamen Rat mit der NATO bei, vereinbarte mit der Europäischen Union vier sog. „Gemeinsame Räume“ vertiefter Zusammenarbeit sowie Strategie- und Modernisierungspartnerschaften. Moskau führte mit Brüssel Verhandlungen für ein sogenanntes Neues Abkommen, dass das alte Partnerschaftsabkommen ablösen würde. Die Russische Föderation wurde Mitglied der Welthandelsorganisation, und Russlands Universitäten beteiligen sich am Bologna-Prozess. Nächste Schritte wären Russlands Beitritt zur OECD und später die Unterzeichnung eines erweiterten Kooperationsabkommens zwischen Russland und der EU oder sogar eines Assoziierungsvertrages gewesen.
Hätte diese zwar prolongierte und widersprüchliche, aber nichtsdestoweniger substanzielle Entwicklung angedauert, wäre früher oder später ein EU- und NATO-assoziiertes Russland fester Bestandteil der westlichen Gemeinschaft geworden. Dies hätte übereingestimmt mit einem Verständnis der russischen Kultur als Teil des paneuropäischen Kulturkreises. Russlands schrittweise Annäherung an den Westen wäre eine osteuropäische Wiederholung der langwierigen Integration des ehemals ebenfalls imperialistischen und antiwestlichen Deutschlands in die westliche Welt gewesen.
Im Gegensatz zu westlichen Institutionen wie EU oder NATO sind die BRICS-Gruppe oder die SOZ pragmatische nicht- oder antiwestliche Allianzen. Diese Ad-hoc-Bündnisse bieten Russland keinen langfristigen geopolitischen Anker und nachhaltigen Entwicklungspfad. Da es nur wenige kulturelle Bindungen zwischen China und Russland und keine historisch herleitbare Zukunftsvisionen ihrer Integration gibt, kann Moskau von Peking zwar momentane Aufmerksamkeit, aber keine tiefergehenden Beziehungen erwarten. Während sich die wirtschaftliche und politische Kooperation zwischen verschiedenen asiatischen Staaten sowie mit Russland in der Zukunft verstärken mag, existiert kein größeres transasiatisches Projekt, dem sich Russland – als Alternative zu seiner bislang schrittweise wachsenden Teilnahme am europäischen Projekt – anschließen könnte.
Problem Nr. 3: Kulturelle Distanz und geopolitische Interessenskonflikte
Vor der sog. „Ukrainekrise“ kamen über 75 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Russland aus dem Westen. Fast 50 Prozent des russischen Außenhandels wurde mit EU-Ländern abgewickelt. Zwar wird Europas wirtschaftliches Engagement in Russland nicht abbrechen. Doch hat sich das Volumen ausländischer Direktinvestitionen, des Handels und anderen Zusammenwirkens in den letzten Monaten merklich vermindert und wird weiter sinken. Moskaus Idee besteht darin, dass intensivere Wirtschaftsbeziehungen zu Asien die Verluste im wirtschaftlichen Austausch zwischen Russland und dem Westen wettmachen.
Was passiert aber, wenn zunehmende chinesische und andere nicht-westliche Investitionen und Handelsbeziehungen die West-Verluste und strukturellen Mängel in der russischen Wirtschaft nicht ausreichend kompensieren? Eine wachsende chinesische Präsenz in Russland mag von vielen begrüßt werden, wenn die russische Wirtschaft wieder zu wachsen beginnt. In solch einem Falle könnten chinesische Investitionen, asiatische Partnerschaften und Russlands Integration in die östliche Welt als Teil einer erfolgreichen antiwestlichen Neudefinition Russlands wahrgenommen werden. Aber was wird geschehen, wenn Russlands Wirtschaft weiterhin stagniert oder schrumpft, während asiatische Konglomerate russische Vermögen, Unternehmen und Märkte übernehmen und wachsende chinesische Immigrantengemeinden Faktoren im Leben russischer Städte und Kommunen werden?
Vor diesem Hintergrund könnte die kulturelle Distanz zwischen Chinesen und Russen in der Zukunft zu einem geostrategischen Problem Moskaus werden. Zwar haben es die Kreml-gesteuerten Medien geschafft, Pekings Ansehen unter den Russen zu verbessern, wie die in Umfragen gemessene, gewachsene russische Sympathie gegenüber China belegt. Allerdings entstand diese positive Tendenz in einer Periode relativer wirtschaftlicher Stabilität und geringer chinesischer Präsenz im russischen Alltag. Sollten sich diese beiden Bedingungen ändern, könnte sich der allgemein zunehmende russische Rassismus auch gegen eine demnächst möglicherweise wachsende Zahl chinesischer Geschäftsleute, Touristen, Studenten, Gastarbeiter, Immigranten usw. in Russland richten. Das bereits problematische Verhältnis vieler Russen zu nicht-slawischen und vor allem asiatischen Migranten verheißt nichts Gutes für die Mensch-zu-Mensch-Beziehungen zu anderen Nicht-Europäern, nicht zuletzt Chinesen, in Zeiten schärfer werdender sozio-ökonomischer Spannungen.
Letztlich sind China und Russland aus geografischen Gründen Konkurrenten in Zentralasien. Im Ergebnis rapid wachsender wirtschaftlicher Disparität wird Chinas relative Zugkraft in Zentralasien weiter zunehmen, selbst wenn Peking keine neuen Ambitionen in der Region hegt. Da Moskau künftig weniger Mittel und Argumente besitzen wird, seinen Einfluss in Zentralasien geltend zu machen, könnte eine allmähliche Abkehr der postsowjetischen Republiken von Russland eine merkwürdige Begleiterscheinung der neuen Ostausrichtung des Kremls werden. Sollte China seine wachsende relative Stärke in Zentralasien aggressiver nutzen, als dies der Kreml akzeptieren kann, könnten Moskau und Peking in ihrer gemeinsamen Nachbarregion in Streit geraten, was – angesichts des weiterlaufenden Streits mit dem Westen um die Ukraine – fatale Folgen für Russlands gesamte Außenpolitik hätte.
Peking ist ein problematischer Kandidat für einen engen und nachhaltigen Bund mit Moskau. China könnte als dominierender Verbündeter eines ökonomisch schwächelnden und in Europa isolierten Russlands eine zu große Herausforderung für die Moskauer Führung werden. Weder kulturell noch wirtschaftlich kann China den Westen als Russlands wichtigsten Partner adäquat ersetzen. Vielmehr sind die aus diversen Inkompatibilitäten erwachsenden Risiken für eine langfristige enge Zusammenarbeit der beiden großen Länder mindestens ebenso gewichtig, wie deren ebenfalls erheblichen Chancen.
Aus dem Englischen von Thomas Meyer. Eine leicht abgeänderte Version erschien zuerst auf „Zeit Online“ und eine ausführlichere Version mit Literaturverweisen erscheint demnächst in den Wiener Webmagazinen „Eurozine“ und „Tr@nsit Online“ unter dem Titel: ‚„Groß-Asien“ statt „Groß-Europa“? Eine chinesisch-russische Entente als Scheinalternative für Russlands Westintegration.‘
Forumsdiskussionen
Bernd D-UA in MDR • Re: Ukraine: Trotz Krieg Touristen
„@lev dann wünsche ich Dir eine gute Reise, es war sehr schön in LVIV, muss unbedingt nochmals so eine Rundreise machen. Ich habe so wundervolle Menschen kennengelernt, ich bin zutiefst beeindruckt! Es...“
lev in MDR • Re: Ukraine: Trotz Krieg Touristen
„Danke Bernd für deine Eindrücke. Ich fahre Ende Mai wieder für mehrere Wochen nach Lviv. Nicht um Urlaub zu machen, sondern in unsere Wohnung. Hatte sie ja vor dem Krieg, aufwendig saniert und möchte...“
Bernd D-UA in MDR • Re: Ukraine: Trotz Krieg Touristen
„Hallo liebe Forengemeinde und Mitleser, ich bin gerade auf einem Kurztripp durch die Ukraine. Es ist wunderschön wieder hier zu sein. Es fehlen die Touristen, gestern habe ich einen persönlichen und...“
Bernd D-UA in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Kurzer Bericht, hab dann doch den Wachwechsel erwischt, bei den Polen ging dann bestimmt 45 Minuten gar nix. Und dann wurde in zwei Schüben eingelassen, ich finde, dann ging es in einem guten Tempo voran....“
Bernd D-UA in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Bin jetzt da, 10 PKW vor mir, das ist akzeptabel, ist ja auch der 1.Mai. Bin zufrieden mit der Situation. @Frank Fahre immer noch ein schwarzes Auto... kennst doch meine Erfahrung mit der Polizei in UA...Kaffeebraun...“
Frank in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Probier doch einfach. Wenn der offen ist doch alles ok. Bin da glaube mal zurück drüber gefahren. War dann nur eine ewige Kurverei bis zur A4. Bin da aber eh erstmal bis Krakau. Kann natürlich auch...“
Bernd D-UA in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Schade, dass es keine Info´s zu Zosin gibt, wer aber noch was weiß, bitte schreiben, ich fahre jetzt in 30 Minuten los und kann immer noch in ca. 10h bei einem Stopp nochmals nachlesen. Google Maps schickt...“
Bernd D-UA in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Diesen Grenzübergang hatte ich schon auf dem Schirm, kenne ihn nur noch nicht. Kann jemand noch etwas zu Zosin sagen, wäre ja auch machbar oder lieber nicht? Vielen Dank Bernhard.“
bernhard1945 in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Hallo Bernd Es hängt etwas davon ab, wohin Du in Ukraine fahren möchtest. So wie es scheint möchtest Du (wie ich normalerweise) in Richtung Kiew fahren. Ich benütze deshalb seit Jahren den Übergang...“
Bernd D-UA in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Ergänzend, möchte nach Luzk fahren, ist ja sicherlich nicht uninteressant für einen Ratschlag.“
Bernd D-UA in Berichte und Reisetipps • Re: An welchem Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine geht es am schnellsten?
„Möchte morgen über Nacht in die Ukraine fahren und plane die Ankunft an der Grenze sehr früh am Morgen. Fahre entweder über Polen oder ggf. über Tschechien, je nachdem was google maps empfiehlt. Normalerweise...“
Ahrens in Recht, Visa und Dokumente • Re: Visa D14
„Das ist ein simples D-Visum, wie man es auch in Deutschland für die Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung braucht. Man benötigt dazu keine Mindestaufenthaltszeit. Auch bei der Aufenthaltserlaubnis...“
JohannesTim in Berichte und Reisetipps • Mit dem Zug in die Ukraine
„Zunächst möchte ich sagen, daß die PKP für die Sitzplatzzüge, die zum Beispiel von Kattowitz bis nach Przemysl fahren, die Preise nicht erhöht hat. Allgemein gilt die Polnische Staatsbahn eher als...“
MHG1023 in Berichte und Reisetipps • Re: Mit dem Zug in die Ukraine
„"Warum verlangt die PKP von den Fahrgästen solch einen Preis ?" - Weil sie es können ... Die Nachfrage dürfte weiter hoch sein und weil es keine vergleichbaren Alternativen gibt (Buslinien über Nacht...“
JohannesTim in Berichte und Reisetipps • Re: Mit dem Zug in die Ukraine
„Die Polnische Staatseisenbahn PKP Intercity S.A. erhöhte für den Schlafwagen-Zug D 68 am 1. Februar 2025 die Fahrpreise um + 38 Prozent. : Vom Warschauer Ostbahnhof fährt abends um 17.49 Uhr der Schlafwagen-Zug...“
HelloMick in Hilfe und Rat • Brauchen Hilfe bei Diia Registrierung
„Hallo. Meine Ex-Frau ist schon über 22 Jahre in Deutschland. Jetzt benötigt sie einen Termin für das Konsulat. Aber es werden nur Termine über Diia vergeben. Kann uns jemand erklären wie das genau...“
Trick in Recht, Visa und Dokumente • Visa D14
„Hallo..... Ich benötige nochmals euer Schwarmwissen.... Bin seit Dezember letzten Jahres in der Ukraine verheiratet worden Jetzt meine Frage.....ich habe auf der Seite der ukrainischen Botschaft einen...“